[176] Lied und Leben

[177][179]

Zwei Harfen

Durch der Seele Tiefen klingend
Weht in mir ein Harfenpaar,
Brausend tönt das Spiel der einen,
Das der andern sanft und klar;
Zwei der Kräfte, die sich hassen,
Geben ihnen Klang und Laut,
In den Saiten wettert diese,
Jene küßt sie leis' und traut.
Wie von Fels auf Felsbett stürzend
Wild der Katarakt erdröhnt,
Wie, wenn Donnerkeile rasen,
Dumpf es durch die Bergschlucht stöhnt,
Wie der Sturz der fessellosen
Schneelavin' im Thal verhallt,
Also auch die eine Harfe
Mir im Busen dröhnend schallt.
[179]
Doch wie über Rosenhaine
Zefir haucht den Morgenkuß,
Wie aus fernen, fernen Welten
Der Geliebten leiser Gruß,
Wie bei Nacht sich's still harmonisch
In Cypressenwipfeln regt,
Tönt der andern Harfe Lispeln,
Zart von milder Kraft bewegt.
Hätte doch die beiden Kräfte
Gleiches Streben hold vereint!
Unbesiegbar, unversöhnbar
Bleiben sie sich ewig feind;
Bis die letzte Sait' in Trümmer,
Jede Harf' in Staub zerbricht,
Dann befeinden sie sich nimmer,
Aber, ach – sie tönen nicht!

[180] Der letzte Dichter

»Wann werdet ihr, Poeten,
Des Dichtens einmal müd'?
Wann wird einst ausgesungen
Das alte, ew'ge Lied?
Ist nicht schon längst zur Neige
Des Ueberflusses Horn?
Gepflückt nicht jede Blume,
Erschöpft nicht jeder Born?«
So lang der Sonnenwagen
Im Azurgleis noch zieht,
Und nur Ein Menschenantlitz
Zu ihm empor noch sieht;
So lang der Himmel Stürme
Und Donnerkeile hegt,
Und bang vor ihrem Grimme
Ein Herz noch zitternd schlägt;
[181]
So lang nach Ungewittern
Ein Regenbogen sprüht,
Ein Busen noch dem Frieden
Und der Versöhnung glüht;
So lang die Nacht den Aether
Mit Sternensaat besät,
Und noch Ein Mensch die Züge
Der goldnen Schrift versteht;
So lang der Mond noch leuchtet,
Ein Herz noch sehnt und fühlt;
So lang der Wald noch rauschet
Und einen Müden kühlt;
So lang noch Lenze grünen
Und Rosenlauben blühn,
So lang noch Wangen lächeln
Und Augen Freude sprühn;
So lang noch Gräber trauern
Mit den Cypressen dran,
So lang Ein Aug' noch weinen,
Ein Herz noch brechen kann:
So lange wallt auf Erden
Die Göttin Poesie,
Und mit ihr wandelt jubelnd
Wem sie die Weihe lieh.
Und singend einst und jubelnd
Durchs alte Erdenhaus
Zieht als der letzte Dichter
Der letzte Mensch hinaus. –
[182]
Noch hält der Herr in Händen
Die Schöpfung, ungeknickt
Wie eine frische Blume,
Auf die er lächelnd blickt.
Wenn diese Riesenblume
Dereinstens abgeblüht
Und Erden, Sonnenbälle
Als Blüthenstaub versprüht:
Erst dann fragt, wenn zu fragen
Die Lust euch noch nicht mied,
Ob endlich ausgesungen
Das alte, ew'ge Lied?

[183] Kunstberuf

Warnend sprechen Muselmanen:
Maler, malt kein Menschenbild,
Da in ihm, eh' ihr's mögt ahnen,
Plötzlich Seel' und Leben quillt!
Weh, als unberuf'ne Väter
Klagt einst das Gebild euch an;
Mördern gleich, als Missethäter,
Steht vor Allahs Thron ihr dann!
Anders mag der Spruch auch klingen:
Dichter, schaffet kein Gebild,
Dem ihr Seele nicht könnt bringen,
Das nicht ganz von Leben quillt!
Weh, als unberuf'ne Väter
Klagt einst das Gebild euch an,
Und ihr steht als Uebelthäter
Vor dem Thron der Muse dann!
[184]
Drum laß nie die Ros' entschweben
Aus des Nichtseins stiller Gruft,
Kannst du ihrem Kelch nicht geben
Seine Seele: Gluth und Duft!
Soll sich Nachtigall aufschwingen,
Frag' erst: ob dein Hauch vermag
Ihre Kehle zu durchdringen
Ganz mit Nachtigallenschlag?
Banne zu der Himmel Wonne
Einen neuen Stern uns nicht,
Kann ihn nicht dein Herz als Sonne
Füllen ganz mit Sternenlicht!

