[232] XXXVII.
Der Falke.
Wem ist dein Ruhm, dein Vorzug unbekannt?
Hetrurien, der Künstler Vaterland,
Wo die Natur, das Auge zu entzücken,
Recht sinnreich ist, Berg, Thal und Busch zu schmücken,
Und Wahl und Kunst, durch edelmüthgen Fleiß,
Der Schöpferinn klug nachzuahmen weiß.
Der Arno sah hier sonst an seinem Schilfe,
Den Pan voll Muth und Nymphen ohne Hülfe,
Und noch erblickt sein reizendes Revier
Der Schönen Schaar, und Lieb' und Lust mit ihr.
Dort, in Florenz, verehrte man vor Zeiten
Ein schönes Weib, voll Stolz und Trefflichkeiten.
Es war nur sie dem Wunder aller Welt,
Der Venus gleich, die Cosmus aufgestellt.
1 [233]Sie war es nur, die Aller Sehnsucht übte,
Geliebet ward, und Keinen wieder liebte:
Frau Silvia, für die so manche Nacht
Der Stutzer Volk geseufzet und gewacht,
Und, schlief es ja, mehr als ihr Ehegatte,
Zum langen Traum nur sie gewünschet hatte.
An Zärtlichkeit und an Verehrung glich
Kein Einziger dem edlen Friederich.
Nicht nur sein Gut, er hätte selbst sein Leben,
Um einen Kuß, bezaubert hingegeben.
Er wußte wohl, das Geld erkauft den Sieg
Unzweifelhaft, sowohl in Lieb' als Krieg,
Sprengt Schlösser auf, kann Wall und Burg ersteigen,
Wiegt Wächter ein, macht Knecht' und Mägde schweigen,
Und wiederum, schnell wie das Spiel sich dreht,
Den Knecht, die Magd verführerisch beredt.
Nichts lockt so sehr von Allem, was wir kennen;
Nichts auf der Welt ist freundlicher zu nennen.
Avidien,
2 dir lacht in der Natur
[234]Nichts, als das Geld; sonst Alles lächelt nur.
Nichts gleicht für dich, an Liebreiz und an Freude,
Dem Sonnenerz, der beßten Augenweide.
Doch Friederich war kein Avidien:
Nur Sylvia war ihm auf Erden schön.
Er hielte sich glückselig im Verschwenden,
Für Sylvia auch Alles aufzuwenden.
Allein umsonst, wie viel er auch empfand;
Ein trockner Kuß auf Handschuh oder Hand,
Ein kurzer Dank, womit sie ihn beehrte,
Der ihren Stolz durch Pracht und Knechtschaft mehrte,
Ein karges Lob, ein seltner Seitenblick,
Das war sein Lohn, das war sein ganzes Glück.
So ward er arm, weit früher, als er dachte;
Weil er noch stets aus Hufen Baarschaft machte.
Dies Rittergut und jenes Marquisat
Versilberten noch immer seinen Staat;
Doch nur ein Jahr. Anselmo, sein Verwalter,
Ist insgeheim sein jüdischer Erhalter,
Kauft einen Hof; baar, doch für halbes Geld,
Zu diesem Hof ein großes Ackerfeld,
[235]Zu diesem Feld ein Vorwerk und die Pflege,
Die Fischerey, die Jagd, und das Gehäge,
Und weil Pandolf, ein Wechsler, Vorschuß thut,
Zum Vorigen das Schloß, das Rittergut,
Der Erbschaft Kern. Sein Herr läßt sich betrügen,
Und jedes Gut in fremde Hände fliegen.
Die Lieb' ist schlau, allein sie rechnet schlecht,
Und gegen sich ist sie oft ungerecht.
Sie sammlet nicht. Die milde Kunst zu lieben
Gleicht nie der Kunst, die Xenophon beschrieben.
3Dem Friederich verblieb nur dreyerley:
Ein Pferd, ein Falk' und eine Meyerey.
Sonst hatt' er nichts, als taube, falsche Freunde.
Die Freunde gieb, o Himmel meinem Feinde!
Doch, Himmel, nein! so hab' ich nie gehaßt,
Und diesen Fluch hat nicht mein Herz verfaßt.
Kein Einziger war willig ihm zu dienen.
