[171] [185]Jena Oktober 1722 – 15. März 1723

Zufällige Gedancken von dem Nuzen oder Lust der Büchersaale, als Herr Christian Gottlieb Buder zum Bibliothecario der Universitätsbibliothec zu Jena ernennet wurde.

Im Nahmen anderer.

Ein Kopf, der von Geburth mehr Spreu als Grüze führt
Und keinen edlen Trieb zur wahren Weißheit spürt,
Vergaft sich wie ein Kind an Farben, Glas und Schalen
Und lernt und schmiert nur, was der Einfalt herzuprahlen.
Sein Fleiß, der als ein Wurm in allen Schwarten wühlt
Und wie ein Journalist mit fremdem Wißen spielt,
Läst Schranck und Cabinet mit tausend Titteln zieren,
Sinnt mehr auf Band und Schnidt als auf die Seeligkeit
Und macht sein Mutterblech, wie Laws die güldne Zeit,
O theurer Bücherkauf, zu Schulden und Papieren.
Dies und ein leeres Herz von Einsicht, Lieb und Treu
Ist überhaupt der Zins gelehrter Schwelgerey.
Und Hobbes hat fast recht: Wofern er mehr gelesen,
So wär er, wie er spricht, mit andern blind gewesen.
Wohl, wer Gehirn und Sinn mit so viel Wind beschwert,
Der muß wie jeder Leib, den Fraß und Sof verzehrt,
Im stolzen Bauche Schwulst, im Schedel Schwindsucht mercken.
Zwey Bücher sind genug: die Biebel und die Welt;
In beiden öfnet sich ein weit und fruchtbahr Feld,
Die Kräfte des Gemüths, so viel man braucht, zu stärcken.
Recht so! fängt augenblicks ein junger Momus an,
Dem nechst noch vom Orbil das Leder weh gethan,
Recht so! Was Hencker nüzt der ganze Musenplunder?
Pack ein, verworrnes Volck! Vom Maro brenn ich Zunder,
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Vom Plato Fidibus. Ja, wenn auch ohngefehr
Der Schaz von Heydelberg in meiner Beute wär,
Raqueten macht ich draus und kochte Chocolade.
Ein Quintchen Mutterwiz gilt – – Sachte, guter Freund!
Der Saz war eben nicht so bös und starck gemeint;
Ein Narr verschüttet nur das Kind mitsamt dem Bade.
Der Misbrauch wird gekämmt; sonst bleibt es wohl darbey,
Daß nach dem Heiligsten kein Ort so heilig sey,
Als wo die Freyheit herrscht und wo so Bild als Schriften
Den Weisen aller Zeit ein ewig Denckmahl stiften.
Der Bau von Babylon, des Louvre Kunst und Pracht
Und was Versailles schön, Fuscatti reizend macht,
Muß gegen diesen Plaz sein Lob beschämt verheelen.
Egyptens weiser Fürst erkandte schon den Werth
Und schrieb, so gut es hier ein deutscher Mund erklärt,
An seinen Büchersaal: Hier wohnt die Cur der Seelen.
Gewis, ein stiller Geist, den manch Verhängnüß trift,
Erlangt hier in der That vor aller Sorgen Gift
An Büchern rechter Art die Art der Contrajerve;
Ja, was noch mehr? hier steht das Zeughaus der Minerve,
Vor welchem Zeit und Tod schnell flieht und blaß erschrickt,
So bald ihr scheeler Grimm der Wafen Glanz erblickt,
Der Wafen, die ihm hier die Spize glücklich biethen.
Die Eitelkeit wird selbst zur Eitelkeit gemacht
Und durch der Warheit Sieg um diesen Ruhm gebracht,
Als könte sich vor ihr auf Erden garnichts hüten.
Saul fragt den Samuel mit Sünden in der Gruft.
Hier schwermt kein Zauberlied, das Geister wieder ruft;
Doch kan man, ohne Furcht, den Fluch mit wegzutragen,
Die Todten allemahl um Hülf und Antwort fragen.
Hier giebt die Klugheit Rath und braucht den Dreyfuß nicht;
Hier ist Dodonens Hayn, der ohne Räthsel spricht,
Hier tritt die Weißheit auf und zeigt von Jahr zu Jahren,
Wie oft sie da und dort, vom Ganges bis an Belt,
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Geflohn, geblüht, gekämpft, gelidten, sich verstellt
