[75] Der sich selbst tröstende und befriedigende Redliche

Die man sich selber macht, ist wohl die beste Lust.
Dies fühlet meine Brust
Bey innerlicher Angst und eußerlichen Plagen.
Denn fällt mir Zeit und Fleiß und aller Umgang schwer,
So komm ich ohngefehr
Auf etwas, das mich stärckt, die Grillen wegzuschlagen.
Betrübt mich auf der Welt das Leben obenhin,
So will der blinde Sinn,
Der fleischlich denckt und schliest, fast mit dem Schöpfer schmollen,
Als hätt er, da er längst mein Leiden und mein Flehn
So gut voraus gesehn,
Mein Wesen und Natur nur möglich laßen sollen.
Denn hätt er dieses nicht zur Würcklichkeit gebracht,
So läg ich in der Nacht,
Da, wo Gefahr und Angst das todte Volck nicht drängen,
So fühlt ich jezt auch nicht Verfolgung, Gram und Noth,
Die mir so Tranck als Brodt,
Darum ich dienen muß, mit Gift und Galle mengen.
So schließet Fleisch und Blut, nicht aber der Verstand,
Der läst die Allmachtshand,
Die nichts umsonst erbaut, ein danckbar Herze spüren,
Indem ihr weiser Schluß mich schlechten Theil der Welt
So werth und würdig hält,
Durch Unglück und Gedult den großen Bau zu zieren.
Du unvergnügtes Herz verstehst dein Glücke nicht,
Wofern dein scheel Gesicht
Auf andre Nechsten fällt, die hoch und prächtig leben.
Ach, lidtest du auch mehr als jezo in der That,
Der heilgen Wächter Rath
Wär dennoch gegen dich noch viel zu reich im Geben.
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Komm, zehle mir einmahl die Lichter in der Luft,
Die Stäubchen in der Gruft,
Die Fehler, so du hast, und aller Menschen Sünden;
Und hastu denn davon die Rechnung aufgebracht,
So rechne mit Bedacht:
Du wirst an dir von Gott mehr Güt und Wunder finden.
Erwege doch nur recht die glückliche Natur,
Wodurch du auf die Spur
Der rechten Weißheit kommst, bedencke dein Gemüthe,
Es ist im Fallen schwach, jedoch an Liebe starck
Und theilte Blut und Marck,
Wenn deßen Treu dadurch dem ärmsten Menschen riethe.
Ach, so ein ehrlich Herz, was ist das vor ein Schaz!
Da hat kein Unglück Plaz,
Wo Hang, Geburth und Zucht den Geist begierig machen,
Die Augen der Vernunft vom Pöbel zu erhöhn,
Dem Nechsten beyzustehn,
Dem Himmel zu vertraun und aller Furcht zu lachen.
Welch heßlich Gegentheil entdeckt dir so ein Bild,
Das wie ein schüchtern Wild
Mit Cains Siegel fleucht und nirgends Tröstung findet,
Das von Natur schon Lust an andrer Schaden sieht,
Licht, Lieb und Warheit flieht
Und alles wider sich durch List und Haß verbindet.
Ein solch verworfner Mensch, ja nicht viel mehr als Vieh,
Hat Ursach, spät und früh
Die Stunde der Geburth mit Hiobs Fluch zu seegnen.
Denn weil sein Wesen nichts als Boßheit wollen kan,
So hängt die Folge dran,
Die Gnade könn ihm nun und nimmermehr begegnen.
Die Rache wirft ihm zwar, wie ich dem Hunde thu,
Noch manchen Knochen zu,
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Das ist: sie füttert ihn mit kurz- und eitlen Gaben;
Und davor muß, sobald der große Tag erscheint,
Ein solch verruchter Feind
Des menschlichen Geschlechts nichts mehr zu hofen haben.
Gott, hat mein frommer Wuntsch mit deiner Mögligkeit
Vor diesmahl keinen Streit,
So las dergleichen Mensch ein bloßes Mährchen heißen,
Ach, aber sollte doch noch einer würcklich seyn,
So las des Heilands Schreyn,
Wenn ja mein Flehn nicht hilft, ihn aus der Boßheit reißen.
Ich seh im übrigen mit innerlicher Ruh
Den wilden Stürmen zu,
Die um und über mich nicht ohn Erlaubnüß schießen.
Ich habe meine Lust an Weißheit, Buch und Kiel
Und mag kein ander Ziel
Als ein- vor allemahl die Wahl von deinen Schlüßen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Striegau - Schweidnitz 24. September 1719 - Lauban Ende Juli 1720. Der sich tröstende Redliche. Der sich tröstende Redliche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-23E1-2