Vierter Teil
Rom, Oktober.
Ich habe seit meiner letztern Begebenheit mit Lucinden gerungen und gekämpft, in keine solche Torheit wieder hineinzugeraten; aber alles muß seiner Natur folgen. Ich zittre und knirsche mit den Zähnen, daß es nicht anders ist: der Mensch hat keine Freiheit. Sieh die Inseln der Glückseligkeit vor Dir, mit vor Verlangen kochendem Herzen nach ihrer Lust, von üppigem Mut alle Nerven geschwellt: und widerstehe mit kalter Überlegung der Gefahren, die vielleicht auf Dich warten, indes der günstigste Wind über Dir in den Wipfeln hinsäuselt! Was ist das, daß der Mensch so nach Ruhe trachtet und sie hernach doch nicht leiden kann? Daß das Ziel keins mehr für ihn ist, sobald er es erreicht hat, und er immer ein neues haben muß? Ach, unser Wesen hat keinen Frieden, und Brand und Glut in und über alles ist dessen erste Urkraft!
Wo ich gehe und stehe, schwebt sie mir vor Augen; ich strecke meine Arme nach ihr aus, und meine Füße bewegen sich von selbst nach dem Ort ihres Aufenthalts. In diesen Kreis bin ich wie gebannt, und mir scheint kein ander Licht. O sie ist so ganz, was ich wünsche! und alles andre, was ich schon genossen habe, dünkt mir nur ein Vorschmack von der Fülle ihrer Seligkeit. Fiordimona, o Fiordimona, mit dir möcht ich ewig leben und unauflöslich mich mit dir verflechten! Du allein kannst bei allen Reizen der Schönheit meine Freundin sein; einen so hohen kräftigen Geist hab ich bei deinem Geschlechte noch nicht gefunden.
Glaub indessen nicht, Benedikt, daß ich mich aus Muße und Langerweile verliebe; ich beschäftige mich gerade mit den ersten Werken der bildenden Kunst, der alten und der neuern: allein das Leben selbst triumphiert über alles und gewinnt im Gegenteil dadurch noch mehr Stärke.
Der Oktober ist hier wie Wetter aus dem Paradiese, jeder Tag heiter und Fest schon an und für sich. Ich habe mich [189] auf eine Woche in das Vatikan eingesperrt und genösse Götterlust, wenn mein Herz ruhiger wäre. Ich wohne oben im Belvedere bei dem Manne, der die Antiken in seiner Verwahrung hat, und die Aussicht von meinem Zimmer ist bezaubernd. Rom liegt still da, wie ein friedlich Überbleibsel von der Herrschaft der Welt; wie ein junger Sproß steigt es hervor aus dem uralten hohlen Stamme der ehemals erhabnen ungeheuern Eiche. Voran grünt das fruchtbare lange und breite Tal, wodurch der Tiber strömt, zwischen reizenden Hügeln, die schöne Villen bekränzen; und in grauem Duft und blauer Ferne lagern sich die Gebirge von Sabina, Tivoli und Frascati majestätisch herum. Man sieht so den Aufenthalt von süßen Geschöpfen vor sich, mit denen man auf allen Seiten, da und dort in die Höhen, um allein zu sein, hinaus flüchten könnte.
Die Nachwelt hat die größten Meisterstücke der Malerei dem wilden und kühnen Papst Julius zu verdanken; und es ist ein seltnes Glück, daß der Heftige einen so scharfen und sichern Blick für das Wesentliche hatte und sich durch kein Gepränge oder Höflingsgeschwätz täuschen und irreführen ließ. Er erkannte das wahre Talent und verachtete dagegen allen Modekram. Die berühmtesten Künstler damaliger Zeit hatten schon in den Stanzen die Wände mit allerlei Larven bemalt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszusetzen war, als Bramante den Raffael von siebzehn Jahren herbeibrachte, daß auch er in einem Zimmer sich versuchen möchte. Die alten Meister lächelten höhnisch und spotteten unter sich über die Unerfahrenheit des Knaben. Der hohe Jüngling ließ sich nicht stören und entwarf in seiner Phantasie, dem Schauplatz angemessen, vier Bilder: von der Theologie, der Philosophie, Poesie und Gerechtigkeit, und legte gleich im ersten Feuer Hand an die Theologie.
Die Philosophie war noch nicht ganz vollendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemälde so entzückt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andern [190] gemacht hatten, wieder herunterzuschlagen: dieser junge Mensch sollte die Zimmer allein ausmalen. Die alten Herrn schrien über Tyrannei und Unverstand, aber Welt und Nachwelt hat diesen harten Ausspruch gerechtfertigt.
Ein solcher Schutz der Kunst macht Ehre, und keine Millionen, die man an Stümper und ein buntes Gemisch von Kunstsachen verschwendet, indes der eigentliche Mann bei seiner Bescheidenheit entweder verborgen bleibt und darbt oder doch nur als ein gewöhnlicher Taglöhner sein Stück Arbeit nebenher durch irgendeines Vernünftigen Empfehlung von ohngefähr bekömmt.
Die Theologie ist ein geistig Bild der Religion; die vornehmsten Personen des Alten und Neuen Testaments sind hier beisammen, jede nach ihrem Charakter. Das Ganze stellt gleichsam die christliche Kirche vor im Werden.
Gott der Vater schwebt obenan als Architekt mit freundlichem Ernste, daß alles so ist, wie er's haben wollte. Christus ruht selig auf einem Wolkenthron in der Glorie der Ausführung, die Mutter voll Zärtlichkeit neben ihm. Patriarchen, Jünger und Apostel umgeben ihn als ihren Mittelpunkt, auf Wolken von Engeln getragen. Und unten auf dem Erdboden handeln noch die ersten Kirchenlehrer und Christen in der Grundlage des Gebäudes.
Die Hauptgestalten zeugen von der lebhaftesten jugendlichen Einbildungskraft und haben wunderbare Bestimmtheit in den Umrissen. Die vier großen Kirchenlehrer gehen mit ihrer Kraft allen andern hervor. Wenn irgend ein Sterblicher zum Maler geboren war, so ist es gewiß Raffael. Seine Figuren sind mit einer Quelle von Leben hervorgefühlt und voneinander unterschieden bis auf eine eigne Art von Reiz im Ausdruck.
Die Schule von Athen ist ebenso ein geistig Bild der Philosophen beisammen. Pythagoras fängt an, Sokrates folgt, alsdenn kömmt Plato mit dem Aristoteles und weiter Archimed. Die Gruppe des letztern mit den vier Jünglingen ist wirklich unaussprechlich schön und reizend, ein entzückend [191] Bild von einem Meister mit seinen Schülern; die Aufmerksamkeit zweier, die Verwunderung und Begeisterung des Aufblickenden besonders göttlich hingezaubert, gerad im Momente, wo er die Erklärung des schweren Problems findet. Gesicht mitsamt dem Haar ist von hoher Schönheit und Wahrheit. Archimed selbst voll Schärfe des Verstandes und Überlegung. Zeichnung und Malerei überall spricht den großen Meister von heiterm Sinn. Der eine studiert; der andre begreift; der dritte hat's begriffen und verwundert sich; und der vierte frohlockt und möchte jemand, der's auch lernte.
Für ein Gymnasium von Philosophen wäre das Ganze ein wahrer Zauber und würde jederzeit die Seele zur Empfänglichkeit stimmen. In verschiednen Köpfen von Raffael herrscht eine Wirklichkeit, wobei man über die frische Kraft seiner Phantasie erstaunen muß. Sein heiliger Gregorius muß ein Theolog sein, sein Pythagoras ein Philosoph und keine andre Menschen.
Der Parnaß ist wieder so ein geistig Bild der Poesie. Homer improvisiert, von Begeisterung hingerissen; Apollo ist mit seinen schönen Augen verzückt in himmlische Phantasien; Musen, Laura, Sappho und die besten Dichter, die theatralischen ausgenommen, sind dabei zugegen.
Die Gerechtigkeit besteht aus drei vortrefflichen allegorischen Figuren: Klugheit, Stärke zur Rechten, Mäßigkeit zur Linken.
Dieses Zimmer war seine erste Arbeit zu Rom; es bleibt aber doch das vorzüglichste wegen Menge und Adel von Gestalten. Seele und Auge jedes verständigen und in der Welt erfahrnen Menschen müssen sich so recht daran wie an süßem Kern weiden. Überall blickt da und dort eine himmlische Blume hervor, und je tiefer man sich mit seinem Stachel hineingräbt, desto nahrhafter Honig findet man. So hat mich spät noch erfreut sein Evangelist Johannes in der Theologie, neben dem David, welcher vor der Menge größerer Figuren einem erst nach und nach mit seinem[192] süßen Lächeln und halb zugedrückten innigseligen Blick aus seiner Engelsschönheit ins Herz blitzt. Das blonde Haar wallt ihm reizend nieder auf die Schultern, und er scheint einen Liebesbrief zu schreiben.
Die Schule von Athen ist mir das angenehmste von allen seinen Werken: eine solche Fülle von Heiterkeit und Ruhe kömmt mir daraus entgegen; ob das Ganze im Grunde gleich einen Streit vorstellt, nämlich den Sieg der Aristotelischen Philosophie über die Platonische, wie die triumphierenden und widerlegten Gesichter zeigen. Alles neben den beiden großen Helden scheint sich darauf zu beziehen. Plato hat zur Seite den Sokrates mit dem Alkibiades und den Pythagoras, Aristoteles den Kardinal Bembo 14 und Archimed. Wahrscheinlich fehlen deswegen Epikur und Zeno mit ihrem Anhange. Welche vollkommne Meisterstücke sind darin Pythagoras, Sokrates, Plato, Aristoteles, Archimed oder Bramante mit dem jungen Herzoge von Mantua! Alles ist hier so Natur, daß man die Kunst vergißt und nicht an sie denkt: so voll und verliebt darein und fertig war der Meister. Die Gruppen sind schön zusammengehalten, und jede richtet sich nach dem Philosophen, der Unterricht erteilt. In die antiken Gewänder hat er sich gut hineingedacht, und man merkt nichts Gezwungenes.
Zusammengedrängte Jahrhunderte machen in jedem von den drei Gemälden ein einzig Bild für die Phantasie.
In dem Zimmer darauf tut der Genius Raffaels, wenn ich mich so ausdrücken darf, pittoreskere Flüge, ist aber nicht mehr so reich an hoher individueller Gestalt.
Sein Heliodor ist vielleicht die schönste Allegorie neuerer Zeiten. Das Ganze teilt sich in drei Gruppen und tut große Wirkung. Die Gruppe der Engel mit dem niedergeworfnen Heliodor gehört unter Raffaels Höchstes; sie sind durchaus Natur in Gestalt, Gebärde und Bewegung; er hat sie vermutlich von feurigen römischen Buben in Zorn und Sprung [193] abgesehn. Der Engel zu Pferde in der Kirche ist etwas ungereimt, aber er macht ein herrlich Bild von Schnelligkeit und unwiderstehlicher Gewalt. Heliodor und seine Gefährten schreien; und es gehört zur Schönheit des Ganzen, ob sie gleich gegen die Theorie einiger Antiquaren dazu den Mund auftun müssen.
Die Gruppe von Weibern neben dem Papste, der von Schweizern, nach der Natur kopiert, hereingetragen wird, macht einen reizenden Kontrast; die Köpfe der beiden Frauen, die mit den Händen zeigen, sind die schönsten, und der dritte daneben hat einen wunderbaren Ausdruck. Julius schaut voll Majestät, als ob seine Befehle gut ausgeführt würden.
Der Hohepriester in der Mitte am Altar bittet voll Zuversicht in Ergebung. Der Bube, welcher auf den Säulenfuß steigt, um recht zuzuschauen, ist sehr pittoresk, wie überhaupt alles samt der Beleuchtung.
Dies Gemälde gehört gewiß zu dem Vortrefflichsten, was Raffael hervorgebracht hat; und zu der Zeit, wo soeben erst die Franzosen von Italien hinausgetrieben waren, muß es jedermann innig ergötzt haben. Man sieht inzwischen deutlich, daß ihm seine Schüler an den Nebensachen halfen. Es ist ein ungeheurer Unterschied, wenn man Raffaelen nach den meisten gegenwärtigen Malern sieht; bei ihm lebt alles und bedeutet, und greift ein ins Ganze. Man kömmt bei ihm einmal wieder zu einem verständigen Menschen.
Damit Du aber siehst, daß ich doch nicht schwärme, so meld ich Dir dagegen, daß der bewunderte Attila gegenüber auf mich wenig Wirkung macht. Ich finde darin kein recht zusammenhängend Ganzes in der wirklichen Malerei und den Charaktern, obgleich die Anlage trefflich ist, und zuviel Kompliment auf Leo den Zehnten, dessen Kopf sich wahrlich zu keiner solchen Szene schickt. Attila sieht viel zu gütig aus für einen Hunnenkönig, ohnerachtet der ungefühlten Worte von Griechenheit darüber, und Leo zu feist für einen Heiligen. Die Apostel sind zu schwer, zu [194] groß und zu nah in der Luft für schwebende Figuren, haben wenig Gestalt und bitten eher, als daß sie drohen sollten, und halten ihre Schwerter wie die Weiber.
Nichtsdestoweniger bleibt das Gemälde mit den Porträten, Pferden und verschiednen Gewändern eine reizende Wandverzierung für einen geistlichen Fürsten, und es ist darin immer mehr natürliche Gestalt für Verstand und Auge als vielleicht in hundert neuern.
Das Wunder bei der Messe ergötzt besonders wegen Einheit und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks durch alle die verschiednen Gesichter, die meistens Porträte sind, und zeigt so recht Raffaels wunderbare Einbildungskraft. Es ist der lebendige Glaube. Der überführte Priester, mit den Augen kaum blinzend und voll Beschämung und Erstaunen in den Lippen, und Julius der Papst sind hohe Meisterstücke. Das Ganze ist am besten gemalt unter allen.
Petrus, befreit aus dem Gefängnisse, ist ein angenehmes Spiel von Licht und Schatten, wozu jedoch kein Raffael gehörte, und das Ganze gut entworfen, der erschrockne Soldat auf der Treppe meisterlich.
In diesem Zimmer merkt man schon, daß Raffael seine Schüler bei seinen Arbeiten brauchte; aber noch weit mehr in dem dritten, hintersten, wo das meiste von diesen ist.
Der Burgbrand ist hier das Vorzüglichste. Viele Gestalten sind darin vortrefflich, nur war die Szene selbst eher ein Vorwurf für den Tizian oder Correggio. Überhaupt aber sind Wunder eher für Poesie als bildende Kunst; sie täuschen das Auge selten, weil man natürlicherweise nichts so gesehn hat.
Die Dirne mit dem Krug auf dem Kopfe ist eine göttliche Figur, eine Amazone unter den modernen Weibern, voll Leben und Frischheit in ihren Formen und reizend in dem vom Wind angewehten Gewande. Die knienden Frauen sind gleichfalls trefflich und die Gruppe des Sohns, des Äneas, der seinen Vater rettet, mit dem Buben daneben Meisterwerk. Der Tumult der Weiber und Kinder, weinend und [195] schreiend, flehend und erschrocken, ergreift die Phantasie, und es gibt da schöne Gestalten. Jedoch ist er am Nackenden gescheitert; dies muß gut koloriert sein, wenn es Wirkung hervorbringen soll. Der nackende Kerl, welcher herabspringt, ist ziegelfärbig und sieht aus wie geschunden.
Leo der Vierte, welcher auf das Evangelium schwört. Die Hauptfigur ist das Beste im Ganzen; man kann gutes Gewissen nicht trefflicher ausdrücken im großen, kräftigen, freien Charakter. Herrlicher Blick gen Himmel! Außerdem sind noch einige meisterhafte Köpfe darin; scharfer Verstand, Getrostheit, und Verwunderung und Aufmerksamkeit darum her, und die Menge mit verschiednen Empfindungen. Es ist reizend, überall den tiefen Seelenklang zu finden. Er war in der Tat ein klares stilles tiefes Wasser, worin sich die beste Natur rein abspiegelte.
In der Schlacht bei Ostia ist das Beste der geharnischte Soldat mit den grünen Hosen; ein christlicher Held. Das übrige in diesem Stücke ist unbedeutend; der Papst selbst hat eine fromme Schafsgestalt.
In der Krönung Karls des Großen macht Karl selbst eine einfältige Figur und paßt so gut zu dieser Szene, die mit viel Empfindung und Feinheit ausgeführt ist; er sieht wie ein alter Schweizerkorporal aus und kniet mit abgestutztem Haar vor dem Papst.
Es sind in diesem Gemälde ganz vortreffliche Köpfe, besonders unter den Bischöfen und geharnischten Schweizern. Die Gescheitesten sind am entferntesten von ihm und um die Handlung her, und zum Teil mit ernsthaftem und heiterm Nachdenken. Die Bischofsmützen sind sehr fatal für die Malerei und ihr Weiß in doppelter gerader Reihe besonders im Vordergrunde grell. Die Einheit des Ganzen verbreitet sich bis auf die Sänger in der Ecke oben. Die Kerl, welche Geschenke tragen, silbernen Tisch und Gefäße, bringen Mannigfaltigkeit hinein. Es ist viel zusammengedrängte Pracht darin.
Im vierten und letzten Zimmer, beim Eingang das erste [196] und größte, ist alles bloß nach Raffaels Zeichnungen und Anlage, bis auf zwei Figuren, die er selbst in Öl ganz ausgemalt hat, nämlich die Gerechtigkeit und Gütigkeit, welche, obgleich nur allegorisch und wenig bedeutend, doch mit ihrer Wahrheit und Wirklichkeit alles von Julio Romano und Fattore niederschlagen. Es kömmt einem vor, als ob Raffaels warmes Leben kalt geworden wäre; er ist's, und ist's nicht mehr. Er selbst ist ganz lebendig: hier sind's nur seine Masken. Es fehlt die Bestimmtheit in allen Teilen, fehlen die feinen entscheidenden Züge, die nur von der schöpferischen Phantasie allein unmittelbar in die Hand quellen. Man muß sich zwingen, die Personen wirklich zu sehen; bei ihm kann man nicht anders.
Die Schlacht Konstantins gehört mit der Verklärung unter Raffaels größte Kompositionen; sie macht ein schönes Ganzes und ist vortrefflich angeordnet. Die Hauptfiguren gehen gut hervor. Konstantin drückt noch Zorn aus, und die Freude regt sich bei ihm über den Sieg. Der Kopf des Maxentius stellt einen schlechten, grausamen und elenden Tyrannen dar überhaupt, wohl meistens von Julio erfunden, und jetzt in Verzweiflung und gänzlicher Ohnmacht und der Gefahr, überall umzukommen. Sein Pferd und wie er sich beim Untersinken im Wasser daran hält, der Strom und die darin schwimmen, in die Barke steigen wollen und sie umwerfen, ist trefflich. Sonst sind die Haufen vielleicht zu voll, der Feind zu flüchtig, ohne allen Widerstand; es bleibt aber doch die erste Schlacht wegen Wahrheit der Gestalten. Die Gruppe, wo einer vom Pferde heruntergebohrt wird, und die des gefallnen Sohns mit der Fahne bei seinem Vater tun große Wirkung.
Die drei übrigen Gemälde in diesem Saale kommen nach den andern wenig in Betrachtung. Die Anrede Konstantins mit dem erscheinenden Kreuz in der Luft ist noch das beste; sie ist nach den Anreden Trajans auf Konstantins Triumphbogen. Einige Porträte nur ziehen das Auge an sich, als die zwei Jünglinge unter Konstantin.
[197] In der Schenkung Konstantins sind im Vordergrunde auf beiden Seiten ein paar schöne Gruppen von Weibern, samt denen, die sich durch die Säulen drängen.
Vor den Stanzen sind die Logen, mit lauter kleinen Gemälden aus dem Alten Testamente und am Ende mit einigen wenigen aus dem Neuen verziert. Raffael selbst hat nur ein paar Erker etwa selbst flüchtig ausgemalt und hier und da Hand angelegt, alles andre ist von seinen Schülern nach seinen Zeichnungen. Und so die Arabesken. Alles voll schöner reizender Ideen. Ich betrachte diesen Gang als die Schule Raffaels im eigentlichen Verstande, den trefflichen Meister unter seinen großen und kleinen Schülern, und es freut mich zu sehen, wie sie die Schwingen versuchen.
Man kann nicht wohl umhin, unter den großen Meistern der neuern Zeit den Michelangelo und Raffael obenan zu stellen; jenen wegen Richtigkeit im Nackenden und Erhabenheit seiner Denkungsart; doch hat er wenig Gefühl für schöne Form gehabt und ein elendes Auge für Farbe, und war arm an Gestalt.
