[Wir wißen, werther Freund, daß Tugend, Kunst und Fleiß]

[151] Als der hochedle und hochgelahrte Herr, Herr Christian Adam Gorn, den 13. Octobr. An. 1718. auf der Berühmten Universität Halle in Doctorem Medicinae promovirte.

Im Nahmen zweyer Freunde.

Wir wißen, werther Freund, daß Tugend, Kunst und Fleiß
Sich durch sich selbst erhöhn und daß dein Ehrenpreis,
Auf den die Tadelsucht den Gift vergebens hauchet,
Zum Wachsthum seines Ruhms kein heilig Waßer brauchet,
Womit der Musenquell dem Phoebus zum Verdruß
In unsrer tollen Zeit viel Schedel waschen muß,
Die innerlich nur Wust und Wind und Würmer hecken
Und außen ihre Scham in Dichterlaub verstecken.
Es ist auch dieses Blat kein ausgefodert Lied,
Nachdem dein wahres Lob der Leute Schwachheit flieht,
Die, wenn sie einen Kranz vor siebzehn Thaler kaufen,
Nach Versen betteln gehn und drey Paar Schuh zerlaufen.
Doch deßen ungeacht erklärt sich unsre Lust
Am Feste deiner Kunst so wohl in Schrift als Brust,
Weil Lieb und Redligkeit, so schön sie heimlich brennen,
Bisweilen auch mit Recht ein Zeichen fodern können.
Wenn aber könte dies von uns so gut geschehn,
Als da wir dein Verdienst im Purpur glänzen sehn
Und nunmehr auch an dir als unserm Freund erfahren,
Daß Lohn und Arbeit stets sich unumgänglich paaren?
Und obgleich manches Pferd den Sattel kaum verdient,
Das Unkraut wie der Weiz, ja, oft noch fetter grünt,
Der Esel Gold und Sammt, die Schweine Perlen tragen
Und Pfuscher insgemein auch Ehr und Ruhm erjagen,
Ja, obgleich Cunz und Marx, die wohl nicht mehr verstehn
Als etwan, wie viel Gran auf einen Scrupel gehn,
Ein einziges Recept vor jede Kranckheit geben
Und doch das große D. aus Weiberschürzen heben,
So stiehlt der Misbrauch doch der Warheit keinen Werth,
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Die wie ein strenger Bliz durch Nacht und Wolcken fährt,
Der Thorheit Larven bleicht, die Eulenaugen schröcket
Und die, so würdig sind, der klugen Welt entdecket
Und so wie dich verklärt. Ist irgend eine Kunst,
In welcher Thorheit, Zanck, Verwirrung, Haß und Dunst
Und Wahn und Vorwiz herrscht, so ist es in den Schulen,
Wo Bader und Balbier mit Meditrinen buhlen
Und Hencker und Soldat und alles Lumpenpackt
Dem emsigen Galen Genuß und Ruhm bezwackt
Und Weiber, die einmahl in Kindeltopf gerochen,
Bereits ein Polychrest vor blinde Wehen kochen.
Doch was des Pöbels Troß aus Unvernunft begeht,
Verschmerzt Hygea noch, weil hier kein Schimpf entsteht
Und ihre Brust davon so wenig Flecken krieget,
Als wenn ein Mückenschwarm um Licht und Sonne flieget.
Nur dies gebiehrt ihr Scham und macht ihr Ansehn blind,
Daß Glieder ihrer Zunft so schlecht beschlagen sind
Und Köpfe, die sich doch zu ihrem Reiche schreiben,
Ihr Wachsthum durch Verstand nicht höher aufwärts treiben.
Ihr Staat, es ist wohl wahr, begreift ein starckes Heer,
Das, wenn auch heute gleich der Türck im Felde wär
Und Mogols Reuterey schon an die Gränzen rennte,
Sich doch wie Trozendorf mit Schülern wehren könte.
Allein, so wenig Kraft der Alexander schmeckt,
Wenn ihm ein Sack voll Mohn der Feinde Meng entdeckt,
So arm ist dies ihr Volck an Gründligkeit und Wißen;
Und sind noch einige auf etwas starck beflißen,
So ists Gedächtnüßwerck und blos ein sinnlich Spiel,
Das Mod und Regung treibt. Man dörrt so Kraut als Stiel,
Man schindet Baum und Thier, man prägelt, brennt und röstet
