[196] Den Unwillen eines redlichen und getreuen Vaters suchte durch diese Vorstellungen bey dem Abschiede aus seinem Vaterlande zu besänftigen ein gehorsamer Sohn

Quid feci? quid commerui aut peccavi, Pater?


Und wie lange soll ich noch, dich, mein Vater, selbst zu sprechen,
Mit vergeblichem Bemühn Hofnung, Glück und Kräfte schwächen?
Macht mein Schmerz dein Blut nicht rege, o so rühre dich dies Blat,
Das nunmehr die lezte Stärcke kindlicher Empfindung hat.
Fünfmahl hab ich schon versucht, nur dein Antliz zu gewinnen,
Fünfmahl hastu mich verschmäht, o was sind denn dies vor Sinnen!
Dencke nach, wie scharf es beiße, dencke doch, wie nah es geh,
Daß ein Sohn durch seinen Vater zwischen Furcht und Unruh steh.
Hab ich dich nicht überall treu gerühmt und froh gepriesen?
Hat sich ein verstockter Sinn gegen deine Zucht gewiesen?
Hab ich nicht mit Lust studiret, dich nur einmahl zu erfreun
Und mit wohlgerathnen Früchten deines Kummers Trost zu seyn?
Such ich auf der Erden mehr als ein still- und weises Leben?
Wollt ich nicht sogar mein Blut vor des Nechsten Wohlseyn geben?
Steckt mir Boßheit in der Seele, brennt mir Rachgier in der Brust
Oder hat mein freches Spotten an des Feindes Schaden Lust,
Ja, verführt die Heucheley mein entschuldigtes Gewißen,
Dich allhier um neue Gunst blos aus Eigennuz zu küßen,
O so werden meine Glieder mit des Hiobs Qual geplagt
[197]
Und mein Fuß mit Cains Schröcken in der Welt herumgejagt.
Adams Erbschuld nehm ich aus; Mängel sind uns angebohren,
Und ich habe tausendmahl mich auch außer mir verloren.
Schlüge Gott mit Bliz und Keilen gleich auf solchen Fehltritt zu,
O wie wenig würden Greise, und wo blieben ich und du!
Daß du mich gezeugt, ernährt, unterrichtet und geführet,
Ist ein Lorbeer, der dein Haupt auch noch auf der Baare zieret.
Ich erkenn es in der Stille, ob gleich ängstlich und betrübt,
Weil mir weder Zeit noch Glücke Mittel zur Vergeltung giebt.
Wenn der Morgenröthe Glanz an dem grauen Himmel blickte
Und der frühe Garthenbau dir so Herz als Aug entzückte,
Machte mir dein muntres Scherzen Feder und Papier bequem
Und dein rüstiges Exempel Kiel und Bücher angenehm.
O wie mancher Abendstern sah mich unter deinen Lehren!
Damahls lernt ich als ein Kind Rom und Griechenland verehren,
Wenn mein Ohr an deinem Munde mit erhizter Sehnsucht hing
Und der Nachdruck beider Sprachen lustig ins Gedächtnüß gieng.
Alles kont ich nach und nach, so zu reden, spielend faßen,
Was die Knaben sonst bewegt, daß sie Buch und Feder haßen,
Weil der Schulfuchs Lust und Liebe mit der Ruthe niederschlägt
Und durch so viel tolle Regeln auf die strengste Folter legt.
Um nun hinter den Bestand meiner Neigung recht zu kommen,
Hastu mir oft selbst das Buch als zur Strafe weggenommen.
Diese wohlgemeinte Klugheit mehrte sonderlich in mir
(Kinder thun verbothne Sachen) Fleiß und Eifer und Begier.
Las doch nun nicht erst den Neid dich in mir so arg verlachen,
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Las dir doch nicht so viel Müh durch sein Maul zu Schanden machen!
Trau doch deinem Fleisch und Blute, gönne mir Gedult und Ohr;
Bin ich ja mit Recht verklaget, warum läst man mich nicht vor?
Was ich dann und wann versehn, ist die Hize junger Jahre;
Denn wo wird wohl einer alt, der nicht oft den Fall erfahre?