Raffael ist lauter Herz und Empfindung, und eine Quelle von Leben und Schönheit, wie je wenig Sterbliche. Edel und liebenswürdig, und bereit, von seiner Fülle mitzuteilen für jedermann, hat er die Gunst und Bewunderung von dem Kerne der Menschheit erhalten. Alles Nackende, was zu unsern Zeiten am Menschen sichtbar ist, besitzt er in seiner Gewalt. An Gestalt ist keiner reicher als er, und darin fühlt er einige Gattungen von Seelenschönheit aufs lebendigste. Die Farbe war ihm zu sehr Oberfläche; im Nackenden hat er aber doch oft ihren Reiz gefühlt und besonders bei Köpfen in höchster Vortrefflichkeit übergetragen. Die Zaubereien von Hell-Dunkel sind ihm fremd. Sein Fehler ist seine Gefälligkeit überall, auch wo sie nicht sein soll. Es scheint, als ob er nie ein widerwärtig Gesicht recht habe ansehen können; in seinen Köpfen von Attila und Heliodor, und Mördern schier, ist Grazie und Gefälligkeit. Heldencharakter, welche für sich bestehen, einen Apollo, Herkules, [198] Jupiter, und diesen Ähnliche unter Menschen hat er nie oder höchst selten durch bloße Kopie erreicht. Sein Nackendes in den Teilen, die man nach unsern Sitten nicht sieht, ist wie aller andern Neuern meist Abschrift eines Modells; doch freut einen darin seine feste Hand. Die Vollkommenheit unsrer besten Antiken kannt er nicht; und sein Vortrefflichstes ist wahrlich nicht das wenige, worin er sie nachgeahmt hat. Dies Nackende, wenn er sich auch noch so sehr plagte, tut wenig Wirkung; es ist nicht wieder andre Natur geworden wie bei den Griechen, ausgenommen Kinder, Arme, Beine, Brüste, Hände, Füße.
Übrigens sieht man recht im Vatikan, daß er mit den vorzüglichsten Personen seines Zeitalters umging und ihre Gestalten, Mienen und Gebärden, Stellungen und Bewegungen und den Reiz in den Gewändern seiner Kunst eigen machte. Welche Meisterstücke Archimed, Aristoteles, Plato, Pythagoras, seine Theologen und Kirchenlehrer! Um sie so wohl zu fassen, dazu gehört gewiß ein verliebter Umgang mit großen Männern. Sappho, Laura, die drei Musen neben dem Apollo im Parnaß, Pindar, Horaz, welche Gestalten! Und wieder welch ein unschuldiges unbehülfliches und doch unbesorgtes Wesen in seinen Kindern zum Beispiel im Burgbrande!
Die Schönheit von Ausdruck und Empfindung hat er verstanden wie keiner. Auch dem Gemeinsten hat er immer einen Anstrich von Empfindung gegeben, ihn wie in Seele getunkt. Er konnte fast nichts anders machen; und die gefühligen Gebärden von inniger Rührung sind bei ihm zuweilen für den scharfen Denker bloße Manier und finden sich, wo sie sich nicht hin schicken. Seine wahrhaftig schöne Seele hat sich von Kindheit an dazu gewöhnt.
Gefühlvolle Gestalten, die nicht sprechen, sind aber auch der eigentlichste Gegenstand der Malerei; wo diese nicht das Hauptwerk in einer historischen Komposition ausmachen, ergreift das andre wenig.
Die vorige Woche war eine Seligsprechung zu Sankt Johann [199] im Lateran, und dabei wurden Raffaels Tapeten ausgehängt, das Fest zu schmücken. Sie machen die andre große Reihe von Gemälden aus, wenn man sie so nennen will, die sich von ihm hier befinden, und belaufen sich an die zwanzig Stücke. Es sind Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostelgeschichte. Raffael malte die Kartons dazu, wenig Jahre vor seinem Tode, auf Verlangen Leo des Zehnten, und sie wurden in Flandern unter Aufsicht zwei seiner guten dortigen Schüler gewirkt.
Man trifft darunter Vorstellungen an von hoher Vortrefflichkeit und Schönheit: bei einigen aber gab er sich freilich nicht viel Mühe; doch erblickt man auch hierin einzelne Figuren, die entzücken. Er mußte sich darauf einschränken, was auf Tapeten Wirkung tut, und konnte nicht ins Feine gehen, in die zarten Züge, die oft soviel entscheiden. Deswegen hat man vermutlich auch aus einer schändlichen Nachlässigkeit die Originale zurückgelassen; und der Himmel weiß, wo sie in den Nebelländern hingeraten sind.
Der Kindermord, die Auferstehung, die Austeilung der Schlüssel, wo man dem Paulus opfern will, der selbe im Areopag, Petrus, der einen Gichtbrüchigen heilt, der blinde Zaubrer, der Fischzug gehören unter die besten. Es ist wunderbar, wie das Leben aus der groben Materie hervorbricht und die Herzen ergreift; und man wird selbst zum glücklichen, seligen Kinde, wenn das Volk so daran vorbeizieht, da und dort stillesteht und sich dieses und jenes Schöne zeigt, sich dabei der Religion freut und fromm und gut nach Hause geht.
Vor seinem Kindermorde muß jeder andre Künstler die Segel streichen. Ich habe manches schöne Weib davor Tränen vergießen sehen, so rührend ist die Mutterliebe und die Unschuld der Kinder auf mancherlei Art ausgedrückt. Die Mutter, welche mit ausgebreiteten Armen und flatternden Haaren im Schrecken flieht; welche sitzt und über ihr totes Kind weint; welche den Mörder wütend fortstößt, indes das Kind sich an sie festklammert: sind göttliche Gestalten.
[200] Es ist ein unendlicher Reiz von Leben, Bewegung und Schönheit in diesem Stücke, das aus drei großen Tapeten besteht.
Wie Petrus den Gichtbrüchigen heilt, ist ein gleiches Meisterstück und hat die trefflichsten Naturgestalten zur Begebenheit und macht noch ein vollkommner Ganzes. Ein gleiches, wo dem Paulus geopfert wird und wo Petrus die Schlüssel empfängt.
Wie Christus aufersteht, ist äußerst sinnlich erfunden. Die Wache erschrickt und flieht davon, wie vor einem Gespenste. Der Hauptmann mit dem Spieße, der im Entsetzen noch tapfer aushalten will, und der Soldat, der sich vor Furcht an ihn schmiegt, und ein andrer mit Schild und Armen über dem Kopfe, und der, welcher ausreißt, sind Meisterwerk. Die drei Marien in der Ferne vollenden die Heiterkeit des Ganzen.
Es läßt sich wenig darüber sagen, wenn man nicht selbst davorsteht und auf die Schönheiten hindeuten kann. Auch muß man vieles aus einer nähern Bekanntschaft mit Raffaelen nur ahnden.
Unter allen seinen theologischen Werken behält aber doch immer den Preis sein letztes, die Verklärung, weil es gewissermaßen die Quintessenz aller seiner heiligen Gefühle in sich hält, den Zuschauer in den Mittelpunkt der christlichen Religion zaubert und die Vollkommenheit seiner Kunst ist. Schade nur, daß das Gemälde die Haltung verloren hat, die Schatten alle schwarz geworden, die feinen Tinten verschwunden sind und die Luft keine gute Wirkung tut. Inzwischen müssen die Gestalten der hohen Menschen, die hier versammelt sind, schon an und für sich ergreifen. Jeder von den untern Aposteln möchte gern voll Gutherzigkeit helfen, aber kann nicht. Auch die Notleidenden sind edle Seelen, und die kniende Jungfrau mit dem königlichen Profil erhebt besonders die Szene. Der beseßne Bube ist ein gutes Kind; der Kopf hat in der Tat den Ausdruck, als ob ihm ein böser Geist etwas angetan hätte, und [201] sein Arm ist ein Meisterstück von Wut der Qual. Der Kopf des Weibes, welches ihn mit der Hand hält, voll Angst und blasser Melancholie, rührt bis zur Bangigkeit.
Oben auf dem Berge wird der göttliche Jüngling, der das menschliche Geschlecht von seinem Elend befreit und auf welchen die untern Gefährten zeigen, in Verzückung emporgehoben vom Boden, und ihn umschweben die größten Geister der Vorwelt herab vom Himmel. Die eingeschlummerten Begleiter erwachen auf der Anhöhe von der Glut der Begeisterung.
Jede Gestalt ist äußerst rein und bestimmt, individuell, voll Physiognomie und Schönheit in großen Formen. Dabei sind die Köpfe doch fast alle Natur aus der römischen Welt und täuschen deswegen so sehr. Ein Fremder kann es nicht so genießen wie einer, der diese kennt.
Mit einem Wort, es ist, was es sein soll: eine wahre Verherrlichung und Verklärung; die Doppelszene, so vereinigt, füllt den Moment so mächtig, als die Malerei nur leisten kann; und was leere Kritiker tadeln, entzückte gerade den Meister bei der Erfindung und macht den Triumph der Kunst für den Menschen von Gefühl aus.
Man muß gewiß erstaunen über die große Anzahl seiner Werke bei so kurzem Leben und seinem Hange zur Wollust, besonders wenn man das meiste so gefühlt und ausempfunden sieht. Bei bloßer Manier und Fabrik läßt sich große Anzahl leicht begreifen, wo arme Sünder denselben Puppenkram, den kein Vernünftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen versetzen; aber alles Vollkommne, aus der Natur hergeholt, will reine volle Seele und kostet Anstrengung.
Raffael hat sich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Künstlersöhnchen voll frischer Kraft selbst zum Maler in der Einsamkeit und beim Leben in der Welt gebildet, und früh sich angewöhnt, Gestalten und Bewegungen derselben sich in der Phantasie zu sammeln und vorzustellen; und diese Übung und Gewohnheit ist nach und nach bei [202] ihm zur stärksten Fertigkeit geworden. Seine Hand hat er gleichfalls geübt wie Auge und Phantasie, und dabei seines Geistes Sphäre erweitert; und so ist der göttliche Jüngling zum Vorschein gekommen. Die Hauptsache, worin er alle übertrifft, bleibt eben die vollkommne Fertigkeit, sich Gestalten vorzustellen, die Grund in der Natur haben, mit Zweck und Absicht. Daher die wunderbare Menge seiner Gemälde. Das Höchste in der Malerei, Gestalt, wobei sich andre, zuweilen die scharfsinnigsten Köpfe, vergebens abmartern, war sein Leichtestes, ging von ihm aus wie Quelle. Aber doch sieht man bei seinen Kompositionen deutlich allemal die Figuren, wo er sich angestrengt und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er besaß einen gar guten Volksverstand und dachte und empfand bei jeder Geschichte gleich das Natürlichste; und seine Gestaltenphantasie und sein kernhafter Stil, wo alles bestimmt ist, machte das Ganze gleich lebendig.
Nach diesem allen seh ich mich doch genötigt, ein Gegenlied von dem Lobe anzustimmen, was ich dem Papst Julius gab. Es war ein Glück für Raffaelen, daß dieser seiner Kunst Arbeit verschaffte, und vielleicht auch keins und das Gegenteil; denn dadurch ist er fast zum bloßen Kirchenmaler geworden. Das einzige große Werk außer seinen theologischen Gemälden und Porträten ist die Geschichte der Psyche in der Farnesina; und diese gehört, einzelne vortreffliche Figuren ausgenommen, nicht unter sein Bestes. Die Götter und Göttinnen darin machen einen großen Abstand gegen die Antiken. 15 Jedoch muß man zu seiner Entschuldigung sagen, daß er das vom Apulejus so kostbar erzählte Märchen schier lucianisch behandelte; das Ganze ist ein Malerscherz und stellt ein kokettes Weib vor, welches keine reizende Schwiegertochter haben will und sie endlich haben muß.
[203] Er und seine Schüler scheinen überdies sich auf Kosten des reichen Kaufmanns Chigi von Siena, der aus verschwenderischer Pracht bei einer Mahlzeit für Kardinäle und Prälaten die silbernen Gefäße, sowie sie abgetragen wurden, in den vorbeifließenden Tiberstrom werfen ließ, sich mehr nur einen Zeitvertreib gemacht zu haben, als daß ihnen, von der vatikanischen Strenge her, die Arbeit Ernst gewesen wäre; und der welsche Amsterdamer mußte ihm dabei noch ein Zimmer für seine Geliebte einräumen, damit er sie allemal gleich bei der Hand hätte, sooft ihm die Lust unter den wollüstigen Zeichnungen der nackenden weiblichen Gestalten zu ihr ankäme.
Die Allegorie mit den Liebesgöttern ist das Sinnreichste, Venus und Psyche übrigens einigemal bezaubernd, Zeus und Amor beisammen griechisch empfunden, Merkur und die Grazie vom Rücken Meisterwerk. Und Johann von Udine hat bei seinen Blumen einen himmlischen Frühling genossen.
In seiner Galatee neben diesem Saal ist die Zärtlichkeit und Empfindung der ersten Liebe ausgedrückt; sie hat viel Unschuld im Blick, aber noch etwas Unreifes in der Gestalt, und ihr Gesicht ist noch nicht so klar und rein wie zum Exempel die Köpfe in der Verklärung. Die drei fliegenden Bübchen schweben reizend in schönen Umrissen.
In den Stanzen sind zwar einige Gemälde, die nicht zur Kirchengeschichte gehören, allein er mußte die Personen darin doch dem Orte nach so fromm behandeln, daß sogar Vasari seinen Plato und Aristoteles in der Schule von Athen für die Apostel Petrus und Paulus ansah und ein andrer Unwissender dieselben mit dem heiligen Schein in Kupfer stach. Sein Parnaß würde vermutlich in einem Saale von Ariosts Gartenhause ein ander und besser Werk geworden sein.
Und wie sind die Zimmer alle an und für sich schon schlecht beleuchtet und angeordnet, mit Malerei überladen! Man sollte fast denken, der Halbgott habe den größten Teil [204] seines Lebens mit seinen Schülern hier gefangen gesessen und einem theologischen Tyrannen zu gefallen alle Wände vollgepinselt, um ihn zur Erlösung zu bewegen.
Raffael hat durch diesen Druck äußerst wenig und vielleicht nichts gemacht, wo sein ganzes Wesen mit allen seinen Gefühlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel gekommen wäre, wo die Sonne seines himmlischen Genius ganz auf einen Brennpunkt gezündet hätte.
Es ist zwar wahr, aus der freisten oder schlüpfrigsten Szene der Welt kann der Künstler eine Gestalt in das frömmste Gemälde übertragen; allein es geschieht doch allemal mit Zwang, der, anstatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geschichte oder Fabel die Phantasie erhöbe und begeisterte, die eigentlich lebendigen Züge verwirrt und verunstaltet, so daß sie ihre beste Kraft verlieren. Wie würden Raffaels Weiber, zum Exempel, dieselben Gestalten zu seinem Kindermorde, zu seinen vortrefflichen Sibyllen in der Kirche alla Pace, zu verschiednen seiner Madonnen noch andre Wirkung in den Vorstellungen aus dem Leben einer Sophonisbe, Kleopatra, Cornelia, der Geschichte des Coriolan hervorbringen?
Es bleibt ausgemacht: Das Element der großen Geister ist die Freiheit; und wer sie unterstützen will, muß diese ihnen erst gewähren. Aller Zwang hemmt und drückt die Natur, und sie kann ihre Schönheit nicht in vollem Reize zeigen. Deswegen die Athenienser unter ihrer Demokratie und Anarchie der höchste Gipfel der Menschheit.
Rom, November.
Ich freue mich, daß Du mit mir auf gleichen Lebenspfaden gehst und also leichter an meinen Schicksalen teilnehmen kannst; nur ist Deine Chiara von ganz andrer Art als meine Fiordimona; sie hat mich nicht so lange schmachten lassen, ihrer Macht und Herrlichkeit bewußt. Das hab ich noch nicht erfahren, in der Liebe so von einem Weibe überflogen [205] zu werden. Ich habe Nebenbuhler, und vielleicht glückliche Nebenbuhler: nur schein ich der glücklichste zu sein; und dies fesselt mich an ihren Triumphwagen, worauf die stolze junge Römerin einherzieht wie ein alter Sylla nach den Siegen über die größten Könige der Erden und die ersten Helden seines Vaterlandes. Und ich fühl es, ach ich fühl es, daß sie mich so ganz unaussprechlich liebt! Was das für eine Empfindung ist und wie es mein Wesen in vollen Schlägen durchkreuzt, kann niemand fassen, als wer selbst in Feuer und Flammen unter einem solchen schrecklichen Gewitter gestanden hat.
Das erste Mal, als wir unsre Seelen vereinigten, geschah in der Nacht auf den Raub, zwischen Gebüsch und Gesträuch, unter den ewigen Lichtern des Himmels, auf dem Gipfel des Monte Mario. O Gott, wie war ich da in Reiz versunken und verloren! Ach, wenn es ein Leben gibt, das so unaufhörlich fortdauert, in welcher Tiefe von Elend winden wir uns herum! Sie riß sich allzubald mit heißen Küssen los, damit ihre Abwesenheit vom Ball, den ein Prinz ihretwegen auf der Villa Melini gab, nicht bemerkt würde; und ich wandelte außer mir, nicht mehr derselbe, noch lange zwischen den Bäumen herum, tat Freudensprünge wie ein Knabe und jauchzte vor unfaßbarem Entzücken hinab in die Täler des Tiberstroms, daß alle Hügel widerhallten.
Du solltest sie sehen! Eine erhabne Gestalt, die das Auslesen hat; bei Lüsternheit sprödes Wesen. Ein froh und edel wollüstiger Gesicht gibt's nicht. Mit Adleraugen schaut sie umher und bezauberndem, doch nicht lockendem Munde. Das stolze Gewächs ihres schlanken Leibes schwillt unterm Gewand so reizend hinab, daß man dieses vor Wut gleich wegreißen möchte; und die Brüste drängen sich heiß und üppig hervor wie aufgehende Frühlingssonnen. Wangen und Kinn sind in frischer Blüte und bilden das entzückendste Oval, woraus das Licht der Liebe glänzt. O wie die braunen Locken im Tanze bacchantisch wallten, der himmlische Blick nach der Musik und Bewegung in Süßigkeit [206] schwamm, die netten Beine in jugendlicher Kraft sich hoben, wie schnelle Blitze verschwanden und wiederkamen! Doch warum beginn ich ein unmögliches Unternehmen? Der genießt das höchste Los des Daseins, den ihre zarten Arme wie Reben umflechten; mehr hat kein König und kein Gott.
Ach, und sie ist mehr Wunder der Natur noch am Geiste! eine Kreatur, worüber ich zum ersten Mal mit geheimen Ingrimm rase, daß sie so vortrefflich ist. ›O laß mich!‹ ruf ich zuweilen für mich in Verzweiflung aus; doch muß ich dem unbändigen Zuge folgen und unterliegen. Ich habe nie geglaubt, daß eine Dirne derart mich in Ketten und Banden legen würde, und tobe über mich selbst; aber niemand weiß, was ihm bevorsteht.
Ich will Dir gleich den falschen Wahn benehmen, der bei Dir aufsteigen wird. Sie ist reich, besitzt ein unmäßiges Vermögen und hat weder Vater, Mutter noch Geschwister. Ihr Vater war der Sohn eines päpstlichen Neffen, und sie ist nun allein geblieben. Wie um sie geworben wird, kannst Du Dir leicht vor stellen; aber sie will ihre Freiheit behaupten und sich platterdings nicht vermählen.
Kurz darauf bracht ich bequemer und freier eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafgemach, bis Morgenrot und Sonne die Blumen ihrer Schönheit bestrahlten und ich so ganz in ungestörtem Genusse mein Dasein mit allen Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! welche Gefühle! wie schwand die Zeit dahin; welcher süße Scherz, was für Mutwill, was für Spiel, kindlich und himmlisch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weise: wenn man die Wollust dem Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig. Sie hat so ganz das, was Sappho bei Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was so oft den schönsten und verständigsten fehlt. Diese versteht die Kunst, zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannigfaltigkeiten; sie ist eine Virtuosin darin, und andre wissen dagegen kaum die Anfangsgründe. [207] Bei ihr könnte Sokrates mit allem seinen unendlichen Verstande noch in die Schule gehen; Natur selbst übersteigt alle Einbildung. O wie sie so bloß als erquickende Frucht an einem hängt, als volle süße Traube, woran man mit durstigen Zügen saugt: und dann wieder bezaubernde unüberwindliche Tyrannin ist des Herzens und des Geistes! Sicher bei ihrer Vollkommenheit, bedarf sie die Zierereien der andern nicht. Die Grausame begnügt sich, gleich der Spinne, nicht an einer Seele und verlangt nicht, wie sie sagt, gegen die Unmöglichkeit zu streben; o ich möchte töricht werden!
»Laß uns aufrichtig sein!« sprach sie an einem andern Abend im Spazierengehen nach Saitenspiel und Gesang bei meinen Liebkosungen und Klagen der Eifersucht.
