[115] [Fragment]

Aria.

Was fang ich an, wo soll ich hin?
Wo ist mein Trost, wer ist mein Retter?
Kein Mensch, kein Himmel, keine Götter
Erfreun den unvergnügten Sinn.
O daß ich doch gebohren bin!
Was fang ich an, wo soll ich hin?
Wo ist mein Trost, wer ist mein Retter?
Recitat.

Ach Gott, mein Gott, erbarme dich!
Was Gott? Was mein? Und was erbarmen?
Die Schickung peitscht mit ausgestreckten Armen,
Und über mich
Und über mich allein
Kommt weder Thau noch Sonnenschein,
Der doch sonst auf der Erden
Auf Gut- und Böse fällt.
Die ganze Welt
Bemüht sich, meine Last zu werden.
Von außen drängt mich Haß und Wut,
Von innen Angst und Blut,
Und dieses soll kein Ende nehmen.
Ich will mich oft zu Tode grämen,
Und wenn ich will, so kan ich nicht,
Dieweil mir das Verhängnüß
In allen Wüntschen widerspricht,
Verdammter Schluß,
Durch den ich leben soll und muß!
Wo dieses ja ein Leben ist,
Wenn Sturm und Noth
[116]
Uns täglich schärfer droht
Und Schmach und Schmerz das Herze frißt.
Aria.

Ihr Flüche, ruft den Donnerwettern
Und zündet Gottes Eifer an!
Flieht, flieht und reizt die starcken Keile,
Damit ihr Schlag mein Elend heile,
Damit sie dies mein Haupt zerschmettern,
Das doch nicht eher ruhen kan.
Recitat.

Wie? Ist die Allmacht nicht so starck,
Mich schwachen Wurm zu tödten?
So mag ihr Bliz vor Scham erröthen,
So freße mir die Gift das Marck,
So müße Fluth und Eisen
Den Weg zur Freyheit weisen,
So breche Stein und Bley
Den Kercker meiner Noth entzwey!
Wer widerräth mir dieses Glücke?
O freundliche Gelaßenheit,
Bist du es? Ja!
Du kommst zu rechter Zeit;
O komm doch noch!
Ich hielt dich lange gnug verloren.
Es ist, als wär ich neu gebohren;
Wie Oel in Wunden thut,
So stärckt dein Trost mein Blut
Mit frischen Balsamkräften.
Nun leid ich gern,
Da so ein süßer Kern
In bittern Schalen keimet;
Nun trag ich troz der schweren Zeit
Ein Herze voll Vergnügligkeit.
[117] Aria.

Nun fast sich, nun sezt sich mein stilles Gemüthe,
Nun glaubt es der Vorsicht der ewigen Güte,
Die dieser Zufriedenheit Vorschub gethan.
O ruhige Seele, behalt dir das Glücke,
Und fiel auch so Himmel als Erden in Stücke,
So bleib in dir selber und sieh es mit an.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Striegau - Schweidnitz 24. September 1719 - Lauban Ende Juli 1720. [Fragment]. [Fragment]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-22E5-6