O warum bestraft die Länge meine Menschligkeit so scharf?
Welcher Richter ist so grausam, daß man gar nicht bitten darf?
Muß man doch wohl oft aus Noth wider Willen was beschließen,
Was wir ohne starcken Zwang oftmahls unterwegens ließen.
Schwachheit lauft gar leicht mit unter, und der Mangel nebst der Schmach,
Die man unverdient erduldet, zieht viel schlimme Folgen nach.
Beßrung, Buße, Fleiß und Ernst weis viel Scharten auszuwezen,
Die mich bey den Redlichen ohne Grund in Argwohn sezen.
Läst man doch verdorrten Bäumen zum Erholen etwas Zeit:
Gilt ein Mensch nicht mehr als Bäume noch ein Kind als fremder Neid?
Und was sind es denn auch nun vor so grob und schwere Sünden,
Die so mühsam und so spat Ablas und Errettung finden?
Sagt, was sind sie? Meistens Lügen, junge Thorheit, viel Verdacht
Und mit einem Worte Mücken, die man zu Camelen macht.
Sieht man etwan darum scheel, daß mein aufgeräumt Gemüthe
Andern wie sich selbst getraut und nach angebohrner Güte
Sich zum öftern blos gegeben? Freunde, schweigt, es ist geschehn;
Dieses Laster, ist's ein Laster, sollt ihr nicht mehr von mir sehn.
Die so groß und altklug thun und von viel Erfahrung sprechen,
[199]
Wollen durch den Poltergeist meinen Sinn zur Unzeit brechen;
Aber allzuscharf macht schärtig, und Affecten bey der Zucht
Reizen feurige Gemüther und erhalten schlechte Frucht.
Einmahl ist und bleibt mein Zweck, blos der Warheit nachzustreben
Und, so viel nur an mir ist, als ein nüzlich Glied zu leben.
Drum verehrt mein Geist die Lehrer, die in unsern Tagen blühn
Und das Licht der rechten Weißheit endlich aus dem Nebel ziehn.
Daß mich Haß und Pöbel schilt, als vertieft ich mich in Grillen,
Die den Beuthel und den Kopf mit gelehrtem Winde füllen,
Das verzeih ich seiner Einfalt, die im Aberglauben steckt
Und die Wißenschaft verachtet, weil sie ihren Kern nicht schmeckt.
Daß Verleumder böser Art auch mein Christenthum vernichten,
Mag der Herr, der alles sieht, doch nur mit Erbarmung richten.
Mich befestigt bey den Stürmen die gewiße Zuversicht,
Daß die Liebe des Erlösers gar was anders von mir spricht.
Dies gesteh ich ohne Furcht, daß ich manch verwirrt Geschweze,
Das in Glaubenssachen schwermt, vor geringe Poßen schäze;
Ich gesteh auch, daß mich's ärgert, wenn Alazon schreyt und kracht
Und sein Jahrgang oft mehr Kezer als bekehrte Sünder macht.
Wär es mir nicht selbst geschehn, wollt ich hier kein Wort verlieren;
Aber da er mich verdammt, hab ich Recht, es anzuführen,
Weil er aus dem Leichenreime, der von Gottes Liebe singt,
Eine Gift der Pietisten und ich weis nicht was erzwingt.
Und wieso? Man höre nur, wie genau sein Vorwurf schließe:
Weil ich damahls mich erklärt, daß den Tod nichts mehr versüße
[200]
Als die Liebe vor den Heiland, die das lezte Schröcken schwächt,
Soll ich dies geleugnet haben: Nur der Glaube macht gerecht.
Sagt mir, wo die Folge steckt! Nirgends als im blinden Dünckel.
Ist das nicht ein schöner Schluß von dem Prügel auf den Winckel?
Wenn ich ohngefehr nun spräche: Unser Nachbar baut ein Haus,
Schlöß ich denn darum den Meister und den Werckgesellen aus?
