Ueber die Ehre.
Als Herr D. Giller den Doctorhut annahm.
1728.
Die Freundschaft dieses liebreichen, ehrlichen und längst in die Ewigkeit versetzten Mannes machte einen großen Theil meiner Glückseligkeit in Leyden aus. Sie allein konnte meinen Widerwillen wider alles gratulieren bezwingen, und ich verließ meinen Vorsatz, niemals dergleichen Gelegenheits-Gedichte zu schreiben, um desto unbereuter, weil die reinste Liebe allein mich davon frei sprach.
Geschätztes nichts der eitlen Ehre!
Dir baut das Alterthum Altäre;
Du bist noch heut der Gott der Welt.
Bezaubrend Unding, Kost der Ohren,
Des Wahnes Tochter, Wunsch der Thoren,
Was hast du dann, das uns gefällt?
[9]Du hast die Bürger güldner Zeiten
Gelehrt, ihr eigen Weh bereiten,
Des Blutes stolzes Recht erdacht;
Du hast, aus unterirdschen Grüften,
Die tolle Zier an unsern Hüften,
Das Schwert, zuerst an Tag gebracht.
Du lehrtest nach dem Rang der Fürsten
Der Menschen eitle Sinnen dürsten,
Den doch die Ruh auf ewig flieht:
Daß wir die Centner-Last der Würden
Auf allzuschwache Schultern bürden,
Ist, weil man dich beim Zepter sieht.
Du führest die geharnschten Schaaren
Durch die verachteten Gefahren
Mit Freuden ins gewisse Grab;
Dich nach dem Tode zu erhalten,
Bricht der geschwächte Sinn der Alten
Ihr sonst so theures Leben ab.
Dein Feuer füllt die grösten Geister,
Du lehrest Künst und machest Meister,
Durch dich erhält die Tugend sich;
Der Weise selbst folgt dir von fernen,
[10]Sein starrer Blick sucht in den Sternen
Nicht ihren Wunder-Lauf, nur dich.
Ach, könnten doch der Menschen Augen
Dein Wesen einzusehen taugen,
Wie würdest du für sie so klein!
Verblendend Irrlicht der Gemüther,
Gerühmter Adel falscher Güter,
Wer dich gefunden, hascht nur Schein.
»O Jüngling,« rufte jener Weise,
»Was macht, daß deine Helden-Reise
Sich in Aurorens Bette wagt?
Du rennst in tausend bloße Säbel,
Nur daß am Tisch der Griechen Pöbel
Nach deinen Thaten müßig fragt.«
1So seid ihr Menschen mit einander!
An Muth ist keiner Alexander,
An Thorheit gehn ihm tausend für;
Ihr opfert eure besten Jahre,
Nur daß Europa bald erfahre,
Daß einer lebt, der heißt wie ihr.
Wie herrlich werd ich einst verwesen,
Wenn Leute nur mein Ende lesen
Bei den Erschlagnen obenan!
Wohl angebrachtes Blut der Helden,
Wann einmal die Kalender melden,
Was Wunderthaten sie gethan!
[11]Zwar noch zu glücklich, wessen Wunden
Bei dem Gerüchte Platz gefunden,
Er hascht ihn doch, den edlen Traum!
Wie manchen, der sein kühnes Leben
Mit gleichem Muthe hingegeben,
Benennt die Todtenliste kaum!
Als aus des neuen Gottes Wunden
Das Blut entgieng, die Kräfte schwunden,
Wog Fama jeden Tropfen ab;
Allein das Werkzeug seiner Siege,
Die Mitgefährten seiner Kriege,
Verscharrt mit ihrem Ruhm ihr Grab.
Doch, ach, was haben sie verloren?
Das Leben in der Menschen Ohren
Geht nach dem Tod uns wenig an;
Achilles, dessen kühne Tugend
Ein Beispiel ist sieghafter Jugend,
Ist ja so todt als jedermann.
