[107] Wir sind die Saat
Da stehen sie im schmutzigen, zerrissnen Rock.
Der Koth der Gasse klebt an ihrem plumpen Fuss.
Da stehen sie und starren blöden Augs dich an
und bergen beide Fäuste in den Taschen tief.
Du gabst die Stimme jenem Mann, den sie erwählt,
der ihrem Elend laute Worte leihen soll,
und ihrer Sache gabst du wohl weit Grössres schon.
Nun trittst du aus dem Haus. Sie füllen rottenweis
vor dir die Strasse. Schweigend schauen sie auf dich
mit diesem stummgebornen Hass im trägen Blick.
Dem Tiger auf der Lauer funkelt das Auge doch,
es geht ein Gluthauch vor des Löwen Rachen her,
doch dieses Volk, es lastet, stumm wie der Felsenhang
ob deinem Haupt – und plötzlich löst es sich – und fällt.
[108]
Nicht was du willst, noch was du immer sinnst und denkst –
nein: was du bist, und dass du also worden bist,
das ist die Sünde, unter deren Fluch du stehst.
Du bist das Opfer, und mit dir dein ganz Geschlecht. –
Furchtbares Schicksal: ohne Recht geboren sein
im Heute noch im Morgen! Ein verwelkter Wald,
der nie gegrünt! Ein Kind, im Mutterleibe siech!
Wir sind die Opfer fremder, langgehäufter Schuld ...
Wir sind die Opfer einer fernen schöneren Zeit!
Wir sind die Saat! – – O mögen goldene Ähren einst
wogend verhüllen dunkeler Erde vergessenen Grund!
Mögen der rote Mohn und der Cyanen Blau
als Edelsteine leuchten aus dem Goldgeschmeid!
Dann flattern die Falter freudig in der Sonne Strahl,
und Bienen summen honigtriefend überall!