6.
Deß Herren Gefängnüß

Auff die Melodie: Was mein Gott wil:

1.
Schau Seele schau/ deß Himmels Sonn
Wird hier bey Licht gefunden.
Deß Vatern Lust/ der Engel Wonn/
Die Freyheit wird gebunden/
[116]
Der Liebe Band/ der Freundschafft Pfand/
Wird deß Verrähters Zeichen:
Der Friede lehrt/ vnd Auffruhr stört/
Lässt Mördern sich vergleichen.
2.
In dehm Er noch die Jünger weckt/
Ist sein Verräther kommen:
Der Ihn den Priestern schon entdeckt:
Vnd eylend angenommen/
Was Schwerdt vnd Muth/ was Leib vnd Blut
Dem Kriege-Dienst verschworen:
Die bracht Er spät an diese Stät/
Die Jesus Ihm erkohren.
3.
Deß Höchsten Sohn/ der nun erkandt
Den Fortgang seiner Schmertzen/
Er gibt sich selbst der Sünder Hand/
Vnd fragt mit sanfftem Hertzen/
Wen suchet ihr? Sie sprachen: hier
Sol Jesus sein zufinden.
Ich bins/ spricht Er: bald stürtzt ihr Heer
Vnd ihre Krafft muß schwinden.
4.
Er fragt noch eins/ sagt wen ihr sucht?
Sie schreyn: Den Nazarener.
Ich bins sprach Er: vnd gönnt die Flucht
Den seinen: Die Er schöner
Versichert macht/ daß diese Nacht
Nicht einem ihrer allen
Ein einig Haar bey der Gefahr/
Sol von dem Haupt abfallen.
5.
Alsbald bot Judas ihm den Kuß/
Wie vorhin überleget;
Ach! sprach Er/ ach ist das der Gruß
Dehn man zugeben pfleget?
Must du zu Lohn/ deß Menschen Sohn
Durch einen Kuß verrathen?
[117]
Drauff wird die Krafft/ der Welt verhafft
O grimme Frevelthaten!
6.
Herr/ Herr/ fragt Petrus/ sol ich nicht
Jetzt Schwerdt vnd Leben wagen?
Vnd Malchus Ohr/ weil er diß spricht/
Wird von ihm weggeschlagen.
Gib dich zu Ruh/ schreyt der Ihm zu/
Der sich vor vns lässt binden/
Wer sich zum Schwerdt in vnfall kehrt/
Den wird der Schwerdt-Tod finden.
7.
Stehts nicht bey mir daß ich vmb Schutz
Den Vater ietzt anspreche/
Daß Er der Feinde grimmen Trutz
Durch Tausend Engel breche?
Es ligt an mir/ sonst würden hier
Zwölff Legionen stehen/
Doch nein. Die Schrifft/ was mich betrifft
Sol richtig vor sich gehen.
8.
Er rührt vnd heilt deß Priesters Knecht
Vnd sagt der Mörder Hauffen:
Wie ko it ihr ietzt ohn einig Recht/
Mit Wehr vnd Spiß gelauffen/
Gleich wie man sucht die mit der Flucht
Mord/ Schuld vnd Laster decken/
Da ihr zuvor ins Tempels Thor
Die Hand nie dorfft außstrecken?
9.
Ich lehrte täglich ohne Scheu/
Da war kein Schwerdt zu spüren:
Nun muß euch meiner Freund Vntreu
Vnd Finsternüß anführen.
Doch eure Stund/ wie nunmehr kund
Ist dar/ braucht sie zum tügen.
[118]
Sie führen Ihn/ zu Caiphas hin/
Der Jünger Kräfft erliegen.
10.
Ein Jeder fleucht vnd bebt vnd zagt!
Ein Jüngling nur bedecket
Mit schlechter Leinwand hats gewagt/
Vnd folgt ihm vnerschrecket:
Doch als die Schaar sein recht gewahr/
Ihn fasst vnd auff- wil fangen/
Bleibt sein Gewand in ihrer Hand/
Vnd Er ist Nackt entgangen.
11.
Durch diese Bande sind wir frey
Von Sathans festen Stricken:
Itzt bricht der Hellen Netz entzwey/
Sie darff kein Garn mehr rücken.
Die Schmertz vnd Welt verhafftet hält
In Sünd vnd Wollust-Keten:
Gibt Jesus loß/ vnd heist vns bloß
Auß dem Gefängnüß treten.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das vierte Buch oder Tränen über das Leiden Jesu Christi 1657. 6. Deß Herren Gefängnüß. 6. Deß Herren Gefängnüß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1ADD-6