[14] 2.

Ja, es ist ein Jahr gerade!
Eben um die Winterzeit
Schritt ich an Sorrents Gestade,
Ganz von Blüthen überschneit.
Blüthen vom Orangengarten,
Wo man eben Ernte hält,
Wo die weiten Körbe warten,
Daß die süße Last sie schwellt.
Jedes Auge grüßt dich sehnlich,
Schöner Baum, der, zwiefach reich,
Einer jungen Mutter ähnlich,
Trägt im Blühen Frucht zugleich!
Muntre Nachbarkinder schnellen
Duft'ge Früchte aus dem Laub,
Und gleich jungen Sonnenbällen
Fliegt und stürzt der goldne Raub.
[15]
Wenn nach dir solch wildes Benglein
Neckend mit dem Goldball zielt,
Dünkt's dich schier ein nacktes Englein,
Das mit den Gestirnen spielt.
Unterm dunkeln Schirm der Aeste
Lagern, blumenhaft geschaart,
Holde jungfräuliche Gäste,
Wie Madonnen schön und zart.
Sterngeformte Blüthen fallen
Von dem Baum in leisem Tanz,
Daß die Häupter zu umwallen
Scheint ein lichter Sternenkranz.
Oder wehn die ersten Blüthen
In den nahen Myrtenreif?
Mög' ein Gott ihn mild behüten!
Schnell nur blüht, was schnell auch reif.
Rosen sind bei Lorberbüschen
Aufgeglüht so früh im Jahr,
Ungeduldig, sich zu mischen
In ein dunkles Lockenhaar.
Alles blüht hier um die Wette
Lustberauscht im Sonnenschein;
Selbst am Meeresbord die Städte
Blühn, ein Blüthenkranz von Stein.
[16]
Ja, das Wölkchen weißen Rauches,
Das am Feuerberg sich zeigt,
Scheint nur Duft des Frühlingshauches,
Der dem Flammenkelch entsteigt.
Segel schaukeln sich gleich hellen
Wasserlilien auf der See,
Und die Fluth gießt im Zerschellen
Aufs Gestad nur Blüthenschnee.
Wie verwehte Blumen fliegen
Silberwolken durch die Luft,
Und die Welt scheint sich zu wiegen
Ganz in Licht und Glanz und Duft!
Doch mein Sehnen und mein Sinnen
Ist gar fern im Heimatland,
Drüber jetzt sein weißes Linnen
Rauher Winter hält gespannt;
Wo im Eis die Schlitten gleiten
Und die Schelle lustig klingt,
Und der Stahlschuh in die Weiten
Sich auf ehrnem Fittig schwingt;
Wo im Schnee das Haus der Lieben
Hegt ein Stübchen traulich still,
Wie ein Herz, das warm geblieben,
Wenn es ringsum wintern will. – –
[17]
Doch wo bin ich? Diese Flaume
Sind kein Blüthenschnee von dort!
Flocken vom Orangenbaume
Schmelzen auf der Hand nicht fort.
Schüttle von der müden Schwinge
Eisgestöber, Blüthenschnee!
Sehnsucht geht im ew'gen Ringe,
Im Genuß auch lauscht ihr Weh.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Lied und Leben. Im Schlitten. 2. [Ja, es ist ein Jahr gerade!]. 2. [Ja, es ist ein Jahr gerade!]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0F05-3