3.

Zur Möve ward mein Lied und kommt mit schrillem Ruf geflogen,
Ihr Fittig streift unstäten Flugs die noch empörten Wogen,
Durchs Zucken ihres Flatterns geht ein tiefer Zug von Treue,
Dem sturmbedrohten Schiffe folgt sie nimmermüd' aufs Neue.
Es war ein schönes starkes Schiff; jetzt wankt es durch die Klippen,
Unheimlich ächzt und bänglich stöhnt's durch Takelwerk und Rippen,
Der stolze Namen »Austria« steht golden am Altane,
Die Wimpel prasseln windgepeitscht, wirr flaggt die Kaiserfahne.
Doch prunkt's mit welken Kränzen noch, die Bord und Maste krönen;
O werft den Flitter in das Meer, Sturmgötter zu versöhnen!
Am Schnabel glänzt des Kaisers Bild, des todten, firnißhelle,
Mich dünkt, das alte starre Bild empört noch mehr die Welle.
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Im Raum der Sklavenballast sehnt, in Ketten, sich nach Landung;
Mich dünkt, die Arme wären gut, zu rudern aus der Brandung!
Das Steuer hält ein greiser Mann, fast mumienhaft verwittert;
Ihr meint: er steure, doch ist's nur ein Ruck der Hand, die zittert.
Zum Kompaß ist sein Haupt gebeugt, als prüf' er Wind' und Richtung,
Doch schlief er ein, ihn selbst besiegt Erschöpfung und Vernichtung.
O armes Schiff, wer führe dich im Sturm, dem ungeheuern?
Weh, soll nur jener Schmachpilot »das blöde Glück« dich steuern!
Vor Schmerz aufschrillt der Möve Schrei; die Seheraugen schauen
Mit Trümmern schon besät die Fluth, o Bild voll Schmerz und Grauen!
Die Brandung donnert; taumelnd stößt der Kiel auf Felsenrippen,
Das Krachen des Zerfallens dröhnt weithin durch öde Klippen.
Das Schiffsvolk bricht mit wilder Kraft der Todesangst die Ketten,
Der springt ins Boot, dem helf' ein Brett das Jammerleben retten;
So treiben sie dahin, doch nicht wohin die Herzen zielen,
Nur wie des Windes Laune will und wie die Wellen spielen.
Seefahrern gibt ein Ruderstück vom Wrack noch späte Kunde,
Der stolze Namen »Austria« ist eingebrannt dem Funde.
Es war ein schönes mächt'ges Schiff aus kerngesunden Eichen
Und könnte noch auf freiem Meer mit vollen Segeln streichen!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Zeitklänge. Vorboten. 3. [Zur Möve ward mein Lied und kommt mit schrillem Ruf geflogen]. 3. [Zur Möve ward mein Lied und kommt mit schrillem Ruf geflogen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0D43-3