[275] An eben dem vorigen Feste

Evangel. Luc. XIX. v. 12. etc.

Text

Ein Fürst zog in ein fernes Land
Mit seinen Kriegesheeren,
Um, wenn er da ein Reich erlangt,
Mit Siegen heimzukehren.
Zehn Knechten gab er auch zehn Pfund
Und sprach: Da könt ihr handeln
Und bis zu meiner Wiederkunft
Nach Nuz und Vortheil wandeln.
Er war kaum fort, so fingen ihn
Die Bürger an zu haßen
Und wollten sich hinfort nicht mehr
Von ihm beherrschen laßen.
Er kam zurück und foderte
Die zehn bestellten Knechte,
Damit er nunmehr den Gewinn
Von jedem wißen möchte.
Der erste kam und brachte seins
Nebst zehn erworbnen Pfunden.
Ey, sprach der Herr, du frommer Knecht,
Du bist getreu erfunden,
Und da du dies im Kleinen zeigst,
So nimm auch größre Gaben,
Zehn Städte solstu unter dir
Und zur Regierung haben.
Der andre Knecht gab auch sein Pfund,
Womit er fünf erhalten
Und kriegte von dem Herrn davor
Fünf Städte zu verwalten.
Allein der dritte kam und sprach:
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Herr, nimm dein Pfund zurücke,
Ich hab es ruhig hingelegt
Aus Argwohn vor dem Glücke.
Ich weis, du bist ein strenger Mann,
Den jeder zitternd ehret,
Du erndtest, was du nicht gesät,
Nimmst, was dir nicht gehöret.
Du Schalcksknecht, sprach der Herr im Zorn,
Dein Maul und frech Gesichte
Macht, daß ich deine Faulheit jezt
Nach deinen Worten richte.
Denn wustestu, wie streng und scharf
Wir zu verfahren pflegen,
So soltestu umdestomehr
Mein Geld zum Wechsler legen,
Damit ich, wenn ich unverhoft
Zurück nach Hause käme,
Mein dir vertrautes Hab und Gut
Mit Wucher wiedernähme.
Und sprach er zu den übrigen,
Die an der Seite stunden:
Nehmt ihm sein Pfund und gebt es dem
Mit zehn erworbnen Pfunden!
Sie sprachen: Herr, der hat ja vor.
Nein, sprach er, ihr sollt wißen:
Ein jeder, der da hat, bekommt
Noch mehrers zu genießen.
Wer nicht hat, soll auch überdies
Was er noch hat, verlieren;
Die aber, welche mich verschmäht,
Sie weiter zu regieren,
Führt her als Feinde, welche mir
Von nun an nicht mehr taugen,
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Und würgt sie noch den Augenblick
Allhier vor meinen Augen.
Lehre

Der Heiland gieng durch schweren Kampf,
Das Reich uns zu erstreiten
Und in des Vaters Herrligkeit
Die Wohnung zu bereiten.
Er lies uns Knechten Geist und Wort
Und Gnad und Buße geben,
Um bis zu seiner Wiederkunft
Dem Reichthum nachzustreben.
Dem Reichthum in der Frömmigkeit
Und an des Geistes Fülle;
Doch unser Heiland war kaum fort,
So fing der böse Wille
Verkehrter Knecht und Menschen an,
Sein süßes Joch zu haßen
Und wollte sich von ihm nicht mehr
Mit Liebe schüzen laßen.
Und dies geschieht noch Tag vor Tag.
Was wird der Herr nun sprechen?
Und wie so schröcklich wird er nicht
Den Ungehorsam rächen?
Der Tag von seiner Rückkunft eilt
Und wird nicht außen bleiben;
Wer klug ist, mag sein Pfund verthun
Und guten Wucher treiben.
Der, so sein Pfund wohl angelegt,
Wird zweyfach mehr bekommen
Wie hier der erst und ander Knecht
Von ihrem Herrn genommen.
Der aber, der durch Müßiggang
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Sein Gut und Theil vergraben,
Soll gar nichts und noch wohl dazu
Den Fluch zu Lohne haben.
Auch jene, die ihm nicht den Ruhm
Des besten Königs gonnten
Und ihn zum Fürsten über sich
Nicht weiter leiden konten,
Die wird er einmahl, wenn er kommt,
Vor so ein Widerstreben
Dem Tode, der sie ewig quält,
Mit Eifer übergeben.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. Geistliche Oden. An eben dem vorigen Feste. An eben dem vorigen Feste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-266D-1