Zweites Buch

Jupiter, die Thiere und der Mensch

Als Jupiter der unbewohnten Erde
Die Menschen und die Thiere schuf,
Bestimmt er jeglichem den künftigen Beruf,
Des Lebens Art und Zeit und Arbeit und Beschwerde.
Zum Esel sagte Zeus: Dein Schicksal legt dir Last
Und harte Knechtschaft auf; nur Disteln, keine Mast.
Das ist dein Loos. Wohlan! so dien', und lebe
So viele Jahr', als ich dem Monat Tage gebe.
Der Esel Erstling schreit: Zu viel legst du mir bei.
Wie? dreißig Jahre! Zeus! ach nimm mir zwanzig Jahre.
Sonst quäl' ich mich zu lang: es graun mir schon die Haare.
Der große Zeus erhört sein flehendes Geschrei.
[186]
Zum Hunde spricht er: Wache fleißig!
Hüt' eifrig Trift und Haus! du überkamst von mir
Muth, Treue, Fertigkeit, und du erreichst dafür
An edlen Jahren fünfunddreißig ...
Das Wächteramt ist schwer: ich bitte, Herr, von dir,
Die Dauer meiner Pflicht aus Mitleid einzuschränken,
Und fünfundzwanzig mir zu schenken.
Die Gunst gewähret ihm der Gott.
Zum Affen sagt er drauf: Du Halbmensch, deine Mienen,
Dein ganzes Wesen kann zu nichts als Kurzweil dienen.
Sei nackt, gefesselt, arm, der Kinder Lust und Spott,
Und der Bedienten Spiel, auf sechs Olympiaden.
Sechs! spricht der Aff', o gib mir doch aus Gnaden
Nur vier. Die sind genug. Nur lächerlich zu sein,
Bedarf ich wenig Zeit. Zeus räumt die Zeit ihm ein.
Es nähert sich der Mensch. Zeus spricht: Du, meine Freude,
Du zierst mein neues Weltgebäude.
Du bist mein Meisterstück. Es sei die Erde dein!
Für dich sei sie so schön, so fruchtbar, so voll Schätze.
Versäume nicht, dich zu erfreun,
Weil ich zum Leben dir nur dreißig Sommer setze.
Fast wie beim ersten Blitz, beim ersten Donnerschlag
Erschrak der Mensch, und sagt: O Zeus, dein Schöpfungstag
Bereichert mich mit deinen besten Gaben;
Doch, soll mein Dasein nur so wenig Jahre haben?
Das ist bejammernswerth! Dafern ich wählen mag,
So wähl' ich mir zu meinem längern Leben,
Was Esel, Hund und Aff' an ihrem aufgegeben.
Es sei! spricht Jupiter: doch dies bleibt festgestellt:
Dein längres Alter soll, nach jenen dreißig Jahren,
Auch jedes Thieres Stand erfahren,
Dem ich die Zeit erließ, die jetzt der Mensch erhält.
Ganz unveränderlich ist dieser Götterschluß.
Nur unsre Jugend ist der Sitz der Fröhlichkeiten.
Wir spielen dreißig Jahr', ohn' Ernst und Ueberdruß,
Wir kennen nicht den Zwang der strengern Folgezeiten,
[187]
Und unser Leben ist Genuß.
Uns wollte Jupiter nur dieses Alter geben.
Ach hätte doch dieß Flehen nichts erreicht,
Und uns kein Wahn verführt, nach fernerm Ziel zu streben!
Kaum, daß der Menschen Lenz, die Zeit der Lust, verstreicht,
So überladen uns mit ungewohnten Bürden
Der Haus- und Ehestand, Geschäfte, Pflichten, Würden,
Bis daß der Thiere Herr dem trägsten Lastthier gleicht.
Der Fünfzigjährige besitzt nur seine Güter,
Vermeidet den Gebrauch, entbehret, was er hat,
Häuft, rechnet, zählt, verschließt, scheut Diebstahl und Verrath,
Ist schlaflos, wie sein Hund, auch ein so scharfer Hüter.
Der ganz verlähmte Greis, der kümmerlich sich regt,
Sitzt, wie der Halbmensch an der Kette.
Noch glücklich, wenn er nicht auch dessen Schicksal hätte,
Daß Kind und Knecht und Magd ihn zu belachen pflegt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Jupiter, die Thiere und der Mensch. Jupiter, die Thiere und der Mensch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-314E-E