Sie ließen ihn, als einen Baum, vergrünen,
Der Schatten gab, dem man noch helfen kann:
Ihm half man nicht, ihn sah man nicht mehr an.
[236]Ein Tischfreund sprach: Er ist recht zu beklagen;
Der Andre: Ja! das wollt' ich eben sagen.
Der Dritte schwieg; und Jeglicher vergaß,
Was er zuvor allein in ihm besaß,
Der, wenn er nur der Freunde Mangel wußte,
Voll Ungeduld, ihn hülfreich heben mußte,
Der jeder Kunst, der Tonkunst, Poesie
Und Malerey weit mehr als Lob verlieh,
Und Sylvien, zum Vortheil vieler Leute,
Turniere, Ball und Lustbarkeiten weihte.
Wie hätten sonst Stand, Jugend, Aufwand, Pracht,
Ihm in Florenz die Schönen hold gemacht!
Sie gönnten nicht der Silvien ihr Glücke.
Der Wink zur Lust, die Sprache schlauer Blicke,
Der Seufzer Ruf, der schmeichelhafte Scherz
Verfolgten ihn, und buhlten um sein Herz.
Doch ward sein Herz von keinem Reiz bemeistert;
Es ward allein von Silvien begeistert.
Was er gedacht, empfand, und hört', und sah,
Und sprach, und schrieb, war Alles Silvia.
In diesem Wahn, und eingenommnen Sinnen
Sah' er sein Gut wie lockern Schnee zerrinnen,
[237]Der sternend glänzt, das Auge blendend rührt,
Doch allgemach in Tropfen sich verliert.
So mußt' er bald der schönen Marquisaten,
Die er besaß, bey neuer Noth, entrathen,
Und weil die Reih' auch bald die Grafschaft traf,
So floh die nach; nun war er nicht mehr Graf.
Wie kränkt ihn das! Die Wollust stolzer Ohren,
Des Namens Schmuck, der Titel gieng verloren.
In Frankreich ist Marquis von hohem Ton,
In Welschland Graf, und anderswo Baron.
So heißt man gern: auch lernet diese Namen
Manch Bürgerkind auf Reisen nachzuahmen;
Daher ihm auch die Wirthinn und der Wirth
Gehorsamst dient, und sich zum Vortheil irrt.
Der Silvia Gemahl, und Herr, und Hüter
Hatt' um Florenz viel angestammte Güter,
War reich und groß; und Friedrichs Göttinn nahm
Nichts von ihm an, wenn er zu opfern kam.
Es war ihr Herz zu edel, zu erhaben.
Sie duldete den Geber, nicht die Gaben,
Und stellt' ihm nur den steten Aufwand frey,
[238]Den öftern Ball, die öftre Mummerey,
Das Ritterspiel, das rauschende Gepränge,
Der Ehrenmahl' und Freudenfeste Menge,
Womit er ihr Geburts- und Namenstag
Und manchen mehr stolz zu verschönern pflag.
Doch auch kein Kuß vergnügte seine Triebe.
Er ist und bleibt ein Märtyrer der Liebe.
Die Hoffnung selbst versüßt nicht sein Bemühn.
Er muß nunmehr die Meyerey beziehn.
Er muß die Stadt, den Sitz gewohnter Freuden,
Er muß auch sie, die er vergöttert, meiden.
Betrübter Trost, daß ihn ein Dach versteckt,
Ein Dach von Rohr, das halb sein Haus bedeckt,
Das wüste Haus, wo in der Mauer Ritzen
Ein Marder wirft, und Kautz und Eule sitzen,
Und Licht und Tag, grausamer als die Nacht,
An jeder Wand nur Elend sichtbar macht!
Hier wohnt er nun; beschämt daß seine Treue
Sein Unglück ist; doch immer ohne Reue.
Er klagt nur sich, nur sein Verhängniß an,
Daß Silvia ihn nimmer lieb gewann.
[239]Er klaget nur, baß er so stolz gewesen,
Zur Schönen sich die Schönste zu erlesen.
Er hatte hier, im öden Aufenthalt,
Ein greises Weib von widriger Gestalt,
Von trägem Dienst, voll Husten, Gicht und Jammer.
Die Küche glich der leeren Speisekammer.
Im alten Stall stund traurig und allein
Ein gutes Pferd, doch nicht von Knochen fein.
