Die Freundschaft

Ulysses, der nunmehr, in zwanzig sauren Jahren,
Durch Krieg, Verlust und Sturm, des Schicksals Grimm erfahren,
Kommt endlich zwar zurück in Reich und Vaterland;
Doch wie? Verarmt, gekrümmt, allein und unerkannt,
Den Seinen, und sogar Penelopen, verborgen,
Entstellt und ausgezehrt von tausendfachen Sorgen.
Des Helden Angesicht, und sonst umkränztes Haubt
Sind seinem Glücke gleich, sind alles Schmucks beraubt.
Vor seinem eignen Schloß muß er um Brocken flehen,
Wo auch die Sklaven selbst kaum seitwärts nach ihm sehen;
Wo der Bedienten Stolz, die er doch groß gemacht,
In herrischer Gestalt des nackten Redners lacht;
Wo niemand seiner Noth das kleinste Trostwort gönnet,
Und nur den alten Herrn sein alter Hund erkennet,
Der vormals, wie ein Hirsch, rasch durch die Büsche sprang,
Von dessen Namen sonst der ganze Forst erklang,
Wann alles Argus rief. Der Argus, der dem Wilde
So feurig nachgesetzt, der Waldung und Gefilde,
Wie seinen Stall gekannt, und bei der jungen Schaar
Des jagdgewohnten Hofs ein rechter Liebling war,
Weil keiner richtiger des Rammlers Fährte spürte,
Noch anschlug, so wie er, wo sich ein Wildpret rührte;
Der liegt nun ohne Dach, für vieler Jahre Treu'
Im Alter abgedankt, verscheucht von Stall und Streu,
Verbannt, wo täglich ihn ein neuer Mangel schwächte,
Zuvor der Herren Lust, und jetzt ein Spott der Knechte.
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Der Argus, dem es längst an Kraft zum Gehn gebrach,
Hebt sich zum letzten Mal, und hinkt dem Bettler nach,
Naht sich mit regem Ohr, riecht, wedelt, züngelt, schmeichelt,
Und, da der Fremdling ihn, mit nassen Augen, streichelt,
Da seine Neigung ihm noch diesen Dank erwirbt,
Aechzt, heult er, siehet auf, erkennt Ulyß und stirbt.
So hündisch lieben nicht die Klugen unsrer Zeiten,
Die Meister in der Kunst verstellter Zärtlichkeiten.
Vom Bart der alten Welt, und von der alten Treu'
Ist unser glattes Kinn, und unsre Seele frei.
Leichtsinnig in der Wahl, und zweifelnd im Vergnügen,
Betrügen wir uns selbst, um andre zu betrügen,
Die innerlich verderbt, und nur von außen schön,
Auch uns, mit gleichem Recht, ergebenst hintergehn.
So spielt der Wankelmuth mit Trieben und Gedanken!
Man wählt, und man verwirft nach dem Geschmack der Kranken,
Der, voller Ungeduld, auf manche Kost verfällt,
Die, mitten im Genuß, der Ekel ihm vergällt.
Nicht anders liebt Papill, der alle Fremden herzet,
Sich täglich Freunde sucht, und täglich sie verscherzet,
Und bald den Bienen gleicht, bald Käfern ähnlich ist,
Bald frische Rosen saugt, und bald den Moder küßt.
Unendlich flatterhaft, und schnell zu Vorurtheilen,
Lebt er, so wie er schwatzt, in stetem Uebereilen.
Im Jenner ist er hold, halb falsch im Februar,
Ganz ungetreu im März, und feind ums halbe Jahr.
Es ahmt Pipin ihm nach, der Freunden sich nur leihet,
Sich ohne Grund vereint, und ohne Grund entzweiet.
Er meint; was kann er sonst? und weiß, warum er meint,
Wie Chloe, wann sie lacht, und Emma, wann sie weint.
Weit übersieht Cleanth, der Ehrsucht Bild und Schande,
Den läppischen Pipin, den Säugling am Verstande.
