[196] Zeitklänge

1836–1838.


[197][199]

Bundeslied

Nicht mit Spießen, Mörsern, Stangen
Ziehn wir in den heil'gen Streit;
Mag nach solchen Waffen langen,
Wer nicht bessre hält bereit!
Nicht ist in der Burg von Steine
Uns verschanzt der Heeresbann,
Nein, im Busen drin die seine
Schirmt wohl auch der einz'le Mann.
Dem sorglosen Feind beim Becher
Senden wir nicht Dolch und Gift;
Sonnenstrahl ist unser Rächer,
Weh, wen der ins Herz nicht trifft!
Nicht ein Streit um Landesmarken
Und um irdisch Gut und Blut,
Nein, uns macht zum Kampf erstarken
Ein unsterblich, göttlich Gut!
[199]
In dem dunklen Bauch der Berge
Suchet unser Zeughaus nicht,
Denn nicht sind Kobold' und Zwerge
Lehrer uns in Recht und Pflicht.
Klimmt zu höchsten Bergesspitzen,
Dann vor euch im Sonnenstrahl
Seht ihr golden, silbern blitzen
Unser großes Arsenal.
Lichteswaffen, die kein Meister
Ird'scher Zunft euch schmieden darf,
Und womit der Herr der Geister
Einst die sünd'gen Engel warf;
Bundsgenossen, die entraffen
Uns kein Kerker mag, kein Schwert!
Fielen wir, stehn sie in Waffen
Unserm Recht noch, unversehrt.
Unsre Losung, hört sie schallen
Leis und laut im Lüftezug!
Vorwärts! rauscht der Strom im Wallen,
Vorwärts! dröhnt die Wolk' im Flug.
Der Gedanke, der uns bündet,
Siegreich schwebt er ob dem All,
Dort als Nordens Licht entzündet,
Hier im Bergschacht als Kristall.
Aus des Vogels Kehle drängt er
Sich als Lied im Lüfteraum,
Und verwandelt wieder hängt er
Dort als Blüthenreis am Baum.
[200]
Wie ein süß Geheimniß spendet
Flüsternd ihn der Wiesenbach,
Doch als Donnerpredigt sendet
Ihn der Katarakt euch nach.
Ja der Blitz selbst, nachtentsprungen,
Wenn er durch die Wolken bricht,
Stottert nach mit trunknen Zungen
Gottes Wort: Es werde Licht!

[201] Apostasie

Hie Welf! Hie Waiblinger! Laß sehn!
Nur schwanke nicht hin und her!
Du kannst, ein Ehrenmann, auch stehn
Gegenüber im Feindesheer.
Magst Bär im Geklüft, magst Falk' im Licht,
Nur Fledermaus nicht sein;
Sei Palme oder Eiche, nur nicht
Das Schlingkraut zwischen den Zwei'n!
Ob Wahn, ob Wahrheit dein Panier!
Wer löst's, wem glaube dein Herz?
Am Feuer der Treue läut're dir
Zu Gold unechtes Erz!
Wer trommelnd, trompetend mit uns geht,
Der bessere Held ist's nicht,
Doch der, so fest zur Fahne steht,
Wenn er kein Wort auch spricht.
Doch schmäht nicht den Mann, der, drüben itzt,
Bei unsrer Fahn' einst stund!
Sein Blut, schon einst für uns verspritzt,
Ein Siegel ist's meinem Mund.
[202]
Ich sah auch Locken, braun und lang,
Zu dünnem Schnee verwehn,
Manch nervigen Arm, der das Schwert einst schwang,
Betkügelchen zitternd drehn.
Ich sah's, wie Fieber des Weisen Wort
In Unsinns Gräuel zerbrach,
Ich hörte den Thoren im Irrsinn dort,
Der Perlen der Weisheit sprach.
Ich sah den Raufbold friedlich gemacht,
Verwittert der Jugend Roth,
Den Schwätzer zu ewigem Schweigen gebracht!
Wer kann für Krankheit und Tod?
Will's Gott, so lang ich gesund, erspäht
Bei diesen Fahnen ihr mich!
Wahr's Gott, wenn ihr je mich drüben säht,
Dann krank oder todt wär' ich.
Denkt mein wie eines Todten dann;
Es mag wohl bitter sein,
Vorbeizugehn als lebend'ger Mann
Am eignen Leichenstein.