Und unterm Dach saß einsam auf der Stange
Sein edler Falk. Dem war im Hühnerfange
Kein andrer gleich. Mit dem ritt er ins Land,
Und opferte dem Gram, den er empfand,
Manch Rebhuhn auf, als ob es büßen sollte,
Daß Silvia ihn nicht erhören wollte.
So lebte hier der gute Friederich,
Durch eigne Schuld, verlassen, kümmerlich,
Und stets verliebt. Der Unmuth, der ihn plagte,
Stieg mit zu Pferd, und trieb ihn, wann er jagte.
Sein zärtlich Herz war seine größte Quaal.
Indessen starb der Silvia Gemahl,
Und hinterließ nur einen Sohn zum Erben,
Ein schwaches Kind, und sollte der versterben,
[240]So hatt' er sie im Testament bedacht,
Und diesem Sohn zur Erbinn sie gemacht.
Sie wollte nun, geruhiger zu leben,
Sich auf das Land und in ein Schloß begeben,
(Von Friedrichs Hof lag es fünfhundert Schritt)
Und nahm dahin den kleinen Junker mit.
Dort wird er krank. Was sie erleiden müssen,
Da Arzt und Tod ihr ihren Herrn entrissen,
Traf nicht so sehr ihr eheliches Herz,
Als dieses Weh, und ihres Söhnchens Schmerz.
Den ganzen Tag sitzt sie vor seinem Bette,
Und forscht, und fragt, was er doch gerne hätte?
Ob dies? ob das? Was ihrem Kleinen fehlt?
Was er zur Lust, was er zur Speise wählt?
Sie will sich gern nach seinem Sinn bequemen.
Er wegert sich, was sie ihm giebt, zu nehmen.
Er weist es ab, schreyt, lärmt, ist nimmer still.
Nur jener Falk' ist, was er haben will.
Sonst will er nichts. Seitdem man ihm erzählet,
Daß dieser Falk noch nie den Raub verfehlet,
Daß er so scharf von Aug' und Klauen sey,
Sonst lustig, zahm, nicht falsch, nicht menschenscheu:
[241]Seit solcher Zeit war es einmal geschehen,
Daß er ihn selbst, und seinen Herrn gesehen,
Der dieses Kind an seinen Busen drückt,
Und einen Kuß, durch ihn, der Mutter schickt.
Den Falken nun, den will er, und sonst keinen.
Sonst ruht er nicht: sonst kann er nichts, als weinen.
Die Mutter seufzt. Sie wußte freylich wohl,
Wie sehr man oft den Kindern fugen soll.
Doch kann sie sich, ja darf sie sich entschließen,
Den Friederich um etwas zu begrüßen,
Das ihn vielleicht oft vor dem Hunger schützt,
Das Einzige, das er zur Jagd besitzt,
Das Einzige, das ihm das Glück gelassen?
Hat er nicht Recht, nunmehro mich zu hassen?
Erwies ich ihm, als er sich mir geweiht,
Nur mich verehrt, die mindste Dankbarkeit?
Wie kann ich nun ihm unter Augen gehen?
Wie, unbeschämt, um seinen Falken flehen?
Ich, deren Stolz ihn in sein Elend stürzt,
Ihn, dessen Noth gewiß sein Leben kürzt!
Doch kann mein Sohn nicht sterben und nicht leben.
Ich soll, ich muß ihm diesen Falken geben.
Wie quält er sich! Er schlummert keine Nacht,
[242]Als bis man ihm zum Falken Hoffnung macht.
Es sey gewagt, mein Freund läßt sich erbitten;
Ich kenne ja sein Herz und seine Sitten.
Am nächsten Tag, als nur der Morgen scheint,
Eilt sie zum Hof' und sucht den treuen Freund,
Und findet ihn in seinem kleinen Garten.
Er war bemüht, die Sprößlinge zu warten.
Sie geht zu ihm, unangemeldt, hinein.
Bald sieht er sie. Wie kann es möglich seyn,
Spricht er entzückt, daß ich dich hier verehre?
Ich glaub' es kaum, daß ich dich seh' und höre.
So bin ich dir doch heute nicht verhaßt! –
O nein, mein Herr, zu dir komm' ich als Gast. –
Als Gast? zu mir? Erblicke mit Erbarmen
Den Liebenden, den Flüchtling, und den Armen,
Und höhn' ihn nicht. Was hat dich hergebracht?
