8. Gereimte

Parabel

Jüngst traf ich einen alten Mann
Und hub ihm vorzusingen an,
Doch an den Mienen des Gesichts
[378]
Bemerkt' ich bald, er höre Nichts.
Da dachte ich: der Greis ist taub,
Drum wird dein Lied des Windes Raub,
So thu ihm denn, nicht durch den Mund,
Durch Zeichen Dieß und Jenes kund.
Ich that's, doch ward mir leider klar,
Daß er auch schon erblindet war,
Denn, wie der Frosch aus seinem Sumpf,
Hervor glotzt, sah er dumpf und stumpf,
Und ungestört in seiner Ruh',
Der Sprache meiner Finger zu.
Ich rief: mit dem steht's schlimm genug,
Doch mögt' ich ihm den letzten Zug
Noch gönnen aus dem Lebensquell!
Da reicht' ich ihm die Rose schnell,
Die ich für meine Braut gepflückt,
Allein auch das ist schlecht geglückt,
Ihm schien der Duft nicht mehr zu sein,
Wie einem Gartengott von Stein.
Nunmehr verlor ich die Geduld,
Ich dacht' an meines Mädchens Huld,
Die mir so schmählig jetzt entging,
Da sie die Rose nicht empfing,
Und jagte ihm im ersten Zorn
In's dicke Fell den scharfen Dorn;
Doch bracht' auch dieß ihm wenig Noth,
Er zuckte nicht, er – war wohl todt!

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TextGrid Repository (2012). Hebbel, Friedrich. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Epigramme und Verwandtes. 8. Gereimte. Parabel. Parabel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3C7D-1