[51] An seine Schöne

So wenig eine junge Rebe
Des Ulmbaums Hülfe mißen kan,
So wenig ficht der Neid mich an,
Daß meine Brust dir Abschied gebe.
Mein treues Herz ist ein Magnet,
Der nur nach einem Pole steht,
Dein Nordstern leitet meine Liebe;
Ich leb und sterbe dir getreu,
Wenn gleich der Schickung Tyranney
Mich heute noch ins Elend triebe.
Eröfne mir das Feld der Brüste,
Entschleus die wollustschwangre Schoos,
Gieb mir die schönen Lenden blos,
Bis sich des Monden Neid entrüste!
Die Nacht ist unsrer Lust bequem,
Die Sternen schimmern angenehm
Und buhlen uns nur zum Exempel;
Drum gieb mir der Verliebten Kost,
Ich schencke dir der Wollust Most
Zum Opfer in der Keuschheit Tempel.
Die Zeit kommt nimmermehr zurücke,
Wenn sie schon einmahl sich verkreucht,
Und die Gelegenheit entweicht
In einem kurzen Augenblicke.
Wer weis, wer dich in einer Frist
Von vierundzwanzig Wochen küst.
Wie bald kan mich ein Stahl entleiben,
Dann wird dein angenehmer Mund,
Der meiner Sehnsucht ofen stund,
Mit andren sich die Zeit vertreiben.
Jedoch soll mich der Tod entreißen,
Du aber meine Leiche sehn,
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So soll mir doch der Wuntsch geschehn,
Dir in der Gruft getreu zu heißen;
Mein Blut soll dir beständig seyn,
Und meines Cörpers Leichenstein
Wird diese Grabschrift nie verlieren:
Hier schläft, mein Kind, dein ander Ich,
Dem wenig, glaub es sicherlich,
Den Preis der Redligkeit entführen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. An seine Schöne [3]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-259E-C