Denn dein Besuch war mir nicht zugedacht. –
Mein Freund, du irrst. Das will ich dir beweisen.
Ich bleibe hier, und kam, mit dir zu speisen. –
Was hätt' ich wohl! an Allem leid' ich Noth.
Was tisch' ich auf? – Wie? hast du denn kein Brodt?
Versetzte sie. Gleich geht er aufzusuchen,
Ob noch vielleicht ein guter Honigkuchen,
[243]Ob etwas sonst zum Mahl vorhanden sey.
Da flieget ihm sein schöner Falk' entgegen,
Sein treuer Falk'. Ohn' alles Ueberlegen
Erwürgt er ihn, rupft ihm die Federn aus,
Und hackt ihn klein, und eilt, und läuft durchs Haus.
Selbst ist der Mann: er selbst will Alles holen.
Doch wird der Tisch der Alten anbefohlen.
Ihr Herz verwünscht den plötzlichen Besuch;
Doch langt sie bald das Tisch und Tellertuch
Mit Wahl hervor, setzt in das Zimmer Mayen,
Pflückt Quendel ab, die Tafel zu bestreuen,
Holt Rosmarin; dem wird der Majoran,
Die Ringelbluhm' und mehr hinzugethan.
Man sitzt, man ißt, und um ihn zu verbinden,
Scheint Silvia hier Alles schön zu finden.
Noch kein Gericht hat ihr so gut geschmeckt.
Warum sie kam, wird ihm nach Tisch' entdeckt.
Vergönnst du mir, mich dir zu offenbaren?
Wo fang' ich an? wie weiß ich fortzufahren?
Ich fodre dir mit Unrecht Alles ab,
Was noch bisher dir Trost und Freude gab.
Doch könntest du die Mutterliebe kennen,
[244]Du würdest mich beklagenswürdig nennen.
Erbarme dich. Ach, Freund, betrachte nur
Die Regungen der Pflicht und der Natur.
Mein Sohn ist krank; ihm nagt ein innrer Kummer,
Der seltsam ist, und raubt ihn Kraft und Schlummer:
Denn dieser Sohn, mein einzig Kind, erstirbt,
Falls nicht mein Flehn den Falken ihn erwirbt:
So heftig ist sein einziges Begehren.
Du seufzest schon; ach glaube meinen Zähren.
Ach hätte mir mein langer Widerstand,
Mein spröder Stolz nicht ganz dein Herz entwandt!
Dein edles Herz! Doch wolltest du ermessen. –
Der Falk' ist hin: du hast davon gegessen,
Spricht Friederich; und seine Herrscherinn
Fragt ihn bestürzt: Was hör' ich? ist er hin?
Der Arme sagt: Ach hätt' ich dir, mein Leben,
(Vergieb dies Wort) dafür mein Herz gegeben!
Zum Unglück nur treibt mich mein Schicksal an:
Ich soll nichts thun, das dich gewinnen kann,
Dich, Silvia. Dir etwas vorzusetzen,
War dein Geheiß, und ward mir zum Ergötzen.
Ich suchte nach: ich sah den Boden leer,
[245]Und auch mein Falk fand keine Aetzung mehr.
Ihn würgt' ich ab, gleichgültig, ohne Reue:
Ihn opfert' ich der Schönheit und der Treue.
Wie? seufzest du? Ist etwas uns zu werth,
Wenn die erscheint, die unsre Brust verehrt?
Doch hör' itzt auf die deinige zu quälen.
Es soll dir nicht an einem Falken fehlen.
Ich schaff' ihn dir von starkem Muth und Flug.
Die Wittwe sagt: O nein; es ist genug!
Du giebst mir itzt das größte Liebeszeichen,
Mein beßter Freund! Es mag mein Sohn erbleichen,
Der Himmel mag ihn länger mir verleihn,
So dank' ich dir. Kehr' oftmals bey uns ein.
Versprich es doch, versprich es, bald zu kommen.
Du wirst gewiß erkenntlich aufgenommen.
Sie reicht ihm selbst die Rechte lächelnd dar,
Die weiße Hand, die sonst so furchtsam war.
Nun darf er sich mit tausend Küssen rächen.