Baut, eitle Herrscher unterm Süden,
Die unzerstörbarn Pyramiden,
Gepflastert mit des Volkes Blut;
Doch wisst, daß, einst der Würmer Speise,
Man unterm Stein vom höchsten Preise
Nicht besser als im Rasen ruht.
Allein was kann uns auch im Leben
Der Nachruhm für Vergnügen geben?
[12]Die Ruh wohnt bei der Ehre nie.
Sie wohnt in prächtigen Pallästen
Und hat selbst Könige zu Gästen,
Allein mit Rauche speiset sie.
Sagt: hat der gröste von den Kaisern,
2Bedeckt mit tausend Lorbeer-Reisern,
Nicht alles, was ihr wünschen könnt?
Doch schaut, ihr Sklaven eiteln Schimmers,
Doch ins Bezirk des innern Zimmers
Und sagt, ob ihr sein Glück euch gönnt?
Es klingt zwar herrlich in den Ohren:
»Zum Herrscher von der Welt geboren
Und größer noch von Würdigkeit!«
Allein der Glanz von zehen Kronen,
Die Majestät so vieler Thronen
Ist nur der Unruh Feier-Kleid.
Europens aufgebrachte Waffen
Hier von sich lehnen, dort bestrafen,
Am Steuer von der Erde sein,
Ein Heer gepresster Unterthanen
Hier schützen, dort zum Frieden mahnen,
Räumt wenig Ruh den Tagen ein.
Allein sein eigen Reich verwalten,
Staat, Kirch und Handelschaft erhalten,
Was Nutz und Ehre fodern, thun,
In Frieden seine Waffen schärfen,
[13]Den Grund zum Glück der Nachwelt werfen,
Lässt auch zu Nacht ihn niemals ruhn.
Er schmachtet unter seiner Würde,
Ihr seht die Pracht, er fühlt die Bürde,
Ihr schlafet sicher, weil er wacht;
Zu selig, schnitte das Geschicke
Von seiner Hand die güldnen Stricke,
Womit es ihn zum Sklaven macht.
Wann aber erst mit Unglücks-Fällen
Des Fürsten Sorgen sich gesellen,
Wenn wider ihn das Schicksal ficht,
Wann um ihn Macht und Bosheit wittert
Und der bestürmte Thron erzittert,
Da zeigt der Zepter sein Gewicht.
Weh ihm, wann ihn sein Stolz verwöhnet!
Der größre Herr, der ihn belehnet,
Lehrt ihn, von wem die Krone sei;
Der Lorbeer schützt nicht vor dem Blitze,
Der Donner schlägt der Thürme Spitze,
Und Unfall wohnt Tyrannen bei.
Wie manchmal wird dem höchsten Haupte,
Das heut der Lorbeer noch umlaubte,
Des Abends kaum ein Sarg gewährt!
Wie oft muß Gift, aus Freundes Händen,
Des grösten Helden Leben enden,
Das tausend Degen nicht versehrt!
Das Muster aller Fürsten-Gaben
Muß neben sich ein Unthier haben,
[14]Das eh verdient am Pfahl zu stehn.
3August, des Brutus Ueberwinder,
Sieht durch die Laster seiner Kinder
Sein Haus mit Spott zu Grunde gehn.
Zieh, Hannibal, vom heißen Calpe
Und Visos unerstiegner Alpe,
4Such in der Römer Blut den Ruhm!
Rom selbst scheut sich mit dir zu kriegen,
Doch bleibt dir einst von deinen Siegen
Nur Gift zum letzten Eigenthum!
Wann auch sich einst ein Liebling fände,
Mit dem das Glück sich fest verbände,
Blieb ihm kein Wunsch gleich unerfüllt;
Er wird von Sorgen drum nicht freier,
Die Ehrsucht ist ein ewig Feuer,
Das weder Zeit noch Ehre stillt.
Was man gewünscht, ist schon vergessen,
Eh man es einen Tag besessen,
Dem Wunsche folgt ein andrer nach;
Der Nachruhm selbst spornt unsre Sinnen,
Noch größre Thaten zu beginnen,
Und hält erworbnen Ruhm für Schmach.
