[188] Abschiedsgedancken bey Gelegenheit einiger schweren Leibeszufälle

Bey so nahen Todeszeichen
Zittert meine Schwachheit nicht;
An der Seite kalter Leichen
Weis ich, daß mein Joch zerbricht.
Andre mögen schwizen liegen
Und vor Zagheit kläglich schreyn,
Ich erblicke mit Vergnügen
Den erwüntschten Abendschein.
Müder Geist, hör auf zu klagen,
Kampf und Lauf sind bald vollbracht;
Die Empfindung aller Plagen
Schwindet in der lezten Nacht,
Wo mich kein Verfolger dränget,
Wo mich keine Furcht mehr schröckt,
Die sich hier in alles menget
Was noch etwan Lust erweckt.
Strebe nun nicht mehr nach Dingen,
Die ein eitler Wuntsch begehrt;
Was wir außer uns erschwingen,
Ist vorwahr der Müh nicht werth.
Las die Sehnsucht, viel zu wißen,
Nebst der Ruhmbegierde fliehn;
Die Gewalt von höhern Schlüßen
Läst dadurch dein Glück nicht blühn.
Glaube nur, auf deine Bitte
Wird kein Zeiger rückwärts gehn,
Und des morschen Leibes Hütte
Kan so lange nicht mehr stehn.
Feuer, Muth und Kraft verrauchen,
Und indem ich klüger bin,
Zeit und Jugend erst zu brauchen,
Sind sie wie ein Schatten hin.
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Was verzögerstu so lange?
Reiß dich doch mit Großmuth los!
Macht dir so ein Wechsel bange?
Die Verändrung ist zwar groß;
Doch beherzt! aus diesem Leben
Ist in jenes nur ein Schritt,
Und du kanst dich froh erheben,
Weil die Weißheit mit dir tritt.
Diese lies dich oftmahls hören,
Wie man ruhig sterben kan;
Dir gefielen ihre Lehren,
Wende sie zum Vortheil an!
Zeige, wie vorher im Leide,
Daß dein unerschrockner Muth
Dich vom Pöbel unterscheide,
Der am Ende kläglich thut.
Wohl, mein Geist, ich seh und mercke
Deines Glaubens Zuversicht
Nebst der ungemeinen Stärcke,
Die schon aus dem Kercker bricht.
O welch innerlich Ergözen
Macht mich erst im Tode reich!
Der Genuß von allen Schäzen
Kommt der Wollust wohl nicht gleich.
Fleuch, mein Geist! Nein, bleib und säume,
Bis noch eine Lebenspflicht
Durch den Abschied kurzer Reime
Von dem lezten Willen spricht.
Ihr Verleumder dürft nicht lachen,
Daß mein Hausrath Armuth ist;
Günther kan noch was vermachen,
Warum wär er sonst ein Christ?
Schöpfer, nimm mein Blut und Leben,
Nimm das anvertraute Pfund,
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So du mir an Wiz gegeben,
Und gedenck an deinen Bund.
Wuchert gleich mein Fleiß im Kleinen,
Ist er dennoch hoch gebracht,
Wenn sein Beyspiel auch nur einen
In der Warheit fest gemacht.
Held, auf den ich mich verlaße,
Richter, Schaz und Seelenfreund,
Den ich brünstiger umfaße,
Als wohl niemand denckt und meint,
Nimm, was du dir selbst erlesen,
Nimm und heb mein Schuldbuch auf!
Will es ja die Rache lesen,
O so blute vor darauf!
Geist des Trostes und der Gnade,
Die mir liebreich nachgeeilt
Und im ersten Sündenbade
Schon die Seeligkeit ertheilt,
Lege meines Glaubens Siegel,
Leg es zur Verwahrung bey,
Bis es dort auf Salems Hügel
Meiner Stirne Brautschmuck sey.
Buße, fang mit milden Thränen,
So mir jezt in Augen stehn
Und mit wehmuthsvollem Sehnen
Zur Erbarmung opfern gehn.
Kan sie deine Hand nicht faßen,
Suche des Erlösers Grab,
Der sein Schweißtuch hinterlaßen;
Dieses trocknet alles ab.
Euch, ihr Sünden meiner Jugend,
Ohne die so leicht kein Mann
Weder zu Verstand noch Tugend
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Auf der Welt gelangen kan,
Euch Gefehrten grüner Jahre
Schenck ich der Vergeßenheit,
Die mit euch in Abgrund fahre.
Ach, wie dauret mich die Zeit!