Sein Mund verstummt, und seine Thränen sprechen.
Der kranke Sohn folgt bald dem Vater nach.
Der zweyte Tag sah' ihn geschröpft und schwach,
Der dritte todt; und über sein Erblassen
[246]Will Silvia sich gar nicht trösten lassen.
Allein der Bund der Liebe mit der Zeit
Ist viel zu stark für ihre Traurigkeit.
Nicht bloß aus Dank, auch weil ihr Herz ihn wählet,
Wird Friederich mit Silvien vermählet.
Boccaz ist der erste Erfinder dieser Geschichte, oder vielmehr der erste Erzähler derselben; denn, wie er versichert, soll sie sich wirklich in Florenz zugetragen haben. Sie ist eine der schönsten für junge Grazien, unter allen seinen Erzählungen, und wenn man einige lange italienische Perioden nicht übel nehmen will, so vortrefflich erzählt, daß man sie als ein Muster einer guten Erzählung betrachten kann.
La Fontaine hat sie ihm nacherzählt, und mit sehr vielem Witze bereichert; aber es ist mir, wenn ich ihn nach dem Italiener höre, als ob ich ein rührendes Lied, das ich vorher mit zärtlichen Empfindungen gelesen, nun in einer lustigen Melodie singen hörte, bey [247] welcher die launichtsten Einfälle eines Piccini meinen Ohren widrig klingen.
Der gute Genius des Herrn von Hagedorn hat ihm eingegeben, den la Fontaine hierinnen nicht übertreffen zu wollen; er hat dessen feinsten Witz mit dem Rührenden des Boccaz zu vereinigen, und das Ganze mit einigen Pinselzügen von den Rosenfarben seiner Phantasie noch zu verschönern gewußt. Indessen muß ich gestehen, daß er mehr dem la Fontaine, als dem Boccaz nachgezeichnet habe, und daß ihm einige Schönheiten des ersten Originals entschlüpft seyen.
Ich will meinen Leserinnen einige derselben hier mittheilen.
La Fontaine und von Hagedorn sagen, Silvia sey aus Stolz so grausam gegen den verliebten Friederich gewesen. La Fontaine: elle étoit toujours hautaine & rude; und von Hagedorn: Sie war ein schönes Weib voll Stolz und Trefflichkeiten: Ein kurzer Dank, womit sie ihn beehrte, der ihren Stolz und seine Knechtschaft mehrte, u.s.w.
Der Italiener kannte die Natur der Leidenschaften besser; er wußte, daß der Stolz das schwächste Ding[248] sey, wenn die Liebe ihn ernstlich angreife; er sagt:sie war zu tugendhaft, um ihm Gehör zu geben: Ella era non meno honesta, che bella; und ich glaube, daß dieses die einzige Ursache sey, weßwegen eine Dame einem jungen Ritter, der alle mögliche Vollkommenheiten besitzt, die eine Aspasia verlangen kann, ihre Gunstbezeugungen versagen könne.
Der Italiener hat ferner den Besuch der Silvia bey dem armen Friederich weit schöner beschrieben, als seine Nachahmer. Ich will zum Beweise einige Stellen des Originals übersetzen.
»Sie gieng ihm mit aller weiblichen Holdseligkeit entgegen, und nachdem sie Friederich ehrerbietig gegrüßt hatte, sagte sie zu ihm: Ich wünsche Sie glücklich anzutreffen, und komme, Ihnen das Unglück einigermaßen zu ersetzen, das Sie meinetwegen erduldet haben, da Sie mich mehr liebten, als Ihnen zuträglich war; ich und meine Begleiterinn wollen diesen Mittag bey Ihnen speisen.«
Friedrich versetzt' ihr darauf: Ich kann mich nicht entsinnen, gnädigste Frau, jemals einigen Schaden durch [249] Ihre Schuld erduldet zu haben u.s.w. Darauf führt er sie in seinen Garten, und läßt eine Gärtnerinn zur Gesellschaft bey ihnen, und entfernt sich, die Mahlzeit zu besorgen.
Er empfand noch niemals seine Armuth so sehr, als jetzt; und verwünschte sich selbst und sein Schicksal; wie ein Mensch, der außer sich ist; und rennte hiehin, dahin und dorthin.