[203] Schiller's Standbild

Ins Schiller-Album.


Lodert, ihr deutschen
Herzen in Flammen!
Schlaget zu Einem
Brande zusammen!
Daß sich das Erze
Formend belebe!
Daß sich des Dichters
Bild draus erhebe!
Riesig und glänzend
Tönend soll's ragen,
Memnon Germania's,
Da es will tagen!
Doch auch zu tönen
Soll es bedacht sein,
Bräch' einst in Deutschlands
Herzen die Nacht ein!
[204]
Dann in der Zwietracht
Düsteren Tagen
Weit soll es dröhnen,
Laut soll es sagen:
Lodert, ihr deutschen
Herzen in Flammen!
Schlaget zu Einem
Brande zusammen!

[205] Ein Held

Im Lippenrosenbett geboren
Ward uns das freie Wort, ein Held;
Wer sieht's dem Weichling an, erkoren
Sei er zu herrschen ob der Welt?
Wie lang, daß festen Tritt er lerne,
Ist er ans Gängelband verdammt,
Bis ihn, gediehn zu Mark und Kerne,
Des Gottes Funke ganz durchflammt.
In Kindesunschuld würgt er spielend
Alciden gleich der Schlangen Schwall,
Vom Firmamente holt ihm zielend
Manch schönen Stern sein Kinderball.
Am Haupt den Kranz von Blüthenflocken,
Der Glieder Bau so schön geschwellt,
Weiß er als Jüngling süß zu locken
Die Liebe, wie es ihm gefällt.
[206]
Gereift zum Manne tritt an Throne,
In Erz gerüstet, fordernd er,
Da springt entzwei manch eine Krone,
Da flammt manch andre doppelt hehr.
Nun tritt er euch als Greis entgegen
Am Dom im Hohenpriesterkleid,
Vom Himmel läßt er strömen Segen,
Es kniet das Volk, die Saat gedeiht!
Er liebt's, zu schweifen durch die Lande,
Sich zaubernd vielerlei Gestalt,
Als Prasser bald im Prachtgewande,
Als Bettler nackt und dürftig bald.
Nicht schmeichelt er den Staubessöhnen,
Sie sandten Schergen, ihn zu fahn,
Da hörten sie aus Wolken dröhnen
Den Ruf: Ihr sollt ihn lassen stahn!

[207] Wartburg

Dich, ernste Wartburg, möcht' ich grüßen
Als Frühlings Burg zu aller Frist,
Da deutschen Lenz treu zu umschließen
Freistätt' und Liebeshort du bist!
In dichter Wälder dunklem Rahmen
Wahrst du ein lichtes Frühlingsbild,
Daß Allen, die zu dir je kamen,
Lenzahnung süß im Herzen quillt.
War's nicht in deinen luft'gen Hallen,
Wo einst in alter Zeit erwacht,
Wie Leu-gewordne Nachtigallen,
Das Rauschen einer Liederschlacht?
Ein schönes Kämpfen, wo der Sieger
Mit Wohllaut süß den Gegner lähmt
Und den besiegten schwächern Krieger
Mit Wonne göttlich überströmt!
Du Fels, dran los die Donnerwolke,
Das Lenzgewitter, Luther, brach,
Da der Prophet zu seinem Volke
Verhüllt aus Wolkenschleiern sprach!
[208]
Das Wetter hat gereint, durchschüttert
Den Himmel, daß er heller blaut,
Manch morsches Haus in Grund gesplittert
Daß fester, schöner man's erbaut!
Du Steinwand, dran in spätern Tagen
Der Jugend üpp'ger Rebensproß
Lenzungeduldig ausgeschlagen,
Lenzübermüthig frei aufschoß!
Die Rebe wollt' im Keime sprühen
Von Früchten, die dem Herbst gespart!
Kein Edelreis, das nicht im Blühen
Schon künft'ger Frucht Bewußtsein wahrt!
Doch jetzt kein Frühlingslied mehr flötet,
Kein Blühn wagt sich zur Marmorflur;
Der Lenz hat selbst den Lenz getödtet,
Gras säend auf der Edlen Spur.
Wie Polens Reichstag, als zerstoben
Sein Heer, im fremden Lande doch
Treu hielt zusammen, gotterhoben:
Da Polen nicht verloren noch!
So schaarten Frühlings Auserkorne
Die Blumen hier sich bald aufs neu',
Daß Lenz, der noch nicht ganz verlorne,
Sich guter Stellvertreter freu'.
Da stehn sie, hütend seine Krone,
In Feuerwächters Gartenplan:
Doch hat der Mann die Lärmkanone
Hart aufgefahren nebendran;
[209]
Daß nimmer Feuersnoth empöre
Das liebe Städtchen Eisenach,
Den tiefen Waldesfrieden störe,
Der es umwölbt mit grünem Dach!
Der eh'rne Nachbar dünkt erschreckend
Wohl eben nicht den Blumenbund;
Mohnköpfe spähn, empor sich streckend,
Neugierig in des Mörsers Schlund.
Schlingblumen greifen in die Speichen,
Das Ungethüm hinwegzuziehn;
Am Pulverschrein, dreist ohne Gleichen,
Die kecken Feuernelken sprühn.
Der Mörser dient als Bank im Garten,
Es sitzt auf ihm ein zärtlich Paar;
Den Ausgang will ich nicht erwarten,
Da allerseiten Feu'rgefahr!
Jetzt hüpfen glüh'nde Rosenlunten
Sogar ums Zündrohr unbedacht;
Nun seid gefaßt, ihr Andern unten,
Daß bald die Lärmkanone kracht.