Und allzeit im Triumph den Erdkreiß umgefahren.
Der Reiche Grund und Fall, der Sitten Unterscheid,
Der Sprachen Eigenschaft, der Tugend Ehrenkleid,
Der Laster böser Lohn, der Handgrif im Erfinden
Und was Natur und Kunst theils zeugen, theils ergründen,
Was Memphis, was Athen, was Rom, Groß-Griechenland,
Was Salem, was Bysanz, die Thems, der Cimberstrand
Gethan, gelehrt, geglaubt, gemeint, gewust, gelogen,
Das kommt, das sammlet sich, das lebt, das dauret hier
Auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier
Und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen.
O sichres Paradies! Wie seelig lebt ein Mann,
Der in gelehrter Ruh die Welt verlachen kan
Und, wenn ihn Wuntsch und Weg vom Pöbel unterscheidet,
Die Augen der Vernunft an deiner Unschuld weidet.
Er nimmt bey Unmuth, Gram, Verfolgung und Gefahr
Mit Ehrfurcht, Nuz und Lust der Väter Beyspiel wahr,
Und kein Erkäntnüßbaum ist ihm hier mehr verbothen;
Er kostet und gesteht, daß Juppiters Confect
Und Ganymedens Trunck bey weitem nicht so schmeckt
Als so ein stumm Gespräch im Reiche weiser Todten.
Ein solch vergnügtes Reich, worin kein Praetendent
Durch List und fremde Macht das Band des Friedens trennt,
Wird von Salinens Huld, nach der wohl hundert streben,
Auch dir, gelehrter Mann, zur Herrschaft übergeben.
Dies Amt hat freylich nicht der Cronen Werth und Last
Und doch auch seine Müh, womit du nöthig hast,
Des Phoebus Staat und Schaz zu beßern und zu mehren.
Die Müh steckt selbst voll Lohn. Denn da der Pallas Hand
Zu solcher Bürde dich vor starck genug erkand,
So übereilt sie schon an dir den Fleiß mit Ehren.
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Dein Ansehn und Verdienst grünt so schon am Parnaß.
Wie manch gelehrter Narr kriecht mit der Kunst ins Faß
Und will, an statt sein Pfund mit Wucher zu entdecken,
Wie dort Diogenes im Finstern Grillen hecken.
Du hast dich längst gezeigt, du folgst dem Haufen nicht,
Das Feuer deiner Brust giebt Brief- und Siegeln Licht,
An dir wird Mabillon in Deutschland neu gebohren.
Ein zärtlicher Geschmack und Urtheil sonder Neid
List, überlist und schäzt das Werck, wodurch die Zeit
An deines Fürsten Ruhm ihr ganzes Recht verloren.
Wie oft versüßt uns nicht dein Mund das Mittagsmahl!
Dein Haupt, gelehrtes Haupt, ist selbst ein Büchersaal,
Dem weder Seltenheit noch Maas noch Ordnung fehlet
Und deßen Menge sich mit Gründligkeit vermehlet.
Die Muschel voller Lust, in welcher Venus liegt,
Geht deinen Lippen nach, worauf sich Svada wiegt;
Und kurz, dein ganzes Lob in einen Punct zu faßen:
Den groß- und theuren Struv, der recht zu schäzen weis,
Ergözt und fängt und hält dein Herz, dein Geist, dein Fleiß.
Wer so ein Schooskind ist, den hat der Neid gut haßen.
Als Rom sich noch in Rom, das ist in Freyheit fand,
Beschenckte nach Gebrauch der Freunde Wuntsch und Hand
Den andern, den die Wahl zum Ehrenamt erhoben.
Dies Blat ist auch ein Kind von solchen Freundschaftsproben;
Doch sieh, es ist kein Blat; es ist was mehr. Nimm hin
Das Buch der Redlichen, die Opfer, Herz und Sinn
Noch schärfer an dein Herz als in die Reime binden.
Nun las, wenn deine Pflicht am Musenhügel baut,
Sich auch forthin fein bald mit einer schönen Braut
Den treuen Liebeskuß zu deinen Büchern finden.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. [Ein Kopf, der von Geburth mehr Spreu als Grüze führt]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2669-9