»Jedes muß sich selbst am besten der Kräfte zu seiner Glückseligkeit bedienen, womit es auf diese Welt ausgesteuert worden ist, und der Lage und Sphäre, wohinein es bei seiner Geburt gesetzt wurde. Dies hebt den Menschen über Menschen und macht einen weit größern Unterschied zwischen den Graden ihres Genusses, als zum Exempel zwischen den verschiednen Weinen und ihrem Geschmack ist, wo man nicht glauben sollte, daß sie alle von derselben Rebe herkämen. So wären die Könige Halbgötter und Löwen unter Rindern, wenn sie ihre Stelle zu gebrauchen wüßten. 16
Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es unverheuratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackern Manne, auf solang es will. Es lebt in Gesellschaft mit den verständigsten, schönsten, witzigsten und sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre, nichts mehr vermöchte nach Gesetz und Gewohnheit, [208] und sich endlich von dem kleinen Sultan selbst, welchem es sich aufgeopfert hätte, verachtet sehen müßte, ohn einem andern Vortrefflichen seine Hochachtung wirklich auf eine seelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu dürfen.
Ich werde dies einem Prospero nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen, und ferner nicht, ob das Wohl des Staats oder Ganzen dadurch gewinnt oder verliert. Die etwanige Sünde kann man sich ja vergeben lassen! und eigentlich ist es bei uns nicht einmal eine gegen das sechste Gebot, sonst würden diese Lebensart fromme Regierungen nicht gestatten.
Was die Eifersucht betrifft, so ist sie gewiß, wenigstens auf Eurer Seite, eine unnatürliche Leidenschaft und entsteht ganz allein aus armseliger Schwäche, Mangel oder Vorurteil; Brüder und Helden, jeder wert, ein Mann zu sein, sollten sich eine Freude daraus machen, ein schönes Weib gemeinschaftlich zu lieben. Der geringste Genuß wird durch Anteilnehmung mehrerer verstärkt und gewinnt dadurch erst seinen vollen Gehalt: warum sollte es nicht so sein bei dem größten? Und ist eine junge Schönheit nicht imstande, ihrer viele zu vergnügen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle trinkt, woran er schon seinen Durst gelöscht hat? In einer guten bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein; allein wir können uns von dem Krebsschaden der Vorurteile vieler Jahrtausende noch nicht heilen. Eins und eins ist wahrlich nicht viel mehr als einsiedlerisch und gegen die Natur; sie behauptet deswegen auch immer ihre Rechte, wie jeder weiß, der nicht ganz blind ist. Bei der großen Mannigfaltigkeit wär es Unsinn, jederzeit von bloßem Brot zu leben. Jeder Mensch existiert für sich und in keinem andern; wenn dies die Natur gewollt hätte, so wären wir zusammengewachsen. Und geht's nicht so unter allen andern Gattungen von Tieren, Gras und Kraut und Bäumen? Jedes vereinigt sich mit dem andern nach [209] Gelegenheit. O ihr Armseligen, die ihr keinen Begriff von Leben und Freiheit habt und Großheit des Charakters! Daß dies die reine wahre Lust ist, mit seiner ganzen Person, so wie man ist, wie ein Element göttlich einzig unzerstörbar, lauter Gefühl und Geist, gleich einem Tropfen im Ozean durch das Meer der Wesen zu rollen, alles Vollkommne zu genießen und von allem Vollkommnen genossen zu werden, ohne auf demselben Flecke klebenzubleiben. Sobald etwas ganz genossen ist, weg davon! Dies ist das allgemeinste Gesetz der Natur, wodurch sie sich ewig lebendig und unsterblich erhält.«
Ich erschrak und erstaunte über diesen pindarischen Schwung; so weit hatt ich meine Philosophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom! Es bleibt gewiß in jeder Rücksicht die Hauptstadt der Welt. Ich sah sie an wie ein junges arabisches Roß, das nie Zügel und Gebiß erfahren, mit flatternden Mähnen durch die Fluren schweift und mit üppiger Kraft über alle Hecken und Gräben setzt.
Sie lächelte über meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kühnen Adlerblick, faßte mich zärtlich bei der Hand und fuhr fort:
»Wenn man mit euch Weisen spricht, so muß man wie Zeno und Plato reden und sich dem Höchsten nähern, sonst habt ihr nur Mitleiden mit uns Schwachen. Glaube nicht, daß mein Herz aus mir sprach; es waren nur Abstraktionen kalter Vernunft und leichte Flüge mutwilliger Phantasie, dich zu necken und zu warnen. O du bist mein Abgott, ich werde dich immer lieben, solange du mir getreu bleibst; und ich habe keine Furcht vor einem andern, solange du es sein wirst. Kennst du etwa einen, der so viel über mich vermöchte als du? so viel über mich vermocht hätte? Nur schweig und verbirg, und laß uns unsre Glückseligkeit im stillen genießen; denn du siehst, ich bin von Feinden umringt, die mich und meine Güter zur Beute machen wollen.«
Alles dies ist Schatten und nichts schier gegen das, was und [210] wie sie es gesagt hat, mit einer Leichtfertigkeit, und einem Spiel von Mienen und Gebärden, und Pausen und Fragen und Antworten und Errötungen und Wegwendungen des Gesichts, und als ob ihr manches nur entschlüpfte, daß ich mich schäme, es hingeschrieben zu haben. Doch mag der bloße Inhalt allein Deiner Moral, wenn Du noch die alte hast, genug zu schaffen geben; ich wenigstens bin mit meinem Latein am Ende und denke keine Spanne weiter mehr darüber hinaus, von den Wonnestrudeln des paradiesischen Lebens bei meiner Zauberin ergriffen und festgehalten.
Nach diesem sonderbaren Liebesgespräch ist noch sonderbarer, daß sie keiner Ausschweifungen beschuldigt wird und alle Abbati nichts wissen, die sich an ihr blind schauen. Sie hält sich eingezogen in ihrem Palast auf, wenn sie sich nicht auf ihren Landgütern befindet, und hat eine alte Base bei sich; und so führt sie die Wirtschaft mit ihren Kammerweibern und Bedienten. Sie weiß sich so von jedem Ehrerbietung und Gehorsam zu verschaffen, daß sie keines Mannes dazu bedarf und ihr alter Vormund, den sie noch erbt, gute Muße hat. Entweder ihr Vater oder ihre Mutter müssen außerordentliche Menschen gewesen sein: sonst kann ich es nicht begreifen. Beide sind erst vor wenig Jahren nacheinander gestorben.
Etwas von dem Rätsel kann Dir noch das erste Gespräch aufschließen, wodurch ich mit ihr bekannt wurde, welches wir zusammen in einer Gesellschaft hielten, wohin ich kurz nach meiner Ankunft den Kardinal begleitete. Es betraf die drei großen Lichter der welschen Literatur, den Dante, Petrarca und Boccaccio. Von dem letztern behauptete sie, daß er am mehrsten Mensch und der Klügste und, gegen die gewöhnliche Meinung, am mehrsten Dichter gewesen wäre. Aus seinen Novellen allein leuchte unendlich mehr Erfindungsgeist hervor als in den Werken der beiden andern, und dies bestimme doch hauptsächlich den Rang der Dichter. Vers und Reim sei nur Verzierung, wie Licht und Schatten bei der Malerei, und nicht das Wesentliche. Und [211] auch in Charakter und Sprache dürfe man ihn den guten Klassikern an die Seite setzen.
Ich wandt ihr dagegen verschiednes ein und scherzte über ihre Verteidigung dieses gefährlichen weiblichen Moralisten. Sie zog sich mit unbeschreiblicher Anmut und leichtem Witz aus der Schlinge und beschloß, er habe die Sitten seiner Zeit geschildert, und es gehöre zur Vollkommenheit von Held und Heldin, alle Wege und Abwege eines Landes zu kennen; und es habe noch niemand zum Vorwurf gereicht, durch andrer Schaden klug zu werden. »Ich betrachte die Komödie des Dante«, fügte sie ernsthaft hinzu, »eigentlich nur als eine Satire über seine Feinde. Übrigens war er ein Mann wie ein Fels, welches auch seine Gestalt zeigt, voll hohen Ehrgeizes. Der letztere hat ihn vermutlich zu seiner unverständlichen Theologie und Philosophie verleitet; er wollte über die berühmtesten Personen seines Zeitalters hervorragen. Wenn er Kraft genug gehabt hätte, die Modemänner zu verachten, und einen bessern Plan zu seinem Gedichte wählte als ein so gotisches Gewirr, so wär er vielleicht eine neue Art Homer für uns. Er hat Stärke, Feuer, tiefes Gefühl, Einbildung und männliche Würde. Die Schicksale nach seiner Verbannung ließen ihm nicht Ruhe und Heiterkeit genug.
Petrarca geht zuviel in der Luft; doch entzückt nicht selten lauter und rein sein himmlischer Geist, in guter Gesellschaft gebildet. Allein Boccaccio hat am mehrsten Natur und war am mehrsten unter seinen Menschen: und hat deswegen auch am mehrsten gewirkt. Was an ihm zu tadeln ist, muß man billig auf Rechnung seines Zeitalters setzen.«
Ich würde einen Mann wegen dieser Urteile nicht bewundert haben; aber sie bezauberten mich von so schönen Lippen aus zwei Perlenreihen Zähnen hervor. Was für innrer Gehalt gehörte nicht dazu, dieselben in Beisein eines Kardinals auszusprechen!
Es ist ein Glück für mich, daß ich sie so fand; mit ihr hätt ich die Torheit begehen können, zu heuraten und alle meine [212] brennenden Begierden und Hoffnungen in ihrer Liebe dämpfen zu wollen. Bei den Grundsätzen, die sie wenigstens auszudenken imstande war, wenn sie dieselben auch nicht ausüben sollte, würde mir dieses eine ersprießliche Ehe geworden sein! Inzwischen ist wieder wahr: mit Verstand kann man alles anfangen; sie würd es schon so gemacht haben, daß auf beiden Seiten nichts Böses erfolgt wäre. Jedoch nur der fernste Gedanke, in einen gewissen Orden hineinzugeraten, treibt mich auf und von dannen.
Aber ich weiß selbst nicht recht, woran ich bin, und die Heillose foppt mich. Noch einen Hauptpunkt hab ich vergessen, Dir zu erzählen: Sie macht und singt aus dem Stegreif vortreffliche Verse, mit einer so tonvollen silbernen Stimme, daß sie alle Augenblick eine Muse auf dem Parnaß oder eine Sirene in den Fluten vorstellen kann. Dies bringt zwischen uns große Ergötzlichkeit hervor in Einsamkeit und Gesellschaft; und sie sagt im Scherz, wir wären so füreinander geschaffen, um die erste Ehe stiften zu können, wenn nicht schon ein ander Paar den Fluch aller Unglücklichen, die an diesem Joche ziehn, auf sich geladen hätte.
Ach, wer weiß, wie dies enden wird! Mir ist so warm in der Brust, daß mich's wie auf einen Punkt brennt, und dabei zuweilen bange. Eine Glut scheint mein innerstes Leben anzugreifen und davon zu zehren; ich gehe herum wie ein Tier, das an einem Schusse blutet. In Augenblicken fahr ich vor Schrecken zusammen wie ein junges Rind, dem der Löwe brüllt. Ich habe meine Freiheit verloren und kann mich nicht ermannen. Aber wenn ich meine Kräfte anspanne, kann ich noch einen Strick zerreißen. Ist sie eine Semiramis, daß ich weit und breit vor ihr in Süden und Norden keine Freistatt finde? Gott im Himmel, daß sie so allen Reiz haben muß, wornach mir je gelüstete! Sie hat einen Blitz in den Augen, womit sie alles niederschmettert.
Doch was rase ich? Bin ich nicht glücklich, emporgehoben zu den Sternen? [213] Der Wahnsinn muß Dir in Deiner Lage gefallen.
Ich sitze noch im Vatikan, weil ich hier am bequemsten zu ihr komme. Von der Villa Medicis ist es zu weit, und ich befürchte, man möchte über mein Ausbleiben Verdacht schöpfen und mich beobachten. Der Kardinal ist ein Schalk; o ich merke, daß er seinen Bogen auch auf dieses Ziel spannt und seinen Pfeil dahin richtet.
Mein Petrus ist eine junge hübsche Mohrin vom Senegal, die noch wenig Italienisch versteht. Fiordimona hält sie so in der Zucht, daß sie bei der geringsten Untreue befürchten muß, auf der Stelle niedergestoßen zu werden.
Die noch immer schönen und heitern Morgen bring ich im Belvedere zu, lästerlich! bloß um mich zu zerstreuen und auf andre Gedanken zu kommen. Aber Apollonios und Agesander verstehen ihre Kunst doch auch so, daß sie mich allemal früh oder spät mit ihrer Schönheit und Wahrheit an sich locken und einnehmen. O wie erhebt dies meinen Geist, daß er solche Brüder hat! Wir sind ewig, unsterblich, bewegen uns selbst und schaffen; nichts kann uns Schranken setzen! Die Materie, die meinen freien Vogelflug hemmt, werf ich ab, sobald ich will.
Ich bin für heut ins Schwärmen hineingeraten; morgen mehr.
Rom, Dezember.
Nach einigen Tagen Schirokko, der Regen in Wolkenbrüchen ergoß, hat sich heute wieder eine klare Tramontana eingestellt; Hügel und Täler und Gebirge schweben weit und breit in lauter erquickendem Himmel, und ein leichter Äther hebt von der Erd empor und von dannen. Dies sind meine letzten Stunden im Vatikan; ich will, ich muß nun scheiden. Ach, scheiden von der Kunst überhaupt! Sie ist meine Bestimmung nicht; ich habe mich nur jugendlich getäuscht. Nach dem geheimen Gefühl, daß der Endzweck aller Existenz ist, gut zu sein und Schönheit zu genießen, und daß Gott selbst keine andre Glückseligkeit habe, wähnt [214] ich, am ersten meine Beruhigung in der Malerei zu finden, und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Herz und Geist trachtet nach einer kräftigern Nahrung und findet diese allein in der lebendigen Natur und Gesellschaft der Menschen, in wirklichem Kampf und Krieg und Liebe und Friede mit denselben. Wir sind die Quintessenz der Schöpfung füreinander, allein unsre Freunde und Feinde und einer des andern Beute, sind füreinander die höchste Sphäre zu handeln.
Aber ach, Scheiden ist der eigentliche Tod, vor dem die Natur schaudert! Mein Leben blutet, und ich kann mich noch nicht ganz losreißen. Wär ich Künstler und Mitgenoß einer alten Republik, so könnt ich vielleicht ausharren, bis mich der Schlangenstrom der Ewigkeit wieder in seine klare Flut aufnimmt oder als neuen Schaum an ein ander Ufer im Weltall setzt. Goldne Zeiten von Athen, wo seid ihr hin? Werd ich keinen Schatten von euch auf diesem Erdenrunde wieder finden?
Doch was sag ich: Mitgenoß einer alten Republik?
Hätt ich in dem glänzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs, so hätt ich meine Malerei gewiß noch eher als er seine Bildhauerei verlassen, und sie wäre nicht einmal Spiel für mich gewesen. Plutarch lallte freilich kindisch, wie manches, nach, in ganz andern Umständen: ›Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet sein wollen!‹ Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdrückte.
Nach der Schlacht bei Plataia bis in den Peloponnesischen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechenland, jeder Bürger über die Inseln und Kleinasien schier Fürst und Herr, und alle Kunst ihm unanständig, die nicht zum Helden und Staatsmann bildete.
Überhaupt aber hatte schon vorher Solon mit seinen Fünfhundertschefflern, Reitern und Halbreitern und so fort, obgleich von der Lage der Sachen vielleicht dazu genötigt, doch ärgerliches Maß und Gewicht für das Verdienst eingeführt: [215] jeder war unedel, der nicht von seinen Renten lebte, er mochte mit göttlicher Wissenschaft und Kunst sich seinen Unterhalt erwerben.
Die erhabnen Sieger über den großen König hatten recht, sich diesen verwünschten Maßstab vom Halse zu schaffen; wäre hernach nur ihr Senat und Areopag bei seiner Würde geblieben. Doch ich will hiervon nichts weiter reden; Lukian hat es, mit dem treffendsten Witze in seinem Meisterstücke, dem Zeus Tragikos, genug lächerlich gemacht.
Der Lehrer des Weltbezwingers wies alsdenn nach der reinen Vernunft den Künsten im Staat ihren Rang an und sagt: alle Kunst ist unedel, die Leib und Seele der Gewandtheit beraubt, sich frei zu regen und zu bewegen; folglich jede, wobei man sitzen oder in einer gezwungnen Stellung und Lage sein muß.
Die bildenden Künste möchten freilich nach dieser Regel übel wegkommen, besonders die Malerei, wenn die Arbeit dabei, wie Michelangelo behauptet, kinder-und weibermäßig ist. Jedoch auch selbst die Philosophie: wenn man so viel lesen und schreiben müßte, als der Stagirit gelesen und geschrieben hat; und noch mehr, um soweit Freiheit der Seele die des Leibes übersteigt, die ehrwürdigsten Ämter. Mein Nachbar hier mit seiner dreifachen Krone wäre der Hauptsklav; gebunden wie ein Wickelkind, der alle Welt löst!
Aber das beste ist, man weiß sich bei diesem allen schon schadlos zu halten und versteht dies nur auf wenige Tage und Stunden.
Übrigens hatten die Griechen darin recht, daß derjenige sich zum Handwerker erniedrigt, welcher seine Kunst des bloßen Gewinsts wegen eines andern beliebigen Befehlen unterwirft. Das Werk behält hingegen auch wieder immer seinen Rang; und eine Venus von Tizian bleibt auf alle Weise eine Venus von Tizian und gerät nie an Wert von Erfindung und Arbeit unter die Hosen und Stiefeln von Schustern und Schneidern. Selbst die Gesetze der hohen [216] Ehre sollen die Kunst nicht zu streng und gewaltsam fesseln; keiner ist gleich am Ziele! jeder hilft sich fort nach den Umständen, bis er dahin gelangt und einigermaßen herrscht unter wenig echtem Gefühl und einem Haufen Wahn und Mode.
Für jetzt nur noch einige Zeilen als geringe Spuren meines glücklichen Aufenthalts in dem wahrhaftigen Belvedere von innen und außen.
Wehmütig muß man zwar das Häufchen Ruinen betrachten, wenn man an die unzählbaren Schätze des Altertums denkt: an die hundert metallne Kolossen der Insel Rhodos allein oder die manchen hundert Meisterstücke von Lysipp, geschweige die Völkerschaften von Statuen zu Delphi und Elis, die Pracht und Herrlichkeit von Athen, Korinth, Gnid, Ephesos. Ein Grieche vor den römischen Räubereien würde die heutigen Antiken insgesamt gleichsam ansehen wie ein Lucull, von der Tafel aufgestanden, ein paar verschimmelte Brocken aus eines Bettlers Sack. Und doch schlagen sie allen unsern Stolz nieder und zeigen uns deutlicher unsre Barbarei als irgend etwas, was übriggeblieben ist.
Man begreift nicht wohl, wo die Alten die Kosten nur der Materie hernahmen, binnen so kurzer Zeit eine so große Menge von Kunstwerken aufzustellen, da heutzutag nicht die größte Monarchie zu leisten imstand ist, was zum Beispiel in dem kleinen Sizilien nur das Sandkorn, das kaum bemerkbare Girgent, tat. Die Verwunderung des Xenophon, in den blühendsten Zeiten der Kunst und wo die Griechen schon selbst von ihrer strengen Lebensart sehr abgewichen waren, über die Schwelgerei der Perser, daß sie ihre Schlafzimmer mit Tapeten belegten, 17 damit der unnachgiebige Boden nicht zu hart gegen ihre weichlichen Füße anstrebte, kann uns einigermaßen den Schlüssel dazu verleihen. Hohe Selbstständigkeit des Menschen, Vergnügen des Herzens und Freude des Geistes an Wahrheit und Schönheit ging aller leeren Pracht vor; die Stärke scheute [217] den Kitzel erschlaffter Sinnen. Und die kleinste Republik, wo zu gemeinschaftlicher Lust jeder so denkt und für seine Person sich abbricht, kann Berge versetzen und eine andre Natur schaffen.
So glänzt jedoch, zur Ehre unsrer Religion sei es gesagt, die noch das einzige allgemeine Band ist, ohne weitere Vergleichung mit den Alten, auch jetzt manches ärmliche Städtchen in Italien mit einem himmlischen Bilde von Raffael oder Correggio wie ein Stern hervor gegen ungeheure Reiche in Norden, nächtliche Wüsten, wo keine Schönheit erscheint.
Lysipp, der wie Apelles in seiner Art den höchsten Gipfel der Kunst erreichte, goß alle seine Bilder aus Erz: weil der Gesang der entzückendste, wo man die Musik, und die Poesie die vollkommenste ist, wo man die Sprache nicht merkt; und so geht es in den bildenden Künsten mit der Arbeit und der Materie, dem Zeichen.
In den feierlichen Werken des Phidias und Polyklet von Gold und Elfenbein erscheint die Kunst noch wie eine geschmückte unreife Jungfrau, in denen des Praxiteles und Lysipp wie eine Phryne aus dem Bad hervor, alles Fremde, Verdunkelnde abgeworfen, in lebendiger Vollkommenheit. Sie wollten die Formen, das Wirksame nur, gleichsam in die Seelen zaubern, das Wesentliche, schier unsichtbar dabei wie die Götter; und verbannten alle Pracht, die das Auge abzieht und den Geist dämpft.
