[2] 1.

Satz.

Die trawrige Sion/
Die bis in den todt betrübte/
Die itz wäise/ vor gelibte
Reist ihre lorberkron
Von dem zuraufften haar/ sie wirfft der perlen zier/
Sie wirfft der stäine pracht/ den güldnen schmuck von ihr.
Vnd windt die händ' vndt schlägt die brüste.
Sie weint/ sie rufft/ sie schreit/ sie klagt/
Sie siht/ sie start/ sie felt/ sie zagt/
Als wen sie gantz verzweifeln müste.
Ach spricht sie/ ach der Herr mein leben/
Hatt mich in meiner angst verlassen!
Der den ich liebe/ will mich hassen!
Vnd meinem erbfeind vbergeben.
Er fragt nicht mehr nach mir/ er läst mich aus der acht!
Er denckt an Sion nicht/ an Sion/ die verschmacht.
Gegensatz.

Dvrchsucht das weite landt:
Suche Sion in den feldern/
Suche Sion in den wäldern/
Wo menschen nur bekandt:
Ob eine mutter sey die auch ihr eigen kindt/
Aus ihrem hertzen setz'/ ob eine schlag in windt/
[3]
Das starcke recht das sie zue lieben
Die bittersüsse bürde zwingt:
Das recht das seel vndt sin durchdringt
Das die natur selbst vorgeschriben.
Wo ist ein weib die ohn empfinden/
Ihr eigen fleisch das sie gebohren/
Des leibes zartte frucht verlohren?
Fürwar der Geist will schier verschwinden:
Sie zittert/ sie erschrickt/ als für der Todten-grufft.
Im faall der kleine sohn: Ach mutter/ mutter/ rufft.
Zusatz.

Doch! gesetzt das auff der erden
Solch ein vnmensch/ solch ein stein/
Woll mög' an zutreffen sein!
Solch ein weib/ die nicht will fragen
Nach dem was ihr leib getragen/
Wiltu darumb trawrig werden?
Nein Sion! wo natur vndt blut ja trigen kan!
Nimbt eine mutter gleich ihr eigen kindt nicht an:
So glaube doch! ich lasse nicht von dir
Du bleibest mein: ich sorge für vndt für/
Für dich mein kindt/ dis sey der trewe pfandt:
Ich habe dich gezeichnet in die handt.

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TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das erste Buch. 1. [Die trawrige Sion]. 1. [Die trawrige Sion]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1BBF-2