Etwas muß ich doch noch hier bey Gelegenheit erwegen:
Mancher meint, ich sollte mich auf die Brodtkunst beßer legen,
Und beredet dich, mein Vater, viel Verachtung sey daher,
Weil ich nicht mit rechtem Eifer Meditrinen dienstbahr wär.
Glaube, da du mich so früh zu der edlen Kunst erzogen,
Da ich auch nicht ohne Frucht deine Warnung eingesogen,
Da ich sie von dir schon kenne, da ich ihren Vorzug weis,
Geb ich ihr vor andern Künsten Neigung, Herze, Kranz und Preis.
So viel überseh ich auch, daß wir, etwas recht zu wißen
Und von Grund aus zu verstehn, keine Sprünge machen müßen.
Las mich also kürzlich mercken, was des Arztes Pflichten seyn;
Denn der Umfang seines Amtes schliest vorwahr nicht wenig ein.
Mit dem Doctor kaum zwey Jahr flüchtig durch den Sennert laufen,
Hunde würgen, Feuer sehn, Pillen drechseln, Kräuter raufen,
Auf Gerathewohl verschreiben, andre neben sich verschmähn
Und sich bey dem Sterbebette in der Staatsperrüque blehn,
Ist so thöricht als gemein, thut auch selten große Wunder.
Bücher, Tiegel, Glas und Ring sind zusammen nichts als Plunder,
[201]
Wenn man die Gesundheitsregeln nicht vorher in Kopf gebracht
Noch auch durch vernünftig Schließen die Erfahrung brauchbahr macht.
Will man nun den Stümpern gleich nicht an jeder Klippe scheitern,
So bemüh man sich zuerst, Sinnen und Verstand zu läutern;
Man erforsche die Geseze, die der Bauherr schöner Welt
Ehmahls zwischen Geist und Cörper ewig gleich und fest gestellt.
Dies erfordert etwas mehr als in alten Schwarten wühlen
Und mit Knochen, Stein und Kraut oder heißem Erze spielen.
Wer die Wißenschaft der Größe und der Kräfte nicht versteht,
Kan den Leib unmöglich kennen, der wie Waßeruhren geht.
Was vor Klugheit, was vor Müh fließet nicht aus diesen Gründen,
Eh wir jedes Cörpers Art, den wir vor uns haben, finden,
Eh man Neigung und Gewohnheit, Kranckheit, Siz und Ursach trift.
Unzeit, Eckel, Ort und Menge macht auch Mithridat zu Gift.
Inwieweit ich nun gedacht, dieser Vorschrift nachzuleben,
Davon mag die Zeit einmahl ein gerechtes Urtheil geben.
Bin ich nur bey mir versichert, daß ich nach Vernunft gethan,
Hör ich andrer stolzes Bellen mit gelaßner Demuth an.
Was die Poesie betrift, muß ich frey heraus bekennen:
Ich empfand schon als ein Kind ihren Trieb im Herzen brennen.
Da mich nun die blinde Neigung ihr schon damahls zugeführt,
Schenck ich ihr auch noch die Liebe, die anjezt Vernunft regiert.
Will man sie nur obenhin nach gemeiner Art betrachten,
Hat man freylich den Parnaß vor ein Grillennest zu achten.
Hochzeitreime, Todtensprüche und ein buntes Quodlibet
[202]
Nebst erfrornen Buhlerflammen heißen zwar galant und nett;
Doch ein solcher Reimenspruch, den die Nahmen erst verbrämen,
Den auch Klingsohr, Frauenlob und Hans Sachsens Kunst beschämen,
Schickt sich wohl dahin am besten, wo man Schöps und Kofent schenckt,
Oder auf den Musentrödel, wo Theranders Leyer hängt.
Dichter, sind sie, was sie sind, müßen feuerreiche Gaben,
Wiz, Verstand, Gelehrsamkeit, Tugend und Erfahrung haben
Und die Menschen, derer Augen die entblöste Warheit fliehn,
Durch die Weißheit in den Bildern recht mit Lust zum Guten ziehn.
Was Homer und Maro schreibt, was auch Fenelon gesungen,
Ist ein Muster, deßen Werth die Vergängligkeit bezwungen.