[210] Am Rhein

Das sind die Fluren gottgesegnet,
Das ist der alte deutsche Rhein!
Von der Gefährten Lippen regnet
Kein andrer Reim als Wein und Wein!
Wie kommt's, daß diesen nun ich fände,
Den härt'sten von den Reimen all?
Daß ich vom grünen Rebgelände
Rückschau' zum grauen Festungswall?
Dort mußt' ich blüh'nde Rosenwangen
Umrahmt von Kerkergittern sehn,
Dort sah aus schwarzen Eisenstangen
Ein blondes Jünglingshaupt ich spähn!
Wohl meint' ich, daß am Fensterrande
Ein süßer Blumenstrauß erblüht,
Ich ahnte nicht, daß hier zu Lande
In Kerkern Jugend man erzieht!
[211]
Wo Fesseln Jünglingshände drücken,
Muß schlimm es mit den Alten stehn!
Nach deren Armen möcht' ich blicken,
Ob Kettenspur nicht dran zu sehn?
Was hat das junge Volk verbrochen?
Sein Fehler selbst ist schönheitreich!
Vulkanen gleich, die Laven kochen,
Sturzbächen, alpentquollnen, gleich.
Staunt im Vesuve Gottes Wunder,
Pflanzt dran der süßen Reben Zaun!
Doch wer hieß euch, so nah dem Zunder,
Rings eure morschen Hütten baun?
Sonnt euch in Sturzbachs Farbenbogen!
Doch euch zum Bade dient er schlecht;
Vielleicht daß einst im Thal die Wogen
Zu Bad und Rädertrieb gerecht!
Kann »Freiheit, Vaterland!« euch schrecken,
Gejauchzt aus voller Jünglingsbrust?
Der Riesengeist ist's, den zu wecken,
Doch nicht zu bannen ihr gewußt!
Traun, wo die Jugend will entwenden
Der Alten Degen, scharf und blank,
Wankt, statt des Schwerts, in greisen Händen
Gewiß ein Binsenzepter schwank!
Und wo die Jugend, Rath zu halten,
Sich drängt zum Senatorenstuhl,
Da machten sich's gewiß die Alten
Vorerst bequem im Lotterpfuhl!
[212]
Und wenn von steilen Bergesspitzen
Der Jugend Wort das Volk ermannt,
Verkrochen längst in Thalespfützen
Die Alten sich vorm Sonnenbrand.
Drum scheint's, daß für der Alten Sünden
Die Jugend fromm die Kette nahm:
Im Kerker müßten Greis' erblinden,
Das Erz bräch' ihre Hände lahm!
Drum tragt, ihr Jüngling', ohne Schelten
Das Eisenband aus Kindespflicht!
In Wolken lebt kein Gott, vergelten
Einst süß die eignen Söhn' euch's nicht!

