[Antenor, deßen Geist die Klugheit fruchtbahr macht]

[207] [214]Auf das A. 1723. den 20. Febr. veränderte Logis des Herrn Burc. Gotth. Struvens, berühmten Prof. Jur. in Jena


Antenor, deßen Geist die Klugheit fruchtbahr macht
Und wie des Janus Blick in alle Zeiten dringet,
Ward, da sein Fleiß und Oel vor andre spät gewacht,
Nechst von der Müdigkeit mit Schlaf und Traum umringet.
Nun sollen Träume zwar des Tages Spiegel seyn;
Sie sinds auch dann und wann; der Jäger zielt im Schlummer,
Der Buhler küst den Pfiehl, der Geiz erschrickt aus Kummer,
Und Krancke nehmen auch im Qualme Wermuth ein;
Nur was Antenor jezt mit finsterm Aug erblickte,
War etwas, das die Gunst der höhern Vorsicht schickte.
Er sah, und sieh: ein Greiß mit Sichel, Uhr und Ring
Trug hier ein Conterfey zwo bloßer Charitinnen,
Um die ein schwarzer Flor nebst viel Cypreßen hing,
Und rief: Die dritte bleibt, und flog damit von hinnen.
Sogleich erschien ein Bild, das zwar an Werth und Pracht
Mit jenen Ähnligkeit, jedoch mehr Leben zeigte;
Zween Engel, derer Haupt sich vor Antenorn neigte,
Umfasten seinen Rahm, den Cyperns Kunst gemacht,
Und legten diesen Schaz nebst einer neuen Kette
Von Rosen, Seid und Gold aufs halb verwaiste Bette.
Was hier Antenors Herz vor sanften Trost genoß,
Das war nun fast so starck, ihn plözlich zu erwecken.
Doch ein verborgner Dampf, der aus der Bildung floß,
Lies Augen, Ohr und Sinn in süßer Ohnmacht stecken.
Bey dieser Gratie schien alles angebracht,
Was dort Anacreon dem Mahler vorgeschrieben.
Das Antliz war ein Zug zur Ehrfurcht und zum Lieben;
Des Wizes holder Ernst drang aus der Augen Nacht,
Der Mund voll Röth und Zucht verrückte sich zum Küßen,
Als spräch er: Dies kan auch ein doppelt Leid versüßen.
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Wer weis nicht, daß uns oft im Traum zu traumen scheint?
So gehts Antenorn jezt, da dieser Schatten weichet
Und Themis, die es stets mit ihm getreu gemeint,
In göttlicher Gestalt ihm Hand und Scepter reichet.
Der Zufall kam ihm nun so hell und deutlich vor,
Als ob er vor geträumt, jezt aber würcklich wachte.
Die Göttin, deren Glanz ihn erstlich schüchtern machte,
Hub endlich seinen Muth durch Freundligkeit empor
Und wies im übrigen ein Auge voller Flammen,
Wie Aarons Licht und Recht, zum Schüzen und Verdammen.
Sohn, sagte sie vertraut, ich kenne längst die Treu,
Die Sorgfalt, die Gedult, den Eifer, das Vergnügen
Und alle Tugenden, womit du starck und frey
Dich stets dahin bestrebst, daß meine Sprüche siegen.
Dein Lob kommt stets vor mich wie Rauchwerck holder Kraft
Und hat schon seinen Rang an meiner Ehrenbühne;
Die Laster zittern noch vor deinem Hermeline,
Woran kein gelber Fleck verbothner Geldsucht haft.
Dies hab ich längst gewust. Jezt komm ich, deinen Tagen
Den Lohn der Billigkeit auf Erden wahrzusagen.
Das, was dir vor geträumt, wird sich in kurzer Zeit
Vielleicht bey Hymens Glanz am schönsten ofenbahren.
Jezt ist dein Leben halb und voll Zufriedenheit,
Und diese wächst forthin mit Stunden, Tag- und Jahren.
Du baust den Mächtigen und Weisen dieser Welt
Den herrlichsten Pallast in Büchern und Geschichten;
Dies wird vor deinen Ruhm auch Ehrenpfeiler richten.
Dein Nahmen und Geschlecht, das meinen Thron mit hält,
Wird noch, so wie durch die, so dich mit Eifer hören,
Durch Kind und Tochtermann viel Recht und Warheit mehren.
Kaum schlug der Seiger drein, so wacht Antenor schon
Und sah den frühen Tag durch Wolck und Fenster brechen.
Erlaube, theurer Struv, wir wollen sonder Hohn
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So froh als Träumende, doch nicht im Traume, sprechen.
Du bist es, dem der Schlaf sein Schicksal eingehüllt;
Denn Morpheus hat es uns, doch nur ins Ohr, gesaget.
Da unser Vorwiz nun das deutsche Sprichwort fraget,
So heists: Der erste Traum wird ganz gewis erfüllt;
Und hats dir nicht geträumt, so hats dir träumen sollen
Und wird gewis geschehn, wie unsre Seufzer wollen.
Sey nun vor andern stolz, du neuerwehltes Haus!
Bequemligkeit und Ruh soll deine Zimmer schmücken,
Die Furcht geh flüchtig durch, die Eintracht ein und aus,
Der Friede lagre sich auf breiten Quaderstücken,
Die heitre Sicherheit bewache Stieg und Herd,
Der Frommen Fülle sey dein steter Hausgenoße.
Die Nachwelt mache dich zum schönsten Musenschloße,
Worein kein schneller Bliz noch wilder Hagel fährt.
Es brech in dich kein Dieb als blos der Herzen wegen,
Und deine Mauer steh wie Struvens Ruhm und Seegen.
Wir, hochverdientes Haupt, ziehn froh und gern mit dir,
Erhübstu gleich den Tisch bis an die Mittagsküste,
In Hofnung, daß dein Mund uns allerseits auch hier
Mit seiner Wißenschaft Land, Kost und Trunck versüßte.
Die Keuschheit ziert den Kranz, nicht aber umgekehrt;
So ziert der Wirth das Haus an dir auch hier und heute.
Was Themis erst forthin im Traume prophezeite,
Das macht, daß unser Wuntsch sich nur so viel erklärt:
Will dann und wann ein Creuz sich in dies Haus mit spielen,
So soll es zwar dein Haupt, doch nur im Traume, fühlen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Gelegenheitsdichtungen der Leipziger Zeit. Jena Oktober 1722 - 15. März 1723. [Antenor, deßen Geist die Klugheit fruchtbahr macht]. [Antenor, deßen Geist die Klugheit fruchtbahr macht]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-247C-F