Der Zirkelschmidt

In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheurateten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Turm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen roten Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren[195] nimmer weiß, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Daraufhin läßt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen, und trinkt viel Wein dazu, also, daß die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer ausmachte, was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmidt schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig machen und in Jäst bringen. »Das war ein schlechtes Essen, Herr Lammwirt«, sagte er, »für ein so schönes Geld. Es wundert mich, daß Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch nichts habe rühmen hören.« Der Wirt, so ein Ehrenmann war, antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es hatte ihm schon ein paarmal im Arme gejuckt. Als aber der Zirkelschmidt zuletzt sagte: »Es soll mir eine Warnung sein, denn ich habe mein Leben lang gehört, daß man in den schlechtesten Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird.« Da gab ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die zwei Dukaten unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine Zeche bezahlen, »oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die Vorstadt hinausprügeln.« Der Zirkelschmidt aber lächelte, und sagte: »Es ist nur mein Spaß gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen war recht gut. Gebt mir nun für die Ohrfeige, die ich von Euch bar erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser, wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe gehoben?!« – Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose Augen, denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei wohlhabender Mann, und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen, und nur eine Stunde des Turmhüters Hausmann sein. Deswegen dachte er: Zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken abverdient; besser, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer drauf, als daß ich das Ganze noch einmal bezahlen muß, und werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: »Jetzt komm mir nimmer ins Haus!«[196]

Drauf, sagte man, habe es der Zirkelschmid in andern Wirtshäusern versucht, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seien sie schnell auf 50 Prozent herunter gesunken, und am Ende, wie die Assignaten in der Revolution, so unwert worden, daß man jetzt wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische Grenze so viele unentgeltlich ausgehen und wieder einnehmen kann, als man ertragen mag.

[1810]

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TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Der Zirkelschmidt. Der Zirkelschmidt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4263-E