Sein absichtreicher Witz wird nicht so leicht berückt;
Er weiß, warum und wo man dem die Hände drückt,
Und dem nicht drücken darf. Dies Muster schlauer Männer
Wird aller Gönner Knecht, und aller Knechte Gönner.
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Allein, sobald er nur der Künste Zweck erhält,
So ist der Freund, für ihn, nicht mehr ein Theil der Welt.
Bald krümmt er, Schlangen gleich, sich um der Höhern Füße,
Bald trotzt sein steifer Kopf die Pflicht gewohnter Grüße:
Wie ein Iberier sich bis zur Erde streckt,
Und, wann der Rang ihm wird, sich königlich bedeckt.
Cleanth wird mühsam groß, und seine Stirne fühlet
Den Schweiß der Emsigkeit, den nur sein Hochmuth kühlet.
Doch, wann er sich hier Freund, und dort Verehrer nennt,
Bestraft den Mund das Herz, das nie sich ganz verkennt.
Oft züchtigt ihn der Spott; doch, obenan zu sitzen,
Erduldet er mit Lust die Stacheln, die ihn ritzen.
So macht ein Domherr sich auch gegen Streiche fest,
Eh' Würzburgs Hochstift ihn in Chor und Keller läßt.
Gemächlicher als er, recht langsam sich zu lenken,
Zum Schlummer zu geneigt, um aufgeweckt zu denken,
Liebt uns, und gähnt Stertin, in Polster eingehüllt,
Der fast leibeigne Knecht des Lehnstuhls, den er füllt,
Der Möpse, die er wärmt. Zwar kann er Menschen leiden;
Doch lässig, unbemüht, und nur bei schlaffen Freuden.
Im trägsten Gleichgewicht ist ihm zu treuem Fleiß
Bereits der Herbst zu kalt, und schon der Lenz zu heiß.
Der Unbehilfliche hat angeborne Gaben,
Wie Geizige den Schatz, wie Feige Waffen haben,
Und ist der Fliege gleich, die nicht zum Flug sich regt,
Obgleich ihr die Natur die Flügel beigelegt. 1
Woher denn darf Stertin von seinem Wohlthun sprechen?
Von Blutschuld ist er frei, und Ruhn ist kein Verbrechen.
Wie? So ist der wol gar, der Lehre nach, ein Christ,
Der nur kein Edelmann, kein frecher Woolston ist,
Und die muß man vielleicht für große Gönner schätzen,
Die uns nicht Haus und Hof in lichte Flammen setzen?
Dem menschlichen Geschlecht zum Dienst und Unterhalt
Belebt der Thiere Heer Luft, Wasser, Feld und Wald;
Und wie vielmehr entstand, die Schöpfung zu erfüllen,
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Der Schöpfung Kern, der Mensch, auch um des Menschen willen?
Die Arbeit ist sein Loos; das Gute muß er thun,
Nicht überflüssig sein, nicht unermüdet ruhn.
Ich, lehrt Mammonides, den Geld und Geiz umgeben,
Ich bin der Muße gram; die Arbeit ist mein Leben.
Nur Fleiß und Vorschuß sind's, wodurch man Freunden nützt,
Wenn man ein Capital, das ist, ein Herz, besitzt.
Ich bin ein Patriot. Mich wird man leicht bewegen,
Das erste schöne Geld in Häuser zu belegen.
Mein alter Wahlspruch bleibt: Zins und Provision!
Den Leuten helf' ich gern, nur nicht dem Bauernsohn;
Doch dien' ich, kann er mir drei gute Bürgen stellen,
Sind gleich die Zeiten schlecht, auch ihm in allen Fällen.
In andrer Kreuz und Leid find' ich mich, als ein Christ.
Wer weiß, wenn mancher klagt, warum er dürftig ist?
Der Himmel will vielleicht durch Mangel ihn bekehren:
Sollt' ich gerechter sein, und seine Führung stören?