So gebrauchten die großen Maler dieser Zeit nur die notwendigsten Farben; und gleiche Bewandtnis hat es mit den Reden des Demosthenes, der weit von dem nicht selten eitlen Wortschwall des Cicero entfernt ist. Und so findet man beim Sophokles und Euripides, die früher zur reinen Schönheit gelangten, äußerst wenig oder nichts von dem spanischen Pomp.
Uns ist von den Meistern, welche die Kunst auf eine höhere Stufe setzten, namentlich nichts übrig. Das meiste sind Bilder und Kopien von Lehrlingen, die man auf die Gipfel der Tempel und Paläste zu Rom und von dessen Landhäusern [218] stellte, welche mit der Zeit und in dem Getümmel des Kriegs und der Barbarei herunterstürzten, zerschmettert und im Schutt der verwüsteten Gebäude begraben wurden. Nach langen Jahrhunderten gräßlicher Nacht, die in diesen Gegenden die Menschheit benebelte, hat man, wie nach Gold- und Silberminen, die Wünschelrute wieder auf sie angelegt. Die Kleinodien aber sind fast alle gleich zu Anfange weggeführt worden, in Schiffbrüchen und auf ihrem ursprünglichen Boden in Griechenland selbst in mancherlei Zerstörungen verschwunden. Und doch haben wir daran genug, um wenigstens den Geschmack zu bekommen, wie an etlichen, obgleich nicht den besten, Flaschen Rest Lacrimae Christi und andrer köstlichen Getränke von in Erdbeben untergegangnen Weinlagern.
Die Sache hat folgende Bewandtnis:
Die alte Kunst teilte sich in besondre Klassen von Schönheiten, und die großen Meister beeiferten sich, das Ideal von jeder vollkommen darzustellen. Wenn nun einmal das Höchste da war, so blieb den andern nichts übrig, als ein ähnliches nachzumachen, wenn sie in dieser Klasse arbeiten sollten. Man kann sagen: Phidias hat das Problem vom Jupiter aufgelöst, und sein Bild davon genoß allgemeine Verehrung an dem berühmtesten Schauplatz. So ging es mit der Venus des Praxiteles und Apelles, den berühmten Apollen, Merkuren, Junonen, Minerven, Amazonen; die andern mußten ihren Weg einschlagen oder wurden nicht verstanden oder geachtet, wenn sie dieselben nicht übertrafen. Ein guter Kopf schaut auch durch schwache Nachahmungen der ersten erhabnen Männer Gefühl für Form und eigentümliche Schönheit jedes Ganzen.
Der Torso, der Farnesische Herkules, der (Borghesische) Fechter sind zum Beispiel gewiß hohe Meisterstücke; doch finden wir die Namen ihrer sich nennenden Arbeiter bei den Alten nicht aufgezeichnet. Warum? Sie waren bloß Nachahmer des schon Erfundnen und brachten nichts Neues hervor, um besondre Aufmerksamkeit zu erregen. Und so [219] können wir noch in Rom den Geist des Phidias, Polyklet und Praxiteles schauen, ohne etwas von ihnen selbst zu haben. Freilich würde für den innigen Wollustsinn noch ein großer Unterschied bei ihren Originalen sein.
Die vier Statuen vom ersten Range der alten Kunst im Belvedere, und, nebst wenigen andern, auf dem ganzen Erdboden, sind der Apollo, der Torso, der Laokoon und sogenannte Antinous; nachdem der letztern doch einmal der ehrenrührige Name von blinden Antiquaren aufgehängt ist. Man hat dieselben in Versen und Prosa bis zum Ekel beschrieben, ihre Gipsabgüsse wie Apostel zu Türken und Heiden versandt, jeder neue Ankömmling trägt Anmerkungen darüber in sein Tagebuch ein: und bei allen Predigern auf den Dächern sind wir schlimmer geworden; kein Leonardo da Vinci, kein Michelangelo, kein Raffael ist mehr aufgestanden. Anstatt das Licht zum Wegweiser zu wählen, hat man sich die Augen daran verblendet.
Das größte Aufsehen hat der Laokoon gemacht, weil Plinius noch mitten unter allen den höchsten Meisterstücken der Kunst davon meldet, er sei ein Werk, allen andern der Malerei und Bildhauerkunst vorzuziehen, und man bei dem Alles-Aus-und-Ab-und-Aufschreiber glauben durfte, dies sei nicht seine eigne Lieblingsmeinung, sondern die Stimme des damaligen römischen Publikums gewesen.
Einige, voll von den Wundern des Phidias, Polyklet und Praxiteles, gingen so weit, daß sie mutmaßten, der Laokoon möchte aus dem Zeitalter des Geschichtschreibers der Natur selbst und sein Lob ein gewöhnliches Gelehrtenkompliment sein; allein der Augenschein zeigt jedem Erfahrnen, daß die Gruppe aus der schönsten Blüte der Kunst stammt.
Sonderlinge wollten sie im Schwindel des Paradoxen, um vielleicht dem Vatikan wehe zu tun, jedoch gar zur bloßen Kopie machen, weil Plinius ferner sagt, die allervortrefflichsten Künstler hätten nach gemeinschaftlich gepflognem Rate den Laokoon, Kinder und Drachen, alles aus einem [220] Block Marmor verfertigt; und sie bestehen offenbar aus zwei Stücken, und wenn Agesander und seine Freunde nicht Zeit und Arbeit vergebens verschwenden wollten, aus mehrern, da der Sohn zur linken Seite sonst um einer Taschenspielerei willen unsinnige Mühe würde gekostet haben. Plinius sah vermutlich die Gruppe aus einem niedrigen Standpunkt, und die Fugen waren versteckt, wie sie bei dem rechten Sohne noch sind, wenn man nicht hinsteigt; und es war schon in den alten Zeiten Mode, daß die Aufseher den Ankommenden Märchen wie Religion vorschwatzten; und der Geschichtschreiber der Natur hat in der Eile viel unglaublichre Fabeln sich aufbinden lassen, wenn er bei seiner Lebensart noch nicht recht ausgeschlafen hatte. Inzwischen will ich dem wackern Manne hier nicht zu Leibe gehn; er sagt sonst Dinge mit göttlichem Verstand, und zuweilen erhabne Poesie. Sein Werk ist wahrscheinlich der erste Zusammenraff des ungeheuern Ganzen, und die Wolkenbrüche von Feuerasche aus dem Vesuv erstickten ihn, bevor er nur die zweite Hand daran legte.
Es ist wohl eine zu handgreifliche moralische Unmöglichkeit, daß ein Künstler, der so hätte arbeiten können, einige der kräftigsten Jahre seines Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern Zweck sollte verschwendet haben und daß die Kopie, gerade wo das Original stand, durch ein Wunder vom Himmel gefallen und das Original dafür verschwunden wäre: um sich bei Erörterung dieses silbenstecherischen Verdachts länger zu verweilen.
Man hat bis jetzt das Lob des Plinius entweder für bloß übertrieben hingesagt gehalten und sich unter den verlornen höchsten Meisterstücken der ersten Künstler, vom Phidias an bis zum Lysipp, ungleich vortrefflichre Bilder vorgestellt, oder die Dichter haben nur den schönen Ausdruck der Vaterliebe in der Gruppe angepriesen, und der große Haufe hat mit seinen Augen überhaupt keinen wahren Endzweck aus der Vorstellung holen können und gedacht: es [221] ist unglücklich genug für uns, daß Löwen und Schlangen in der Welt sind; warum soll man einen guten Mann mit seinen Kindern noch damit in Marmor quälen sehen?
Es wär erfreulich, wenn man schon aus der Theorie der Kunst und den bloßen Nachrichten beweisen könnte, daß das Lob des Plinius gerecht sei, auch ohne den Olympischen Jupiter vor sich zu haben.
Und gewiß, wem zuerst die Idee von der Gruppe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in seinem Herzen, in seiner Hand Mut und Fertigkeit genug fühlte, sie auszuführen: der war zum Bildhauer geboren wie Sophokles zum Dichter. Man darf kein großer Psycholog sein, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Wesen stammt und daß die zwei andern Triumvirn allein ihre Geschicklichkeit dazu herliehen.
Die schönsten Formen aller Art an der Doppelgattung des menschlichen Körpers waren von dem feinsten Gefühl, dem heitersten griechischen Sinn in den manchen tausend Statuen schier erschöpft, als die Götterkraft unsers Geistes im Agesander noch den kühnsten Flug begann und alles überschwebte.
Der hohe Meister fand den herrlichsten Vorwurf zu seinem Kunstwerk in der griechischen Religion und umgriff damit Himmel und Erde. Die Gruppe des Laokoon ist von derselben Gattung wie die der Niobe, nur atmet daraus mehr tragischer und bildender Geist. Lesen wir zuerst, was von seiner Geschichte aufgezeichnet steht, im Hygin.
›Laokoon‹, erzählt dieser, ›war ein Sohn des Akötes, Bruder des Anchises und Priester des Apollo. Da er wider dessen Willen heuratete und Kinder zeugte und ihn alsdenn das Los traf, daß er dem Neptun am Gestade opfern sollte, sandte Apollo bei der Gelegenheit von Tenedos her durch die Fluten des Meers zwei Drachen, damit sie seine Söhne Antiphas und Thymbräos umbrächten. Laokoon wollte denselben Hülfe leisten, wurde aber selbst umflochten und getötet. Welches die Phrygier deswegen geschehen zu sein[222] glaubten, weil er einen Spieß in das Trojanische Pferd warf.‹
Servius gibt jedoch die bessere Erklärung und sagt, es sei deswegen geschehen, weil er seine Frau aus Unenthaltsamkeit im Tempel des Apollo beschlafen habe.
Das Ganze vom Laokoon zeigt einen Menschen, der gestraft wird und den endlich der Arm göttlicher Gerechtigkeit erreicht hat; er sinkt in die Nacht des Todes unter dem schrecklichen Gerichte, und um seine Lippen herum liegt noch Erkenntnis seiner Sünden. Über dem rechten Auge und dem weggezuckten Blick aus beiden ist der höchste Ausdruck des Schmerzens. Sein ganzer Körper zittert und bebt und brennt schwellend unter dem folternden tötenden Gifte, das wie ein Quell sich verbreitet.
Seine Gesichtsbildung mit dem schönen gekräuselten Barte ist völlig griechisch und aus dem täglichen Umgange von einem tiefschauenden Menschen weggefühlt, und drückt einen gescheiten Mann aus, der wenig ander Gesetz als seinen Vorteil und sein Vergnügen achtet, und der dazu den besten Stand in der bürgerlichen Gesellschaft gewählt hat; voll Kraft und Stärke des Leibes und der Seele. Die zwei Buben werden mit umgebracht, als Sprossen vom alten Stamme; das ganze Geschlecht von ihm wird vertilgt.
Es leidet ein mächtiger Feind und Rebell der Gesellschaft und der Götter, und man schaudert mit einem frohen Weh bei dem fürchterlichen Untergange des herrlichen Verbrechers. Die Schlangen vollziehen den Befehl des Obern feierlich und naturgroß in ihrer Art, wie Erdbeben die Länder verwüsten.
Das Fleisch ist wunderbar lebendig und schön; alle Muskeln gehn aus dem Innern hervor, wie Wogen im Meere bei einem Sturm. Er hat ausgeschrien und ist im Begriffe, wieder Atem zu holen. Der rechte Sohn ist hin, der linke wird derweile festgehalten, und die Drachen werden bald hernach mit ihm vollends kurzen Prozeß machen.
Selbst die Schamteile des Alten richten sich empor von der [223] allgemeinen Anspannung, Hodensack und Glied zusammengezogen; und Hand und Fuß ist im Krampfe. Die linke Seite mag wohl zum Höchsten gehören, was die Kunst je hervorgebracht hat.
Die Söhne haben gerade so viel Ausdruck, als ihnen gebührt. Der eine ist im Sterben wie tot schon, und der andre leidet noch nicht an Gift und Wunde und entsetzt sich bloß. Der Vater zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
Der Gruppe fehlt ein Hauptteil, der rechte Arm des Laokoon. Michelangelo wollte denselben ansetzen, hatte schon das Modell dazu gemacht und angefangen, ihn in Marmor auszuhauen; aber welcher andre will sich in das lebendige warme Fleisch und die ganze Natur hineinfühlen? Er war so bescheiden und verwarf seine Arbeit. Es ist jammerschade, daß der alte Arm verlorengegangen ist, wegen des Zugs der einen Schlange und weil Laokoon damit seine stärkste Kraft muß geäußert haben.
Diese flog mit grimmigem Satze rechts her 18 von oben herein, umflocht den aufgehobnen Arm, der sie abhalten wollte, schwingt sich geschwollen um den Rücken herum, an der Seite über dessen linken und um den rechten Arm des ältern noch lebendigen Sohns beim Ellenbogen, windet sich um den obern Arm, und schlingt sich dann um den untern wieder, und macht einen schrecklichen Knoten darum her, schießt nach der linken Hüfte des Vaters mit dem Kopfe, der sie mit mächtiger Faust am Halse noch ergriff, und setzt mörderlich den Zahn ein. Alles Sträuben, alle Rettung ist vergebens und hört auf: es ist geschehen, die Tat vollzogen.
Die andre Schlange fährt linker Seite her von unten auf durch die Beine, kuppelt sie wie Raub und Beute zusammen, umschlingt dem Sohne rechts den linken Arm und hinter dem Rücken herum den andern, und setzt ihm den giftigen scharfen Zahn ein nach dem jungen Herzen. [224] Der Vater sank auf den kleinen Altar zurück, weil er sich nicht mehr halten konnte; der ältere Sohn linker Hand steht auf dem rechten Beine, und der andre mit dem linken Fuß auf den Zehen, und die Schlange hält ihn oben an den Altar gelehnt noch aufrecht. Alle warfen die Gewänder ab, zu entfliehen.
Man mochte die Gruppe in den Zeiten, für welche sie bestimmt war, betrachten, wie man wollte: so mußte sie die stärkste Wirkung hervorbringen; entweder als Naturtrauerspiel für das ganze menschliche Geschlecht: ein Vater, der bei Rettung seiner Kinder umkömmt; oder als Strafe der Götter. Und als Kunstwerk konnt ihr kein anders den Rang der ersten Klasse streitig machen. Für uns bleibt sie Naturtrauerspiel, und die Kreatur seufzt dabei im Innern über die notwendigen Leiden auch des Guten und Gerechten und schaudert in ihr Unvermögen, ihre Unwissenheit zurück.
Wenn man die Vorstellungen, wo der Körper leidet und das Leben vergeht, unter eine besondre Klasse bringen wollte, so möchte das Lob, welches Plinius dieser Gruppe erteilt, wohl am wenigsten können bestritten werden und sie unter allen dieser Art mit der Niobe obenan stehen. Der an seiner Wunde Sterbende des Ktesilaos, woran man sehen konnte, wieviel noch Seele übrig war, gehörte als einzelne Figur dahin, so wie der Hinkende, vielleicht Philoktet, des Leontinischen Pythagoras, dessen Geschwüres Qual die Betrachtenden zu empfinden meinten; die Verwundeten Amazonen, bis auf den berühmten Hund des Lysipp im Kapitol, der voll Schmerz und natürlicher Todesschrecken in abgesetztem Lauf und Hast seine Wunde leckte und für welchen die Aufseher mit ihrem Leben stehen mußten.
Der letzte Akt unsers Drama hienieden scheint vorzüglich ein Vorwurf der Malerei gewesen zu sein: Apelles tat sich darin hervor; alle aber übertraf der Landsmann Pindars: Aristides. König Attalus erkaufte einen Kranken von ihm mit hundert Talenten; und Alexander ließ das Gemälde, [225] wo die an ihren Wunden sterbende Mutter das sich anklammernde Kind von der Brust abhielt, damit es kein Blut saugte, nach seinem Geburtsort bringen. In eben dieses MeistersSchlacht mit den Persern von hundert Figuren war ohne Zweifel manches Vortreffliche dieser Art. Die Farbe macht hier keine Kleinigkeit aus und reißt, gut aus der Natur empfunden, mit Gewalt zur Täuschung. Unter den neuern Werken mag Peter der Märtyrer von Tizian wohl hierin obenan stehen.
Für Sultane sind dies heilsame Bilder, um sie zuweilen an ihre Menschlichkeit zu erinnern; und das größte Meisterstück davon stand in den kaiserlichen Bädern an seinem rechten Platz. Ich aber für mich muß aufrichtig gestehen, daß ich in meinem Bad oder Schlafzimmer ein Kunstwerk erfreulichrer Art aufgestellt haben möchte; wär es auch der verstümmelte Herkules, an welchem meine Phantasie noch obendrein immer zu schaffen hätte; denn für beständig möcht ich die Gnidische Venus nicht.
Der Torso ist das Höchste von einem Ringerkörper; der Sohn der Wundernacht, aus dessen Armen sich der dreifache Geryon nicht loswand, ruht und sitzt auf seinem Löwenfell. Man findet nichts mehr übrig von alter Kunst, wo Kernstärke schöner und vollfleischiger und alles in der lebendigsten Form mit dem feinsten Wahrheitsgefühl so abgewogen wäre. Er senkt die rechte Seite und hatte den linken Arm in der Höhe. Das mächtige Brustbein ist so zart gehalten und mit nerviger Fettigkeit überzogen, daß man es kaum merkt. Brust und Schultern und Mark vom Rücken herum sitzen über der schlanken Mitte ganz unüberwindlich und erdrückend. Die Schenkel sind lauter Kraft. Alles ist an ihm in Fluß und Bewegung in den allergelindesten Umrissen. Man sieht alle Teile und ihre Macht und Gewalt, jede Fiber ist in Regung: und doch tritt weder Muskel noch Knochen scharf hervor. Es ist recht das höchste Vermögen in höchster Bescheidenheit und Schönheit.
Vielleicht hat er ein süßes Geschöpf der Lust auf seinen [226] Armen gewiegt; denn sie trugen, und die Zapfenlöcher der Stützen sind noch in den Schenkeln. Glückseligste Sphäre der Welt, an dieser Achse du von ihm Geliebte! Du mußtest ganz in Entzücken schweben und hangen und von aller andern Berührung frei und los sein! Doch dies zum Scherze; so wie ich beim Demetri behauptete: der fromme, zornige und schnellfüßige Achill Homers komme gegen diesen Helden nicht auf.
Der Farnesische Herkules hat den Charakter von einem Faustbalger, so feist und breit und vollgenährt sind die Formen gegen die Cestusschläge. Seine Stärke fällt zentnermäßig über das Gefühl eines heutigen schwachen Römers; aber auch außerdem macht er alle Welt zu Hunden und Katzen gegen einen Löwen in seiner vollsten Kraft.
Er hat im Farnesischen Hof einen zu niedrigen Standpunkt; deswegen schwillt die Brust zu sehr aus ihrer natürlichen Großheit, und noch Hüften und Seiten.
Sein Kopf ist vollkommen Eisen und Stahl unüberwindlichen Mutes und unerbittsam im Zähneinschmeißen.
Der Künstler, welcher ihn erfand, scheint ihn nach dem Ideale des Sophokles gebildet zu haben, wo der Held aller Helden ein ganzes Reich verheert, um Iolen in seine Gewalt zu bekommen; Vater und Brüder ermordet, weil sie bei einem Besuch ihren süßen Reiz ihm nicht zum heimlichen Beischlafe geben wollten; Dörfer und Städte verbrennt und die Einwohner als Sklaven gefangen führt: so tobte in ihm die Liebe.
Ich habe bei dieser Gelegenheit zu guter Letzt nicht unterlassen können, noch eine Skizze nach diesem Sonnenmut der Lust von sich strahlenden, jetzt meinem Lieblingsstücke unter allen des tragischen Dichters zu entwerfen, um mir damit eine eigne Kopie von der heroischen Gestalt und dem Farnesischen Stier aufzubewahren.
Dieser ist das größte Meisterstück in Marmor von allen Tieren aus der Zeit der Griechen. Man kann kein natürlicher Ochsenfleisch sehen, und Myrons Kuh war vielleicht [227] nicht besser. Nur die Beine daran sind neu, sonst ist an ihm selbst alles wohlerhalten. Wahrhaftige wilde Stiernatur in Stellung, Bewegung durch den ganzen herrlichen Körper! Besonders strotzt die Kraft wunderbar vom Hintern über den königlichen Rücken. Schönes Bild von Stärke, um Herden zum Preise davonzutragen!
Die Skizze stellt den göttlichen Chor vor, wo Herkules und der Fluß Acheloos als Rind, beide von Kraft geschwellt, um Dejaniren miteinander kämpfen, welche in zarter Wohlgestalt am fernglänzenden Ufer sitzt und den Gatten erwartet, schüchtern wie ein Kalb von der Mutter fern: ob es der Sohn des Zeus sein werde oder das vierfüßige Tier, indes der Löwenwürger, nach langem Kriege, diesem das gewaltige Horn ausreißt.
Der erfreulichste Genuß dieser Werke ist für uns verschwunden, weil wir keine olympischen Kämpfe und Siege mehr daran sehen. Beide Athenienser verherrlichen mit diesen hohen Mustern noch hier ihre Vaterstadt; doch möcht ich lieber der Apollonius des Torso sein als der Glykon des farnesischen Keulenschwingers.