Dies versteht kein Phoebuspritscher, der nur an den Schalen klaubt
Und der Schönheit im Erklären allen Geist und Nachdruck raubt.
Doch damit vorjezt genug! Du, mein Vater, magst nun schäzen,
Ob und was und auch wie viel meinen Musen auszusezen.
Scheint dir auch die Art und Weise meines Lebens wunderlich,
Ach, dem ist bald abgeholfen. Und womit? Versöhne dich!
Dencke, was der Unmuth thu, wenn uns Freund und Feinde kräncken,
Wenn sie uns den nahen Weg zu der Gönner Herz verschräncken,
Wenn man kranck und in der Fremde bey Verfolgung und Verdruß
Wegen andrer Groll und Zwietracht alles Unrecht leiden muß,
Wenn uns innerliche Reu, eußerlicher Mangel dränget,
Wenn sich Anverwandter Haß unter unsre Feinde menget,
[203]
Wenn der Schmerz getreuer Eltern in der Güter Asche sizt,
Wenn ein Bruder von Gemüthe ohne Schuld sein Blut versprizt,
Wenn die Buße nichts erhält, wenn die besten Stüzen weichen,
Wenn ein unverhofter Freund nach viel seltnen Gnadenzeichen
Unser Glück im Lieben gründet und gleichwohl des Vaters Geist
Uns aus Eifer dahin bringet, daß man untreu scheint und heist.
Da verliert sich die Gedult, da vergißt man sich und alles,
Läst es durcheinander gehn, strauchelt oft aus Furcht des Falles;
Man getraut sich nichts zu wagen, man verfällt von Zeit zu Zeit
Und gewöhnt sich ganz gelaßen zu der Niederträchtigkeit.
O wie oft hat Fleisch und Blut durch ein ungeduldig Schmollen,
Weil kein Retter kommen will, der Verzweiflung rufen wollen!
Doch ein Strahl von höherm Lichte und die kämpfende Vernunft
Stärckten mich im grösten Wetter mit des Trostes Wiederkunft.
Strafe nehm ich willig an; man erinnre nur bescheiden
Und so redlich als geheim. Dies Volck kan ich nur nicht leiden,
Das uns fast auf alle Mienen eine Sittenpredigt hält
Und alsdenn am ärgsten dencket, wenn es sich am frömmsten stellt.
Jene sind es, die da stracks Donner, Bliz und Höll erwecken,
Die, so ein verirrtes Schaaf mit der gröbsten Keule schröcken,
Jene sind es, die den Mägdgen, so nur einen Blick versehn,
Alle Schlüßel zu dem Himmel ohne den Beruf verdrehn,
Jene sind es, die sich selbst vor gerecht und heilig halten,
Mit Verachtung andrer stehn, die befleckten Hände falten,
Mit den kläglichsten Gebehrden aller Augen auf sich ziehn,
Mit Gebethen Wucher treiben und nur Schein, nicht Sünde fliehn.
[204]
Gott, du kennst und zeichnest sie, untersuchest Herz und Wercke.
Stummer Hochmuth, Geiz und Neid ist der ganzen Andacht Stärcke.
Kommt es zu der Nechstenliebe, zum Vergeßen, zum Verzeihn,
Oder soll man Schwache tragen, wird kein Christ zu Hause seyn.
Zornlust, Haß und Eigensinn soll aus keiner Zucht erscheinen,
Und die Ruthe, so da schlägt, muß der Kinder Bestes meinen;
Wo hingegen Straf und Schärfe das Verbrechen übersteigt,
Wird das edelste Gemüthe mehr gebrochen als gebeugt.
Wilder Frevel ist es werth, daß ihn Draht und Geißel schwäche,
Und die Boßheit braucht Gewalt, daß man ihr den Starrkopf breche;
Aber Irrthum, Fall und Schwachheit, fällt ein Mensch auch noch so oft,
Fodert billig nichts als Liebe, die allzeit das Beste hoft.
