[244] Die Rebe

Im Marmorsaal auf Purpurkissen ruht
Trajan, der Herrscher Roms und einer Welt;
Ein Kreis erles'ner Freunde rings um ihn,
Die Römerlippen att'schen Scherzes voll.
Was Land und Meer des Köstlichen erzeugt
Vereinigt trägt's der Tisch von Elfenbein;
Hier perlt im bauch'gen Kelch der Rebe Blut,
Pomonas Reichthum winkt dort in Kristall,
Darüber schwebt aus Pästums Rosenflur
Der Kranz, verschwiegnen Lauschens Duftsymbol.
Jetzt quillt zum Ohre süßer Saitenklang,
Des Mimen schalkhaft Lied erquickt das Herz;
Da faßt Trajan den Becher Feuerweins
Und schüttet opfernd ihn zur Erd' und spricht:
»Vor Allem hoch, was Land und Meer erzeugt,
Gepriesen sei der Rebe gold'ner Quell!«
Von Hymens Altar in das Brautgemach
Zieht ein glückselig Paar: der Herrscher Roms
Mit Plotina, der hohen Herzensbraut.
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Als sie den feuerfarb'gen Schleier hob,
Wie strahlte jetzt ihr bräutlich Angesicht
In Pracht und Anmut, gleich dem Sonnengott
Aus der Umhüllung purpurnen Gewölks!
Das schwarze Haar umspielt ihr Hals und Brust,
In dunklen Locken fällt's auf blendend Weiß,
Wie Rabenflüge auf ein Schneegefild!
Dann nimmt vom Haupte sie den vollen Kranz
Und reicht ihn lächelnd dem Geliebten dar:
»Wie hier die Blumen glühn vom Frühlingskuß,
So glühe, treuer nur, für dich mein Herz;
Wie hier im Kranz zu Schmuck und Schutz zugleich
Der Rebe Laub die Blüthen all' umschlingt,
So halte du an mir, wie ich an dir!«
Er nimmt den Kranz, drückt ihn ans Herz und ruft:
»Sei mir gegrüßt, du schmucker Blumenbund,
Sei mir gepriesen, grünend Rebenlaub!«
Im hohen Rathe sitzt der Herrscher Roms,
Des Staates Väter all' um ihn vereint,
Ein tiefer Ernst beseelt den würd'gen Kreis.
»Es droht des Parthers wilde Macht aufs Neu',
Beschlossen ist's: ihn bänd'ge blut'ger Kampf!
Doch erst zum Gott gen Heliopolis
Mit Gruß und Gaben mag ein Bote ziehn
Und fragen: ob und wie aus Sturm und Streit
Zur ew'gen Stadt zu kehren mir vergönnt?«
So sprach Trajan. Ein flinker Bote zieht
Mit Gruß und Opfern fort zur Sonnenstadt. –
Manch langer Tag verstrich und wieder saß
Der Herrscher Roms im heiligen Senat.
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Da trat herein der Bote; seine Hand
Trug einen Stab aus knot'gem Rebenstamm.
Er neigt sich vor dem Fürstensitz und spricht:
»Dieß sendet, Herr, der Gott als Antwort dir.«
Da jubeln Romas weise Seher auf:
»Heil dir, Gebieter! Reben gleich im Lenz
Blüht deine Macht und wächst in Füll' empor.«
Der Fürst allein blickt still und ernst vor sich
Und spricht dann leise in sich selbst hinein:
»Ich kenn' dich, dürrer Stamm, du heißest Tod,
Du knot'ger Stab, man nennt dich Todenbein,
Willkommen, deutungsvoller Rebensproß!«
Geschlagen ist die Schlacht, erkämpft der Sieg.
Doch gegen Romas Thore zieht ein Zug,
Nicht wie nach Siegen trunk'nen Jubels voll,
Beschwingten Schritts, zu fliegen zum Triumph;
Nein, zagen Fußes und gesenkten Haupts,
In düstrem Schweigen naht die Kriegerschaar.
Dem Ost und West gehorcht und gern gehorcht,
Der weise war, gerecht und mild zugleich,
Den Sieger, ach, umschließt der Aschenkrug!
Wo in der goldnen Urne sein Gebein
Sie in den Grund gesenkt zu stiller Rast,
Dort steigt jetzt eine Säule himmelan,
Jahrhunderten zu künden seinen Ruhm.
Dem Boden doch entsprießt, des Frühlings Kind,
Ein Rebenreis, umschlingt den Säulenschaft
Und glimmt, ein grün Symbol, zur Sonn' empor.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Die Rebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-10EE-1