Dem Schmerz sein Recht

1.

Ewiger, der du in Tiefen wohnest,
Die der jüngst geborene Gedanke,
Der, weil du allein Gedanken sendest,
Kaum den Weg von dir zu mir durchmessen,
Wenn er rückwärts blickt, nur schwindelnd nachmißt,
Ewiger, vernimm in dieser Stunde
Meines bang bewegten Herzens Flehen!
Träumt vielleicht in einer niedern Hütte
Irgendwo ein Kind, in dessen Seele
Jene Kraft des schöpferischen Bildens
[287] Die du, auf dein höchstes Recht verzichtend,
Deinen Menschen liehest, heimlich schlummert,
Und der Jüngling, der dies Kind geworden,
Schlägt, von Armuth hart bedrängt und Rohheit,
Einst ein Auge, das vor starren Thränen
Deine Sterne längst nicht mehr gesehen,
Auf zu dir und stammelt ohne Worte:
Luft, mein Vater, daß ich nicht ersticke,
Eh' ich für mein Leben dich bezahlte!
Send' ihm dann den Edelsten entgegen,
Der, zufrieden, ein geweihtes Leben
Aus dem Bann zu lösen, ihm die Hand reicht,
Und belohnt ist, wenn er wieder athmet,
Wie ein Wand'rer die verstopfte Quelle
Freundlich reinigt, und für seine Mühe
Als der Erste trinkt und weiter schreitet.
Kannst du aber keinen Solchen senden,
So verschließe dich vor seinem Stammeln,
Denn die Kraft, die eine Welt beleben
Oder eine Welt verjüngen könnte,
Wird, in seiner Brust zurückgehalten,
Langsam, aber sicher, ihn verzehren,
Und dann mag er mit dem All sich mischen,
Bis, verstärkt in langer Ruhepause,
Ihn die eig'ne Schwere wieder ablös't
Und ihm neu das Thor zum Dasein aufsprengt.
Also bet' ich, weil ich schmerzlich wünsche,
Daß für mich, als ich geboren wurde,
So ein edler Mensch gebetet hätte.
[288]

2.

Liegt Einer schwer gefangen
In öder Kerkernacht,
So tödt' er das Verlangen
Nach Freiheit, wenn's erwacht.
Wenn auch sein ernstes Streben
Zuletzt das Ziel erringt,
Wer giebt ihm Muth und Leben
Zurück, die es verschlingt?
Tritt er hinaus in's Freie
Und fühlt sich ganz zerstört,
Das frägt er sich mit Reue,
Warum er sich empört.
Und stärker, immer stärker,
Wird er sein eig'ner Feind,
Bis ihm zuletzt sein Kerker
Als seine Welt erscheint.
Wie der Gedank' auch brenne,
Doch wünsch' ich, menschlich-mild,
Daß Keiner sich erkenne
In diesem dunklen Bild.
Die eig'ne Qual wird's dämpfen,
Wenn ihr es immer wißt,
Welch Leben dieß mein Kämpfen
Um eine Grabschrift ist.

3.

Alle Wunden hören auf, zu bluten,
Alle Schmerzen hören auf, zu brennen,
Doch, entkrochen seines Jammers Fluten,
Kann der Mensch sich selbst nicht mehr erkennen,
[289]
Mund und Auge sind ihm zugefroren,
Selbst des Abgrunds Tiefe ist vergessen,
Und ihm ist, als hätt' er Nichts verloren,
Aber auch, als hätt' er Nichts besessen.
Denn das ewige Gesetz, das waltet,
Will die Harmonie noch im Verderben,
Und im Gleichmaaß, wie es sich entfaltet,
Muß ein Wesen auch vergeh'n und sterben.
Alle Theile stimmen nach dem einen
Sich herunter, den der Tod beschlichen,
Und so kann es ganz gesund erscheinen,
Wenn das Leben ganz aus ihm gewichen.
Ja, ein Weh giebt's, das man nicht ertrüge,
Wenn es nicht sein eig'nes Maaß zerbräche,
Und, wie einer abgeschmackten Lüge,
Der Erinn'rung selber widerspräche.
Dann, vergessend in der innern Oede,
Daß einst frisch das Herz geschlagen habe,
Ist ein Mensch der Nessel gleich, die schnöde
Wuchert über seinem eig'nen Grabe.

4.