Fett, Erz und Mumien. Man zweifelt, wagt und tröstet,
Bis daß die Seel entfährt. Man schröpft, purgirt, verschreibt,
Man fragt die Bücher aus, befördert, stillt und treibt
Schweiß, Monath und Urin und hilft, mit einem Worte,
Der mühsamen Natur fast nie am rechten Orte.
Und kommt denn endlich noch ein redlich-kluger Mann,
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Der, weil er Einsicht trägt, dem Übel steuren kan,
So hat Alcidens Sohn kaum schwerer aufzuräumen,
Weil überall ein Schwarm von tausend albern Träumen
Der Müh im Wege steht. Und dringt er gleichwohl zu,
So bringt er sich gewis um Glücke, Stell und Ruh
Und muß oft statt des Lohns der wohlbedachten Lehren
Ein neuer Kezer seyn und lose Reden hören.
Die Warheit, so sein Geist mit Müh herausgebracht,
Wird als ein nackter Specht von Jung und Alt belacht;
Und weil er nicht den Weg des Schlendrians genommen,
Versagt man ihm wohl gar den lezten Siz der Frommen.
O undanckbare Welt! Gesteh es doch nur frey,
Ob dies dein Laster nicht der Strafe würdig sey,
Daß Fieber, Brand und Pest mit vollen Haufen kämen
Und, was du nicht erkand, dir samt dem Leben nähmen.
Vielleicht verändert sich dein ungeschickter Lauf,
Die Weißheit bricht ja schon viel hundert Augen auf
Und reißt durch manchen Strahl von ihrem hellen Lichte
Der deutschen Langsamkeit die Schuppen vom Gesichte.
Sie nimmt wie vor der Zeit in Rom und Griechenland
Die Tochter ihrer Schoos, Hygeen bey der Hand
Und will sie da, wo Recht und Warheit triumphieren,
Es geht zwar mühsam her, mit Cron und Scepter zieren,
So sehr es auch forthin den alten Trupp verdriest,
Der, weil er Lunten riecht, vor Grill und Eifer niest
Und wie ein Mausethier, dem man die Pfoten schläget,
Zischt, sprizet, schreyt und springt und Blut im Maule träget.
Dies hat, gelehrter Gorn, dich doch so viel erschröckt,
Als sonst ein Gansgeschrey den Adlern Furcht erweckt.
Du hast dich mit Gewalt der Finsternüß entzogen,
Die rechte Bahn erwehlt, des Schöpfers Trieb erwogen,
Die Kräfte der Vernunft gereinigt und verstärckt,
Der zeugenden Natur den Handgrif abgemerckt,
Die Ursach untersucht, die Würckung mit verglichen
Und, wenn du was gesezt, eh zehnmahl ausgestrichen,
Als auf der schnellen Post wie mancher hingeschmiert,
Der über Hals und Kopf so wie ein Hund gebiehrt
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Und, wenn nur Thon und Wort mit Noth zusammenhencket,
An Sachen und Verstand wie Thrax an Gott gedencket.
Verlach indeß den Haß, der hin und wieder brennt,
Und wenn ein greiser Thor dich einen Neuling nennt,
So schüz und tröste dich mit Warheit und Gewißen;
Die Nachwelt wird einmahl das Urtheil beßern müßen.
Du kanst mit Ehr und Lust dein Jauer wieder schaun
Und dem, der alles lenckt, in deinem Amte traun;
Denn dieses steht wohl fest, daß rechte Weißheitsgaben
Noch endlich allemahl ihr Glück erwarthet haben.
Wir sehn dir freudig nach und wüntschen, was du denckst,
Und bitten, wenn du dich nunmehr nach Hause lenckst,
Den Herbst um warme Luft, die Vorsicht zum Begleiten,
Dich aber um ein Herz voll treuer Zärtligkeiten.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Lob- und Strafschriften. (Frankfurt) Wittenberg November 1715 - Dresden Anfang September 1719. [Wir wißen, werther Freund, daß Tugend, Kunst und Fleiß]. [Wir wißen, werther Freund, daß Tugend, Kunst und Fleiß]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2670-8