[162] Tasso's Cypressen

Wo bei Cypressen hingesunken
Ich raste, schauend in den Schooß
Der ew'gen Roma, wehmuthtrunken
Vom Glöcklein San Onofrio's;
Hier saß einst Tasso. Der Cypressen
Stand eine nur, sonst war's wie jetzt;
Ob mancher Stein hinsank indessen,
Nur Thau war's, der dieß Meer genetzt!
Wohl rauschte die Cypress' am Hügel
Ihm die Cypress' im Herzen wach,
Daß, brechend seines Schweigens Siegel,
Der kranke Dichter zu sich sprach:
»O Menschenleben, Hauch im Winde,
Dich überdauert Stein und Thier!
Fortlebt der Vater doch im Kinde,
Mein Lied, mein Kind, lebt' ich in dir!
Komm, Rab' am Baum dort, dem zu Liebe
Enterbt ich um manch Jährlein war,
Daß ich mein Lied dich plappern übe,
So tönt's wohl noch ein hundert Jahr!
[163]
Dir, weißer Zauberhirsch, durchsausend
Den Apennin, schrieb' ich's mit Gold
Ins Halsband gern, daß ein Jahrtausend
Mit dir es noch die Welt durchrollt!
Dir, Stein am Wege, wollt ich's schlagen
In deine kalte Menschenbrust,
Daß du es tausend Jahre tragen
Und aber tausend Jahre mußt!
Was ficht mich an? Wo sind die Thaten,
Daß ich zu ragen bin gewillt,
Dem Baume gleich, hoch über Saaten,
Dem Thurm, hoch überm Stadtgefild'?
Dem Baum, wie mir, gibt Recht zu ragen
Furcht, Vogelsang und Blüthenscherz!
Dem Thurm, wie mir, gibt Recht zu ragen
Sein tönend heilig Glockenherz!
Doch soll mein Lied hier stehn in Steinen,
Wo Lieder nicht, nein, Ruhm und That
Und der Jahrtausend' Jauchzen, Weinen
In Trümmern ruht, versteinte Saat?
Wo der Campagna Wüst' ich sehe
Und mich's kein Wunder mehr bedünkt,
Daß beim Anschaun von solchem Wehe
Dem Pflügerarm der Pflug entsinkt?
Wo du selbst brachst, in Staub zerfallen,
Marmorgewordner Gott, entzwei!
Wo aus des Forums Trümmern allen
Noch ragen Tempelsäulen drei;
[164]
Furchtbar, drei Fingern gleich, erhoben
Zum Schwur einst der Beständigkeit,
Doch die verdorrt noch ragen oben,
Weil sie beschworen falschen Eid!
Wo, zwar vom Siegesglanz umflossen,
Hoch von der Burg San Angelo's
Der Engel zückt, in Erz gegossen,
Das Flammenschwert noch, blank und bloß;
Indeß das Blitzesschwert am Berge
Dem größern Seraph: Sturm aufloht,
Der fern schon diesem Engelzwerge
Aus schwarzer Wolkentoga droht!
Wo noch am Weltdom in verklärter
Triumphesgluth das Kreuzbild ragt:
Der Regen küßt es, – doch verzehrt er!
Die Sonne güldet's – doch sie nagt!
Ha, lästert nicht dieß Kreuz mein Sprechen?
Nicht lästert, der es peitscht, der Wind,
Nicht lästert Blitz, der's einst wird brechen,
Da doch allbeide Gottes sind!
Ich aber glaub', ein Fels im Fallen
Er fühlt so süß, wie als er ward!
Es träumt der Baum im Niederwallen
So süß, wie er da sproßte zart.
Fahr' hin, mein Lied, erstirb in Tönen
Und flattre fröhlich trümmerwärts!
Preis dir, Natur, der ew'gen schönen!
Dir schreib ich liebend mich ins Herz!«
[165]
Und dort von dem Cypressenbaume
Pflückt er der zarten Zweiglein acht,
Pflanzt sie in Reih' am Hügelsaume,
Ist sie zu warten sorgbedacht.
Da stehn als luft'ge, grüne Stanze
Achtzeilig sie, wie ihm sie klang,
Und säuselten im Windestanze
Ins Herz mir diesen Wehmuthsang.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Gedichte. Lieder aus Italien. Tasso's Cypressen. Tasso's Cypressen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1101-D