[192] Schreiben an seine Leonore

Von Breßlau A. 1719. den 22. Decembr.


Ach Kind, ach liebstes Kind, was war das vor Vergnügen!
Der Himmel geb uns doch dergleichen Nächte viel
Und las uns so vertraut bis an das lezte Ziel
Mit Brust und Geist vermehlt in Eintrachtsbanden liegen;
Denn außer jener Welt und ohne diese Lust
Ist doch wohl der Natur kein größrer Schaz bewust.
Wir spielen unverstört mit Redligkeit und Küßen,
Wir haben gleichen Sinn, wir wüntschen einerley,
Sind Sclaven süßer Macht, und niemand lebt so frey;
Wir schwazen, daß uns auch die Worte mangeln müßen,
Wir schencken uns an uns und nähmen, könt es seyn,
Als Seelen wahrer Treu nur einen Cörper ein.
Uns darf kein Modebrief kein Ehverlöbnüß stiften,
Kein Kuppler und kein Geld verbindet unsre Glut,
Dein Mahlschaz ist mein Herz, dein Herz mein Heiratsgut
Und unser beider Ruhm die Dichtkunst meiner Schriften,
In welchen Lieb und Scherz so lange Lob gewinnt,
Als Kunst und Wißenschaft in Deutschland fruchtbahr sind.
Wir haben unsern Bund die Zeit bewähren laßen;
Vor dich ist auf der Welt kein beßrer Mann als ich,
Ich find auch auf der Welt kein treuer Weib als dich,
Wir müsten sonder uns das beste Leben haßen;
Da, wo ich dich nicht seh, da ist mir alles leer,
Und wenn es auch der Schwarm des grösten Hofes wär.
Versuchte mich Eugen und böthe mir der Kayser
Vor dich, du frommes Kind, Gold, Thron und Purpur an,
So spräch ich, wie ich dir mit Warheit schwören kan:
Ich ehre, großer Held, die vielen Siegesreiser,
Ich weis auch, großer Carl, was Macht und Cronen sind –
Behaltet, was ihr habt, und last mir nur mein Kind!
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Geseegnet sey der Tag, geseegnet sey die Kammer,
Der unsern Bund gesehn, die unsern Kuß gehört!
Wer jenen durch Verdruß und die mit Fluch entehrt,
Dem mach ein böses Weib den Ehstand voller Jammer.
Geseegnet sey auch gar der Kummer und der Neid,
Der wegen deiner Gunst mir manchen Stoß verleiht!
O könt ich doch, mein Kind, in allen Sprachen dichten
(So wüntsch ich dann und wann wie einst Petrarchens Mund),
So thät ich deinen Werth den meisten Ländern kund,
So lies ich jedes Volck von unsrer Liebe richten;
Die Klügsten würden sehn, wie zärtlich meine Treu,
Wie redlich meine Brust, wie rein dein Herze sey.
Ich thu, so viel ich kan, dein Denckmahl auszubreiten,
Um bey der späten Welt durch deinen Ruhm zu blühn;
Wie mancher wird noch Trost aus meinen Liedern ziehn,
Wie manchen wird mein Vers zur süßen Regung leiten!
So merck ich, wenn mein Mund der Alten Arbeit list,
Daß unsre Liebe schon vordem gewesen ist.
Was hat wohl unser Wuntsch mehr auf der Welt zu suchen,
Und welches Glück ist noch wohl unsers Neides werth?
Wenn mir des Himmels Huld dich vollends ganz gewährt,
So wüte Feind und Groll, so mag der Spötter fluchen;
Drey Dinge sind mein Trost: Gott, Wißenschaft und du;
Bey diesen seh ich stets den Stürmen ruhig zu.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Schreiben an seine Leonore. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2652-C