Der sogenannte Antinous, welcher einen jungen Helden, vielleicht den Meleager, vorstellt, wie man aus einem andern Bilde schließen kann, das in Figur und Stellung ähnlich ist, wo unten zu den Füßen der wilde Schweinskopf sich befindet, hat für uns unter den vier Hauptstatuen die mehrste Wirklichkeit.
Eine echte griechische jugendliche Schönheit voll geistigen Reizes und süßer lieblichen Hoheit. Er blickt empfindend zur Erde, als ob er sich besänne, zu welchem Mädchen er gehen wolle; und Lippen, Stirn und Wangen und Kinn sehen recht kräftig, zartnervig und anhaltend im Genuß aus. Die Formen am Unterleibe sind nicht klar hervor, und er muß im Ringen noch zusammengeschlungen und seine Natur geübt werden. Die Brust, besonders vom rechten Arm her, schwillt milchig; und ich kenne nichts so Verführerisches für ein Weib zur Umfassung. Mit einem Wort,[228] es ist der schönste junge Mensch unter allen alten Statuen. Der Bauch allein ist ein wenig zu flach gehalten, vielleicht verhauen.
Will man auf eine andre Weise lieber: so sinnt der junge Held, wie er einen Kampf mit dem besten Verstand abmachen soll. Der Zug des Denkens ist über dem rechten Auge, wodurch der Knochen schärfer hervorkömmt als bei dem linken; und das Heroische sitzt in der kräftigen Stirn, und dem gefaßten Blick, und den Lippen, wo sich das Gefühl seiner bewußten Stärke öffnet und hervorblüht. Wenn er ein Zeichen hätte, so könnte man sich noch den Sohn der Maja unter ihm vorstellen, der seine Gesandtschaft überdenkt. Es ist ein himmlisches Bild und erregt auf jede Art entzückende Gefühle, dessen Schönheiten am leichtesten und sichersten in die neuere Kunst überzutragen sind. 19
So wie dieser Jüngling am mehrsten an die Menschheit grenzt, so ist hingegen Apollo ganz Gott, und es herrscht eine Erhabenheit durchaus, besonders aber im Kopfe, die niederblitzt; göttliche Schönheit in allem von dem nachlässig sanft gewundnen Haare bis zu den schlanken behenden Schenkeln und Beinen, ihre geistigste Blüte, nicht die irdische Fülle. Stand und Blick, und Lippen voll Verachtung geben seine Hoheit zu erkennen. Die Augen sind selig, leicht aufzutun und zu schließen, in weiten Bogen. Sein kurzer schlank und zart geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besondern Art von Wesen und gibt ihm Übermenschliches.
Ein erstaunliches Werk von Erfindung und Phantasie! Das Problem ist aufgelöst: da steht ein Gott, aus der Unsichtbarkeit hervorgeholt und in weichem Marmor festgehalten für die Melancholischen, die ihr Leben lang nach einem solchen Blicke schmachteten. Es ist der höchste Verstand und die höchste Klugheit mit Zornfeuer und Übermacht gegen Verächtliches; darauf zweckt alle Bildung. Was [229] Apollo hat, ist ihm eigen und läßt sich wenig durch Nachahmen übertragen.
Auch dessen Altertum hat man angetastet und ihn zwar für keine Kopie, doch für ein Werk aus der Kaiser Zeiten halten wollen; weil der Marmor karrarischer zu sein schien, welcher kurz vor dem Plinius entdeckt wurde, und kein parischer, woraus die Griechen ihre mehrsten Bildsäulen verfertigten.
Wenn man dieses beweisen könnte, so wär es wohl ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der parische ist nicht durchaus gleich, und man hat sichre neuere Proben kommen lassen, die von dem Marmor des Apollo im Korn nicht unterschieden sind. Und ferner gibt es so zarten karrarischen, daß er mit dem besten parischen übereinkömmt. Und wo ist der übergroße Marmorkenner, der von irgendeinem Stücke sagen will, gerade woher es sei, da dieser Stein in jedem Klima zu finden ist? Apollo hat nicht das gelbliche Alter des Laokoon und andrer griechischen Bildsäulen; vielleicht weil er nicht der Witterung so ausgesetzt war. Er ist augenscheinlich für einen bestimmten Platz gemacht, und das Bild tut nur Wirkung, wenn man es von der linken Seite im gehörigen Standpunkte betrachtet; von der rechten steht er da gerade wie ein Seiltänzer, so gespannt, und sein Kopf sitzt offenbar auf der rechten Schulter, viel zu weit von der Mitte. Wenn man denselben von seiner Richtung zurechtdrehte, so wär es abscheulich. Aber von der linken Seite betrachtet, wohin er schaut, ist es homerischer Apollogang; man sieht ihn fortschreiten, sieht das Gesicht ganz, und der Kopf kömmt in die Mitte. Ein wahrer Gott des Lichts dann und der Musen! Man darf sich ihm nicht viel nähern; er kann keinen Flecken leiden, und man müßte bei ihm immer haarscharf gescheit sein und vernünftig sich aufführen: so erhaben ist er über die Menschheit.
Wenn man dies einmal gefaßt und seine Schönheit im ganzen genossen hat, so mag man sich hernach doch an ihm [230] herumdrehen, wie man will, und er bleibt ein erstaunlich Werk von Vollkommenheit. Er ist zwar lauter Ideal, nichtsdestoweniger hat der Kopf Natur, die man gesehen hat, welches der Ausdruck noch verstärkt. Ein außerordentlicher Jüngling gab gewiß den Stoff dazu her, und der Künstler brachte das Höchste und Äußerste von lebendiger Einheit hinein.
Einige stolze Erdensöhne können dies bewunderte und schier noch angebetete Bild nicht ohne Verdruß und Widerwillen betrachten; und behaupten, ihr Gefühl empöre sich allezeit, sooft sie sich das Gesicht als griechisch denken wollten. Der Kopf des Perikles und auch des Alexander habe schon im bloßen Porträt viel göttlichre Art von Erhabenheit; Apollo sei dagegen eher hager und ärgerlich im ganzen, und es wittre daraus etwas von einem römischen Kaiserprinzen, etwas Neronisches, das nicht auf eigner natürlicher Kraft beruhte; und dies wäre für sie ein andrer Beweis als der von Marmor.
So verschieden sind die Meinungen der Menschen!
Gegen solche Atheisten will ich nicht predigen; ihr eigen Mißvergnügen sei ihnen Strafe, und der Neid an andrer Freude.
Gewiß ist, daß das Bild verliert, weil es kein vollkommen Ganzes ausmacht und man nicht weiß, worüber der Gott zürnt. Hätt er zu einer Gruppe der Niobe gehört, wie er denn in einer erhobnen Arbeit davon in Person auf der einen Seite und seine Schwester Diana auf der andern ihre Pfeile abdrücken, so würden die Unzufriednen mit ihm desto mehr Mitleiden mit der unglücklichen reizenden Familie haben. Doch ist eher wahrscheinlich, daß dem Meister der Apollo des Leontinischen Pythagoras vorschwebte, welcher den Pythischen Drachen erlegte. Und beiden war ohne Zweifel der Homerische, von den Gipfeln des Olymp herunter, das Urbild.
Genug von diesen Heiligtümern!
Das eigentliche Kernleben der Kunst dauert vom Perikles [231] bis zum Tod Alexanders; das übrige sind Nachahmungen und Treib- und Gewächshäuser. Wenn man bedenkt, was die Griechen binnen dieser kurzen Zeit getan haben, so sind wir ganz tot dagegen; welch eine Menge von Statuen und Gemälden und Gedichten nur für so ein kleines Volk! Welch eine Menge von Helden, Philosophen und Rednern! So etwas kann nur in der heitersten Gegend der Welt bei der besten Regierung vor sich gehen. Lysipp allein hat mehr Bildsäulen verfertigt als alle neuere Bildhauer zusammen, und jede zeigt den Mann von hoher Schöpfungskraft.
Der Künstler von geläutertem Gefühl, der nicht bloß nach Brot und eitler Ehre trachtet, sondern sich selbst genugtun will, befindet sich heutzutag in einem Zustande von immerwährender Verzweiflung; er sieht die Vollkommenheit vor sich und erkennt deutlich die Unmöglichkeit, sie zu erreichen. Und diese Wermut im Herzen mildert das allgemeinste Lob nicht. Es ist damit nicht genug getan, ein Bildchen einzelner schöner Natur wegzufangen! Dies bleibt jedem Fremden, wie alles bloße Porträt, unverständlich, und er kann es nicht mit Saft und Kraft genießen, viel weniger damit, daß er ein Knie, einen Unterleib, eine Brust den Alten wegstiehlt und gleichsam mit etlichen Phrasen aus dem Demosthenes oder Cicero ihre Sprache sprechen und den großen Redner machen will: die Vollkommenheit des Nackenden vom Menschen, als des höchsten Vorwurfs der Kunst, und seiner mannigfaltigen Form und Bewegung ist unserm Sinn von Jugend auf in der Wirklichkeit verhüllt oder zeigt sich ganz und gar nicht mehr in unsrer Welt.
Laß mich frei reden! Die Kunst hat so lange gedauert, als die Gymnasien dauerten, der Tanz spartanischer, chiischer Jungfrauen, ihr Ringen, selbst mit den Männern, öffentliche Sitte war und die Priesterinnen der Liebesgöttin zu Athen und Korinth Religion feierten. In Venedig ist von dem letztern noch ein Schatten, und der Künstler hat jahraus, jahrein immer eine Menge frischer neuer Modelle, Augen und Phantasie wie Zeuxis zu Girgent zu weiden. Deswegen [232] haben auch keine andre Maler solch weiblich Fleisch wie Tizian und Paul von Verona hervorgebracht; und der Malernestor lebt an der Grenze von hundert Jahren, da der göttliche Raffael auf eigne Kosten sein junges Leben einbüßen mußte.
Bei einer gotischen Moral kann keine andre als gotische Kunst stattfinden. Solange nicht ein Sokrates mit seiner Schule am hellen Tag über die Straße zu einer neuen reizenden Buhlerin ziehen darf, um ihre Schönheit in Augenschein zu nehmen, wird es nicht anders werden. Es ist wohl klar jedem, der Welt und keine Welt hat, daß nicht die Häßlichen diese Lebensart erwählen.
Vielleicht red ich hier bei manchem bittrer gegen die Kunst als Demetri in seiner Laune; allein gibt es eine Wirkung ohne Mittel? Die schulgerechten Antiquaren sprechen berauscht von der Venus des Praxiteles und seinem Liebesgott und mit Abscheu vonPhrynen und Bathyllen, wie die Toren, die nicht wissen, was sie wollen. Freilich kömmt bei der geringsten Untersuchung das geheuchelte konventionelle Geschwätz zum Vorschein und die innre geheime Denkungsart, wo sich Drachen mit Tauben paaren. Die heiligen Katharinen spazieren nicht vom Wirbel bis zum Fuß nackend mit losgebundnen Haaren vor den Malern herum, und keine Lucrezia läßt sich so in der reinsten Beleuchtung allein mit allein von einem Pinsel- und Palettmann in beliebige Stellung legen; und kein Künstler kann von so festem Gletschereis sein, daß er bei Blicken von Sommersonnen nicht schmelzen sollte. Und doch wollen die ehrwürdigen Herrn bei dem allgemeinen Menschenverstand in keinen solchen Verdacht der Einfalt kommen, daß sie sich auf die Seite der züchtigen Koer stellten, welche die bekleidete Venus vorzogen und kauften, da sie die Wahl der nackten Gnidischen hatten, und noch bis heutzutage als Tröpfe verlacht werden.
Hiermit sehen wir das Nackende, außer dem einzelnen von Geliebten, am Menschen jedoch nur entweder frech oder in unregsamer Albernheit; und die stärkste Einbildungskraft [233] kann es nicht so veredeln, daß es die freie gebildete Natur des Alten hätte, wozu die Edelsten und Weisesten und Wohlgebildetsten des Volks von jedem Alter auf den Ringplätzen in unaufhörlicher immer neuer Abwechslung die Modelle abgaben.
Wenn wir nicht durch einen wunderbaren Umlauf der Dinge irgendwo aus unserm unmündigen kindischen Wesen wieder zur reifen Menschheit gelangen und die Gymnasien der Griechen, ihre Spiele und Sitten vom neuen aufkommen, so wird die ehemalige Kunst auch verloren bleiben. Und dennoch hätten wir damit ihre Religion noch nicht, die fruchtbare Mutter der schönsten Gestalten.
Wenn wir wenigstens nur noch die Bekleidung der Alten hätten! Bei unsrer wirklichen sieht man meistens bloß den Schneider und wenig oder nichts von der eignen Art des Menschen, zu handeln und sich zu bewegen, und den Formen seines Gewächses; und alle Schönheit erliegt und versinkt unter den Falten und Wülsten oder wird im Gegenteil steif gepreßt und geschnürt und mit eckichten häßlichen Lappen ohne Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Mäntel und Togen können wir an den Bildsäulen der Alten noch weit weniger nachahmen als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabei ganz die Natur. Wir suchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner malerischer Tracht zu helfen; aber sie bleibt fast immer eine bloße Ziererei, ohne Reiz und Wirkung für den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und ist aller Täuschung zuwider.
Und obendrein noch sind die Künstler weit übler dran, wenn sie den Gang der Alten einschlagen wollen, als die Philosophen, Redner, Dichter; diese haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Menschen vor sich, und Gesetz und Gewohnheit hemmt sie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias oder Polyklet, Praxiteles, Lysipp, Zeuxis und Apelles erreichen könnte: was hat er vom nackten Menschen in der Geschichte, der heutigen Fabel, unsrer Religion vorzustellen, [234] das wahrscheinlich und natürlich, nicht erkünstelt und bloß erlernter fremder Kram wäre? Das Höchste ist eine allgemeine, ewig einerleie idealische Gestalt von Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und Charakter.
Nehmen wir zum Beispiel unsern Heiland als den Hauptvorwurf zur Auszierung unsrer Tempel! Was hat der menschliche Körper mit dem Gott der Christen zu schaffen? Welche Schönheiten von Apollo, Merkur, anderm griechischen himmlischen Jüngling oder wirklichem Erdensohn soll man, technisch zu reden, dem ganz außerordentlichen jungen Juden anbilden, ohne auf irgendeine Weise in Widerspruch zu geraten? Jede griechische Gottheit war nur ein Ideal einer besondern Klasse menschlicher Vollkommenheit. Sein Bild ist lediglich ein Werk übernatürlichen Ausdrucks im Gesichte, und neue Art übriger Schönheit findet hier nicht statt. Der Künstler macht vor den Leiden und ans Kreuz und beim Herunternehmen davon einen richtigen ordentlichen Leib, sonst hat die eigentliche Kunst da kein weiter Feld, höhere Formen aus der Natur zu schöpfen.
An gewisse Teile und ihre Bestimmung darf man gar nicht denken, und wie sie bei andern Menschen nicht umsonst sind und wirken: geschweige, sie langsam mit dem Reiz der alten Künstler bilden. Seine Gestalt kann also nie ein vollkommen freies Ganzes, ein Werk der ersten Klasse werden.
Wollen wir in die griechische Fabel und Geschichte übergehen und unsre Vorstellungen daraus hernehmen, so erhalten wir meistens nur einen verwirrten Nachklang, ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Silben wiederholt. Wer ist außerdem so frech eitel, daß er sich einbilden kann, einen bessern Apollo als den Vatikanischen, einen bessern Herkules als den Torso und Farnesischen, eine schönere Juno, Venus und so weiter zu erkünsteln als die Alten? Und wird es nicht ekelhaft, sie oder auch nur einzelne Formen davon immer und ewig zu kopieren, mit den angewiesnen Plätzen zu schänden? Steht nicht fast allemal der hohe strahlende [235] Purpurlappen lächerlich und ärgerlich für den Erfahrnen in einem Harlekinsgewande?
Und doch tut es so weh, uns in unsre Armut und Dürftigkeit einzuschränken! Wir bauen gleichsam noch in den bildenden Künsten, wie zu Konstantins und den mittlern Zeiten, setzen aus den zertrümmerten Tempeln und Palästen der zurückgewichnen Erdengötter die Säulen aller Ordnungen nebeneinander und führen ein neues Mauerwerk kindisch, verzerrt und unförmlich, ohne klare und dunkle Idee, wie es werden will, darum her und darüber auf, im Schweiß und der Affenfreude unsers Angesichts.
Rom, Dezember.
Nacht ist doch die schönste Beruhigung von Geschäften, wo die Phantasie die freisten Flüge tut und der Mensch am mehrsten seiner selbst genießt. So raste ich jetzt hier oben auf der Villa Medicis in meinem Zimmer. Rom schläft; der blaue unermeßliche Äther schwebt darüber wie eine Henne über ihren Küchlein, und blinkend hell Gestirn erleuchtet selig die Gegenden. Alles ist still; nur plätschern angenehm die Springbrunnen: heilige Symbole des ewigen Lebens in der Natur.
Mit der Einbildung überschau ich unter mir den alten Campus Martius in der lieblichen Dunkelheit; und mir fängt das Herz stärker an zu schlagen, und Feuer rinnt durch meine Adern. Hier balgt sich die römische Jugend auf grünem Rasen herum im Schatten hoher Platanusse und treibt ihre kriegerischen Spiele; dort schwimmen sie durch den schnellen tiefwirbelnden Tiberstrom, die Ufer hieben und drüben mit schönem Gesträuch bewachsen; und in der nahen Ferne lagern sich die Hügel von Monte Mario bis zu Pietro Montorio in majestätischem Kreise, wo der Edeln Gefühl mit erhebenden Schauern die Geister von Brutussen, Camillen und Scipionen gegenwärtig erkennt. Hier steigt der Sonnenobelisk empor, dort die prächtigen Theater vom Pompejus [236] und Balbus, die traulichen Hallen, runden und hohen Mausoleen, feierlichen Tempel. Die Väter des Volks gehen auf und ab in den kühlen Hainen und pflegen Rat über den Erdboden. Nebenan prangen die schönen Gärten.
Ich habe heute wieder einen schönen Tag gehabt! Es ist ein unaufhörlich Vergnügen, in Rom zu sein; man findet immer Neues, was von der Gewalt und Herrlichkeit des alten Volks zeugt und oft einen entzückt oder erschüttert. Es ist eine wahre Tiefe von Menschheit; die andern Städte sind dagegen wie erst angepflanzt. Besonders reizen und rühren vom Kapitol an die ungeheuern Ruinen, welche die neuen Villen mit ihren Pinien, Lorbeern, Zypressen und beständig grünen Eichen ausschmücken.
Den Vormittag zog ich hier herum und ging dem ersten Ursprung dieser heroischen Republik nach, und gelangte von den Rostris und dem Tempel des Romulus am Monte Palatino, gleich daneben in einem Winkel, zur Quelle der Juturna, die kristallhell gerade beim Anfang der Cloaca maxima aufsprudelt und sich dahinein nun ferner ungebraucht ergießt. Ich schöpfte mit der hohlen Hand daraus, und trank und ward erquickt, und konnte nicht müde werden, sie rinnen zu sehen. Ein heiliges Plätzchen, rundum verbaut und eingemauert! Die Wände sind überall mit breitblätterigem Efeu überzogen und kleinem Gesträuch bewachsen. Man kennt sie nicht mehr vor den stolzen Wasserleitungen; und gewiß war sie doch die Hauptursache, warum Romulus oder vor ihm ein junger Ausflug Griechen hier sich annistete, da in den jetzigen weiten Ringmauern sich keine andre Quelle befindet.
In schwärmerischen Betrachtungen verloren wand ich hernach in den Farnesischen Gärten für sie einen Myrtenkranz mit allerlei Blumen, holte aus der Nachbarschaft ein Gefäß mit Milch und Honig, goß es in sie aus, bekränzte sie und sang ihr wehmütig ein kurzes Trauerlied bei dem Opfer, das sie Jahrtausende nicht genoß.
Ein Zusammenklang von lauter rührenden Gefühlen, wandelt [237] ich nach Hause durch die drei noch übrigen Triumphpforten von den ehemaligen sechsunddreißigen. Ein solcher Freudenbogen, ausgeziert mit den schönsten Lebensszenen dessen, den man empfängt, ist doch ein so recht verliebter Gedanke. Herzlicher und dauerhafter kann ein Volk einem Helden keine Ehre antun.
Die Kunst bleibt ein sonderbares Ding; sie scheint ganz ihren Weg für sich zu gehn. Wenn man von ihrer Vortrefflichkeit auf die Vortrefflichkeit der Menschen zu gleicher Zeit sollte schließen können und umgekehrt: welche Popanzen müßten die Römer zu Septimius' und Konstantins Zeiten gewesen sein gegen die unter Trajans? Der Kontrast ist gar zu possierlich an des christlichen Kaisers Bogen, wo die Bildhauer unter ihm zu den Wechselbälgen seiner Geschichte die Meisterstücke von Figuren aus einem andern zum Ruhme des Siegers von Dazien hineingeflickt haben. Was konnte Alexander dafür, daß er keinen Homer fand bei seinem Leben, überhaupt keinen großen Dichter, der ihn besang?