[213] Das Weiheschwert

Als durch den Rhein gewallt, geritten
Die Jugend Deutschlands weihetrunken,
War, von Franzosenblei durchschnitten,
Ein Mann in Reben hingesunken.
Nun ihn umweht des Todes Odem,
Reißt aus der Scheid' er seinen Degen,
Die Spitze bohrend in den Boden,
Zu sprechen drauf Gebet und Segen.
So muß das Schwert als Kreuzbild ragen,
Drob Reben wölben die Kapelle;
Durch die durchbrochne Kuppel schlagen
Vom Himmel Sonnenlichter helle.
Ein schönes Opfer ist gefallen,
Ein Held, umrauscht von Kampfesliedern!
Als süße Opferdüfte wallen
Die Sterbeseufzer eines Biedern:
»Wie bist du schön, mein Volk, entlodert
In Hassesgluth, in Kampfesmuthe!
Was Greisenschwäch' entäußert, fodert
Die Jugend rück mit ihrem Blute.
[214]
Nicht weil's ein Volk von andrem Namen,
Von andrer Sitt' und andrer Sprache,
Nein, weil sie uns als Dränger kamen,
Drum sucht sie heim jetzt unsre Rache.
Mein Volk, das an des Louvres Raine
Zerschlägt die Ketten, die es engen,
Es trifft, thut's Noth, auch näh're Steine,
Die hart genug zum Kettensprengen.
O daß die Schlack' aus edlen Erzen
In diesem großen Brand sich trenne!
Einst diese Rachegluth in Herzen
Rein als Begeist'rung fort noch brenne!
Daß aus des Hasses Dorn, der modert
Die Lieb' einst ihre Rosen triebe!
Denn wo so viel des Hasses lodert,
Muß tiefer glühn noch viel der Liebe!
O daß sich – wie im West erstanden
Ein Held in Ruhm und Haß – erhübe
Gewaltig einst in deutschen Landen
Ein Held der Ehre und der Liebe!
In dessen Herzen Taubenpaare
Der milden Volkesliebe wohnten,
In dessen Haupt die Sonnenaare
Urfürstlicher Gedanken thronten!
Mit meinem Blute, meinem Segen
Möcht' ich für ihn dieß Kampfschwert feien;
Wie Roland's oder Artus' Degen
Soll es ein fester Zauber weihen.
[215]
Erhebt er's, soll die Fessel springen
Wie Glas, in Scherben sein zersplissen,
So jene edlen Schmiede bringen,
Die selbst nicht sie zu brechen wissen.
Verstummen soll'n im Prunkgemache
Die Worte, die zu kriegen wagen:
Der schöne Rheinstrom deutscher Sprache
Darf keine Sklavenschiffe tragen!
Zieht er das Schwert im Sonnenglanze
Dann wirble, dran zurücke prellend,
Der Glast in dichtem Funkentanze,
Der Fürstenräthe Häupter hellend!
Daß Flammenzungen sprühn in Bächen,
Daß es ein andres Pfingstfest scheine,
Und die jetzt tausend Zungen sprechen,
Fortan nur sprechen mögen Eine!
Und schwingt er's wo in deutschen Landen
Von einem Berg nach den vier Winden,
Sei neu die todte Saat erstanden,
Soll neue Gluth die Rebe zünden!
Und um den Berg rings soll sich schaaren
Das ganze Volk zum heil'gen Bunde!
Dann wird der Herr sich offenbaren
Aus seines Abgesandten Munde.«
Dieß Schwert mocht er als Kreuz umfassen,
Als sich vom Leib die Seele trennte,
Sein Nachlaß ward es uns gelassen
Und seinem Grab zum Monumente.
[216]
Vermag des Helden Blut zu feien,
In Füll' ist dann gefeit der Degen;
Und konnten Sterbehauche weihen,
Dann birgt er kräft'gen Wundersegen.
Längst ist das Schwert versenkt, verloren,
Umrankt ist von der Reben Wucht es!
Doch wird dem Schwert sein Held geboren,
Dann holt es ihm, geht hin und sucht es!