[185] Einem Freunde

1.

Glücklicher, dir ward gegeben
Gar ein schöner großer Schmerz,
Für dein ganzes reiches Leben,
Für dein ganzes volles Herz!
Eine Sonnenblume deuten
Möcht' ich deinen tiefen Schmerz,
Die, all deine Tageszeiten
Grüßend, kreiset um dein Herz.
Wär's nur Unkraut kleiner Schmerzen,
Unmuths dürftig Dornenreis,
Spräch' ich: Reiß' es aus dem Herzen,
Gib es allen Winden preis!
Spräche: Laß es nicht umstricken
Wuchernd deinen Lebenspfad,
Laß das Schlingkraut nicht erdrücken
Deine junge Rosensaat!
[186]
Doch es ward im Gartenraume,
Welchen sonst du nennst dein Herz,
Wohl zum höchsten grünen Baume
Dieser heil'ge große Schmerz;
Eine Palme, der Gehege
Deines Gartens Kron' und Preis,
Und zu der sich alle Wege
Schlängeln schön zurück im Kreis!
Die ihr Haupt hoch in den Himmel,
Wurzeln tief zur Erde kehrt,
Daß du zweifelst, ob dem Himmel,
Ob der Erde sie gehört?
Hingestellt so zwischen beide
Als die schönste Mittlerin,
Wächst sie aus der Blumenheide
Wipfelnd in die Sterne hin.
Laß kein Blättlein ihr entwenden
Durch der Lüfte Schmeichelspiel!
Laß unheil'ge Hand nicht schänden
Ihres Stammes schlanken Kiel!
Halte fern die Epheuranken,
Welche Menschentrost drum schwellt,
Die den Baum nicht machen wanken,
Doch durch die sein Schaft entstellt!
[187]
Nicht bedarf's, ihn zu begießen,
Deiner Thränen köstlich Naß;
Früh- und Abendthaue fließen
Ja auf ihn ohn' Unterlaß.
Aus den stillen grünen Matten
Rag' er schweigend, hoch, allein!
Einst in seinem Abendschatten
Wird ein süßer Schlummer sein.

2.

Einst an jenem großen Tage,
Wenn wir treten allzumal
An des Ew'gen Hofgelage
In den offnen Himmelssaal:
Da wird bang manch Herz erzittern,
Scheu gesenkt sein manch ein Blick;
Doch dein Herz, das wird nicht zittern
Und nicht senken sich dein Blick.
Und dein Fuß, er wird nicht wanken,
Schreiten wirst du fest und grad,
Nicht wie Einer, der zu danken,
Nein, wie der zu fordern naht!
Wie im Fürstensaal der Arme
Stolzen Auges rings erblickt,
Daß mit seinem Schweiß und Harme
Sich die Majestät hier schmückt!
[188]
Wenn du zu des Ew'gen Füßen
Einen Blumenozean
Siehst in Farbenwogen sprießen,
Rufst du frei und kühn hinan:
»Herr, von diesen Rosen eine
War schon einst als Knospe mein!
Arm ward ich, seit sie die deine,
Du nicht reicher, seit sie dein!«
Eine Glorie siehst du wallen,
Die das Haupt des Ew'gen kränzt,
Aus den Morgenröthen allen,
Die der Erde je geglänzt.
Ohne Scheu wirst du nun fragen:
»Herr, vom Lichtkranz, der dich ziert,
Hätte meinen Erdentagen
Nicht wohl auch ein Strahl gebührt?«
Harfen schlagen Engelchöre
Um des Allgewalt'gen Thron,
Und du rufst mit einer Zähre,
Furchtlos, doch im Schmerzenton:
»Herr, es war zum Erdgeleite
Einer dieser Engel mein!
Du nahmst mir ihn von der Seite, –
Hergewankt bin ich allein!«

