[58] An Herrn Christian Gotthelf Birnbaum, Mathem. et Phil. Studios.

in Leipzig, bey dem Antritt des 1718. Jahres


Du fromm- und redliches Geblüte,
Es halten dich nur Kluge werth,
Die Welt erkenne dein Gemüthe,
Das aller Menschen Heil begehrt,
Dein Alter geh mit jungen Kräften
Noch höher als der Väter Ziel.
Der blinden Göttin Gauckelspiel
Verschone dich mit Amtsgeschäften,
Die Ehrfurcht schaue dir und deiner stillen Ruh
Von ihren ungewißen Spizen,
Worauf Gefahr und Unruh sizen,
Mit niederträchtgem Stolz und scheelen Augen zu.
Dein Feind erwerbe Gold und Tittel
Und lache dich in Thorheit aus,
Die Nothdurft nehme sichre Mittel
Und gründe dir ein eignes Haus.
Der Friede nähre deinetwegen
Das angenehme Sachsenland,
Es hör einmahl der Muldenstrand
Den Klang von deinen Lautenschlägen.
Dein Herze brennt vor Lust, das große Rom zu sehn.
Versprich dir würcklich dies Vergnügen,
Die Allmacht weis es schon zu fügen
Und läst den Ihrigen oft mehr als das geschehn.
Und kehrstu endlich nach dem Reisen
Wie Bienen voller Honigseim
Mit eingenommnen Anmuthsspeisen
In Deutschlands süße Gränzen heim,
So würdige die edlen Linden
Und zeuch in ihrem Schatten ein,
Du wirst allhier bey Brodt und Wein
[59]
Dein Paradies voll Engel finden.
Wer wüntscht wohl Leipzig nicht? Wer nimmt wohl nicht [in Acht,
Daß hier nur die zur Ruhe kommen,
Die Gott, der Vater rechter Frommen,
Aus sonderbarer Gunst schon zeitlich seelig macht.
Die Eh ist Himmel oder Hölle,
Nachdem uns nehmlich diese führt,
Mit der man vor der heilgen Stelle
Die Hände wie das Herz verschnürt.
Geräth der Bund, so hat ein Weiser
Die Wollust, so nur möglich ist,
Denn wer so Lieb als Tugend küst,
Der tauscht nicht mit dem grösten Kayser.
Drum wehl und werbe dir der Himmel so ein Weib,
Das Wiz und Redligkeit verbinde
Und keinen Gram im Spiegel finde;
Denn jenes stärckt das Herz, und dies ergözt den Leib.
Noch etwas bitt ich von dem Wesen
Der ewigen Unendligkeit,
Das schon vor aller Zeiten Zeit
Um unser Wohl besorgt gewesen:
Es gebe deßen mächtger Wille,
Wofern es sein Verstand erlaubt,
Daß deines wackern Vaters Haupt
Den Sarg mit hundert Jahren fülle.
So wird der theure Mann, der solche Lust verdient,
In Simeons beschneiten Haaren
Mit Freud und Frieden weiterfahren,
Nachdem er erst gesehn, daß noch ein Birnbaum grünt.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Wittenberg November 1715 - Dresden Anfang September 1719. An Herrn Christian Gotthelf Birnbaum. An Herrn Christian Gotthelf Birnbaum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-24D0-D