Grenzen der Pflicht

Aus Beifall und gewohnten Gründen
Nur Menschen recht vernünftig finden,
Das will die Pflicht:
Doch manche Menschen, die wir kennen,
Viel klüger, als die Thiere, nennen,
Das will sie nicht.
Die seltnen Fürsten Götter heißen,
Die sich der Menschenhuld befleißen,
Das will die Pflicht:
Doch die mit Götternamen zieren,
Die weibisch oder wild regieren,
Das will sie nicht.
Nicht widersprechen und sich schmiegen,
Wann große Männer prächtig lügen,
Das will die Pflicht:
Doch glauben, was sie uns erzählen,
Doch glauben, wo Beweise fehlen,
Das will sie nicht.
Der Neuern Kunst und Witz verehren,
Zumal, wann sie durch Muster lehren,
Das will die Pflicht!
Allein den großen Geist der Alten
Für unsrer Zeiten Antheil halten,
Das will sie nicht.
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Der Welt das Wasser anzupreisen,
Erlaubt man Aerzten oder Weisen,
Das will die Pflicht:
Allein des Vorrangs dich berauben,
Du freudenvoller Saft der Trauben!
Das will sie nicht.
Die frommen Blicke nicht verschmähen,
Wo wir nur Zucht und Unschuld sehen,
Das will die Pflicht:
Doch deren Vorzugsrecht verkennen,
In welchen Lust und Jugend brennen,
Das will sie nicht.
Die scharfen Mütter nicht belachen,
Die schlaue Töchter stets bewachen,
Das will die Pflicht:
Allein der Töchter List verrathen,
Die das thun, was die Mütter thaten,
Das will sie nicht.
Den Alten, die uns bessern können,
Mehr Zehenden an Jahren gönnen,
Das will die Pflicht:
Allein zu ihrem längern Leben
Von unserm eine Stunde geben,
Das will sie nicht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Oden und Lieder. Zweites Buch. Grenzen der Pflicht. Grenzen der Pflicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3309-7