[189] Goethe's Heimgang

Süß mag das Aug' des Sterbenden sich schließen,
Der Freundesthränen auf der Stirne fühlt,
Die drauf wie eine Todestaufe fließen,
Daß sich der bange Schweiß des Sterbens kühlt.
Doch Götterloos ist's, unbeweint zu scheiden,
Wenn man der Thränen und der Trauer werth!
Wozu soll eine Seele um sie leiden,
Wenn die Vollendung zu den Sternen fährt?
Ja, Götterloos ist's, unbeweint zu scheiden,
Zu scheiden wie der Tag im Abendroth.
Er gab uns Wärme, Licht genug und Freuden,
Und zieht dahin, weil seine Zeit gebot!
Zu fallen wie ein Feld voll goldner Aehren,
Die schlank gewallt im grünen Jugendkleid,
Doch nun ihr lastend Haupt zur Erde kehren.
Wer weint darob, daß es nun Erntezeit?
In Nacht zu sinken wie des Meeres Wogen,
Drauf Sonnenglanz, Goldwimpel, reiche Fracht,
Gesang und Schwäne tagesüber zogen –
Die Zeit ist um, ihr Recht will auch die Nacht!
[190]
Und zu zerstäuben wie die flücht'ge Wolke!
Sie hat Gedeihn geregnet auf die Flur,
Den Friedensbogen hell gezeigt dem Volke,
Und löst sich nun in leuchtenden Azur.
So schied auch Er, der nun dahingegangen,
Der hohe Mann, der kräft'ge Dichtergreis,
Auf dessen Lipp', auf dessen bleichen Wangen
Der Kuß des Glücks noch jetzt verglühet leis.
Ein kalter starrer Arm, reglos gebeuget,
In dem die goldne Leier lichtvoll blitzt;
Ein greises Silberhaupt, im Tod geneiget,
Drauf immergrün der frische Lorbeer sitzt!
Sah dieß mein Aug', nie konnt' es Thränen thauen!
Nein, stillbefriedigt, ruhig, glanzerhellt
Mußt' unabwendbar drauf es niederschauen, –
Fürwahr, durch eine Thräne wär's entstellt!

[191] Winterabend

Eisblumen, starr, kristallen an den Scheiben,
Wie ein Gehege vor der Sturmnacht Tosen,
Sie flüstern mir, indeß sie Flimmer stäuben:
Wir sind die Geister schöner Frühlingsrosen!
Schneeflocken wirbeln hin mit weißem Glanze!
Es pochen leis' ans Fenster die versprühten,
Mir lispelnd flüchtig im Vorübertanze:
Wir sind die Geister duft'ger Frühlingsblüthen!
Gefühle steigen auf in meiner Seele,
Wie beim Verklingen ferner Sterbeglocken,
Die bange Wehmuthseufzer meiner Kehle
Und reiche Thränen meinem Aug' entlocken;
Sie aber singen sanft mir ins Gemüthe:
Wir sind die sel'gen Geister deiner Lieben,
Mit denen du durchwallt des Frühlings Blüthe,
Auf deren Grab nun diese Flocken stieben!

[192] Aus Gastein

Erste Nacht

Es wäre Schlafenszeit; – doch das ist schlimm,
Nicht schlafen läßt mich hier der Ache Grimm,
Grad' unterm Fenster schlägt ihr Katarakt
Auf Felsenpulte dröhnend seinen Takt!
Musik zur Unzeit! Was zu thun da sei?
Zu horchen wach der Räthselmelodei: –
Einförmig tost's und doch so wechselvoll,
Wie Harfen jetzt, und jetzt wie Donnergroll!
Ist's Wagenrasseln, das die Stadt durchrollt?
Ist's Mühlgestampf, das täglich Brod dir zollt?
Sind's Eisenhämmer, schmiedend Waffenerz?
Ist's Orgelton jetzt, der dir schmilzt das Herz?
Nun Posthornklang, der dich zur Ferne reißt!
Nun Waldesrauschen, das dich bleiben heißt!
Nun Glockenschall, der fromm die Gläub'gen ruft!
Nun Trauermarsch, geleitend in die Gruft! –
Dem Leben gleich! Und Alles Staub und Schaum!
Doch sang's dich unbewußt in Schlaf und Traum.

