[187] 25.
Einige Fabeln


1.

Der Fuchs und die Trauben. Bei Gelegenheit einer Rede des nachwärtigen Herrn Professor in Franeker D.J. Jakob Ritters

Ein Fuchs, der auf die Beute gieng,
Traf einen Weinstock an, der, voll von falben Trauben,
Um einen hohen Ulmbaum hieng;
Sie schienen gut genug; die Kunst war, abzuklauben.
Er schlich sich hin und her, den Zugang auszuspähn;
Umsonst, es war zu hoch, kein Sprung war abzusehn.
[188]
Der Schalk dacht in sich selbst: ich muß mich nicht beschämen;
Er sprach und macht dabei ein hämisches Gesicht:
»Was soll ich mir viel Mühe nehmen,
Sie sind ja saur und taugen nicht!«
So gehts der Wissenschaft. Verachtung geht für Müh.
Wer sie nicht hat, der tadelt sie.

2.

Der beste König 1

Die Thiere wollten einen König wählen. Es warfen sich viele zur Wahl auf, worunter auch der Löwe und der Hirsch war. An diesem pries man das unschädliche Gemüthe und die prächtige Gestalt. Am Löwen war die Tapferkeit und die ungemeine Stärke der Vorzug. Ein schlauer Affe rieth auf den Elephanten. Er ist stark, sagt er, wie der Löwe und dennoch so gütig als der Hirsch.


Ein Fürst ist allzu schwach, der nicht zu zürnen weiß,
Sein unbeschütztes Volk steht fremder Herrschsucht preis;
Ein Landbezwinger ist ein allgemeiner Würger,
Der Nachbarn Straf und Furcht, doch weit mehr seiner Bürger.
Der ist vollkommen groß, der, recht an Gottes Statt,
Zum Frieden Huld und Recht und Muth zum siegen hat.

[189] 3.

Der Fuchs und die andern Thiere

Ein König sagte in Indien eine allgemeine Jagd an. Man machte Anstalt, einen ganzen Wald mit Tüchern und Federn zu umgeben, und viele tausend Menschen fiengen an, sich in einen Kreis zu stellen. Noch war der Ring dünne und große Lücken zwischen den Jägern, aber dem Fuchse gefielen die Anstalten nicht. Rettet euch, sagte er zu den andern Thieren, weil noch eine Lücke frei ist, bald dürfte es zu späte sein. Der starke Löwe, der schnelle Hirsch, der schlaue Affe lachten über die Furchtsamkeit des Fuchses und verließen sich auf ihre Kräfte, ihre Geschwindigkeit und ihre List. Wie der Kreis nun geschlossen war, die Menschen immer näher anrückten und endlich mit Wurfpfeilen die eingesperrten Thiere häufig erlegten, sagte der Fuchs: Ich bin weder schnell noch tapfer, aber hier bin ich sicher; und kroch in ein Loch, das er indessen gescharret hatte. Die andern Thiere wurden alle getödtet oder gefangen.


Die sichre Kühnheit höhnt abwesende Gefahr,
Scherzt, wo sie fürchten soll, vertrotzt die theure Stunde,
Da Rettung möglich war;
Und wann der reife Sturm ihr überm Haupt nun schwebt
Und die empörte See die starken Wellen hebt,
So geht ihr blinder Stolz auch unbedaurt zu Grunde.
Die Klugheit sieht den Sturm in fernen Wolken drohen,
Flieht sichern Häfen zu, enteilet dem Orcan
[190]
Und sieht denn auch getrost, wie dort der Ocean
Unwiderstehbar tobt, wovon sie früh entflohen.

4.

Der Hahn, die Tauben und der Geier

Einige Tauben suchten sich an etwas Korn zu sättigen. Ein Haushahn kam dazu, brauchte Gewalt und vertrieb die Tauben. Im ersten Verdruß über das erlittene Unrecht sahen sie einen Geier, der eben über dem Hofe schwebte, und riefen ihn an, sie zu rächen. Der Geier kam, zerriß den Hahn und bald darauf die Tauben, die sich über den Tod ihres Feindes freueten.


Ihr Staaten, die so leicht ein schlechter Nutz entzweit,
Die ihr als einzeln schwach, und stark, wann einig, seid,
O lernt bei diesem Bild die kleine Rache meiden
Und lieber den Verlust als Unterdrückung leiden.
Die Fabel malt euch vor, was allemal geschah;
Bleibt einig oder bebt; der Geier ist schon da!

Fußnoten

1 Diese und die folgenden Fabeln sind nach Augsburg zu einigen Kupfern zu stechen geschickt worden und ist also bei der Erfindung darauf gesehen worden, daß man eine Anzahl Thiere auf das Gemälde anbringen könnte.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Haller, Albrecht von. 25. Einige Fabeln. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-33AD-A