Den Armen bin ich nicht, dem Betteln bin ich feind,
Sonst, doch ohn' eignen Ruhm, ein großer Menschenfreund,
Und werde, sterb' ich spät, zu meinem Angedenken,
Dem alten Waisenhaus ein neues Gitter schenken.
Wie heuchelt sich der Thor, der keiner Tugend Kraft,
Kein wahres Mitleid fühlt, und scheint sich tugendhaft!
Zank, Raubsucht, Neid und Furcht, die Quellen steter Schmerzen,
Und sieben Gräuel sind in eines Wuchrers Herzen,
Der nichts zu werden weiß, als reich und lächerlich,
Der sich betrügrisch liebt, und niemand liebt, als sich.
Unsel'ger Eigennutz, wie bist du zu beklagen,
Da deine Frevel dir der Freundschaft Schatz versagen!
Die Liebe zu uns selbst, allein die weise nur,
Ist freilich unsre Pflicht, die Stimme der Natur;
Doch sie verknüpft sich auch mit den Bewegungsgründen,
In andern, wie in uns, das Gute schön zu finden,
Dem Schönen hold zu sein. Es bann' ein Strafgericht
Die Menschen ohne Lieb' in Welten ohne Licht!
Was kann der Seele Reiz und unser Glück vergrößern?
Die Lust an andrer Glück, der Trieb, es zu verbessern.
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Der Geist, der denkt und will, verscherzt die Schätzbarkeit,
Geht seiner Kräfte Zug nicht auf Vollkommenheit,
Und bleibt sein träger Wahn an niedern Gütern kleben.
Die unsrer Wünsche Flug zur Tugend nicht erheben.
Er wird dem Beifall taub, den das Gewissen gibt,
So oft man edel denkt, so oft man göttlich liebt.
Allein, dem Zauberer in täuschenden Gestalten,
Dem Eigennutz gelingt's, den Vorzug zu erhalten,
Der allgemeiner Huld und dem Geschmack gebührt,
Der nur die kleine Zahl der besten Seelen rührt.
Ein schnöder Eigennutz steht jetzo an der Stelle
Des alten Götterschwarms des Himmels und der Hölle.
Ihm weiht, ihm opfert sich das menschliche Geschlecht:
Sein Tempel ist die Welt, und die Gewalt sein Recht.
Als Schöpfer des Betrugs, des Zanks, der falschen Eide,
Hat er an Bosheit Lust, und an Processen Freude;
Gibt Secten, deren Band oft nur ein Wort zerreißt,
Den Groll und Gegengroll, und den Verfolgungsgeist,
Und lehrt, aufs irrigste, des Bias Regel fassen,
Daß man so lieben soll, als würde man einst hassen.
Er bildet, wie er will, Regenten und den Staat,
Den Bund und Bundesbruch, die Treu' und den Verrath.
Vergebens sieht ein Fürst in lehrenden Geschichten
Die höchste Schändlichkeit versäumter Herrscherpflichten:
Wie niederträchtig schlau und falsch und wandelbar
Der eilfte Ludewig, der erste Jacob war;
Wie Frankreichs Ständ' und Geld, die Ehre freier Britten,
Und Treu' und Glauben oft in ihren Händen litten:
Wie glücklich Heer und Reich im dritten Eduard,
Wie groß, auf Valois Thron, der vierte Heinrich ward.
Die suchten Glück und Ruhm auf königlichen Wegen,
In Siegen ohne Wuth, in ihrer Länder Segen.
Hat ihn der Himmel nicht mit seltner Kraft versehn,
So wird er nur zu schwach Versuchern widerstehn.
Der Hoheit Selbstbetrug vereitelt seine Güte,
Der Schmeichler Hinterhalt umzingelt sein Gemüthe,
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Nennt Unterdrückung Ernst, und Macht das höchste Gut,
List Klugheit, Leichtsinn Witz, und Kriegssucht Heldenmuth,
Verschwendung güldne Zeit, der Sitten Blendwerk Tugend,
Und alte Lüsternheit des Fürsten neue Jugend.
