[150] Elidor an die Amarillis, als sie ihn der Falschheit beschuldigte und daher brechen wollte

Amarillis, hat mein Sehnen
Dieses um mein Herz verdient,
Daß mein Fluch von deinen Thränen
Mit dem feuchten Graße grünt,
Welchem meiner Liebe Brand
Saft und Wachsthum längst entwand?
Hastu darum mich gebunden,
War ich darum freudenvoll,
Daß der Riß, so schnell verwunden,
Desto schärfer schmerzen soll?
Rufe nur den leichten Wellen
Und dem grünen Ufer zu,
Denn bey meinen Unglücksfällen
Ändern sie so schnell als du;
Ja, sie ändern Lauf und Ort,
Und du änderst Herz und Wort.
Seht, ihr angenehmen Wiesen,
Elidor steht jezt beschämt,
Weil er die bey euch gepriesen,
Die sich ihm nicht mehr bequemt.
Himmel, hastu einen Seegen,
Der auf Erden glücklich macht,
O so sey er meinetwegen
Amarillen zugedacht.
Überschütt ihr Haupt und Brust
Mit des Paradieses Lust!
Dieses wüntsch ich, mich zu rächen
Vor den falschen Selbstbetrug;
Denn sich meiner zu entbrechen,
Ist sie schon gestraft genug.
Aber, ach, was soll die Rache?
Was entbrechen? Nimmermehr.
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Was ich höre, seh und mache,
Rührt mich ihrentwegen sehr;
Linden, Waßer, Feld und Stein
Prägen mir ihr Bildnüß ein
Und erwecken meine Liebe,
Die sie wider mich beschüzt
Und, indem ich mich betrübe,
An der Seite weinend sizt.
Amarillis, hat mein Küßen
Dich nur einmahl recht vergnügt,
Kanstu Ort und Zeit noch wißen,
Die mein Herz an deins gefügt,
O so bitt ich durch den Schwur,
Der uns mit Bedacht entfuhr,
O so bitt ich durch die Plagen,
Die ich mir mit dir erwehlt
Und bisher mit Lust getragen:
Lebe doch nur ungequält!
Nimm den Ring, das Pfand des Eides,
Und behalt den leichten Flor,
Denn die Menge meines Leides
Stellt dir schon ein Trauren vor;
Dein Verdacht und meine Treu
Machen schon die Seele frey
Und erlösen mich im Grabe,
Und auf diesem soll allein,
Daß ich dich betrogen habe,
Meine schönste Grabschrift seyn.
Lebe wohl mit deinem Kummer,
Wo dich der nur leben läst,
Und verstöre meinen Schlummer
Durch kein naßes Trauerfest.
Hier um diesen wüsten Thal,
Der uns mehr als tausendmahl
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Vor der Tadelsucht verborgen,
Schneid ich in den nechsten Baum:
Elidor und seine Sorgen
Suchten hier den lezten Raum.
Ist noch einer von den Hirten,
Der die rechte Liebe kennt,
Dem verbleibt mein Kranz von Myrthen,
O betrübtes Testament!
Meine Schwachheit vor ein Kind,
Meine Hofnung vor den Wind,
Meine Glieder dem Verwesen;
Amarillen leg ich bey,
Was sie sich schon selbst erlesen:
Frühen Schmerz und späte Reu.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Elidor an die Amarillis. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2551-5