100. Ein gespenstiger Reiter

Ein unbekannter Mann hatte sich gegen das Ende des XVII. Jahrhunderts bei einem Grafen von Roggendorf zum Bereiter angegeben und wurde, nach geleisteter Probe, zu Diensten angenommen und ihm eine ehrliche Bestallung gemacht. Es begab sich aber, daß einer von Adel bei Hof anlangte und mit diesem Bereiter an die Tafel gesetzt wurde. Der Fremde ersah ihn mit Erstaunen, war traurig und wollte keine Speise zu sich nehmen, ob ihm wohl der Graf deswegen freundlichst zugesprochen. Nachdem nun die Tafel aufgehoben war und der Graf den Fremden nochmals nach der Ursache seines Trauerns [135] befragte, erzählte er, daß dieser Bereiter kein natürlicher Mensch, sondern vor Ostende ihm an der Seite erschossen sei, auch von ihm, dem Erzähler, selbst zu Grabe begleitet worden. Er gab auch alle Umstände an: des Toten Vaterland, Namen, Alter, und das traf alles mit dem, was der Bereiter von sich selbst gesagt, ein, so daß der Graf daran nicht zweifeln konnte. Er nahm daher Ursach, diesem Gespenst Urlaub zu geben mit Vorwenden, daß seine Einkünfte geringert und er seine Hofhaltung einzuziehen gesonnen. Der Bereiter sagte, daß ihn zwar der Gast verschwätzt, weil aber der Graf nicht Ursache hätte, ihn abzuschaffen, und er ihm getreue Dienste geleistet und noch leisten wolle, bitte er, ihn ferner an dem Hofe zu erdulden. Der Graf aber beharrte auf dem einmal gegebenen Urlaub. Deswegen begehrte der Bereiter kein Geld, wie bedingt war, sondern ein Pferd und Narrenkleid mit silbernen Schellen, welches ihm der Graf gerne geben ließ und noch mehr wollte reichen lassen, das der Bereiter anzunehmen verweigerte.

Es fügte sich aber, daß der Graf nach Ungarn verreiste und bei Raab, auf der Schütt, diesen Bereiter mit vielen Koppelpferden in dem Narrenkleid antraf, welcher seinen alten Herrn, wie er ihn erblickte, mit großen Freuden begrüßte und ein Pferd zu verehren anbot. Der Graf bedankt sich und will es nicht nehmen, als der Bereiter aber einen Diener ersieht, den er sonst am Hof wohl gekannt, gibt er diesem das Pferd. Der Diener setzt sich mit Freuden drauf, hat es aber kaum bestiegen, so springt das Pferd in die Höh und läßt ihn halbtot auf die Erde fallen. Zugleich ist der Roßtäuscher mit seiner ganzen Koppel verschwunden.

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TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Erster Band. 100. Ein gespenstiger Reiter. 100. Ein gespenstiger Reiter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FFBE-2