Die Vorzüge der Thorheit

in einem Rund-Gesange.


Den Thoren ist ein Glück beschieden,
Das vielen klugen Leuten fehlt.
Die Herren sind mit sich zufrieden
Und haben immer wohl gewählt.
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Was hilft es auch, nach Weisheit schnappen,
Die oft dem Wirbel wehe thut?
Den Thoren stehen ihre Kappen
So zierlich als ein Doctorhut.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Der Thor, der allen Leuten glaubet;
Der Thor, der keinem Menschen traut;
Der, dem die Kargheit nichts erlaubet;
Der sich sein Tollhaus fürstlich baut;
Der Thor, der jeden Hof verachtet;
Der Thor, der nichts, als Höfe, liebt:
Ein jeder, wenn er sich betrachtet,
Sieht etwas, das ihm Hochmuth gibt.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Ein Leitstern lichtbedürft'ger Künste,
Ein junger Metaphysicus,
Webt ein durchsichtiges Gespinnste
Und stellt und heftet Schluß an Schluß.
So glaubt er dir, o Wolf, zu gleichen,
Und hat dennoch, du großer Mann!
Von dir nur die Verbindungszeichen,
Und sonst nichts, was dir gleichen kann.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
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Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Ein Schnarcher voller Schulgeschwätze
Hält sich für einen Kirchenheld,
Und gönnet dem Naemanns Krätze,
Dem sein Systema nicht gefällt,
Doch halt ... Ihr kennt der Eifrer Weise:
Ihr Anhang horcht und rächet sich.
O singt nicht, oder singt ganz leise;
Denn dies Geschlecht ist fürchterlich.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Nicander wird durch vieles Klügeln
So klug als ein geheimer Rath.
In ihm kann selbst van Hoey sich spiegeln:
Er kennet mehr als einen Staat.
Er ist des deutschen Ruhms Vertreter;
Und wär' er nicht geheimnißvoll:
So lehrt' er euch, ihr Landesväter,
Wie jeder von euch herrschen soll.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt;
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Ein Domherr schöpft aus seiner Pfründe
Bald rothen und bald weißen Wein.
Das scharfe Salz gelehrter Gründe
Kann nimmermehr so schmackhaft sein.
Er spart sich dem gemeinen Wesen,
Und glaubet, was ein Alter schrieb:
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Den Augen schadet vieles Lesen;
Und sein Paar Augen ist ihm lieb.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Die Sprache nach der Kunst zu zäumen
Uebt viele Dichter lebenslang.
Sie haschen blindlings nach den Reimen
Und stimmen ihrer Schellen Klang.
Vernunft und Wahrheit, seid gebeten,
(Dafern man ja an euch gedenkt)
Den stolzen Reimen nachzutreten,
Mit welchen uns Ruffin beschenkt.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Ein Wuchrer, den der Geiz den Schätzen,
Den Flüchen und der Hölle weiht,
Geneußt auf Erden kein Ergötzen,
Als seines Mammons Sicherheit.
Er tobet, daß die Fenster klingen,
Wenn seiner Habsucht was entgeht:
Doch in vergnügter Eintracht singen,
Ist ihm ein Scherz, der übel steht.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
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Ihr Heuchler, müßt es nicht vergönnen,
Daß man euch unempfindlich heißt.
Erlaubet uns, euch recht zu kennen,
So kennt man euren Lebensgeist.
Ihr krümmet seufzend eure Köpfe;
Doch euer Welthaß ist verstellt.
Ihr seid empfindliche Geschöpfe:
Ihr seid nur Thoren vor der Welt.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.
Ihr unberufnen Weltbekehrer!
Entfernt euch, wo die Freude singt.
Seid, euch zur Lust, beredte Lehrer:
Nur schweiget, wo dies Glas erklingt.
Thut ihr das oft und ohne Zanken,
So mindert sich der Thoren Zahl,
Und wir besingen, euch zu danken,
Der Thorheit Lob nur noch einmal.
Der Thorheit unverjährte Rechte
Erstrecken sich auf jedes Haubt:
Es ist im menschlichen Geschlechte
Ihr Anhang größer, als man glaubt.
Doch wenn sie nicht Vergnügen brächte:
So wär' ihr schon die Macht geraubt.

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TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Oden und Lieder. Zweites Buch. Die Vorzüge der Thorheit. Die Vorzüge der Thorheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3261-9