[193] Der Heilquell im Wasserfall

Du Geist der Ungeduld, mein Foltergeist,
Der mich zur schleun'gen Flucht kopfüber reißt,
Wenn auf die Wahlstatt des Salons zur Schlacht
Die Großmacht Langeweil' ihr Heer gebracht,
Und mich des Wörterschwalles Katarakt
Wie Wassersturz und Strudel wirbelnd packt,
Mit mir zur Felsschlucht komm, unholder Gast,
Sieh hin, dann hebe dich von mir in Hast!
Auch hier ein wasserreicher Katarakt,
Der, niedertosend, mich mit Schwindel packt
Und sinnbetäubend braust und dröhnt und zischt!
Doch unterm Fluthgebraus schleicht unvermischt
Im eh'rnen Rohr ein Heilquell warm und mild,
Uns sichtbar kaum, der Schmerz und Leiden stillt
Der sieche Leiber fromm zu kräft'gen eilt
Und jetzt, ein Seelenarzt, mein Herz geheilt.
Ich ahn' es, traun, im Wortgesprudelstrom
Fließt dort auch manch ein Heilborn einsam fromm,
Manch Wort, das welke Herzen wieder jüngt,
Manch Wort, das müde Seelen frei beschwingt,
Manch Wort heilkräft'gen Geists, liebvoller Huld:
O lehre finden mich's, Geist der Geduld!

[194] Fernsicht

Tritt ruhmbekrönten Größen nicht zu nah!
Sie sind den Alpen gleich, die vor uns stehn,
Am schönsten, größten, wenn von fern gesehn,
Im blauen Duft, in ihrem fernen Ruhme!
Der Formen Schönheit, die dich fern entzückt,
Löst sich in rauhe Massen, wirr zerstückt,
Wenn forschend du genaht dem Heiligthume;
Der Duftschmelz wird Gestein, das wund dich ritzt,
Und wird Gedörn, das Rock und Ferse schlitzt.
Das Auge des Geweihten nur erspäht
In dunkler Kluft die schöne Alpenblume;
Nur wer der Geister Liebling, den umweht,
Entschleiernd sich, des Berggeists Majestät.

Ungleicher Kampf

Gigante du, willst mit dem Zwerg du ringen?
Dir ist es Schmach, den Schwächling zu bezwingen,
Ihm ist es Ruhm, von deiner Hand zu fallen!
Auf grünem Alpensitz jüngst dacht' ich deiner:
Zur Sonne flog der Königsadler einer
Ein blökend Hammelthier in seinen Krallen.
O Aar, dir läßt's nicht gut, am Schmutzvließ zerren,
Und Schmachtrophä'n sind dir des Hammels Flocken!
Doch er, gewohnt auf niedrer Trift zu plärren,
Scheint selbst in deinen Krallen zu frohlocken,
Daß er durch dich nun lernt den Flug nach oben,
Daß er mit dir zur Wolkenhöh' erhoben!

[195] Einem Gesunden

Du schiedest, sanft verklang des Posthorns Schall,
Lang wiederholt von Fels und Wasserfall;
Mir aber schien's des alten Berggeists Sang,
Der liebevoll dir nach zur Ferne klang:
»So lebe wohl denn, du mein liebster Gast,
Der, was ich bieten kann, du selbst schon hast!
Nicht lieb' ich sieche Bettler, die nur flehn,
Doch Männer, die als Gleiche vor mir stehn.
Erhaben sind, wie meiner Felsen Firn,
Die Lichtgedanken einer Mannesstirn;
Wie Blumenpracht im Alpenthal mir blüht,
So wogt und glüht Gefühl dir im Gemüth;
Und wie mein Busen birgt manch gülden Erz,
So hegt manch Goldkorn tief und still dein Herz;
Wie sich mein Katarakt durch Felsen schlägt,
Wallt frei dein Manneswort, trifft und bewegt;
Und wie mein Heilquell welke Blumen hebt,
Hat deine Huld manch trauernd Herz belebt. –
Der so gesund an Seel' und Körper ist,
Nichts kann ich bieten dir; bleib' wie du bist!
Aufrecht und grad' wie meiner Tannen Schaft,
Behend wie meiner Gemsen Federkraft!
Das Schneehaupt selbst, wie meiner Gletscher Eis,
Ist dir nicht Last, nein, Schmuck und Ehrenpreis!
Ein ganzer Mann, dem meine Alpenwelt
Den Spiegel eigner Größ' entgegenhält!«

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Lied und Leben. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1072-8