Schlafen, Schlafen, Nichts, als Schlafen!
Kein Erwachen, keinen Traum!
Jener Wehen, die mich trafen,
Leisestes Erinnern kaum,
Daß ich, wenn des Lebens Fülle
Nieder klingt in meine Ruh',
Nur noch tiefer mich verhülle,
Fester zu die Augen thu'!
[290]

5.

Gott weiß, wie tief der Meeresgrund,
Gott weiß, wie tief die Wunde ist!
Auf ewig schließ' ich drum den Mund,
Ich werde dadurch nicht gesund,
Daß, die sie schlug, sie auch ermißt.
Doch sie, die Welt, die das verbrach,
Sie schändet meinen stummen Schmerz,
Sie wagt die allerhöchste Schmach
Und ruft, nachdem sie's selbst durchstach,
Mir höhnend zu: Du hast kein Herz!

6.

Natur, du kannst mich nicht vernichten,
Weil es dich selbst vernichten heißt,
Du kannst auf kein Atom verzichten,
Das einmal mit im Weltall kreis't;
Du mußt sie alle wieder wecken,
Die Wesen, die sich, groß und klein,
In deinem dunklen Schooß verstecken
Und träumen, nun nicht mehr zu sein;
Natur, ich will dich nicht beschwören:
Veränd're deinen ew'gen Lauf!
Ich weiß, du kannst mich nicht erhören,
Nur wecke mich am letzten auf!
Ich will nicht in die Luft zerfließen,
Ich will, auf langen Schlaf entbrannt,
Gestorben, mich im Stein verschließen,
Im härtesten, im Diamant.
[291]
Ob der in einer Krone gaukle,
Ob er bei heller Kerzen Licht
Auf einer Mädchenbrust sich schaukle,
Ich schlafe tief, ich fühl' es nicht.
Er wird bei tausend Festestänzen,
Als Mittelpunct im Stralenkranz
Vielleicht, wie nie ein And'rer, glänzen,
Doch Keiner ahnt, woher der Glanz.
Erst, wenn ich mich erwachend dehne,
Sag' ich dem Träger still in's Ohr,
Daß einst ein Mensch zerrann zur Thräne
Und die zum Edelstein gefror!

7.

Und mußt du denn, trotz Kraft und Muth,
In jedem Dorn dich ritzen,
So hüt' dich nur, mit deinem Blut
Die Rosen zu bespritzen.

8.

Geht stumm an dir vorbei die Welt,
So fühle stolz und andachtsvoll:
Ich bin ein Kelch, für Gott bestellt,
Der ihn allein erquicken soll!

9.

Es grüßt dich wohl ein Augenblick,
Der ist so überschwellend voll,
Als ob er dich mit sel'gem Glück
Für alle Zukunft tränken soll.
[292]
Du aber wehrst, eh' du's vermeinst,
Ihn scheu und zitternd selber ab,
Und jene Thräne, die du weinst,
Giebt ihm den Glanz, doch auch das Grab.
Uns dünkt die Freude Altar-Wein,
Am Heiligsten ein sünd'ger Raub;
Zieht Gottes Hauch durch unser Sein,
So fühlen wir uns doppelt Staub.

10.

Unergründlicher Schmerz!
Knirscht' ich in vorigen Stunden:
Jetzt, mit noch blutenden Wunden,
Segnet und preis't dich mein Herz.
Alles Leben ist Raub;
Funken, die Sonnen entstammen,
Lodern, das All zu durchflammen,
Da verschluckt sie der Staub.
Nun ein heiliger Krieg!
Höchste und tiefste Gewalten
Drängen in allen Gestalten!
Trotze, so bleibt dir der Sieg.
Thatst du in Qual und in Angst
Erst genug für dein Leben,
Werden sie selbst dich erheben,
Wie du es hoffst und verlangst.
Greife in's All nun hinein!
Wie du gekämpft und geduldet,
Sind dir die Götter verschuldet,
Nimm dir, denn Alles ist dein!
[293]
Nun versagen sie Nichts,
Als den letzten der Sterne,
Der dich in dämmernder Ferne
Knüpft an den Urquell des Lichts.
Ihm entlocke den Blitz,
Der dich, dein Ird'sches verzehrend,
Und dich mit Feuer verklärend,
Lös't für den ewigen Sitz!

11.

Den bängsten Traum begleitet
Ein heimliches Gefühl,
Daß Alles Nichts bedeutet,
Und wär' uns noch so schwül.
Da spielt in unser Weinen
Ein Lächeln hold hinein,
Ich aber mögte meinen,
So sollt' es immer sein!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Hebbel, Friedrich. Dem Schmerz sein Recht. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3B9D-1