[Phoebus, wehre der Gewalt und beschüze deine Kinder]

[87] Auf Herrn Tzaschels frühes Absterben


Phoebus, wehre der Gewalt und beschüze deine Kinder
Oder nenne dich nicht mehr der gesunden Kunst Erfinder.
Hastu weder Kraut noch Pflaster? Warum legt dir das Geschrey
Der vor diesem großen Dichter einen falschen Titul bey?
Jezt beweise, wer du seyst. Siehestu nicht auf den Bergen
Einen Wald voll Ungemach, ein Gedränge von den Särgen?
Lästu denn den frechen Parzen noch dergleichen Unfug zu,
Daß ihr Rocken deinem Scepter so verwegen Eingrif thu?
Hänge doch dein Harfenspiel an die halb verwaisten Linden,
Die es warlich nicht verdient, daß sie Brand und Gift empfinden.
Häng es mit verkehrten Saythen und betrübten Fingern auf
Und verlängre deinen Söhnen den verkürzten Lebenslauf.
Dir zu Schimpfe, gieb nur Acht, sieht man einen nach dem andern
Von dem vollen Helicon in das Thal des Todes wandern.
Säumstu dich noch etwas länger, ey, so wird dein schöner Hayn
Auf den wüsten Musenhügeln deiner Schande Schauplaz seyn.
Nimm doch nur das Elend wahr, wie die Pierinnen schmachten,
Wie das Fieber und der Schlag Mittel, Hülf und Rath verachten,
Wie die bleich- und blauen Lippen von dem blaßen Schaume blehn
Und die eingefallnen Augen schon in jenes Leben sehn.
Unruh, Feuer, Kält und Schweiß foltern die gelähmten Glieder,
Die Verwirrung hebt das Haupt und die Ohnmacht schlägt es nieder.
Jener sagt mehr, als er denckt, dieser fühlt nicht, was er fühlt,
Da der dritte mit den Fingern und den feuchten Federn spielt.
Dieser wehret sich umsonst in des Todes kalten Armen;
Jener liegt im Qualme still und vermehret das Erbarmen.
Hier beklagt sich eine Seele, daß sie nicht entfliehen darf;
[88]
Denn das Band des zähen Fleisches hält und hemmt sie gar zu scharf.
Ärger sieht es nirgends aus, und es herrscht kein solches Grauen
Um die erste Frühlingszeit auf den blumenreichen Auen,
Wenn ein starckes Nachtgewitter die noch gestern frische Pracht,
Die so bunt gemischte Farben unverhoft zu Schanden macht.
Denn da liegt der bunte Klee auf den abgekehrten Rasen,
Blätter, Blüthe, Lust und Graß scheinen gleichsam weggeblasen,
Und die übergoßnen Triften weisen durch des Himmels Neid
Auf den halb zerknickten Stengeln Bilder der Vergängligkeit.
Welchen Fremdling dauret nicht, liebt er anders Kunst und Tugend,
Ein so früher Untergang der bey uns gelehrten Jugend,
Die so mancher Mutter Thräne, die so manches Vaterland
(Aber nicht in solcher Hofnung) unserm Leipzig zugesand.
Edles Görliz, nimm vorlieb, daß wir mit bewegten Blicken,
Daß wir dir vor deinen Sohn nichts als Klagen wiederschicken.
Das Verhängnüß holt ihn weiter und entführt ihn deinem Flehn,
Welches ihm in jenen Gränzen schon die Ruhstatt ausersehn.
Du verlierest viel an ihm, und wir sind betrübte Zeugen,
Was vor Weißheit, Fleiß und Kunst mit ihm leider abwärts steigen.
Themis zog ihn ihr zu Ruhme und durchflocht ihm selbst das Haar,
Das wohl eines beßern Kranzes als des heutgen würdig war.
Nun erlaub uns, Seeligster, noch mit dir ein Wort zu sprechen.
Was bewegt dich wohl, das Band unsrer Freundschaft zu zerbrechen?
Was bewegt dich? Deine Falschheit? Nein, der Himmel. Ach, wohlan,
Thut es deßen kluger Wille, o so ist es wohl gethan.
Du erlernst auf einen Tag mehr, als einsmahls sieben Weisen,
[89]
Mehr, als Socrates gethan, mehr, als Plato auf den Reisen
Durch Egypten eingesammlet, mehr, als Bald und Bartolus,
Wenn der Tod sein Recht verfolget, auf der Welt vergeßen muß.
Dein so früh entrißner Geist übt sich vor des Lammes Stuhle
An der Weißheit jenes Lichts vor der rechten hohen Schule.
Hier verlacht er alles Stückwerck unsrer blinden Wißenschaft
Als ein Blendwerck ohne Wesen und ein Schaubrodt ohne Kraft.
Deinen Leichnahm dürfen wir durch kein köstlich Holz verbrennen,
Denn du wirst den kleinen Rest doch der alten Mutter gönnen.
Wir besprengen deine Baare mit der Saat der Traurigkeit.
Nimm die ausgepreßten Thränen als das Pfand vergangner Zeit.
Einen Wuntsch bedarfstu noch, nehmlich vor die morschen Beine:
Es verstöre sie kein Fall unter ihrem Leichensteine,
Und der Staub des mürben Fleisches ruh auch in zertheilter Luft,
Bis ihn einst der Mund der Allmacht hier und dort zusammen ruft.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. [Phoebus, wehre der Gewalt und beschüze deine Kinder]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-260D-8