Die Martinswand

Willkommen, Tyrolerherzen, die ihr so bieder schlagt,
Willkommen, Tyrolergletscher, die ihr den Himmel tragt,
Ihr Wohnungen der Treue, ihr Thäler voller Duft,
Willkommen, Quellen und Triften, Freiheit und Bergesluft!
Wer ist der kecke Schütze im grünen Jagdgewand,
Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand,
Deß Aug' so flammend glühet wie hoher Königsblick,
Deß Herz so still sich freuet an kühnem Jägerglück?
Das ist der Max von Habsburg auf lustiger Gemsenjagd.
Seht ihn auf Felsen schweben, wo's kaum die Gemse wagt!
Der schwingt sich auf und klettert in pfeilbeschwingtem Lauf!
Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wand hinauf!
Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft,
Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft!
Und jetzt? Halt ein, nicht weiter! jetzt ist er festgebannt,
Kluft vor ihm, Kluft zur Seite, und oben jähe Wand!
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Der Aar, der sich schwingt zur Sonne, hält hier die erste Rast,
Des Fittigs Kraft ist gebrochen und Schwindel hat ihn erfaßt.
Wollt' einer von hier zum Thale hinab ein Stieglein baun,
Müßt', traun, ganz Tyrol und Steyer die Steine dazu behaun.
Wohl hat die Amm' einst Maxen erzählt von der Martinswand,
Daß schon beim leisen Gedanken das Aug' in Nebeln schwand.
Jetzt kann er's sehn, ob dem Bilde sie treue Farben geborgt,
Daß er's nicht weiter plaudre, dafür ist schon gesorgt.
Da steht der Kaisersprosse, Fels ist sein Throngezelt,
Sein Zepter Moosgeflechte, an das er schwindelnd sich hält;
Auch ist eine Aussicht droben, so schön und weit zu sehn,
Daß ihm vor lauter Schauen die Sinne fast vergehn.
Tief unten ein grüner Teppich, das schöne Thal des Inn,
Wie Fäden durchs Gewebe ziehn Straß' und Strom dahin;
Die Bergkolosse liegen rings eingeschrumpft zu Hauf
Und schaun, wie Friedhofhügel, zu Maxen mahnend auf.
Jetzt stößt er, Hülfe rufend, mit Macht hinein ins Horn,
Daß es in Lüften gellet, als dröhnte Gewitterzorn;
Ein Teufelchen das kichert im nahen Felsenspalt:
Es dringt ja nicht zu Thale des Hülferufs Gewalt.
Ins Horn nun stößt er wieder, daß es fast platzend bricht.
Ho, ho, nicht so gelärmet! Da hilft das Schreien nicht,
Denn liebte ihn sein Volk nicht, was er auch bieten mag,
Herr Max, er bliebe sitzen bis an den jüngsten Tag!
Was nicht das Ohr vernommen, das hat das Aug' erkannt;
Die unten sahn ihn schweben auf pfadlos steiler Wand.
Gebet und Glocken rufen für ihn zum Himmelsdom,
Von Kirche zu Kirche wallfahrt der bange Menschenstrom.
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Jetzt an dem Fuß des Felsens erscheint ein bunter Chor,
Ein Priester inmitten, weisend das Sakrament empor,
Max sieht nicht das bunte Wimmeln auf ferner Thalesflur,
Er sieht das blitzende Glänzen der Goldmonstranze nur.
»Fahr' wohl nun, Welt und Leben! Schwer fällt der Abschied mir.
O unerforschlich Wesen, du winkst, ich folge dir!
Ich schien ein Baum voll Blüthen, dein Blitz hat ihn erschlagen;
Ach gerne hätt' er früher noch süße Frucht getragen!
Ich schien ein Bauherr, thürmend den Dom zu deinem Ruhm.
Nicht durft' er ganz vollenden der Liebe Heiligthum!
Ein Priester, plötzlich stürzend todt an des Altars Stufen,
Er hätte gern erst Segen noch übers Volk gerufen!
So mag dieß Herz denn brechen, von Lieb' und Segen voll,
So modre nun mein Busen, der thatenschwanger schwoll,
Verwelke, Hand, denn nimmer krönt' deine Müh' Gedeihn!
Nur Gottes bester Engel kann hier mein Retter sein!«
Er spricht's und hebt zum Himmel nun Angesicht und Arm,
Und in die Knie sinkt er und betet still und warm,
Da klopft's auf seine Schulter, er fährt erschreckt empor,
»Komm heim, du bist gerettet!« so ruft es an sein Ohr.
Und einen Bergmann sieht er froh lächelnd vor sich stehn,
Der faßt ihn fest beim Arme und winkt ihm fürder zu gehn;
Mit Leitern, Stahl und Seilen wird kühn ein Pfad gebahnt,
Wo Maxens Fußtritt strauchelt, stützt ihn des Retters Hand.
Der lädt ihn auf den Rücken, wo Klüfte schwindelnd drohn,
Wohl sind der Treue Schultern des Fürsten schönster Thron!
Rasch geht's zu Thal, wo jauchzend Tyrol empfängt die Zwei,
Kein Spötter kann belächeln die seltne Reiterei.
[249]
Wohl kündet uns die Sage aus grauer Ahnenzeit
Von einem Himmelsboten, der schützend ihn befreit.
Ja, wohl ein Engel war es, ein Schutzgeist stark und kühn,
Des treuen Volkes Liebe, so nennt zu deutsch man ihn.
Ein Kreuz auf hohem Felsen blickt nieder in das Land
Und zeigt den Ort, wo bebend einst Habsburgs Sprosse stand.
Noch lebt die edle Kunde und jubelt himmelwärts
Aus manchen Sängers Munde, durch aller Tyroler Herz!

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Der letzte Ritter. Die Martinswand. Die Martinswand. Die Martinswand. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0FC4-8