So meisterlich erstickt der Sklaven Redekunst
In der Monarchen Brust den Keim der Menschengunst,
Und raubt Gewaltigen das schönste Glück auf Erden,
Zu lieben, wie man soll, und so geliebt zu werden.
Der Sitz geheimer Noth und öffentlicher Pracht,
Der Hof ist nicht der Ort, der Freundschaft herzlich macht;
Wo gleich gefährlich ist, auf steiler Würde Spitzen,
Zu wenig und zu viel Verdienste zu besitzen,
Wo (nur in Deutschland nicht) ein gaukelnder Bathyll
Den Staat regieren hilft, wann er nicht tanzen will,
Lebendige Pantins von lächerlichen Gaben,
Durchs Recht der Aehnlichkeit, die größten Gönner haben,
Und jede Leidenschaft sich tausendfach verbirgt,
Ein Todfeind uns umarmt und in Gedanken würgt,
Und die Geschicklichkeit, im Loben selbst zu hassen,
Die Unschuld lockt und stürzt, die sich auf sich verlassen;
Dort dankt man seinem Freund, und dort vertritt man ihn,
Wie den Valer Vitell, den Armand Mazarin.
Die Einfalt der Natur, die Hof und Stadt entbehren,
Der wahren Eintracht Lust, der wahren Liebe Zähren,
Das wesentliche Glück, frei, und nicht groß zu sein,
Verherrlichen das Feld, und heiligen den Hain.
O Land! der Tugend Sitz, wo zwischen Trift und Auen
Uns weder Stolz noch Neid der Sonne Licht verbauen,
Und Freude Raum erblickt; wo Ehrgeiz und Betrug
Sich nicht dem Strohdach naht, noch Gift dem irdnen Krug;
Wo Anmuth Witz gebiert, und Witz ein sichres Scherzen,
Weil niemand sinnreich wird, um seinen Freund zu schwärzen;
Wo man nie wissentlich Verheißungen vergißt,
Und Redlichkeit ein Ruhm, und Treu' ein Erbgut ist,
Wie in Arcadien. Erkauft das Gold der Reichen
Sich Freunde solcher Art, die rechten Hirten gleichen?
Nie hätte Cäsars Macht ein Meuchelmord erhöht,
Wär' an dem krummen Nil der König ein Damöt,
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Wär' ein Pompejus dort nur ein Menalc gewesen,
Als er des Pharos Strand zur Zuflucht sich erlesen.
Doch im erwies man nicht die so verdiente Huld.
Nur seine Größe war an seinem Tode Schuld.
Und so sprach Theodot: »Die Einfalt steter Treue,
Der gute, blinde Trieb stürzt in Gefahr und Reue.
Gab deinem Vater gleich Pompejus Reich und Thron;
So fesselt diese Gunst nicht den beglücktern Sohn.
Der Ruhm vergalt die That. Soll er uns dankbar finden,
So muß der Held nicht fliehn, so muß er überwinden.
Doch ihn verläßt das Glück; es eilt dem Cäsar nach:
Und gegen diesen, Herr, sind wir und er zu schwach,
Der väterliche Freund. Willst du ihn nur entfernen,
So kann er mit der Zeit sich römisch rächen lernen;
So ahndet Cäsar selbst, zum Schrecken aller Welt,
Daß ihm mein König nicht den Gegner dargestellt.
Er sterbe! Nur dein Heil, nur dich muß man betrachten:
Dem Sieger müssen wir den großen Flüchtling schlachten.«
So klügelt ein Verstand, der eigennützig denkt,
Den keiner Tugend Wink in seinen Schlüssen lenkt:
Allein, wie muß er oft, zu seiner Schmach, erfahren,
Daß Freundschaft, Dank und Pflicht nie leere Wörter waren!