Feinden, welche meinem Schmerze
Mit Gespötte zugesehn,
Las ich mein versöhnlich Herze
Statt der Rache vor ihr Schmähn;
Freunden, die sich nur so schreiben
Und von Joabsbrüdern sind,
Soll mein Creuz und Kummer bleiben,
Bis die Beßrung Kraft gewinnt.
Herz und Adern wollen springen,
Da ich halb verzweiflungsvoll
Durch kein Flehn noch Händeringen
Dich, mein Vater, rühren soll,
Dich, mein Vater, deßen Güte
Durch des Aberglaubens List
An dem redlichsten Gemüthe
Zur Tyrannin worden ist.
Unterdeßen will ich schweigen
Und nach meinen Pflichten thun.
Läst mich dein erhizt Bezeigen
Auch nicht in der Grube ruhn,
So erwarth ich deine Liebe
In der Ewigkeit aufs neu
Mit dem Wuntsche reiner Triebe,
Daß dein Tod ohn Unruh sey.
Breßler, Kluge, Scharf und Mencke,
Haben mehr an mir gethan,
Als ich kaum, wie weit ich dencke,
Ihnen Lob erfinden kan.
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Väter armer Pierinnen,
Seyd zufrieden, wenn mein Geist,
Euer Mitleid zu gewinnen,
Einen Blick voll Ehrfurcht weist.
Du mein Unglück auf der Erden,
Allerliebste Redligkeit,
Die du mich bey viel Beschwerden
Gleichwohl als mein Schaz erfreut,
Geh nun aus der Marterkammer,
Aus der Höhle meiner Brust,
Da du dir zum grösten Jammer
Allzeit selber schaden must.
Geh und suche beßer Glücke
Und ein würdig Haus vor dich!
Sieh nur, was ich schon erblicke:
Beuchelts Herz eröfnet sich.
Zeuch allhier mit meinem Seegen
Und mit der Versichrung ein,
Günther hofe deinetwegen,
Seiner Freundschaft werth zu seyn.
Treuer Candor in der Ferne,
Der du mich zuerst gelehrt,
Was zur Wißenschaft der Sterne
Und zur Seelenruh gehört,
Dir bescheidet meine Baare,
Die kaum sechsundzwanzig zehlt,
Jenen Rest der Lebensjahre,
Der mir noch zum Alter fehlt.
Was ich etwan noch vor Gaben
In der Armuth übrig weis,
Sollt ihr drey Vertrauten haben:
Hofnung und Gedult und Fleiß.
Brüder, last euch diese führen
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Und erhebt euch in die Welt,
Bis dadurch auch mein Studiren
Erst in euch den Lohn erhält.
Aber, ach, welch zärtlich Weinen
Zieht mir jezt das Herz empor?
Kommen Seufzer aus den Steinen?
Oder teuscht ein Traum mein Ohr?
Phillis schwebt mir in Gedancken,
Phillis, das getreue Kind.
Jezo will die Großmuth wancken,
O was Hofnung geht in Wind!
Phillis, die mich lieben würde,
Wenn mein Elend noch so schwer
Und die ärmste Schäferhürde
Ihre Morgengabe wär,
Phillis, die an Geist und Gliedern
Gleiche Kraft und Schönheit trägt
Und, die Treue zu erwidern,
Sich schon kranck darnieder legt.
Holde Liebe, sey geseegnet!
Geh zur Phillis, sprich ihr zu,
Daß sie, wenn ihr Antliz regnet,
Nur nicht gar zu heftig thu.
Sprich, ihr Herz und Angedencken
Hab ein großes Theil von mir;
Wird man denn auch sie versencken,
Sterb ich noch einmahl in ihr.
Sage, du begrifne Leyer,
Wem ich dich vermachen darf.
Tausend wüntschen dich ins Feuer,
Denn du raßelst gar zu scharf.
Soll ich dich nun lodern laßen?
Nein; dein niemahls fauler Klang
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Lies mich oft ein Herze faßen,
Und verdienet beßern Danck.
Soll ich dich dem Phoebus schencken?
Nein; du bist ein schlechter Schmuck,
Und an Helicon zu hencken,
Noch nicht ausgespielt genug.
Opiz würde dich beschämen,
Flemming möchte widerstehn;
Mag dich doch die Warheit nehmen
Und mit dir hausieren gehn.
Auf, mein Geist! Nun fällt der Kummer
Eher, als du selbst geglaubt.
O was vor ein sanfter Schlummer
Warthet auf mein müdes Haupt.
Stolzer Neid, hör auf zu pochen,
Oder, bistu noch nicht satt,
O so friß an meinen Knochen
Und verschone dieses Blat!

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Landeshut Oktober 1721 - Jena 15. März 1723. Abschiedsgedancken. Abschiedsgedancken. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-25CB-4