[217] Poesie des Dampfes

Ich höre Lieder, ehrenwerthe, klagen,
Seh' edle Angesichter sich verschleiern,
Prophetisch trauernd, daß in unsern Tagen
Der Prosa Weltreich seinen Sieg will feiern;
Daß Poesie, entsetzt, nun fliehen werde,
Auf schnurgerader Eisenbahn entjagen,
Entführt auf Dampffregatten unsrer Erde,
Auf Dampfkarossen ferne fortgetragen!
Ei, wart ihr denn so hold den krummen Wegen,
Daß ihr so sehr die graden scheuen könnet?
Und ist euch's Poesie, auf Holperstegen
Zu kriechen, wenn zu fliegen euch vergönnet?
So macht euch auf, wohlan, auf alten Gleisen
Der Poesie, der flücht'gen, nachzujagen,
Und knebelt mit Gebiß und Strang und Eisen
Das Roß, das edle freie, vor den Wagen!
[218]
Die Haid' entlang! Laßt eures Leibs Gebeine
Des Auferstehungstages Rütteln ahnen,
Der Rosse Schnauben, Peitschenknall und Steine
Im Staubgewölk euch der Verlornen mahnen!
Springt dort ins Boot, laßt rudern eure Rechte!
In saurem Schweiß den Schiffer laßt nicht zagen!
Ob eure Brüder euch, die Ruderknechte,
Von der verlornen Poesie nicht sagen?
Besteigt ein Schiff und fangt die Launenspende
Des wind'gen Windgotts auf im Segeltuche,
Als ob ein Bettler mit dem Hut behende
Des Wandrers milden Sold zu haschen suche!
Will er's, so ruht windstill mit schlaffem Segel,
Seid festgefroren in den Sommertagen!
Vielleicht daß Delphin euch und Seegevögel
Von jener, so ihr suchet, weiß zu sagen!
Ich will indeß hinab die Bahn des Rheines
Auf schwarzem Schwan, dem Dampfschiff, singend schwimmen,
Den Becher schwingend voll des goldnen Weines,
Dir, Menschengeist, den Siegeshymnus stimmen!
Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone
Herab vom stolzen Haupt hat reichen müssen,
Wie du dem Erdengeiste, seinem Sohne,
Das eh'rne Herz kühn aus der Brust gerissen;
Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten!
Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten möge,
Geh, Feuer du, und trage deine Lasten!
Leb', Eisen du, und wandle seine Wege!
[219]
Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise
Kein Blümchen im Poetenhain bedrängen,
So wie des Heil'genscheines Gluthenkreise
Kein Löckchen am Madonnenhaupt versengen.
Nein, Amt der Poesie in allen Tagen
Ist's, hoher Geist, dein Siegesfest verschönen,
Wie der Victoria Goldbild überm Wagen
Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen.
Schon seh' ich dort entlang des Gaues Straßen
Die dampfgetriebnen Wagenburgen fliegen,
Wie scheugewordne Elephantenmassen
Thürm' und Geschwader tragen fort zu Siegen;
Der schwarzen Rüssel Schlote hoch erhoben,
Dampfschnaubend, rollend wie die Wetterwolke!
Die Mannen, siegestrunken, jauchzend oben;
Weitum gelichtet alle Bahn vom Volke!
Wenn auch aus seinem alten Lindenfrieden
Den Patriarchen dort des Dorfs sie wecken,
Nicht schadets, wenn er, was der Geist beschieden,
Die Mütze lüftend, schaut mit freud'gem Schrecken;
Nicht schadet's, wenn er, was er dort sah tosen,
Des Geistes wandelnden Altar muß nennen;
Wenn er im Rauchkoloß, dem flücht'gen, losen,
Die Gluth, die ew'ge, die ihn zeugt, sieht brennen!
Und wenn er betend fleht, daß die Minerve,
Die jetzt des Volks olymp'schem Haupt entsprungen,
Nie gen den Vater die Geschosse werfe,
Nie sei von seiner Dränger Sold gedungen!
[220]
Und wenn er ahnt, daß sie in schönern Tagen,
Wofür er selbst einst feststand im Gefechte,
Dem Enkel werde zu ersiegen wagen
Ein glorreich Vaterland und heil'ge Rechte!
Laßt beten ihn, und ahnen so im Stillen,
Bis sich gesenkt vor uns des Dampfes Wolke,
Als heil'ger Tempelvorhang, zu verhüllen
Der Zukunft Schickungen dem jetz'gen Volke.