Wie schwer empfindet oft die Ungerechtigkeit
Die eiserne Gewalt zu schneller Ahndungszeit!
Kann auch ganz Asien den Theodot verstecken?
Nein! Brutus findet ihn, die Strafe zu vollstrecken.
Wie ruhig ist ein Herz, das seine Pflichten kennt!
Das jede seine Lust, wie seine Richtschnur, nennt!
Von ihm, und nur von ihm, wird Freundschaft recht geschätzet,
Die, wahrer Dichtkunst gleich, so bessert, als ergötzet.
Im Stande der Natur, als, zu der Menschen Ruhm,
Noch keine Herrschaft war, kein Rang, kein Eigenthum,
Da wollte die Vernunft, und selbst die Triebe wollten,
Daß wir gesellig sein, daß wir gefallen sollten;
Dann war, zu gleichem Glück, im menschlichen Geschlecht
Der Zweck gemeinschaftlich, und allgemein das Recht,
Dann schmückten jeden Tag die Freiheit und der Friede.
Wer wird, wo diese sind, des längsten Lebens müde?
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Als aber Stolz und Neid den frechen Schwung erhub,
Gewalt das Recht bestürmt', und List es untergrub,
Als Krieg und Raub und Wuth der Schwächern Brust zerfleischte,
Und vieler Sicherheit auch vieler Bund erheischte:
Ward die Geselligkeit, die erste Zuversicht
Der neu-erschaff'nen Welt, ihr immer mehr zur Pflicht.
Jedoch, wie übertrifft die freundschaftliche Liebe
Dies allgemeine Band, und die Erhaltungstriebe!
So ist das Morgenroth, dem Nacht und Schwermuth weicht,
Der Anfang eines Lichts, dem nichts an Wirkung gleicht,
Doch nur ein schwaches Bild der Kraft, der Pracht, der Wonne,
Der milden Göttlichkeit der vollen Mittagssonne.
Es stammt die Freundschaft nicht aus Noth und Eifersucht:
Sie ist der Weisheit Kind, der reifen Kenntniß Frucht,
Ein Werk der besten Wahl, und kann nur die verbinden,
Die in der Seelen Reiz die größte Schönheit finden.
Der Vorzug des Gemüths, nur die Vollkommenheit
Macht uns der Liebe werth, nicht blos die Aehnlichkeit.
Wenn schwarze Laster sich mit gleichen Lastern gatten,
Wer wird der Mißgestalt der Schönheit Ruhm gestatten?
Die Ehre der Natur, der innern Sinnen Glück,
Die wahre Freundschaft ist der Tugend Meisterstück.
Die Neigung, wenn man soll, Ruhm, Güter, Ruh' und Leben,
Ohn' Eigennutz und Zwang, für andre hinzugeben,
Die ächte Zärtlichkeit, die immer Lust und Schmerz
Mit andern willig theilt, kömmt in kein schlechtes Herz,
Und Helden, welche wir vor tausend Siegern preisen,
Sind Helden, die sich auch, als Freunde, groß erweisen.
Ganz Griechenland erhebt, Philippus selbst beweint
Die Schaar der Lebenden, die Schlacht und Tod vereint,
Und Thebe heilig heißt. Die scythischen Barbaren,
Bei denen Luft und Schwert die größten Götter waren,
Selbst die errichteten der Freundschaft, im Orest
Und seinem Pylades, ein redlich Opferfest,
Besangen ihren Ruhm, und stellten in den Tempel
Der Abenteurer Bild, und ihrer Treu' Exempel.
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Der Freundschaft edler Stand prägt Weisen Ehrfurcht ein:
Er wird, in andern auch, ihm unverletzlich sein:
Und nimmer hat ein Mann von richtigem Gewissen
Der Eintracht einen Freund verlockt, entwöhnt, entrissen.
Der schadenfrohe Stolz, den dieser Raub erweckt,
Verräth ein schwarzes Herz, das nur in Frevlern steckt.