Ferner ist rückwärts gewiß, daß die Kunst bei gleich vortrefflichen Menschen nur nach und nach zur Höhe wuchs; so schwer ist es, alles Lebendige vollkommen zu bilden und nichts, was noch rührt und reizt, auszulassen, und dafür bloß mathematische Linien und Placken hinzustellen. Das Ganze wird nur nach und nach gewonnen; das Individuelle lebendige geistige bleibt aber immer das, was den großen Menschen von dem andern unterscheidet. Und so kann einer zwar ein ungleich größrer Künstler als ein andrer, aber ein weit kleinrer Mensch sein. So war der Jupiter und die Minerva des Phidias wahrscheinlich erhabner als manches andre Bild, das nachher ein weit natürlicher Fleisch und mehr lebendiges in der Materie hatte. Und darauf kömmt's doch an, die unterscheidenden wesentlichen Züge von jedem Dinge bestimmt zu fassen und dem Empfinder und Denker gleich darzustellen. Das Hauptvergnügen an einem Kunstwerke für einen weisen Beobachter macht immer am [238] Ende das Herz und der Geist des Künstlers selbst und nicht die vorgestellten Sachen.
Den Nachmittag ging ich nach der Rotunda; ich hatte den Mann mit den Schlüsseln dahin bestellen lassen, um obenhinauf zu steigen. Sie ist das einzige Werk von alter Architektur, was in Rom noch ganz ist; das vollkommenste in seinen Verhältnissen und prächtigste dabei wegen seiner Säulen auf dem Erdboden; die Paulskirche erscheint dagegen doch nur als Flickwerk.
Wenn man in die Vorhalle tritt, so ist es, als ob man in das schönste Plätzchen eines Waldes von lauter hohen herrlichen Stämmen käme, die ein Gott zu einer Zeit gepflanzt hätte.
Wie breit und mächtig einen dann das Innre selbst umfaßt und bedeckt, ist lauter Majestät; und feierlich stehen unten die Säulen umher und der dämmernde Raum dahinter, wie das Allerheiligste der Gottheiten. Was dies für eine Ruh ist! wie einen so nichts stört! wie die Rundung mit Liebesarmen empfängt, wie ein leiser Schatten einen umgibt, so daß man das Gebäude selbst nicht merkt! Oben Heiterkeit und Freiheit, und unten Schönheit. Überall ist der Tempel schön und harmonisch, man mag sich hinwenden, wo man will; überall wie die schöne Welt in ihren Kreisen von Sonn und Mond und Sternen. Endlich scheint alles lebendig zu werden und die Kuppel sich zu bewegen, wenn man an dem reinen süßen Lichte des Himmels oben durch die weite Öffnung sich eine Zeitlang weidet. Sooft ich mich so ins Stille hinsetze und meinem Gefühl überlasse, werd ich da entzückt wie von einem Brunnquell unter kühlen Bäumen zur heißen Zeit. Es ist das erhabenste Gebäude, das ich kenne; selbst Schöpfung und nicht bloß Nachahmung. Die Schönheit voll Majestät scheint alle Barbaren von der Verwüstung zurückgeschreckt zu haben.
Freilich hat man, was daran zu plündern war, ohne die Mauern niederzureißen und in Schutt zu stürzen, doch daraus und davon weggeraubt. Es stand hier eine Minerva aus [239] Gold und Elfenbein von der Hand des Phidias und eine berühmte Venus, welche die halbe Perle zum Ohrgehenke hatte, von der die andre Hälfte Kleopatra trank, um den Antonius im Verschwenden zu übertreffen, und die man für sich allein auf eine halbe Million Scudi schätzte. Konstantin der Dritte schleppte auch diese Bilder wahrscheinlich mit den andern schönsten Statuen nach Syrakus, so wie er die Silberplatten samt dem Bronz- und Schmelzwerk herausschlagen ließ, womit das Gewölbe oben verziert war.
Die ursprünglichen Kapitäler von Erz nach dem Plinius an den innern Säulen sind hernach wieder abgenommen worden und mit weißem Marmor gut ergänzt, der dem Giallo antico des Schaftes lieblich läßt. Davon sind noch die Basen und das Gesims, das letztre mit Streifen von Porphyr. Die erhaltnen äußern aber von Granit wie die kolossalischen Säulen selbst gehören unter die schönsten der korinthischen Ordnung, die übrig sind, und machen mit den drei freistehenden Säulen auf dem Campo Vaccino und dem Bogen des Titus 20 die Muster hierin aller neuern Baukunst. Wo an einem Gebäude keine Säulen sind, fehlt gewiß die edelste, stärkste und schönste Form. Die korinthischen haben, wenn die Blätter rein gearbeitet sind, am mehrsten Leben und den größten Reiz; und die gefugten, welche die Rinde nachahmen, erhöhen noch Natur und Leichtigkeit.
Der Plan des Ganzen ist zirkelrund, und der Durchmesser davon enthält mit der Dicke der Mauern zweihundertundfunfzig Palme und der Umfang siebenhundertundfünfundachtzig. Die Mauern betragen achtundfunfzig Palme. Die Höhe hat gerade die Breite des Bodens. Der Bogen innen von der außen in der besten Proportion viereckten Tür den fünften Teil dieses Maßes; und der Bogen gegenüber, jetzt vom Hauptaltar, ist etwas größer, wodurch der Eingang unmerklicher erscheint.
In der Antike trugen ohne Zweifel die Karyatiden, wovon [240] Plinius spricht; jetzt sind an deren Statt kleine platte Säulen ohn einigen Vorsprung mit einem Gesims darüber, worauf die Kuppel ruht. Man glaubt wegen der Arbeit, daß die Veränderung unter den Antoninen und dem Kaiser Pertinax geschah. Es muß ein paradiesischer Zauber an dem Auge des Himmels gewesen sein! Nun ist das ehemalige junge blühende Gesicht im reizenden Schmuck gewissermaßen zur Matrone im Trauerschleier geworden; doch dauert die erhabne Form noch und hält die Moden und Sitten aller Zeiten aus, wie wahre Schönheit.
Es ist wohl klar und augenscheinlich, daß die Rotunda anfangs einen Teil der Bäder des Agrippa ausmachte, gleichsam die strahlende Stirn derselben; noch sind die Ruinen davon angemauert und erstrecken sich weit dahinter. Die prächtige Vorhalle wurde hernach hinzugefügt und das Innre ausgeschmückt; und der Tempel gehörte alsdenn mit dem des Jupiter Maximus auf dem Kapitol und dem des Friedens unter die ersten Wundergebäude Roms. Agrippa wurde in einem Triumphwagen auf den Giebel an dem Portikus gestellt, aus Erz gearbeitet, mit den zwei Löwen von Granit zu beiden Seiten und der porphyrnen Urne mit seiner Asche dazwischen, die jetzt noch unten vor der Halle stehen. Er schenkte seine Bäder und Gärten dem Volke mit Einkünften zur Unterhaltung.
Der sogenannte Tempel der Minerva Medica, eine der pittoreskesten Ruinen bei der Porta maggiore, war eben ein solcher Anfang von Bädern: und noch ebenso jetzt, die Kirche des heiligen Bernhard von den Bädern Diokletians. Sie kommen in der Hauptform mit der Rotunda völlig überein. Bei der überschwenglichen Pracht durften die Götter nicht vergessen werden, und man errichtete ihnen gleichsam diese Wachthäuser voran als Beschützern. Das Pantheon war dem rächerischen Jupiter, der Ceres und allen Göttern gewidmet.
Ihre breiten Gewölbe in weiten Bogen leuchten gleich beim Eintritt Erhabenheit in die Seele, die die unermeßliche [241] Peterskirche dagegen mit ihrem schmalen und engen des mittlern Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg als einen Bogen vom freien schönen gestirnten Himmel Gottes nachahmt; weswegen die Leute sich verwundern, daß sie nicht erstaunen.
Die Römer liebkosten den Sinn des Gefühls mit Baden wie wir ohngefähr unsre Nasen mit Düften und unsre Zungen mit Brühen und Weinen. Sie fingen vom Heißen an und gingen alsdenn alle Grade der Wärme durch, teils im Wasser, teils in lauer Luft, bis zum Kalten: Wollust, die alle verschiedne Wärme der Existenz nachahmt, vom heißesten Herzensgetümmel der hohen Leidenschaften bis zur frischen Besonnenheit; alle Grade des physischen Gefühls, ohne das Seelenleben, das Geistige, welches sie sich doch in gewisser Rücksicht auch vorphantasieren konnten, indem ihre weiblichen Schönheiten sich unter den Kaisern, wenigstens zuverlässig vom Domitian an, öffentlich nackend mit den Männern badeten. Sie ahndeten etwas vom Paradiese und dem Stande der Unschuld, ohne die Bücher Mosis gelesen zu haben. Und überdies hatten sie gleich daneben ihre Fechterspiele und Ringplätze.
Die Thermen in Italien entstanden aus den Gymnasien der Griechen; nur waren bei diesen die Leibesübungen das Vornehmste und bei den Römern das Baden. Darnach mußten sich die Architekten in der Anlage der Gebäude richten.
Die Bäder waren eigentlich der Hauptgenuß, den die stolzen Enkel des Romulus und seiner Räuberbande von den Siegen ihrer Vorfahren über die Welt hatten, und die Gebäude dazu das Höchste der Architektur, was wir mit den ägyptischen Labyrinthen und einigen Tempeln der Griechen in der Geschichte der Menschheit kennen. Es war da alles, was das Leben freut und angenehm macht, beisammen. Wir können uns, ohngeachtet der ungeheuern Ruinen, wenig davon vorstellen, weil uns diese Gattung Genuß ganz entrückt ist. Wenn wir ein halbes Säkulum alter Römer und Römerinnen der ersten Jahrhunderte erwecken könnten, so [242] würden sie sich aus Ekel, Langerweile und Verzweiflung über das heutige Elend binnen wenig Tagen aufhenken.
Das Dachgewölbe der Rotunda, mit starkem Blei gedeckt, ist, wie schon gesagt, äußerst flach gehalten; man steigt zur weiten Öffnung auf wenig großen Stufen, rundum aber laufen an die vierzig kleinere im Kreise. Wenn man hineinschaut, kömmt das Innre einem vor wie ein runder hoher Turm.
Als ich oben stand, mich umsah und die verkleinerten Leute auf den Straßen betrachtete, wurd ich den Demetri gewahr und rief ihm zu, heraufzukommen, welches er auch gleich tat.
Demetri ist ein wackrer Mann, viel Kern mit wenig Schale; der Mensch ist bei ihm recht durchgearbeitet und ins reine gebracht. Er herrscht in Rom über die Geister, mehr als irgendein andrer, genießt hohe Glückseligkeit und ist der Leithammel von einer Menge jungen Leuten. Unter diesen hab ich nicht wenig gefunden voll Lebensmut und den größten Fähigkeiten, genaue Bekanntschaft mit ihnen errichtet und unbeschreiblich Vergnügen in ihrem Umgange genossen. Wie jammert's mich, daß soviel herrliche Kraft wegen schlechter Regierungsverfassung ungenutzt versauren soll!
Im Neugriechischen bin ich bei ihm noch sehr gewachsen. Auch hat er mir manche dunkle Stelle der griechischen dramatischen Dichter, besonders in den Chören, ins klarste Licht gesetzt und meisterhaften Unterricht über den unendlichen Reiz ihrer Silbenmaße gegeben. Bei seinem Brotgeschäfte mit alten Handschriften sind ihm eine Menge beßrer Lesarten aufgestoßen; und er könnte wie ein andrer Herkules die Aldinischen und Juntischen Ausgaben ausmisten, wenn ihm der Silbenkrieg am Herzen läge.
Überhaupt aber hält er Ruhm für ein notwendig Übel, wobei man leicht selbst zur Bildsäule auf dem Markte werden und sich endlich fast nicht mehr regen und bewegen könne. Wirken, frei und mächtig handeln nach Art seiner Natur! Dies sei die allererste und ursprünglichste Glückseligkeit.
[243] Der Kernmensch gebrauche Ruhm als Hülfstruppen und stoße den einen von sich, wenn es sein müßte, sobald er in eine andre Sphäre schreite.
Nur einen Fehler kenn ich an ihm, und dieser ist, daß er in dem heillosen Labyrinthe der Metaphysik herumkreuzt. Du sollst hier in der Unterredung mit mir eine starke Probe davon sehen, obgleich ihn noch nicht in seinem ganzen Wesen, weil er sich nach mir richten mußte, der ich hierin bloß meiner eignen Vernunft folge, ohne mich mit andrer Hypothesen viel zu plagen. Wenn er mutwillig ist, spricht er keinen Tag wie den andern. Mich trieb er vorzüglich nur in dem angegebnen System herum und sagte zuweilen verwirrte hochtrabende Dinge, um auszuweichen oder vorzubereiten und zu sehen, was ich damit anfing. Wenig Auserwählten reicht er auf die letzt den Faden der Ariadne, den er andern, wegen der heiligen Inquisition, bedächtlich zu verbergen weiß, die ihm die einzige esoterische Philosophie vielleicht der alten Kirche bald mit langsamer Glut ausbraten würde; an dessen Sicherheit er aber selbst noch scheint zu zweifeln.
Vielleicht macht Dir eine und die andre komisch ernsthafte Behauptung gerade das mehrste Vergnügen, da Du wohl weißt, daß man hier nur meinen kann, weil unsre Sinnen nicht bis dahin dringen.
»Jetzt ist wenig hier zu schauen«, sprach er, wie er zu mir kam; »aber zu mancher andern Zeit möcht ich da gestanden haben!«
Wir setzten und legten uns bald in die Sonne, die das Dach angenehm erwärmt hatte, und sagten erst dieses und jenes über alte und neuere Architektur. Der Schluß war, daß der Zweck, der vom Plan und den großen Massen an bis aufs geringste einzelne und die Verzierungen aus allem rein hervorleuchte, die alten von den neuern Gebäuden unterscheide, wo oft bloße nachgeahmte Kunst und leere Schönheit sei, auch bei den besten, sonder Absicht und Nutzen. Übrigens ließen wir doch dem Bramante, Antonio da San [244] Gallo, Michelangelo, Palladio und den andern großen Meistern ihr gebührend Lob völlig angedeihen und waren der Meinung, daß kein alter Architekt vielleicht einen heroischern Palast dem Cäsar als der Palast Farnese und einen lieblichern glänzendern der Kleopatra als der Palast von Cornaro zu Venedig würde haben erbauen können.
»Bei unsern Kirchen,« fügte Demetri hinzu, »worauf wir das mehrste wenden, haben wir die reizende Mannigfaltigkeit nicht der Alten; Tempel des Jupiter, Apollo, Mars, Bacchus: Tempel der Juno, Pallas, Diana, Venus. Jeder machte ein eigen Ganzes in Plan, Verzierung und Ausschmückung und Gegend.«
Die Meister sollten sich mehr nach den Heiligen richten, versetzt ich, denen die Kirchen geweiht werden. Der Papst, welcher die Rotunda hier allen Heiligen einweihte, so wie sie ehemals allen Göttern geweiht war, scheint so etwas im Sinn gehabt zu haben.
Es ist doch sonderbar, entfuhr mir hierbei, daß die Griechen, das aufgeheiterte Volk, sich mit den Fabeln über die Gottheit so ernsthaft und zuweilen so abergläubisch grausam beschäftigen konnten, da sie, der vielen andern Weisen nicht zu gedenken, einen Anaxagoras hatten.
»Grausam«, versetzt' er, »sind sie in Vergleichung mit uns zu ihren guten Zeiten nur wenigemal gewesen. Und dann lassen sich Meinungen, wo nicht offenbare Widersprüche sind und das Gewisse tief verborgen steckt, nicht so leicht wegarbeiten. Es hält bei den ausgemachtesten Dingen schwer, den großen Haufen unter einen Hut zu bringen, wenn er sich mit eingewurzelten Vorurteilen dagegen sträubt.
Mit den griechischen Gottheiten ging es gewissermaßen wie mit vielen Wörtern in jeder Sprache; wir haben einen deutlichen oder dunkeln Sinn dabei, wissen aber ihren ersten Ursprung nicht und wo sie herstammen; und jene waren schon vor Mosen und den Propheten in der ägyptischen Zeittiefe, ehe noch ein Trismegist unter den Sterblichen die [245] Buchstaben erfand. Homer hat damit seine Iliade ausgeziert, wie mit Edelsteinen, Gold und Perlen, und zuweilen lauter Schmuck gemacht, wie den Kampf des Skamander mit dem Vulkan.
Religion wurde, dünkt mich, in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst bestimmt eingeführt, um den Streit über verschiedne Verehrung der Gottheit bei Familien zu verhüten. 21 Jeder Staat oder Gesetzgeber ergriff eine Partei der Ordnung wegen und ließ andern Republiken und Selbstköpfen natürlicherweise ihre Freiheit, über das Weltall zu denken, was sie wollten, wenn sie nicht mit Fackel und Schwert seine Verfassung störten.
Bei den Griechen mußt es einer sehr arg machen, wenn Richter und Volk Meinungen dagegen ahnden sollten. Was hat nur Aristophanes nicht für Witz über die Götter ausgegossen! Wir im heiligen Rom erschrecken noch nach Jahrtausenden über seinen Mutwillen, wenn wir uns einmal mit der Phantasie in dessen Zeiten gedacht haben. Das Scherzen über die Bewohner des Olymp mochten die Griechen, scheint es, sehr wohl leiden; nur durfte sie einer nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollen und als Schwärmer deren Bildsäulen zerschlagen, ohne ihnen dafür andre Freuden, andern Zeitvertreib zu gewähren. Jeder begriff an sich selbst, daß sich das Gefühl der Wahrheit und Falschheit nicht so ganz bändigen läßt, wenn man den Bürger nicht als bloßen Sklaven haben will. Bürgerliche Ordnung soll nur Gewalttätigkeit hemmen, und nicht den freien Gebrauch der Seelenkräfte: sonst bleibt der Mensch nicht Mensch mehr und wird zum Tier der Herde, verliert seine eigentümliche Glückseligkeit und allen Wetteifer, wie wir in den tyrannischen Staaten sehen, wo die Natur auch ihre geistigsten Gaben am reichlichsten ausspendet, in den Gefilden der Wahrheit und Schönheit nach Lust immer weiter zu schreiten [246] und hienieden die höchsten Gipfel zu ersteigen, wo er Meer und Land überschaut.
Die mehrsten Streitigkeiten über Gott kommen davon her, daß Laien selten wissen, was sie wollen; und Philosophen meistens für den eingeführten Glauben, sei's unter Heiden, Juden, Christen, sich von ihm ein Ideal bilden, und ihn nicht annehmen und zu ergründen suchen, wie er in Natur sich befindet; als ob er sich bei der Menge verächtlich machte, wenn er wäre, was er ist.
Anaxagoras unter den Griechen gab mit seinemVerstandwesen für die folgenden Zeiten hauptsächlich dazu Anlaß. Das System des Lehrers des Perikles und Euripides hat durch ihr sinnliches und glückliches Zeitalter geherrscht, trotz den schulwidrigen Behauptungen vielleicht größrer Scheidekünstler, erhielt sich bis in die christlichen Jahrhunderte und herrscht gewissermaßen trüb und dunkel wieder jetzt, obgleich die erste Quelle nun unbekannt geworden ist. Er stattete eine Weltseele, die alle Materie der Elemente durchdringt und über sie Gewalt hat, in dem in der Erde steckendsten Wurm und himmelhöchsten Adler dieselbe. 22
Sokrates verwarf alles System, ahndete nur und betete an in heiligem Stillschweigen nach seinem tiefsten Forschen; verehrte übrigens die Gottheit nach den Landesgesetzen unter mancherlei Namen, ohne sie näher zu bestimmen, und riet seinen Freunden dasselbe.
Dem Plato, Aristoteles und andern Denkern aber war damit wenig gedient, und sie gingen so weit, als sie nur vermochten. Jener sprach über den allgemeinen Verstand in erhabnen Dichtungen; und der kühne Titan von Stagira belagerte regelmäßig endlich nach den feinsten Erfindungen der scharfsinnigsten Taktik; und seine Anhänger behaupten, er sei in die innerste Festung eingedrungen. Darauf [247] und daran muß der Herrliche, der in so vielem andern an der Spitze der Menschheit stand, gewiß gewesen sein.