[221] An Jakob Grimm

(Neujahr 1838.)


Dahin ist längst der schöne Traum Deutschlands, des einen, ganzen,
Wir sehn des Kaiseradlers Flaum zersetzt im Winde tanzen,
Seit Deutschlands Zepter barst, und sie um des Reichsapfels Schnitten
Wie hungernd Bettelvolk und wie genäsch'ge Knaben stritten.
Das ist dahin! Doch hat die Zeit der Wirrung nicht vernichtet
Germania's Geist; der hat ins Herz der Edlen sich geflüchtet,
– Wie Karol's Ring der Treue tief versenkt im See von Aachen, –
Drin träumt er nun Vergangenheit und ahnt ein schön Erwachen.
Da schlief er zwar, doch traun, er lebt! er weiß, daß ihn zu schützen
Des Busens Bollwerk nicht erbebt, des Worts Karthaunen blitzen,
Daß Eine Burg ihm ragt noch fest: der deutschen Sprache Einheit,
Ein Banner sich nicht beugen läßt: der deutschen Treue Reinheit! –
Da wußten sie, es sitz' ein Mann in Göttingen, der stiere
In alten Pergamentenwust, in gothisches Geschmiere;
Er dauert sie, daß Urweltstaub ihm so die Lungen beize,
Und die verblaßte Ahnenschrift die Augen überreize.
[222]
Sie ahnten nicht, daß an dem Tag der Prüfung und Gefahren
Der bleichen Lettern Schwarm um ihn als Mannenvolk in Schaaren,
Ein Heer, gepanzert, kerngesund vom Scheitel bis zur Zehe,
Jahrhundertstaub sich schüttelnd von den Sohlen, einst erstehe!
Sie ahnten nicht, vergilbt Papier werd' in der Hand des Treuen
Urkunde deutscher Ehre, sich so blank und rein erneuen,
Ein Dokument mit goldner Schrift und marmorschweren Blättern,
Kein Spiel des Winds, der Albions Prachtflotten mag zerschmettern!
Sie ahnten nicht, daß einst ein Paar von kleinen Menschenlippen,
– Befugt nur von den Herrn der Welt zu Kuß und Humpennippen,
Und etwa noch zum Meineidspiel, – ein Wort aussprechen möge,
Das dröhnend, nachgehallt vom Belt bis an die Alpen flöge!
O Preis und Ruhm der Wissenschaft! Es gibt der sonst so armen
Der Thron selbst heut als Ehrenwacht Dragoner und Gendarmen!
Fürwahr, wo solche Männer fortverbannt, landflüchtig reisen,
Müßt strafend ihr nicht aus dem Land, nein, in das Land verweisen!
Du aber, Mann der Treu' und Ehr', den wir so herrlich tragen
Das Banner deutschen Wortes sahn, du weißt aus alten Sagen:
Wenn wo ein Heer feldflüchtig ist, versprengt auf irren Wegen,
Ruht auf der letzten Fahne noch ein zaubervoller Segen;
Und wer sie trägt, deß Haupt wird sie als Baldachin umwiegen,
Ein Ehrenmantel wird sie stolz um seine Schultern fliegen,
Sie wird, thut's Noth, ihn schützend auch als goldne Wolk' umschweben,
Und ihn, verschleiert all in Glanz, unwürd'gem Volk entheben.
[223]
Getrost! Noch steht die schönste Burg, der deutschen Sprache Veste:
O daß sie, deine Wartburg, dich bewirth' und schirm' aufs Beste!
Du rufst von ihren Zinnen dann – wer bricht die je in Trümmer?
»Ob Alles auch verloren sei, ist's doch die Ehre nimmer!«
Beklagen lernt' ich heut es erst, daß meine Jugend ferne!
Zu Göttingen, der guten Stadt, wär' ich Studiosus gerne,
Vor deinem Haus ein Ständchen dir Guitarrenklangs zu schüttern
Daß nicht die Scheiben nur davon, auch Herzen sollten zittern;
Daß bis Hannover hin der Sang sich schwänge wundertönig
Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König;
Versteht er auch des Deutschen Lied von deutscher Ehre schwerlich,
Wird sich wohl Einer finden dort, ihm's zu verwälschen ehrlich.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Zeitklänge. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0E69-7