Der Herzen Einigkeit, die sich auf Wahrheit gründet,
Stets gleiche Tugenden, oft gleiche Sitten, findet,
Kennt keinen Eigennutz, der sie zu Diensten treibt,
Weil nur des Wohlthuns Lust der Großmuth Ziel verbleibt,
So oft wir recht gewählt, und dann mit edlem Willen
In des Geliebten Wunsch auch unsern Wunsch erfüllen.
So viel gewährt ein Freund, daß auch das Leben nicht
Mehr als ein Dasein ist, wenn uns ein Freund gebricht.
Ja, stieg ein Sterblicher in die entfernten Sphären,
Und sähe Welten selbst, wovon die Räthsel lehren,
Und säh', im öden Raum, von Menschen abgewandt,
Die Werkstatt der Natur, der Sonnen Vaterland:
So würde doch zu bald der Kenntniß Freude fehlen,
Träf' er nicht jemand an, ihm dieses zu erzählen.
Der langen Einsamkeit gibt alles Ueberdruß;
Doch wie verschönert sich Ilissens kleiner Fluß,
Des hohen Ahorns Dach, des Achelous Quelle,
Der Hauch der Sommerluft, und jede Ruhestelle,
Wann dort ein Socrates von unsrer Neigung Pflicht,
Von Schönheit, Lieb' und Reiz mit seinem Phädrus spricht!
Unmenschlich ist der Trieb, von Menschen sich zu scheiden,
Und Timons Bärenstand ist nimmer zu beneiden,
Kein Weiser haßt die Welt: auch sie versichert ihn,
Uns werd' in einem Freund ein heil'ger Schatz verliehn.
Vergnügen und Verdruß darf man ihm frei bekennen,
Ihm frei den Gegenwurf geheimster Wünsche nennen,
Und alle Fehler selbst mit Zuversicht gestehn;
Denn ihm gebührt das Recht, in unser Herz zu sehn.
So Fröhlichkeit, als Gram, kann uns die Augen netzen,
Sein bloßer Anblick wirkt ein zärtliches Ergötzen.
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Ja! man verweine nur an eines Damons Brust
Die Thränen herber Qual, die Zährchen süßer Lust.
Ihm werde nichts verhehlt: er weiß die Kunst, zu schweigen.
O schwere Wissenschaft, wie vielen bist du eigen?
Ein Kluger will daher, wie selbst ein Bischof meint,
Nur Einen Beichtiger, nur Einen Herzensfreund.
Der ist es, der uns warnt, so oft wir gleiten wollen,
Der uns die Wege zeigt, die wir betreten sollen.
Er tadelt, wenn er muß: er lobt uns, wenn er kann;
Doch nimmt sein Ausspruch nie den Ton der Lehrer an,
Sein Beispiel, wie sein Rath, wird unsre Tugend stützen,
Und sein gesetzter Muth wird unsern Namen schützen.
Wer meinen Ruhm berupft, stiehlt zwar sich selbst nicht reich:
Mich aber stiehlt er arm. Den Freund rührt das sogleich;
Sein früher Widerspruch hemmt in den Sittenrichtern
Der Zungen wilde Wuth, und macht Pernellen schüchtern.
Das süße Vorurtheil, das holder Umgang gibt,
Macht, daß man nie zu sehr geprüfte Freunde liebt.
Ein Freund wird voller Glimpf des Freundes Fehler tragen,
Nur Frost und Falschheit nicht, den Grund befugter Klagen:
So wie mein Lipstorp mir, aus Güte, viel erlaubt;
Doch nichts, das mir vielleicht Kraft und Gesundheit raubt.
Ein bessernder Verweis sollt' immer Dank erwerben.