Plato schreibt noch am Ende seiner Tage den Gestirnen den höchsten Verstand zu. Anfangs bedacht er sich lang über die Sonne und konnte nur damit nicht ins reine kommen, wie wir lebten und so hell im Geiste sähen, wenn sie unterginge und es Nacht wäre. 23 Daß alles Lebendige erfrieren, zu toten Klumpen erstarren müßte, wenn nichts von ihren Strahlen zurückbliebe, wird ihm wohl einmal im Winter die Bedenklichkeit gehoben haben. Vielleicht schloß er gar noch ferner, daß alles Licht und alles Feuer und alle Wärme auf unserm kleinen Erdboden bloß in Materie gefahrne Strahlen der Göttlichen und der Gestirne sind, die jene, von nichts gehemmt, durchdringen, regen, richten; woher alles einzelne Lebendige denn Bildung, Form und sein Recht hat; bis sie wieder von andern aufgenommen werden oder sich selbst absondern in Rückerinnerung der alten überschwenglichen Wonne; und daß die Massen und Körper, die deren am mehrsten enthalten, die lebendigsten sind. Wenigstens ist dies der Grundstoff zu seinem glänzenden theologischen System, worüber Julian noch abtrünnig wurde.
Überhaupt hielten die mehrsten alten Philosophen das Feuer für das Göttlichste in der Natur.«
»Die großen Dichter dieser hohen Zeiten für die Menschheit«, fiel ich ein, »hatten um eine Stufe natürlichre Metaphysik und nahmen das Sinnlichre und Nähere. Sie meinten, wir schöpften die bewegende Kraft mit dem Atem, und sie sei in der Luft befindlich, und nannten sie Zeus, nach dem wörtlichen Sinn, wodurch sie lebten; und einige Philosophen schlugen sich zu ihrer Partei.
Sophokles sagt: ›Zeus, der alles faßt, in alles dringt, uns näher verwandt ist als Vater, Mutter, Bruder, Schwester.‹ Und an einem andern Orte: ›Welcher Menschen Übermut, o Zeus, hemmt deine Macht, die der uralte Schlaf nicht ergreift [248] und die unermüdlichen Monden! Unalternd durch der Jahre Wechsel nimmst du Herrscher den strahlenden Glanz vom Olymp ein; dir ist der Augenblick, die Zukunft und Vergangenheit untertan.‹
Und Euripides sagt geradezu: ›Siehst du über und um uns den unermeßlichen Äther, der die Erde mit frischen Armen rund umfängt? Das ist Gott!‹
Und Aristophanes, sein Antagonist, ruft ebenso aus: ›Unser Vater Äther, heiligster, aller Lebengeber!‹
Und Pindar ging schon vorher noch weiter und singt stolz in lyrischer Begeisterung: ›Eins das Geschlecht der Menschen! Eins das der Götter! Alle beide atmen von einer Mutter.‹
Nach der ältesten Meinung seines Volks glaubteThales das Göttliche im Wasser zu finden, weil alles Lebendige sich davon nährt und aller Same feucht ist. Die Erde aber blieb immer nur Pflanzstätte, die das Himmlische durch Wind und Regen empfängt und Tiere und deren Nahrung damit gebiert; obgleich Mutter aller, selbst ohne Geist und Leben. Manche hielten sie nicht einmal für Element, sondern wie Hesiodus nur ersten Körper.
Alles kehrte zurück, wo es herkam; was von der Erde entsproß, zur Erde: das Himmlische wieder in die lustschwebenden ätherischen Zärtlichkeiten.
Doch, gestehen wir es nur, wir tappen damit noch in Nacht und Ungewißheit! wie die Alten selbst; von denen nur einer mehr oder weniger als der andre dreust war mit seinen Behauptungen. Ein bestimmtes deutliches System hierüber darf man bei keinem Sterblichen suchen; die größten Weisen haben für sich keins gehabt und nicht klar gesehen, wie kein Mensch die ganze Welt klar durchschauen kann. Sie nahmen gewisse Sätze an und bauten darauf hin, und wurden immerwährend von der Natur wieder in Verwirrung gesetzt.
Eines jeden Gefühl muß ihm sagen, daß er etwas Getrenntes von einem Ganzen ist und daß er sucht, sich wieder mit [249] demselben zu vereinigen. Als Menschen suchen wir dies am ersten bei andern Menschen zu bewerkstelligen: die Natur leitet den Mann zum Weibe und das Weib zum Manne. Beide finden alsdenn doch noch nicht dies in sich allein und suchen ihr Ganzes bei mehrern ihresgleichen. Wo dieser Trieb lauter wirkt: die glückseligste Republik. Aber auch hier wird der Mensch endlich seine freie Vollkommenheit, sein Ganzes nicht finden. Es ist also klar, daß uns entweder der Tod mit diesem vereinigt oder doch nähert oder nach mancherlei Durchwanderungen von Körpern wieder dahin bringen muß. Aus diesem Gefühl stirbt eine Alkeste für ihren Gatten, als der minder edle Teil des Ganzen, und übergibt sich ein Regulus freiwillig Schmach und Leiden. Aus diesem Grunde sieht man mehrere Menschen, jeden schier von demselben Schlag und Gehalt, zusammen für verständiger an und ein ganzes Volk für die klare ausgemachte Weisheit; und wir können oft mit der sichersten Gewißheit von dem Gegenteil und dem stärksten Vorsatz nicht auf gegen die Macht der Täuschung.«
»O wie lieb ich das,« rief Demetri mir mit lebendigern Augen froh lächelnd zu, »wenn so einer aus dem andern Funken schlägt! O könnten wir uns Licht machen und einander einen Pharos anzünden in diesem nächtlichen Meer, wo Boreas und Süd und Ost und West verschiedner Meinungen stürmisch ungestüme Wogen wälzen! – wenigstens einer den andern wie ein noch scheues edles Roß vor den fürchterlichen Einbildungen auf allen Seiten herumführen.
Welches der König der Elemente ist: Luft oder Feuer, wär also der Streit bei den griechischen Dichtern und Philosophen. Um das Höchste und Edelste zu sein, muß er die Massen aller andern durchdringen, Gewalt darüber haben, sie an sich ketten und nach seiner eignen Natur formen und bewegen. Nach diesem Grundsatze würden die Dichter wohl den Philosophen nachgeben und alle lebendige Wesen eine Art von Flamme sein; Feuer so über Luft wie Bewegung des Lichts gegen Schall.
[250] Auch war das Wesentliche zwei der ältesten Religionen des menschlichen Geschlechts in der Mitte der zwei größten Weltteile, Asien und Amerika, Verehrung der Sonne und des Feuers; und ihre Frommen bemitleideten die so mit geistiger Blindheit Geschlagnen, daß sie in Finsternis nach Gespenstern herumtappen, vom Lichte der Natur, durch alle Himmel dasselbe, lieblich und freundlich und erwärmend hell lebendig umstrahlt. Selbst in Rom, da edle Weisheit und Tapferkeit in seinem Senate noch den Erdboden regierte, bewahrten jungfräuliche Hände dessen Glut als das Allerheiligste.
Lassen wir aber auch noch einen Priester des Zeus mit seinem Pomp in diese Versammlung treten und die Religion seines Volks behaupten, weil wir einmal im erfreulichen Schwärmen der Phantasie darüber sind:
›Toren ihr alle!‹ ruft er aus; ›die Welt macht nur ein Ganzes, und ihr haltet euch an den Teil. Alle verschiedne Urwesen in der Natur sind göttlich, jedes so ewig als das andre, und keins kann von dem andern herkommen und geworden sein.
Rein abgesondert nennen wir sie Elemente; untereinander vermengt, für uns ohne Ordnung und Schönheit, nennen wir sie Materie.
Wie alle diese Kräfte zusammengekommen sind, sich verbinden und scheiden und allerlei Erscheinungen hervorbringen, hat noch kein menschlicher Kopf für Sinn und Verstand erklärt.
Tun wir den äußersten Flug menschlicher Einbildungskraft und nehmen Anfang an, wo es nur immer möglich ist.
Stellt euch das Chaos vor, das alle Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen, Metalle und Steine gebar, wie einen unermeßlichen heißen Nebel im unendlichen Raume, worin Sonnen und Planeten noch zerstäubt schwimmen mit den Meeren, Erden und Lüften.
Es begann die Zeit: Feuer und Lüfte und Wasser und Erden schieden sich, und ein gleichartiges Wesen gesellte sich seiner [251] ewigen Natur nach zu dem andern. Die jungen Sonnen wälzten sich und wuchsen, bis jede sich aus ihrer Sphäre gleich ewigen blendenden Gewittern von lauter Blitzen und Wetterstrahlen (wovon wir an unsern Wolken zuweilen nur winzige dunkle Schatten sehen) zusammengesammelt hatte, und besäeten die Himmel. Die gröbern Massen sanken unter, jede nach ihrem verschiednen Grade, und machen nun die Planeten aus, die immer schwebend herumtanzen, sich wieder mit dem holden Lichte zu vereinigen, aber wegen ihrer Schwere nicht zum Anflug gelangen.
Und die Liebe ward geboren, der süße Genuß aller Naturen füreinander, der schönste, älteste und jüngste der Götter, von Uranien, der glänzenden Jungfrau, deren Zaubergürtel das Weltall in tobendem Entzücken zusammenhält. Und alle lebendigen Geschöpfe erhaschten in diesem Getümmel ihren Anfang; und vermehren sich nach alter Art immer wieder aus einem kleinen neuen Chaos von Elementen, nach Anzahl, Maß und Form der ersten Zusammensetzung.
Das Element, das alles füllt, das sich am freisten und ungebundensten durch das Unermeßliche breitet, ohne welches nichts bestehen kann, was lebt, selbst das Feuer nicht, ist die Luft. Wir Trismegisten und Orpheuse gaben ihm den Namen Zeus und stellten diesen den Völkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem flammichten zackichten Keil voll furchtbarer Majestät als dessen Regenten vor, weil sie nicht bis zu dem Unsichtbaren gelangen und Gestalt für den Sinn haben müssen.
Sein erstgeborner Sohn, Licht und Feuer, ist Apollo, der Sonnengott.
Der Beherrscher der Wasser, Zeus' Bruder, Neptun.
Den Erden, den Sammlungen unzählbarer andrer Elemente, setzten wir das Heer der übrigen Götter vor und erteilten dem dritten Bruder Pluto in den Unterwelten den höchsten Zepter.
Eure Großväter, die Pythagorasse und Homere, haben hernach unsre kühnen großen Erfindungen angenehm und lieblich [252] und erfreulich ausgearbeitet und die Phidiasse und Polyklete denselben das Siegel aufgedrückt. Und so waren die Urkräfte der Natur für die Phantasie geordnet und jeder von ihren Lieblingskindern, den Menschen, schöne Tempel aufgestellt.‹
Verwundert Euch nicht, Freund,« fuhr Demetri fort, »über die astronomischen Ketzereien, die ich meinen Priester sagen lasse! Es wird eine Zeit kommen, und nach der Freiheit, womit die großen Geister schon anfangen ihre Flügel zu schwingen, kann sie nicht mehr fern sein, wo die Sonne und die Fixsterne auch bei den Menschen ihren erhabnen Posten behaupten werden wie in der Natur und unsre kleine Erde mit den andern Planeten um ihre Lebendigmacherin herumrollen wird; 24es wird die Zeit kommen, wo der kleinste Nebelstern Sonne sein wird und ein hellerer Morgen in unsern Kerker einbrechen, bis wir uns endlich alle Bande abstreifen und des ewigen Daseins, unsers Eigentums, als echte Kinder Gottes genießen, in unaussprechlicher Wonne, sonder Grausen vor den armseligen Schreckwörtern Tod und Zerstörung.
Es war besser, daß Millionen Sonnen sind, um nur Zahl zu nennen, als eine, die zu ungeheuer gewesen sein würde! Die Billionen Planeten hätten sich zu oft darumher einander verfinstert und die rasende Masse von Feuer sie verzehrt.
Alles Wesen besteht aus unergründlich Kleinem. Was unendlich klein ist, kann nur wenig Kraft und Bewegung haben. Um freier und gewaltiger zu sein, paart es sich mit seinesgleichen und vermehrt sich bis zu Sonnen- und Planetensphären, die sich durch die Himmel wälzen und schweben für uns in unbegreiflicher Fülle von Wonne; paart sich mit seinesgleichen und anderm, was es wie zum Fuhrwerk oder gleichsam Reittier brauchen kann. Und dies hat's auch [253] wieder gut, indem es an der Lust des Edlern teilnimmt und für seinen Dienst reichlich versorgt wird.
Das Zusammengesetzte aber aus Verschiednem ist in Betrachtung des Einfachen eine wahre Kleinigkeit. Was sind alle Vögel, Tiere und Fische gegen die unermeßliche Luft, das blendende Gewimmel der Gestirne und gegen Meere und Erden in ihrer ursprünglichen Reinheit? Zusammengerottete winzige Sonderlinge! Die großen Massen allein leben und schweben in ewiger angestammter Wonne und Glückseligkeit: nur wir Heterogenen leiden und sind elend und plagen uns mit unsrer Erhaltung, immer in der jämmerlichen Furcht, zu vergehen. Mitteldinger zwischen Sein und Nichtsein! Zusammengeballte Grenzen des Verschiednen! Die sich mit Träumen plagen und ihre eigentliche Natur nicht finden können; und auf das kranke Gewinsel zerrütteter Kreaturen horchen, da uns das ewige Licht in die Augen blitzt, Meere in die Ohren rauschen und alles augenblicklich in uns strebt, sich mit dem großen Mächtigen wieder zu vereinigen.
Die Toren glauben, sie kämen einmal in eine ganz andre Welt, wo keine Sonne wäre, weder Mond noch Sterne, noch Meer und Land wie bei uns, und sie hätten vielleicht dort doppelte goldne Hüften, wie hier nur eine Pythagoras hatte.
Unsre Philosophen nehmen sich sehr in acht, wenn sie von Seele reden, auf Erde, Wasser, Luft und Feuer zu kommen, vermutlich, um sich nichts zu vergeben. Nicht also die Griechen! Wir zucken die Achseln deswegen über sie? Je erhabner der Mann, desto eher der Kinder Spott!«
Demetris Wangen wurden röter in diesem lyrischen Taumel; ich rief ihm zu: »Mäßigt Euren Schwung, wenn ich nachfolgen soll!
Etwas Besonders, Adler oder Mensch und zum Beispiel Alexander zu sein nach gewonnenen Schlachten«, fügt ich leise hinzu, »macht doch auch große Freude und kömmt einem angenehmer vor, als wenn man sich zu unendlich [254] kleinen Teilchen von Erde, Luft und Wasser und Feuer denkt. Jedes einzelne Wesen wird seine Existenz bloß durch andre gewahr; je reiner es sich damit vereinigt, desto größer wahrscheinlich seine Glückseligkeit. Alles in der Natur strebt deswegen, sich in andres zu verbreiten.«
Demetri. Bei solchem Einfachen gibt's kein Teilchen; jedes, wenn man sich es auch denkt, gehört so zum Ganzen, daß das Ganze zusammengenommen nichts Bessers ist. Das Teilchen ist wie das Ganze und das Ganze wie das Teilchen; eins wirkt und regt sich wie das andre, jedes Gefühl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, das geht auch das andre an; es ist eins so mächtig, so ungeheuer und unermeßlich groß, wenn man eine solche Größe annehmen will, wie das andre. Die Meere und Tiefen von ursprünglichen Elementen sind es, woraus wir immer neu strömen und zusammenrollen; und unsre Urnatur ist unendlich göttlicher und erhabner als das augenblicklich zusammengeballte Eins verschiedner Kräfte; nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unsterblichen Flusse der Glückseligkeit.
Ardinghello. Aber daß etwas sein muß, was das Weltall zusammenhält, ist wohl klar genug! eine unbekannte Ursache an und für sich, doch bekannt in ihren Wirkungen; ein Wesen, das die andern Elemente zusammenbändigt von ihrem Schlafe zum Leben, zur Existenz, zur Harmonie und Einheit.
Wenn ich meinen Körper betrachte und bedenke, daß ich ihn selbst soll zusammengearbeitet und gebildet haben, und doch nichts davon weiß oder, welches einerlei ist, daß das erste Menschenpaar dies soll getan haben: so dünkt mir augenscheinlich, daß ich nicht von mir selbst abhange und daß eine unbekannte Ursach im Spiel ist. Anfang und Ende ist für keines Menschen Kopf und ebenso unbegreiflich, wie Verschiednes ein lebendiges Eins macht. Unsre offenbare Willkür, der vorher bestimmte Endzweck aller unsrer Sinnen zum Beispiel, das Forterhalten der Gattungen, bleibt unerklärlich und übersteigt die feinste Philosophie.
[255] Demetri. Vielleicht wird sich dies noch aufhüllen.
Wir erkennen uns bloß als Zusammensetzung, als Wirkung und nicht als Ursache. Bei uns ist sie mit unserm Verstand eins, und es findet da kein Gezweites statt; bei andern Dingen läßt sie vielleicht den Sonnenstrahl, so wie ihn unser grobes Auge blickt, nicht in ihre Verborgenheit. Rein existiert sie bloß in ihrer ursprünglichen Vortrefflichkeit, schwebt im Genuß ihrer selbst: und vermischt erkennt sie nur die Vermischung.
Liebe und Krieg ist ewig auf den Grenzen verschiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schönheit, und wie die Namen alle lauten. Wie Kinder scheuen wir Tod und Vergehen; wir würden bei beständiger Dauer in immer einerlei Zusammensetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unsrer kleinen Eingeschränktheit. Die Natur hat sich aus eignen Grundtrieben dies Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Gefühlen selig fortzuschweben; und unser Beruf ist, dies zu erkennen und glückselig zu sein. Pythagoras hatte recht: die Welt ist eine Musik! Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dissonanzen am verflochtensten ist, da ist ihr höchstes Leben; und der Trost aller Unglücklichen muß sein, daß keine Dissonanz in der Natur kann liegenbleiben. Die höchsten Granitfelsen der Alpen und des Kaukasus zermalmen endlich die Regen des Himmels und die Katarakten der Eisdecken auf ihren Gipfeln, und unsre Jahrtausende sind Momente der Ewigkeit. Kommen wir einmal zum Teil in den Mittelpunkt des Ozeans und der Erdkugel, so kommen wir auch in Sonnen und Gestirne und werden eins damit.
Jedes Element hat nach höhern und mindern Graden von Regsamkeit die Eigenschaft, zu leben, zu empfinden; und die mancherlei Proportion gibt jedem einzelnen Dinge seinen besondern Urcharakter. Dem Affen ein wenig Licht und Luft mehr im Urton: und er stünd auf der Leiter der Schöpfung über den Homeren und Zenonen, freilich alsdenn auch in andrer Gestalt. Unser Gehirn scheint der hohe [256] Rat der Republik zu sein, sich augenblicklich zu bewegen und die neuen Erscheinungen und Gefühle der Sinnen aufzunehmen und darnach für das kleine Ganze zu sorgen.
Wer hat die Elemente so untersucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuschreiben will? Warum sollten nicht alle mehr oder minder dazu fähig sein und die ganze Natur leben, denken und empfinden?
Der Mensch macht ein Ganzes aus, und es ist alte Pedanterei, denselben nur in zwei ganz entgegengesetzte verschiedne Hälften zu teilen, wie man hernach bei allen Tieren und der kleinsten Mücke tun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiserne tyrannische Herrschaft, bis auf die sich frei wähnendsten philosophischen Häupter, die davon nichts träumen.
Ardinghello. Auf einen Hieb fällt kein Baum, geschweig eine Zeder, die so viele Jahrhunderte, durch alle bekannte Zeitalter steht und mit ihrem immer grünenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menschen werden heutzutag schwerlich glauben, daß das Beste von ihnen nur Sonne war und die Planeten erleuchtete; sie sind zu stolz dazu geworden. Geschweige daß ihre Körper nur eine gewisse Ordnung seien, Wohnungen, Gasthöfe der Elemente, die augenblicklich durch sie reisten, sich nur Momente aufhielten, sie lebendig, vollkommner und bequemer für die nachfolgenden machten.
Demetri. Und doch muß auch dem Dümmsten auffallen, daß er alle Woche wenigstens ander Fleisch und Blut hat; daß ihn sein Magen jeden Tag ein paarmal an neuen Ersatz erinnert; daß er stündlich stirbt und wieder aufersteht; immer etwas anders ist, immer ist wie das Wetter, das er sieht und einatmet. Und was wollt Ihr mit allen bekannten Zeitaltern? Habt Ihr vielleicht den Aristoteles gelesen?
Ardinghello. Seine metaphysischen Schriften nur durchblättert! teils, weil sie mir zu weitläuftig und gleich anfangs mit Fleiß dunkel und rätselhaft geschrieben schienen, und teils, weil ich für wahr hielt, was Xenophon beim Eingange der [257] Denkwürdigkeiten vom Sokrates meldet, nämlich: die Metaphysiker wären ihm vorgekommen wie Rasende, da die berühmtesten derselben schnurstracks sich entgegenstehende Meinungen behaupten. Die ganze Wissenschaft sei zu nichts nütze; und er hätte sich verwundert, wie es ihnen nicht offenbar wäre, daß unser Verstand darüber nichts Gewisses erfinden könnte. Die menschlichen Dinge allein machten uns genug zu schaffen.
