Das Lager

1478.


Fürwahr, ein friedlich Städtchen das schöne Saint Omar!
Hier junges Grün der Wiesen, dort Flüsse silberklar,
Ein Spiegelsee nicht ferne, und schwimmende Inseln drin,
Drauf schiffen läutende Heerden sanft mit den Fluthen hin.
Sankt Audomar's Abteie in blankem Marmorgewand
Sieht wie des Friedens Schutzgeist aufs segenreiche Land.
Das Wörtlein Krieg war wenig bekannt auf Omars Flur,
Und in des Klosters Chronik stand's halb verwittert nur.
Zufriedenheit und Friede schien hier zu ruhn seit lang',
Und hörte Erz man tönen, war's nur der Glocken Klang,
Und rief um Hülfe Jemand, war's höchstens ein irres Schäflein,
Und ärgerte sich Einer, war's auf der Kanzel das Pfäfflein.
Doch jetzt! Ein weites Lager vom See bis zur Abtei,
Die Glocken übertäubet der Krieger Feldgeschrei,
Die Fluthen überglänzet der Zelte weißes Linnen,
Ein Geist der Rache blicket der Dom mit seinen Zinnen!
Da seht ihr Maxens Lager, dicht Zelt am Zelte stehn,
Und drüber in den Lüften die bunten Banner wehn,
Hoch über allen flattert der deutsche Kaiseraar
Und sammelt unter die Flügel der Kriegsgenossen Schaar.
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Geschwader aus allen Landen, so weit man flämisch spricht,
Auch Albions tapfre Streiter 1 vermißt das Auge nicht,
Und Mancher, um den am Ister ein deutsches Mädchen weint;
Verschiedne Banner und Zungen – ein Herz, ein Führer, ein Feind!
Doch, traun, ein seltsam Lager! der Schlachten Wiege nicht!
Kein mürrisch, unwirsch Antlitz, rings freundlich jedes Gesicht;
Ist's Wunderkraft des Bodens, dem Frieden sonst geweiht?
Kann sich das Herz nicht entwöhnen verfloss'ner schöner Zeit? –
Wenn die Drommete rufet, klingt's fast wie Tanzmelodei;
Und manchen Ritters Auge, deß Herz sonst froh und frei,
Beinah' wird's feucht, erblickt er am Helm den welken Strauß,
Und will er ein Kriegslied brummen, flugs wird ein Brautlied draus!
Max selber, wenn er sinnend durchs Lager einsam wallt,
Blickt seitwärts oft, als zöge mit ihm noch eine Gestalt;
Oft schwebt' ihm Red' im Munde, wenn er allein sich fand,
Und einmal rief er: Geliebte! als der Narr daneben stand.
Des Nachts, wenn er gewappnet im stillen Zelte ruht,
Und meint den Traum zu träumen von Schlachten, Brand und Blut,
Naht ein verklärtes Wesen – längst däucht es ihm bekannt –
Und neigt des Friedens Palme auf ihn mit weißer Hand.

Fußnoten

1 Hilfstruppen, welche Eduard IV. gesandt hatte.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Der letzte Ritter. Adler und Lilie. Das Lager. Das Lager. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-10FD-0