Er fand an Ganges letztem Strande
Das Ziel der Thaten und der Lande,
Doch Philipps Sohn war noch nicht satt;
Die Welt hört auf mit seinen Siegen,
[15]Er aber weint, weil, dort zu kriegen,
Der Himmel keine Brücke hat.
Ihr aber, deren Tugend-Lehre
Führt nach der reinsten Art der Ehre,
Lernt doch, wornach ihr lüstern seid!
Was hilft es euch, den Göttern gleichen,
Wann in der Bosheit finstern Sträuchen
Ein Weg ist zur Unsterblichkeit?
Der Nachruhm lobt nicht nur das gute;
Er schreibt die Zagheit bei dem Muthe,
Die Tugend bei den Lastern ein;
Er wieget nicht den Werth der Dinge,
Genug, daß ein Verrath gelinge,
Sein Meister wird unsterblich sein.
Wer hat des Habis Lob gegeben,
5Da man der Cäsarn mördrischs Leben
In tausend Büchern ewig findt?
Heißt Alexander nicht der Große,
Da in des nichts verlornem Schooße
Ung und Ascan begraben sind?
6Bekennt es, ihr homerschen Helden!
Was kann die Nachwelt von euch melden,
Als die beglückte Raserei?
[16]Nehmt weg, daß ihr die Welt verheeret,
Geraubt, gemordt, gebrannt, zerstöret,
Was bleibt, das wissens würdig sei?
Allein, wann endlich schon die Ehre
Der Weg zu dem Vergnügen wäre,
Auch also lohnt sie nicht die Müh:
Man opfert ihr der Jahre Blüthe,
Die besten Kräfte vom Gemüthe,
Und nach dem Tod erlangt man sie.
Man steigt der wahren Ehr entgegen
Nur stufenweis, auf steilen Wegen,
Und zahlt mit Blute jeden Schritt;
Im Alter naht man sich der Spitze
Und glaubt sich endlich im Besitze,
Wann uns der Tod in Abgrund tritt.
Als dort im Kreise banger Helden
Die Aerzte Babels Sieger melden,
Daß er umsonst nach Rettung schaut,
Was helfen ihm die vielen Kronen?
Und daß, vom Schutt zerstörter Thronen,
Er lebend sich Altär erbaut?
Laß dein Arbela dich erquicken,
Wisch ab mit Lorbeern, die dich schmücken,
Den Schweiß des schmachtenden Gesichts;
Du siegtest nur, um schwer zu sterben,
Du raubst die Welt für fremde Erben,
Du hattest alles und wirst nichts!
[17]Komm, schneller Cäsar, sieh und siege,
Es sei der Schauplatz deiner Kriege,
Die ganze Welt, dein Unterthan;
Doch Dolche sind, dich zu ermorden,
Vor Ewigkeit geschliffen worden,
Dawider nichts dich schützen kann!
O selig, wen sein gut Geschicke
Bewahrt vor großem Ruhm und Glücke,
Der, was die Welt erhebt, verlacht;
Der, frei vom Joche der Geschäfte,
Des Leibes und der Seele Kräfte
Zum Werkzeug stiller Tugend macht!
7Du, der die Anmuth frischer Jugend
Vermählest mit der reifen Tugend,
Was fehlet deiner Seligkeit?
Beglückter Giller, deine Tage
Sind frei von Sorg und feiger Klage,
Wie du von Ehrgeiz und von Neid!
Kein Kummer, deinen Stand zu bessern,
Kein eitler Bau von fernen Schlössern
Hat einen Reiz, der bei dir gilt;
Der Quell von stätigem Vergnügen
Ist nimmermehr bei dir versiegen,
Weil er aus deinem Herzen quillt!
Was soll dir dann mein Glückwunsch nutzen?
Mag ein Demant mit Glas sich putzen?
[18]Schminkt sich mit Ruhm die Tugend an?
Genug, ich will dein Treuster leben,
Sie selbst, die Tugend, wird dir geben,
Was ich dir gutes wünschen kann!