[15] 6.

»Durch meines Kerkers Eisengitter rangen
Sich meine Blick' empor zum Himmel droben,
Den Ball des Mondes sah ich leuchtend prangen,
Vom goldnen Kranz der Sterne rings umwoben.
Da klang's aus ihnen in mein Herz und keimte
Gleichwie ein kindisch Märchen alter Tage,
Bevor der Götter Schaar die Erde räumte
Dem Menschenvolke von gemein'rem Schlage.
Es war ein Ries' einst, hochgewaltig, tüchtig,
Der sprach zum Mond: Dein Licht behagt mir eben,
Doch bist du mir zu wanderlustig, flüchtig
Und solltest fein an festem Wohnsitz kleben.
Nicht übel stündest du mir über'm Bette
Als Abendlamp' in meinem Schlafgemache!
Er spricht's und schmiedet eine goldne Kette
Und hängt den Mond dran auf am Himmelsdache.
Doch der rollt fort und fort unaufgehalten,
Und klingend riß die Riesenkette droben,
Daß in Millionen Trümmer rasch zerspalten,
Weithin gesä't, die goldnen Splitter stoben!
[16]
Und sieh, als Sterne sind sie dort geblieben,
Da leuchten sie ins Herz mir ihre Kunde,
Als Freiheitshymn', in goldner Schrift geschrieben
Tief auf des Himmels dunklem, ew'gen Grunde.
Es flüchtet gern mit seinen stillen Schätzen
Das Menschenherz in die gestirnte Ferne;
Es will der Mann in Fesseln gern versetzen
Selbst seine Ketten in die ew'gen Sterne.«

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. 6. [»Durch meines Kerkers Eisengitter rangen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0DD9-6