[190] An eine gute Bekandte in Landeshutt

Gedencke von mir, was du wilst;
So sehr du mich verwegen schilst,
So wenig kan ich mich entbrechen,
Jezt, da mein ungewißer Fuß
Den Abschied nehmen soll und muß,
Mit dir, galantes Weib, ein redlich Wort zu sprechen.
Ich habe von Natur ein Herz,
Das sonder Eigenlob und Scherz
Die Warheit mehr als Reichthum schäzet,
Ein Herz, das Gott und Weißheit liebt,
Mit Wißen keinen Mensch betrübt
Und das sich überall an Redligkeit ergözet.
Dies Herze bleibt nun dir geweiht,
Ob gleich Verhängnüß, Glück und Zeit
Dich an ein ander Herz gebunden.
Verfluche mein Bekäntnüß nicht;
Ich habe noch kein Angesicht
Und nichts so schön vor mich als deinen Werth gefunden.
Mein Vers verlezt kein keusches Ohr;
Indeßen kan denn ich davor,
Dir, was ich fühle, frey zu sagen,
Daß nehmlich, da ich bey dir saß,
Dein reizend Ein ich weis nicht was
Mit seiner Artigkeit mein Herze wund geschlagen?
Dies schwör ich bey der Augen Macht,
Wodurch dein Geist gefehrlich lacht,
Daß, wenn ich mich vermehlen wollte,
Daß, sag ich, könt es nur geschehn,
Mein Herz und Mund und heißes Flehn
Kein ander Weib als dich vom Himmel bitten sollte.
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O was vor Eintracht, Scherz und Lust
Verspräch ich mir an deiner Brust,
Dem Tempel unverfälschter Liebe!
Wie zärtlich wollt ich mit dir thun,
Wie sanfte dächt ich nicht zu ruhn,
Wenn dein Besiz der Lohn von meinem Fleiße bliebe!
Ich such und finde dich in mir,
Ich seh und finde mich in dir,
Wir haben einerley Gemüthe;
Ein Paar von solcher Ähnligkeit
Ist wohl von größrer Seltenheit
Als Freunde wahrer Treu und schwarze Pfirschkenblüthe.
Die Fruchtbarkeit von deiner Schoos
Ist warlich nicht so reich und groß
Als deiner Mienen Geist und Stärcke.
Auch keine Stunde geht dahin,
In der ich, wenn ich bey dir bin,
An dir kein neues Bild der höchsten Tugend mercke.
Mit Schmeicheleyen red ich nicht,
Weil dieses selbst die Warheit spricht:
Du bist so artig als bescheiden
Und kanst den wohlverdienten Ruhm
(Dies ist der Warheit Eigenthum)
So wenig als mein Vers das Lob des Pöbels leiden.
Die Selbstverleugnung hilft dich nichts;
Die Schönheit hat die Art des Lichts
Und läst sich nimmermehr verstecken;
Je mehr sich dein Verdienst verhüllt,
Je beßer wird sich auch ihr Bild
So wie bey voller Nacht der Mondenschein entdecken.
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Du brauchst auch weder Puz noch Kleid,
Viel minder die Beredsamkeit,
Bey aller Welt beliebt zu werden.
Ein obenhin bewegtes Glied
Ergözt, entzündet, reizt und zieht
Viel Sehnsucht aus der Brust und fängt uns mit Gebehrden.
Die Nachwelt soll nach langer Zeit
Durch meiner Lieder Ewigkeit
Auch deines Nahmens Denckmahl lesen
Und über das Verhängnüß schreyn
Und mir zu Liebe zornig seyn,
Daß du, galantes Kind, mir nicht bescheert gewesen.
Ich dencke, weil ich leb, an dich;
Gehab dich wohl, gedenck an mich,
Es geh dir ewig nach Vergnügen.
Viel Stürme melden sich schon an,
Nachdem ich dich nicht küßen kan;
Drum las mir dann und wann ein Blat zu Hülfe fliegen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Landeshut Oktober 1721 - Jena 15. März 1723. An eine gute Bekandte in Landeshutt. An eine gute Bekandte in Landeshutt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-24E5-0