Mit unverdientem Ruhm mag uns ein Schmeichler färben:
Der lobt an Lesbien die Demuth und die Treu',
Und, vor dem Spiegeltisch, den Haß der Schmeichelei;
An Dichtern, ihre Furcht, die Werkchen vorzulesen;
An Pächtern, ihr Bemühn für das gemeine Wesen;
An Wuchrern, den Geschmack; an Stutzern, Gründlichkeit;
An einem jungen Rath, die Staatserfahrenheit;
An Schwätzern, den Verstand zu schweigen und zu denken;
An Unersättlichen, den Abscheu vor Geschenken;
Und darf er Großen sich und seine Schminke weihn,
Sie werden Walsinghams, sie werden Mornays sein.
Doch läßt der Gleißner bald sein Hohngelächter schallen,
Wenn sein Altar versinkt, und seine Götzen fallen.
[45]
Unwürdig unsrer Gunst, und des geringsten Blicks,
Ist der gemeine Schwarm der Heuchler unsers Glücks,
Der horcht, und, wenn er ja uns ernstlich klagen höret,
Vielleicht die Achseln zuckt, gewiß den Rücken kehret.
Allein, wie schätzbar ist ein Herz, das so geneigt,
Als es dem Jüngling ward, sich noch dem Greise zeigt!
Es gibt uns in Gefahr, wann Feind und Unglück toben,
Wo Furcht und Falschheit fliehn, die stärksten Freundschaftsproben.
Wie schwingt die Liebe sich durch edlen Muth empor!
Wie kömmt ein edler Freund des Freundes Flehn zuvor!
Zufrieden, kann er nur mit seinem Beistand eilen;
Kaum tröstbar, muß er noch mit seinem Dienst verweilen:
Wie zu der guten Zeit, als Monomotapa
Ein Beispiel solcher Art in zweien Freunden sah.
An Treu', und nicht an Kunst nach Hof-Art liebzukosen,
Beschämt ein Schwarzer oft den zierlichsten Franzosen.
Der eine Biedermann war mitten in der Nacht,
Als alles lag und schlief, voll Unruh aufgewacht.
Er lief zum andern hin, pocht' an, und lärmt', und weckte
Den trägen Diener auf, der sich fast fühllos streckte.
Der Hausherr sann bestürzt dem späten Zuspruch nach,
Ergriff sein Schwert, sein Gold, empfing den Freund und sprach:
Du pflegst um diese Zeit die Gasse nicht zu lieben;
Was hat dich immermehr so eilig hergetrieben?
Vielleicht Verlust im Spiel? Sieh meine Börse hier!
Gibt's Händel? Laß uns gehn! Trau' meinem Schwert und mir!
Doch willst du diese Nacht nicht ohne Kuß beschließen?
Gut! meine Sklavin soll sie dir genug versüßen.
O nein, versetzt sein Freund: o nein, du hast geirrt.
Mich hat ein schwerer Traum erschreckt, und ganz verwirrt:
Denn, ach! ich sahe dich in meinem ersten Schlummer,
Und dein Gesicht verrieth mir einen seltnen Kummer.
Gleich klopfte mir das Herz; da ging ich, ungesäumt,
Zu sehen, was dir fehlt, und ob mir falsch geträumt.
Mein Bruder, den ich stets mit neuer Freude nenne,
An dem ich noch weit mehr, als Brudertreu', erkenne,
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Ich eigne billig dir der Freundschaft Abriß zu:
Wen lieb' ich so, wie dich? Wer liebt mich so, wie du?
Du bist, und dieses Lob wirst du umsonst verbitten,
Gerecht nach jeder Pflicht, und würdig deiner Sitten.
Mein allertheuerster, mein angeborner Freund,
Der mit der Höfe Witz das beste Herz vereint:
Es kann das reichste Glück mir nichts Erwünschters geben,
Als deine Zärtlichkeit, dein Wohl, dein langes Leben.
O nahet nicht einmal der holde Tag heran,
Da ich dich wiedersehn und froh umarmen kann?

Fußnoten

1 Die Schafbremse, Oestrus ovis.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

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TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Moralische Gedichte. Die Freundschaft. Die Freundschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2FFB-C