[180] An Herrn Michael

Landeshutt, den 23. Junii A. 1722.


Du meintest nechster Zeit, getreu- und edler Freund,
Ich scherzte gar zu viel mit meinen Castalinnen
Und sollte, da ohndem mein Glücksstern dunckel scheint,
Nunmehr auch mit Bedacht auf Ernst und Nachdruck sinnen.
Dies war ein guter Rath, den Lieb und Freundschaft gab.
Wohlan, ich leg an dir die ersten Proben ab
Und gebe dir hiermit durch Kuß und Abschiedslieder
Das Zeugnüß und den Ruhm getreu- und edler Brüder.
Die Warheit, so jezt kommt, entspringt aus Redligkeit,
Der Neid mag noch so sehr das hohe Gleichnüß schelten:
Augustus gab vor dem den Dichtern güldne Zeit
Und lies ihr Saythenspiel gewis nicht wenig gelten.
Das Dancklied, so Horaz vor solche Gnade sang,
Das wiederholt auch jezt mein schlechter Flöthenklang;
Denn prahlt gleich Beuchelts Haupt mit keiner Kaysercrone,
So fodert doch sein Herz nicht minder Lob zum Lohne,
Sein Herz, sein ehrlich Herz, das mich ganz fremden Gast
Mit gutem Rath und Schuz so angenehm empfangen,
Die Musen auf der Flucht mit Hülf und Trost umfast
Und ihnen überall mit Liebe nachgegangen.
Und wie Mäcenas dort der Wißenschaften Preis
In seines Kaysers Brust klug zu erhalten weis,
So bistu, edler Freund, vor meinen Musenorden
Bey Beuchelts Herz und Haus auch oft Mäcenas worden.
Verbleib es auch forthin und liebe meine Kunst;
Sie ist ein armes Kind und muß sich furchtsam schmiegen.
Verdien ich in der Zeit von Gott noch eine Gunst,
So wird es sein Entschluß vor mich so glücklich fügen,
Daß Beuchelt, du, die Welt und selbst die Warheit seh,
Wie weh ins dritte Jahr mir durch mich selbst gescheh
Und wie so wenig ich das, was ich andern gönne,
Mit allem Wuntsch und Flehn vom Glück erhalten könne.
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Indeßen, da ich auch dein Schuldner bleiben muß
Und nicht vermögend bin, das Capital zu legen,
So nimm hier vor den Zins des Seegens Überfluß;
Mein Wuntsch begleitet dich auf allen deinen Wegen.
Sieh meiner Schwachheit nach, wozu die Noth oft zwingt,
Und wiße, wo uns noch ein Stern zusammenbringt,
Da soll manch Abend uns den alten Gram vertreiben.
Wo dies nicht ernstlich ist, so weis ich nichts zu schreiben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Landeshut Oktober 1721 - Jena 15. März 1723. An Herrn Michael. An Herrn Michael. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2424-2