Sucht ich mich auch noch so wohl unter Leuten aufzuführen,
Muß ich dennoch überall Glauben, Müh und Freund verlieren,
Wenn man hört, daß selbst der Vater, den ein gut Gerüchte schmückt,
Mich, sein Kind, nicht hören wolle. Sieh, mein Vater, was mich drückt;
Dadurch fällt mein zeitlich Wohl und das Heil des ganzen Lebens,
Alles, was ich denck und thu, wird durch deinen Zorn vergebens.
Sage mir, wem soll mein Herze auf der Welt wohl weiter traun?
Bin ich meiner Eltern Greuel, muß auch Fremden vor mir graun.
Stünd es mir auch zehnmahl frey, einen Vater zu erwehlen,
Würd ich dich doch in der Wahl alle zehnmahl nicht verfehlen;
Würdestu mir auch im Kittel vom Verhängnüß vorgestellt,
[205]
Käm ich doch aus deinen Lenden mit Vergnügung auf die Welt.
Daraus stelle dir nur vor, welche Angst mich nächtlich preße,
Wenn ich deinen harten Sinn und des Kummers Angst ermeße,
Der mir jezo meinetwegen Herz und Marck und Bein zerfrißt,
Weil mein Bild mit falschen Farben dir so schlimm geschildert ist.
Wenn du ja nicht anders wilt, will ich mich gern schuldig nennen,
Dir zu Liebe will ich mehr, als ich selber weis, bekennen.
Aber geh doch auch zurücke und erinnre dich der Zeit,
Da ich als ein Kind voll Hofnung dein und vieler Aug erfreut.
Mein Gehorsam, wie du weist, hat dir zwanzig Jahr gefallen;
Was ich dann und wann verbrach, das geschicht von mir und allen.
Furcht, Gesellschaft, Übereilung und des grünen Alters Glut
Machen, daß man unterweilen wider beßer Wißen thut.
Bin ich doch gestraft genung, daß der Zorn von höhern Schlüßen
Unter so viel Ungemach meiner Jugend Blüth entrißen,
Daß mir so viel Gram und Wachen Kraft und Leben abgekürzt
Und der Lästrer bittres Schäumen jeden Bißen Brodt verwürzt.
Stieß mir oft ein Glücke vor, kont ich solches doch nicht faßen,
Weil die Noth kaum einen Tag mein Gemüthe frey gelaßen
Und der eußerliche Mangel, den ein schlechtes Kleid bewies,
Bey der Mode Wind zu machen, mich beschämt entweichen hies.
Was ich in das sechste Jahr überstanden und gelidten,
Wie ich oft mit Wind und Schnee, Hunger, Hiz und Frost gestritten,
[206]
Das wird der am besten wißen, deßen reiche Vaterhand
Mir noch immer einen Seegen unvermuthet zugewand.
Alles Schadens ohngeacht, den mein Leib dadurch bekommen,
Hab ich, ohne Ruhm gesagt, an Erfahrung zugenommen.
So viel Creuze, so viel Schulen, die mich warlich mehr gelehrt,
Als man im Pedantenstaube von den Maulgelehrten hört.
Darum danck ich vor den Haß, den mir Freund und Feind erzeiget,
Denn er hat den Muth gestählt und der Jugend Stolz gebeuget.
Doch, ihr Väter, du im Himmel und auch du auf dieser Welt,
Schont doch endlich, weil mein Alter noch in etwas Kraft behält!
Jezo beth ich Tag und Nacht bey so überhäufter Plage:
Nimm mich doch, mein Gott, nicht weg in der Hälfte meiner Tage!
Führe mich durch Creuz zur Weißheit, gieb mir aber auch dabey,
Daß ich klug, getreu, geduldig und der Welt noch nüzlich sey.
Welchen meine Stachelschrift ohne Grund zu nah getreten,
Denen sey es öfentlich und von Herzen abgebethen;
Scherz und Feuer und Exempel bringen oft den freyen Kiel
Durch den Ehrgeiz zu gefallen auf ein kühnes Dichterspiel.
Andre, die mir hier und dar nur von Hörensagen fluchen,
Werden so vernünftig seyn und es beßer untersuchen,
Eh sie einen Mensch verdammen, welcher das, was er begehrt,
Nehmlich Mitleid, Wuntsch und Liebe, jedem, der sie braucht, gewährt.