Ich finde immer, um es bey dieser Gelegenheit zu sagen, daß Wenige unter den deutschen Dichtern so glücklich gewesen sind, die hohen Grade der Leidenschaften richtig zu beschreiben. Unsere beßten Dichter stürzen bisweilen von dieser Höhe herab, wenn sie mit ihren unzulänglichen Kräften sie zu erreichen streben; diese hohe einfache Schönheit können sie selten ausdrücken, in dem übrigen Allen vortrefflich seyn. Unsere gewöhnlichen Kunstrichter wissen von diesen Graden leider! gar nichts, und doch sind sie der untrüglichste Maaßstab, nach welchem die Größe der Genieen gemessen werden, und weßwegen man gegen die Fehler der jungen Köpfe entweder gnädig oder unbarmherzig seyn muß; sie schlagen[250] drein mit ihren Ruthen, und bedenken nicht, welchen Schaden sie damit stiften können. –
Nachdem Silvia bey unserm Herrn von Hagedorn gesagt hat: »Ich kam mit dir zu speisen«, so antwortet der edle Friederich:
Was hätt' ich wohl? An Allem leid' ich Noth.
Was tisch' ich auf? – Wie, hast du denn kein Brodt?
Versetzte sie. Gleich geht er aufzusuchen u.s.w.
das ist zu kläglich beym ersten Empfang für einen Ritter und eine große Dame. La Fontaine hat den Herrn von Hagedorn dazu verführt; Dieser sagt das nämliche:
Je n'ai, dit il, cuisinier, ni marmite;
Que vous donner? – n'avez vous pas du pain?
der Italiener ist travestirt.
Die Dame bittet ferner bey ihm mit weit mehr Grazie um den Falken, als bey dem Franzosen und Deutschen; und die Lage des Ritters dabey ist meisterhaft gemalt. »Er fieng an, in ihrer Gegenwart so zu weinen, daß er kein Wort antworten konnte. Die Dame glaubte, die Ursache seiner Thränen sey der Schmerz, sich von seinem geliebten Falken zu trennen; und war schon im Begriff zu [251] sagen, daß ihr die Grausamkeit gereue, ihn darum gebeten zu haben, als Dieser ihr antwortete: Seitdem ich auf Sie meine Liebe gerichtet, hab' ich fast immer mich über mein widerwärtiges Glück beklagen müssen, aber Alles war leicht gegen den Streich, den es mir jetzt spielt; nie werd' ich mich darüber zufrieden geben; Sie kommen in meine arme Hütte, da Sie in meinem größten Reichthum mich nicht zu besuchen würdigten; und verlangen von mir ein kleines Geschenk, und ach! auch dieses hat mir mein böses Schicksal entrissen; ich nahm das Liebste, Beßte, was ich noch besaß, es Ihnen zur Mahlzeit vorzusetzen. Wir haben den Falken verzehrt, und der Schmerz darüber, daß ich ihn nicht geben kann, wird niemals aufhören.«
Von Hagedorn läßt ihn naiv darauf antworten: »Der Falk ist hin, du hast davon gegessen.« Die Antwort ist vortrefflich; aber die Zärtlichkeit des italienischen Ritters rührt mich mehr. –
Die Dame tadelte ihn, daß er eines solchen Falken ihrentwegen nicht geschont hatte, und bewunderte darauf die Größe seiner Seele, die die Armuth nicht hatte verringern können, und bezeugte sich gerührt über seine große Liebe zu ihr; und nahm traurig von ihm Abschied. Ihr Sohn starb, und dieser letzte Beweis seiner unveränderlichen Liebe zu ihr bewog sie, sich mit ihm zu vermählen.
[252] Der Herr von Hagedorn und la Fontaine lassen den Ritter und die Dame nicht edel genug reden; nichts desto weniger aber hat der erste sie in vielen Stellen verschönert.
La Fontaine beschließt diese Erzählung mit einer sehr guten Lehre, die ihm die Damen nicht übel nehmen können, da er doch nicht von ihrem ganzen Geschlechte redet:
––– Il ne faut, qu'on se trompe
A cet exemple, & qu'un pareil espoir
Nous fasse ainsi consumer nôtre avoir,
Femmes ne sont toutes reconoissantes:
A cela près ce sont choses charmantes.
Sous le Ciel n'est un plus bel animal;
Je n'y comprens le sexe en general.