Phyllis

In einem Thal, wo den verjüngten Hain
Der Frühling schmückt, ein klarer Bach benetzet,
Fand Phyllis sich zur muntern Doris ein,
Die sich bereits ins Grüne hingesetzet.
Ihr schwarzes Haar, und ihre weiße Brust
Reizt' unverhüllt, und ließ den Westwind spielen;
Den leichten West beschäftigte die Lust,
Wenn jede sprach, sie flatternd abzukühlen.

Phyllis.

Ich komme hier, um jetzt recht schwesterlich
Mein ganzes Herz dir, Freundin, anzuzeigen.
Doris.

Nichts störet uns. Ich unterbreche dich
Durch gar kein Wort, bevor du selbst wirst schweigen.
Drum zögre nicht, gestehe mir's nur frei.
Du wirst ja roth, und schlägst die Augen nieder!
Mein liebes Kind, wovor trägst du denn Scheu?
Sprich, was du willst: kein Echo sagt es wieder.
Phyllis.

Erräthst du nicht, von wem ich reden will?
Erräthst du nicht, daß ich den Thyrsis meine?
Du kennest mich, und schwieg ich auch jetzt still,
So weißt du doch, ich sei schon längst die Seine.
Ich darf es dir, doch dir allein, gestehn,
Was für ein Zwang die Phyllis hingerissen,
Und wie, nachdem ich ihn zu oft gesehn,
Mein Thyrsis mir mit Recht gefallen müssen.
[153]
Ich weiß den Tag, und der vergißt sich nie.
Ich kam damals zu vollen sechszehn Jahren.
Er wünschte Glück, und wand mit froher Müh'
Den schönsten Kranz zu meinen blassen Haaren.
Er führte mich zu diesem Wald hinein,
Und spielt', und sang, und lockte Nachtigallen.
Wir setzten uns; er ließ von seiner Pein,
Und meinem Ruhm ein reizend Lied erschallen.
Er hatte sich an meine Brust gelegt,
Und sprach zu mir von tausend süßen Sachen:
Mein weibisch Herz, durch jedes Wort bewegt,
Vermochte kaum, den Sieg ihm schwer zu machen;
Er bat zu schön um Lindrung seiner Qual,
Ein glühend Roth umfärbte seine Wangen:
Er küßt', und seufzt', und küßte so viel Mal,
Bis wir zugleich zu seufzen angefangen.
Dort sah ich jüngst, und zwar an seiner Hand,
Im fetten Klee die sichern Heerden weiden;
Da fragt' ich ihn: Mein Thyrsis, ist ein Stand,
Den Liebende, den ich und du beneiden?
Nein, schwur er drauf, mir scheint kein Großer gleich,
Wann ich entzückt in deinen Armen lausche;
Und es bezahlt den Kuß kein Königreich,
Wann ich mit dir die treuen Mäulchen tausche.
Ist nicht dies Wort mehr schmeichelhaft, als wahr?
Ich zweifle nicht, ich glaube seinen Augen.
Man fürchtet oft die schlüpfrige Gefahr;
Kann aber Furcht mein Glück zu kränken taugen?
Man höret zwar, wie Daphne sich betrübt,
Die unverhofft den Damon falsch befunden.
Doch hätten die so schön, wie wir, geliebt;
Sie würden noch durch gleichen Zug verbunden.
Doris.

Die durch Bestand nicht Gegentreu erhält,
Die wird vom Glück zu grausam hintergangen:
Der wird zu bald die süße Lust vergällt,
Die ihrem Wunsch zu schmeicheln angefangen.
[154]
Die gleichet dem, der, zwischen Laub und Gras,
Nach Blumen greift, und eine Schlang' entdecket,
Die zischend schwellt, und, ungereizt, voll Haß
Den gelben Hals der Hand entgegen strecket.
Phyllis.

Wie pflegten mir, nach so beglückter Wahl,
In Thyrsis Arm die Stunden zu entweichen!
So seh' ich jetzt durch dieses grüne Thal
Den lautern Bach um Gras und Blumen schleichen.
Nur zwischen Scherz und Selbstzufriedenheit
Verfließt alsdann in heitrer Flut mein Leben.
Doch Thyrsis fehlt; nun trifft mich alles Leid,
Und selbst der Lenz kann mir nicht Freude geben.
Sein Scheiden, ach! war herber Schmerzen voll!
Wie kann ich dir, was wir gefühlt, beschreiben:
Sein langsames, mein zaghaft Lebewohl,
Den letzten Schwur, uns stets getreu zu bleiben!
Wie oft erfolgt' ein neuer Abschiedskuß!
Wie seufzt' er selbst bei meinem Händeringen!
Bald gab er Trost; bald wußt' er vor Verdruß,
Vor Lieb' und Gram, kein Wort hervorzubringen.
Doris.

Betrübe nicht, geliebte Schäferin,
Dein zärtlich Herz durch dieses Angedenken,
Und lege nur die Last der Sorgen hin;
Dir wird ihn bald die Liebe wieder schenken.
Ein Ackersmann quält und entstellt sich nicht,
Sobald die Luft ein feuchter Südwind schwärzet,
Wenn schon von fern ein holdes Sonnenlicht
Um Berg und Feld, um Laub und Saaten scherzet.
Der Hirten Schaar zog in den stillen Wald,
Und tränkte schon im Bach die feisten Heerden;
Doch Phyllis Aug' entdeckte sie zu bald:
Sie eilte fort, um nicht behorcht zu werden.
[155]
Doch Damon wagt's, ihr heimlich nachzugehn.
Er fleht sie sehr, den Aufbruch aufzuschieben;
Allein umsonst; sein Seufzen und sein Flehn
Wird durch den Wind schnell in die Luft getrieben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erstes Buch. Phyllis. Phyllis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-326A-8