Ihr hingegen, die ihr euch in verborgnen Lastern wälzet,
Ruhm in fremder Schande sucht und aus Unrecht Silber schmelzet,
Die ihr Arglist, Geiz und Feindschaft so abscheulich schön versteckt
Und die Angeln eurer Boßheit stets mit Blumen überdeckt,
[207]
Mögt die Unart eurer Brust noch so fein und künstlich schmücken
Und mich, der ich liegen muß, noch so klug und sinnreich drücken,
Nur, damit nicht eure Schande, käm ich etwan in die Höh,
Aus den mir bekandten Winckeln einmahl auf den Schauplaz geh –
Thut es, aber wist zugleich, daß die Billigkeit der Rache,
Die sich niemahls spotten läst, schon die Striegel schärfer mache,
Die euch einmahl zum Gelächter den verlarvten Kopf zerreißt,
Ob mich gleich die Zeit noch warthen und die Klugheit schweigen heist.
Trozt nur auf mein Ungemach, seyd ihr doch noch nicht hinüber.
Hat euch gleich dem Ansehn nach Stern und Glücke fast noch lieber
Als den Samischen Tyrannen, der den Ring umsonst zerschmiß,
So verseht euch doch auch endlich seines Bades ganz gewis.
Du bescheidnes Vaterherz, zwinge dich, noch dies zu hören:
Nicht weil du mein Vater bist, nein, der Warheit blos zu Ehren,
Thu ich hier ein frey Bekäntnüß, daß das Kleinod deiner Treu
Und der längst erkandten Liebe auf der Welt mein Glücke sey.
Ja, ich seze dies noch zu: Wüst ich dir durch holdes Schmeicheln
Auch das reichste Vatertheil noch im Leben abzuheucheln,
Wäre deine zarte Regung gegen mich auch noch so groß,
Gäbstu sie mir zum Verschwenden in gemünzter Menge blos,
Wär es alles doch zu schwach, meinen Mund dahin zu bringen,
Dir ein unverdientes Lob eigennüzig abzusingen;
Wie ich mich und andre strafe, also stäch ich dir den Schwär,
[208]
Wenn dein Herz wie manches Vaters voller Tück und Boßheit wär.
Aber so getrau ich mir ohne Selbstbetrug zu glauben,
Daß, wofern mir Zeit und Kunst auf dem Pindus Plaz erlauben,
Einst die Warheit deines Ruhmes (mach ihn durch Versöhnung voll!)
Unter allen meinen Liedern noch am schönsten klingen soll.
Sonder Hochmuth sag ich noch: Was ich ja noch auf der Erde
An Verdienst, Gefälligkeit und an Glück erhalten werde,
Das verdanck ich deinem Seegen und der Sorgfalt im Erziehn,
Die mir zu dergleichen Früchten vollen Saamen dargeliehn.
Deiner Eltern Dürftigkeit lehrte dich bey Zeiten darben;
Was sie ehrlich, ob gleich schwer und mit Sparsamkeit erwarben,
Warf dir bey so viel Geschwistern wenig zum Studiren ab,
Dem gleichwohl dein Wohlverhalten nicht geringes Wachsthum gab.
Was vor Kummer hatte nicht dich, mein Vater, stets gebunden,
Bis du unverhoft den Siz in der armen Stadt gefunden,
Die dich bey nun dreißig Jahren in der Stille mäßig nährt
Und dir bei so schweren Zeiten, was du nöthig brauchst, bescheert.
Hätten Ehrsucht, Geiz und List die Begierden eingenommen,
Vor wie vielen wärestu da und dort ans Bret gekommen.
Hättestu mit krummen Räncken nach des Nachbars Gut geschnappt,
Hättestu wohl auch wie mancher Naboths Weinberg leicht ertappt.
Deine Kunst thut in der Still mit Geringem größre Curen
Als ein Prahler öfentlich, der mit theuren Goldtincturen
Und berühmten Polychresten Gruft und Beuthel täglich füllt
Und bey denen, die bald glauben, mehr als Paracelsus gilt.
