[142] Als Leonore sich endlich zum Lieben bewegen lies

Leipzig, A. 1719. den 26. Jun.


Eleonore lies ihr Herze
Nicht länger unempfindlich seyn,
Sie räumt es nach so langem Schmerze
Dem wohlbekandten Dichter ein
Und lies ihn unter Schwur und Küßen
Den Anfang ihrer Neigung wißen.
Sie nahm ihn in die treuen Armen
Und sprach bey zärtlicher Gewalt:
Hat ja der Himmel ein Erbarmen,
So gönnt er mir den Aufenthalt,
Bis daß ich in dem sanften Grabe
Das Ziel der Angst erlanget habe.
Drauf schwieg sie mit verwandten Blicken
Und strich des Dichters Angesicht,
Ergözt ihn durch ein Händedrücken
Und sprach von neuem: Ach, mein Licht!
Ach, wird auch dieses mein Verbinden
Dein Herz beständig rein erfinden?
Bedencke nur, wie viel ich wage
Und was ich deinetwegen thu!
Ich eile mit Gefahr und Plage
Nach deinen schönen Lippen zu
Und breche dir allein zu Liebe
Die Ketten meiner ersten Triebe.
Ich habe nichts als dein Gemüthe,
Worauf ich mich verlaßen kan;
Verläst mich jemahls deßen Güte,
So ist es ganz um mich gethan,
So werd ich allen auf der Erden
Ein Mährchen und ein Greuel werden.
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Dies sagte sie mit naßen Wangen
Und zog ihn eilends brünstig fort
Und führte sein bestürzt Verlangen
An den schon oft besuchten Ort,
Wo nichts als Graus und Nacht regieret
Und Tod und Stille triumphieret.
Hier fing sie brünstig an zu weinen
Und rief: Ihr Todten zeuget mir,
Bey meiner Eltern Leichensteinen
Und ihrer Asche schwör ich dir,
Daß mich dein Herz allein vergnüge,
Bis daß es hier versammlet liege.
Du wirst die Redligkeit erkennen
Und, bin ich gleich ein armes Kind,
Mir ewig deine Seele gönnen.
Ich weis zwar, wie die Männer sind;
Aus Liebe glaub ich deinen Schwüren,
Sie werden mich wohl nicht verführen.
Der Dichter trocknet' ihre Thränen
Mit tausend warmen Küßen ab,
Und als das weich- und stumme Sehnen
Ihm endlich Zeit zur Antwort gab,
So zog er die geliebten Glieder
Mit diesem Trost ins Graß darnieder:
Komm her, du Nahrung meiner Flammen,
Komm, lege dich an meine Brust;
Hier wohnen Glut und Treu beysammen,
Hier wallen sie nur dir zur Lust,
Hier wird, so oft das Herze schläget,
Dein Bildnüß fester eingepräget.
Ich lebe dir allein zu eigen,
Und leb ich gleich vorjezt gedrückt,
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So wird sich bald ein Mittel zeigen,
Das unsre Tugend höher rückt;
Alsdenn soll unser Rosenbrechen
Die Misgunst in das Auge stechen.
Du bist mein einziges Ergözen,
Ich bin nechst Gott dein Schuz und Schild;
Und wie der Werth von allen Schäzen
Mir gegen dein Verdienst nicht gilt,
So soltu auch nach langen Jahren
Die Dauer meiner Lieb erfahren.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Als Leonore sich endlich zum Lieben bewegen lies. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-269D-4