Aber ach, was hastu viel von der Ehrligkeit im Heilen?
Pflegt man dir zur Perlenmilch ganze Schnuren mitzutheilen?
[209]
Bringen deine schwarze Tropfen, ob sie noch so kräftig sind,
Dir wie andern gelbe Raben? Nein. Was fehlt? Du machst nicht Wind.
Mache Wind und schwöre drauf; schneide, weil das Fieber währet;
Gieb den Bademüttern Recht, tröste, bis die Seel entfähret;
Koche fremde Tränck und Säfte, kostet's auch die lezte Ruh;
Röchelt schon der Tod im Munde, sez ihm nur mit Julep zu.
Säume, daß sich die Gefahr nur so spät als möglich lege;
Ist sie aber noch nicht da, gut, so bringe sie zuwege.
Schreib den Bezoar von Eyern vor ein Wunderpulver an
Und versprich der jungen Frauen ehstens einen beßern Mann.
Diese guldne Practica baut auch Pfuschern Haus und Wagen,
Diese macht, daß Jung und Alt nach dem großen Doctor fragen,
Welcher in dem naßen Zeichen Lung und Leber schwimmen sieht
Und mit seinem Bracatabra Würmer aus den Nieren zieht.
Nein, dein allzu ehrlich Herz flucht auf solche Klugheitsstreiche
Und begehrt nur, daß sein Brodt ohne Schulden täglich reiche.
Hastu doch wohl eh den Armen, die dein Fleiß umsonst geheilt,
Nicht mit Pharisäerhänden Brodt und Waßer mitgetheilt.
Friede, Demuth, Nüchternheit sind dir angebohrne Gaben;
Wenn der Magen und der Soff manchen in die Federn graben,
Stehstu schon bey deinen Bäumen mit gesund- und starcker Lust,
Bis du denn die Patienten auch noch früh besuchen must.
Und da sinckt dein wüster Kopf niemahls bei dem Kranckenbette,
Wie ich weis, daß Calidor noch bis heut zu laufen hätte,
Wenn er nicht mit truncknen Händen vor den Hals das Kinn berührt
[210]
Noch des Apotheckers Unschuld mit berauschter Schrift verführt.
Dein Verstand, dein Christenthum und dein unverlezt Gewißen
Werden dich zwar ohne mich in dem Jammer trösten müßen;
Dennoch kan dir mein Erinnern auch wohl etwas Trost verleihn,
Fällt doch oft den grösten Weisen in der Angst nicht alles ein.
Da du stets und überall recht geglaubt und wohl gehandelt
Und, so viel ein Mensch vermag, dem Geseze nachgewandelt,
Kan der Vorwiz nicht begreifen, welcher Grund des Höchsten Macht,
Der doch stets die Seinen schüzet, wider dich in Zorn gebracht.
Vor so viel getreuen Fleiß, den du allzeit angewendet,
Da du oft den besten Schlaf auf so vieler Ruh verschwendet,
Ist dein Vortheil ziemlich mager und der Arbeit selten gleich.
Unterdeßen schien der Schickung dies dein Armuth noch zu reich;
Den durch einunddreyßig Jahr schlecht genug erworbnen Seegen
Muste kaum ein halber Tag plözlich in die Asche legen.
Da doch wohl kein Scherf mit Unrecht Kalck und Stein zusammenhielt,
Welche die geschwinde Flamme fast bis auf den Grund durchwühlt,
Hebe dein betrübtes Haupt und ermuntre das Gesichte
Und vertiefe dich nur nicht in die heimlichen Gerichte,
Die der Rath der heilgen Wächter täglich zu bewundern giebt,
Sondern las es dir gefallen, weil Gott auch im Schlagen liebt.
Das Verhängnüß ist ja nichts als der Schluß vom höchsten Wesen,
Der die Fälle würcklich macht, die die Weißheit schon erlesen,
[211]
Als sie unter allen Dingen durch den ewigen Verstand
Diesen Weltbau, den wir schauen, überhaupt vor gut befand.
Freylich sah Gott auch vorher, was vor Schmerzen, Last und Bürden,
Elend, Sünden, Wuntsch und Flehn in die Reiche kommen würden,
Freylich sah er dieses alles und erwog zugleich dabey,
Daß der Mangel in den Theilen zu dem Ganzen nöthig sey;
Und so hat er auch dein Creuz vorgesehn und zugelaßen
Nach der weisen Gütigkeit, die gewis nicht alle faßen.
Durch dergleichen scharfe Proben, die er nur den Frommen gönnt,
Macht er, daß die Liebesflamme nach dem Himmel stärcker brennt.
Las die Spötter immerhin deine Gottesfurcht verlachen,
Las sie sich vollauf erfreun und in Sodom lustig machen,
Die Gefahr verfolgt ihr Schwelgen, Fall und Tod sind ihr Gewinn,
Und mit diesen Wollustknochen ist ihr ganzer Lohn dahin,
Naht sich doch ihr Ende schon, und das nehmen sie mit Schröcken.
Gott, was wird dein großer Tag dort vor Unterscheid entdecken!
Gott, was wird bey solchen Thoren, die so blind in Abgrund gehn,
Vor Verwundrung, Angst und Zagen und verlorne Reu entstehn!
Des Gerechten Freudigkeit, den sie hier so grausam plagen,
Wird ihr höhnisch Angesicht wie der Bliz zur Erden schlagen,
Und die Seeligkeit der Frommen nebst der Klarheit um ihr Haupt
Wird den Narren endlich zeigen, was sie nimmermehr geglaubt.
Freue dich der Herrligkeit, die den auserwehlten Seelen
Glanz und Unschuld wiedergiebt, wenn sie in den Marterhöhlen
[212]
Die Gedult genug bewiesen und mit viel Gebeth und Flehn
Hier aus Babels Sclavenhäusern dort nach Salem hingesehn.
Dorthin, treues Vaterherz, spart mein unverfälscht Gemüthe
Das verdiente Wiedergelt vor die Treue, vor die Güte,
Vor Ermahnung, Rath und Strafe, vor Gedult, vor manche Nacht,
Die ich auch der liebsten Mutter in der Kindheit lang gemacht.
Ach, mit was vor Zärtligkeit, Ehrfurcht, Jauchzen und Verlangen
Will ich dort euch beiderseits vor des Lammes Stuhl empfangen
Und im Chore vieler Tausend, die in weißen Kleidern stehn,
Als der Erstling eurer Liebe Gottes Lob an euch erhöhn.
Kümmre dich nur weiter nicht, wenn mich Haß und Neid verschwärzen;
Mein Gemüthe bleibet starck und behält die Ruh im Herzen,
Weil es auf die Wißenschaft mehr als Stand und Reichthum hält
Und ihm nichts als Gott und Warheit und des Nechsten Wohl gefällt.
Vater, wilstu noch an mir deines Alters Stab zerbrechen?
Vater, ach, bedenck es doch! Ach, was wird die Langmuth sprechen?
Vater, denckt denn deine Liebe gar an keine Wiederkehr?
Ach, ich bitte deinetwegen, mach uns nicht das Sterben schwer!
Las den demuthsvollen Kuß die Versöhnung wiederbringen;
Denn darauf, ich weis gewis, wird mir alles wohlgelingen.
Ich verspreche dir die Freude, die der Eltern Creuz versüßt,
Wenn das Wachsthum guter Kinder ihres Nachruhms Spiegel ist.
Deinen Seegen, dein Gebeth schäz ich über große Güter;
Dieser Beyfall, dieser Ruhm, den die ehrlichsten Gemüther
Deiner Frömmigkeit ertheilen, ist ein Vorzug, der dich ehrt
[213]
Und auch mir als deinem Sohne durch das Erbgangsrecht gehört.
Es ist niemahls mein Gebrauch, große Dinge zu begehren
Noch des Himmels mildes Ohr mit viel Wüntschen zu beschweren,
Weis doch dieser selbst am besten, was die Nothdurft haben will:
Giebt er mir dein Herz bald wieder, schweig ich gern zu allem still.

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