Demetri. Auch beim Sokrates ist nicht alles Gold! Dies war zuverlässig in die Luft gesprochen, ohne hinlängliche Überlegung. Das Allgemeine können wir wissen, aber nicht das Besondre. Ohne Arbeit und Mut wird dem Menschen nichts Großes verliehen. Wer weiß, wie viele Jahrhunderte noch dazu gehören, ehe wir in Erkenntnis der Natur so weit gelangen, als unser Verstand reicht, und das höchste Ziel berühren! Viele verzweifeln daran, nur etwas Wahres zu finden, und wollen immer im Finstern herumtappen; aber es kommen Augenblicke, wo sie erschrecken, ein bloßes Nichts zu sein, ohne sich mit der Natur zusammen zu denken. Harmonie mit dem Weltall ist das höchste Gut! und welcher gute Kopf will sein Lebelang zu dem Gesindel gehören, das die Wetterfahne aller Meinungen ist? Jeder muß hier endlich so weit, als er kann; und es hilft da kein Sträuben. Unsre Bestimmung, wenn wir eine haben sollen, kann keine andre sein, als die verschiednen Naturen des Weltalls in der Zusammensetzung zu fassen, woraus wir bestehen. Der Mensch selbst ist gleichsam eine herumwandelnde Metaphysik; wer wollte sich nicht damit beschäftigen? Sie ist die erste und höchste aller Wissenschaften.
Wenn wahr ist, wie es denn allen Schein der Wahrheit an sich trägt, was Alkibiades vom Sokrates in Platons Gastmahl erzählt, so hat auch hierin der, den das Orakel (vielleicht hauptsächlich deswegen, was Ihr eben aus den Denkwürdigkeiten von ihm angeführt habt!) zum Weisesten erklärte, doch auch hierin seine Schuldigkeit beobachtet. Er [258] stand einst im freien Felde vom Morgen an, den ganzen Tag über und die Nacht durch, unbeweglich auf einem Fleck in dem allertiefsten Nachdenken versunken und verloren: und betete die Sonne an, als ihre reine volle Feuersphäre über die östlichen Gipfel Strahlen des Lebens wehte.
In den geringsten Wissenschaften und Künsten herrschen verschiedne Meinungen; und es ist natürlich, daß in der höchsten die mehrsten herrschen, weil alle zum steilen Gipfel wollen und nur äußerst wenige dazu genug Atem in der Brust, Stärke in den Knochen und ausdauernden Mut und Verstand gegen alle die Gefahren haben, die in den halsbrechenden Pfaden auf sie lauern.
Nutzen? Soll man denn alles des Mauls und Magens wegen tun? und macht Erkenntnis der Wahrheit nicht schon an und für sich glückselig? ist sie nicht die höchste Glückseligkeit? Gehört das Vergnügen, die Freude nicht zu Nutzen?
Freilich muß jeder den Weg endlich selbst machen. Es muß erst einer wissen, wo der Ätna liegt, eh er hinauf will. Und dann ist für uns die Reise durch die Scylla und Charybdis die kürzeste, und durchaus zu Pferd ist nicht möglich. Oder: man muß ohngefähr so weit sein, als sie selbst waren, ehe man die Systeme großer Philosophen vollkommen versteht; und ferner sie nicht auf den ersten Seiten vollkommen begreifen wollen; man muß sie erst ganz kennen, ehe man nur etwas von ihnen in allem seinen Verhältnis einsieht.
Das System des Aristoteles liegt, es ist wahr, noch zum Teil da im Chaos; aber binnen zweitausend Jahren hat sich kein beßrer Architekt gezeigt. Er trug allen philosophischen Reichtum jener glücklichen Zeiten zusammen und brütete darüber wie ein Gott. Seine physischen und metaphysischen Werke sind ein langwieriges Studium, und es läßt sich in einem Gespräche davon kein Auszug machen. Ihr müßt sie selbst lesen; und es wird Euch Lust sein, zu sehen, wie er die Natur herumarbeitet und bis auf ihre kleinsten Bestandteile [259] zergliedert, wenn Ihr auch nur den Tiefsinn des Menschen an ihm bewundern solltet.
Für jetzt nur noch einige Rhapsodien nach ihm und gegen ihn, und Launen und Einfälle. Stellt Euch das Universum wie eine Laute vor, worauf ich Euch nach augenblicklicher Lust und Liebe vorphantasiere. O nichts ist reizender und lockender dazu! es ist der schönste Gegenstand meiner Poesie in der Einsamkeit. O es macht mich glücklich, und mich überläuft wieder zuweilen ein menschlicher Schauder, wenn ich bedenke, was ich vielleicht schon war und ferner sein werde! was ich jetzt bin und den folgenden Morgen, die folgende Stunde schon vom neuen anfange zu sein. Übrigens genieß ich jeden Moment der Spanne meines gegenwärtigen Lebens, so gut ich kann, und ergebe mich Kleinigkeit in die Umwälzungen der ungeheuern Massen. –
Was Demetri darauf ferner sagte, davon mehr nur den Inhalt als seine Worte, insoweit ich denselben gefaßt habe. Ich blieb bis jetzt noch immer der Meinung des Sokrates, daß auch die beste Metaphysik ein schönes Gebäude sei, welches bloß in der Luft schwebt, und daß man sich nur damit beschäftigen müsse, um sich nichts weismachen zu lassen und seinem Vergnügen in dieser Rücksicht ungestört nachzuhängen.
»Die Sinnen allein zeigen uns,« begann er vom neuen, 25 »daß etwas außer uns da ist: Verstand selbst ist die Wurzel der Sinne. Von Sinn und Verstand alle unsre Erkenntnis; und was finden wir da?
In uns gekehrt die wunderbare Sicherheit, daß wir Wirkliches und kein Nichts sind, und allen Grund zu denken und zu handeln. Außer uns Sonne, Mond und Sterne im unermeßlichen [260] Äther, und Luft und Meer und Land voll unzählbarer lebendiger Dinge.
Doch solche Menge Verschiedenheiten entdeckt nur das Auge, unser reichster, aber auch flachster Sinn; wir haben einen andern, der tiefer dringt und zu einfachern kömmt: das Gefühl. Kein Tier kann ohne dasselbe, aber ohne die andern Sinnen bestehen.
Und dieser Sinn erkennt?
Warm und Kalt und Feucht und Trocken.
Nichts weiter! denn alles übrige fällt in eins von diesen; daraus besteht die unendliche Mannigfaltigkeit des Weltalls.
Doch werden wir auch mit diesem so mächtig ergreifenden Sinn nur Oberflächen gewahr; allein tiefer in die Natur der Dinge können wir nicht eindringen, wenn wir nicht sie selbst werden. Und dann hört aller Sinn auf; wir sind es selbst und schweben im Genuß ohne alle wissentliche Unterscheidung.
Warm und trocken ist das Feuer. Warm und feucht die Luft. Kalt und trocken die Erde. Kalt und feucht das Wasser. Mit Flamme und Eis fängt Stockung und Zerstörung an, daraus keine Zeugung.
Wenn Feuer sich in Luft verwandelt, braucht es nur die Feuchtigkeit anzunehmen, und so, wenn Wasser sich in Erde, nur die Trockenheit. Wasser wirdLuft durch die Wärme; Luft wird Wasser durch die Kälte. Feuer verwandelt sich in Erde durch die Kälte, Erde in Feuer durch die Wärme. Leicht ist dann der Übergang einer Natur in die andre und leicht Werden und Zeugen. Wenn aber Feuer Wasser werden soll und Wasser Feuer, Luft Erde und Erde Luft: dann ist ein doppelter Damm durchzustürmen; allein der Schleichweg ist bald gefunden. Feuer wird erst entweder Luft oder Erde; und so bleibt der Übergang auch bei den andern immer leicht.
Daraus alle die sonderbaren Erscheinungen! Und so verändert sich ewig in sich die Welt, begattet sich mit sich selbst [261] und bringt neue Geschöpfe hervor und Blumen und Früchte.
Dies sind die vier Elemente, die der gemeine Menschenverstand durch alle Zeiten anerkannt hat; und sie sind die Grundverschiedenheiten nicht nur für das Gefühl, sondern auch für die übrigen Sinne, die alle verschiedene Abarten desselben sind und darauf beruhen.
Daß die Luft wieder so verschieden sein könne, als wir die Erde erkennen, wer will dies leugnen? und so das Wasser, und vielleicht noch das Feuer; wer hat die Elemente so untersucht? und wie wenig wissen wir noch von den Erden? Genug, daß der Übergang eines Elements in das andre gefunden ist.
Doch warum suchen wir Vervielfältigung der Elemente! Es hat Philosophen gegeben, die behaupteten, daß das Weltall, welches wir zusammen mit einem Namen Natur nennen, durchaus eins und dasselbe sei; die alle Evidenz leugneten, um ihren Verstand an einem Mutterwesen zu weiden, das bloß reiner Stoff und nichts von allem andern ist, was wir kennen, sondern alles zugleich in jedem Punkte; andern Menschen schier ebenso undenkbar wie Alles aus Nichts und Nichts aus Allem, das es auch bedeutet.
Die ältesten der Art blieben jedoch noch bei einem Elemente. Heraklit meinte, das Feuer sei der gemeinschaftliche Quell aller Dinge: und Thales das Wasser; beide aus dem heitern Ionien, von den Griechen, sonderbarlich! für die frühesten echten philosophischen Köpfe anerkannt und der erste als Stammvater aller eigentlichen Weisheit zum Sprichwort bei ihnen durch alle Zeiten geworden. Das organische Wasser, zum Beispiel der Mensch, ersaufe in dem einfachen Wasser; und das organische Feuer verbrenne in dem Feuer, das die Lust verliert, etwas anders zu sein. Feuer, Luft und Erde sei Wasser, und Wasser sei Erde, Luft und Feuer, und alles eins und dasselbe. Feuer sei heiß und kalt, und Wasser sei naß und trocken.
Andre suchten in der Folge den Widerspruch wenigstens [262] im Ausdrucke zu vermeiden und setzten für irgendein Element überhaupt: Eins ist Alles und Alles Eins.
Nach dem Aristoteles war Xenophanes der erste, der dem Wesen seine eigentliche Reinheit gab, aber auch nichts weiter darüber bestimmte, sondern nur mit erhabner Stirn in den unermeßlichen Äther hin schaute und sagte: Das Eins ist Gott.
Parmenides, sein Schüler, brütete nach ihm mehr darüber und suchte zu beweisen, daß Wesen der Vernunft nach notwendig nur Eins sein könne, für die Sinnen aber müsse man zwei Ursachen: Kalt undWarm, annehmen. Kalt sei das Unwesen und Warm das Wesen. Andre setzten dafür das Dicke undDünne; nämlich das Wesen dehne sich aus und ziehe sich ein; und daraus alles Werden und Zeugen, alle Erscheinungen. Wenn es sich verdünne, werd es Luft und Feuer; und verdickt sei es Erde und Wasser; aber alles im Grund eins und dasselbe.«
Ardinghello. Wenn also die unendliche Ausdehnung, außer den einzeln Bewegungen, durchaus sich einmal recht einzöge, so würden wir vielleicht alle zusammen mit ihr den allergrößten Stein ausmachen und die Welt als ein Diamant im leeren Raume hangen.
Demetri (ein ander Gesicht annehmend). Wer weiß, was geschehen kann! Zeit hat sie nun in der Ewigkeit genug dazu, zur Kurzweil sich in allerlei Gestalten zu verwandeln.
Diese Philosophen gaben übrigens keine Ursache der Veränderung an und ließen noch Ruh und Bewegung unerörtert.
Wer beweisen will, daß aus Einem Alles sei, muß erst dartun, daß aus Allem Eins werde; und so weit hat es noch keine Chemie gebracht.
Wenn bloß Eins ist, so muß es in Ruhe sein; denn ohne Reiz keine Bewegung, und das Gleichförmige reizt nicht. –
In den Elementen liegen die Quellen der Bewegung. Sie ist allen eigen, und keins hat sie als einen besondern Vorzug; [263] nur scheint das Feuer einen weit höhern Grad von Reizbarkeit dazu zu haben als Erde, Luft und Wasser. Alles in der Natur regt sich von selbst und hat Freiheit, Erkenntnis und Begierde. Jeder Teil, den wir von einem ihrer unvermischten Ganzen annehmen, hat alle innerliche Eigenschaften des Ganzen; ihre Wesen sind unendlich zart, verbreiten und verlieren sich ineinander, unergründlich allen unsern Sinnen. Je mehr das Kleine einerlei Art beisammen, desto größer seine Macht und Stärke; und so kann Erde, Luft oder Wasser das Feuer überwältigen, und so unterliegt beim Menschen der sogenannte Geist der Materie. Doch nur im Einzeln kann dies geschehen, denn im Weltall selbst herrscht Geist unermeßlich und ohne Schranken. Geist bringt die Welt in Ordnung und Schönheit nach seiner Natur, und selbst in uns fuhr er deswegen; und dadurch hat der Mensch Gewalt über den Erdboden.
Bewegung ist Wirksamkeit der Kraft auf einen Gegenstand. Wo Kraft und Gegenstand ist, ist auch Bewegung. Wo doppelte Kraft aufeinander wirkt: Liebe oder Krieg, Neueswerden oder Abprallung.
Gedanke ist Anfang und Ziel der Bewegung, Anfang und Mittel und Ende der Bewegung zusammen Handlung. Alles in der Natur hat das Vermögen, zu denken und zu empfinden, und das Selbstgefühl ist Grund und Boden; denn alles, was ist, hat Kraft, wodurch es ist, was es ist.
Und folglich hat das System des Anaxagoras seinen guten Grund in der Natur. Verstand hat die Welt gebildet: nur in allem auf seine eigne Art. Verstand ist prüfende und unterscheidende Fassung des Ganzen; Verstand, in der Zusammensetzung, das Meer, wohin alle Empfindungen laufen, sich begegnen und sich läutern; und besteht selbst nur aus empfindender Kraft. Es ist der eigentliche Kern jedes einzelnen Lebendigen, jedes Ganzen, das schlechterdings an und für sich mit einer ersten Empfindung beginnen und sich mit gleichartigen und andern Wesen paaren und hernach zusammenschaffen und bilden mußte. Wenn nun Verstand [264] ursprüngliche Empfindung ist, so ist er auch der Schöpfer von allem Individuellen.
Der erste Trieb in jedem Lebendigen ist das Vergnügen oder nicht allein und vereinzelt zu sein. Der zweite weitere Erkenntnis und größere Kraft zugleich: dadurch erhob sich die vereinzelte Natur vom Wurm an bis zum erhabnen, freien, vielfassenden und verbindenden klaren Menschen, der deswegen die Sprache und alle Künste erfand. Der dritte, ungeheure, der alles unglücklich macht, die ganze Welt zu erkennen und sie sein zu wollen; und in der Tat tobt immer das dunkle Gefühl in uns auf, sie einmal gewesen zu sein und wieder zu werden.
Ardinghello. Ich erstaune über Eure kühnen Behauptungen, und es wird mir vieles Nachdenken kosten, deren Wahrheit oder Falschheit zu finden.
Wenn Feuer sich in Luft verwandelt: bleibt es Feuer oder nicht? Und ferner: so wie nur eine gewisse Materie ist, die Licht hat, und eine, die Ton hat, so kann es ja auch eine geben, wenn man das Wort hier bei brauchen darf, die nur denkt und Verstand hat, Ursache der Bewegung ist, immer wirkt und nie leidet, bis das ganze Gebäude um sie her zusammenfällt.
Demetri. Wenn Feuer sich in Luft verwandelt, so entsteht eben ein neues Ganzes aus Luft und Feuer. Und so sind wir selbst ein Ganzes aus verschiednen Elementen, so rein und harmonisch verschmolzen, daß wir in uns bei gesundem Zustande durch das feinste Bewußtsein nichts unterscheiden.
Wenn nicht jede Art von Element sich selbst regte und bewegte, so würde jeder Leichnam ewige Mumie sein und der Wind immer von Osten her wehen.
Was den Verstand betrifft, so nimmt Aristoteles selbst, wie Plato, nach dem Anaxagoras, dessen Meinung ich freilich nach meinem eignen Begriff erklärte, eine eigne Materie für den Verstand an und unterscheidet sie von aller andern, und sogar von der Seele, die, wie er sagt, im ganzen Körper [265] sich befindet. Die Seele des Auges ist das Sehen, die Seele des Ohrs das Hören und so die des Gefühls das Fühlen. Die Seele des Baums ist, daß er wächst und seine Nahrung mit den Wurzeln einsaugt. Sie ist in allem Lebendigen dieselbe. Kraft in Ausübung ist ihm Seele, und kein Körper, kein Element ohne Seele. Aber Verstand hat seine eigne Natur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betäubt werden, der Verstand hingegen von dem tiefsten Denken unbefangen auf das leichteste übergehen. (Vielleicht nur bei dem Fürsten der Philosophen! Andre müssen wenigstens ein Schachspiel dazwischensetzen.) Und doch soll derselbe ein besonder eigen Teilchen, wie er sich ausdrückt, nur der menschlichen Seele sein, und sagt, diejenigen hätten recht, die ihn darin den Ort der Formen nennten; Denken, Urteilen wäre Aufnehmung, Schaffung von Formen. Die sinnliche Kraft der Seele könne nicht ohne Körper bestehen, der Verstand aber davon abgesondert werden; er sei sich allein Materie. Nur sei er leidend und vergänglich, insofern er etwas denke und sich an etwas erinnere; gleichsam wie derSonnenstrahl, wenn er an den Dingen Farbe wird. Das Denken aber und Erinnern mache sein Wesen nicht aus; an und für sich selbst denk er nichts, und so sei er unsterblich.
Folglich ist die Seele, als Verstand betrachtet, nur unsterblich, insofern sie nichts denkt.
Dies ist wohl eine von den schwachen Seiten seines Systems, um den Vorrang des Menschen vor andern Tieren zu erklären; und hierin weicht er ab vom Anaxagoras, der seinen Verstand allem Lebendigen zuschreibt.
Wenn der Verstand nur unsterblich ist, insofern er nichts denkt, so ist alle andre Materie auf eben die Weise unsterblich, nämlich insofern sie außer der Zusammensetzung gedacht wird; und wenn ich den Verstand auf eine andre Art erklären kann, so brauch ich keinen Gott, den Knoten des Drama aufzuhauen. Kurz, es ist ein Schlupfwinkel, worin wir nicht weiterkommen.
[266] Der Beweis, womit Anaxagoras, Plato und Aristoteles das Dasein des Verstandes dartun, ist: es muß ein Wesen geben, das unvermischt ist und alles durchdringen kann, damit es Gewalt darüber habe und erkenne.
Fürs erste also ist jedes Element in seiner Reinheit unvermischt; und so Haufen Elemente in ihrer Reinheit beisammen.
Sind die Elemente an ursprünglicher Feinheit verschieden, so ist, nach aller Erfahrung, wahrscheinlich das Feuer oder Lichtelement das feinste. Folglich hätte das Feuer alle Eigenschaften, die sie zu ihrem Verstand erheischen.
Ist dies Seele, was, nach dem allgemeinen Begriff, andres durchdringt, so kann man auch mehrere Arten von Seelen annehmen. Feuer durchdringt die Luft; Luft und Feuer durchdringen das Wasser; und Feuer, Wasser und Luft durchdringen die Erde, und bändigen sie nach ihrem Wohlgefallen, und bequemen sich wieder als der Grundfeste freundlich nach ihr. Und so überhaupt eins nach dem andern. Herrschen ist Wohltun, alle andre Gewalt Tyrannei. Wer weiß, ob der Gegensatz von Feuer und Erde nicht zu stark ist, ob Erde nicht zu grob und Feuer nicht zu fein gegeneinander sind, um vollkommen aufeinander zu wirken? Ob nicht Mittel dazwischen sein müssen? (wie zum Exempel in den mildern Erdstrichen; in Griechenland, dem Klima der Schönheit.)
Überhaupt sagt uns alles, daß da die höchste Vollkommenheit und Glückseligkeit ist, wo die höchste Fülle. Wenn die Zusammensetzung so harmonisch, so proportioniert ist, daß jedes Element sich regen kann nach seinen Kräften, entsteht der höchste Verstand; eins erkennt das andre auf diese Weise am reinsten und vollkommensten. Und dies möchte wohl der Aristotelische Verstand sein, der durch alle die feinen Röhren des menschlichen Gebäudes im Gehirne sich absondert; die reinsten Verschiedenheiten von Feuer, Luft und Wasser und Erde kommen hier lauter zusammen und machen ein göttliches Ganzes, wie in unendlichen [267] Massen die Welt ist. 26 Bei den andern Tieren sondern sie sich nur nicht so rein und in der Fülle und Proportion ab, von Urbeginn durch den Druck der umgebenden Kräfte daran verhindert.
Ardinghello. Aber die ersten Geschöpfe Paar und Paar, Tier und Mensch, und Gras und Baum, wo leitet Ihr und Aristoteles diese her?
Demetri. Wie unser Verstand in der Zusammensetzung Wissenschaften und Künste aus verschiednen Erfahrungen der Sinne bildet, aus Empfindungen, die mit Bewegung und Sturm und Aufruhr in uns kommen, eine Iliade, einen Ödip, so kann er auch von Anbeginn mit Hülfe der ganzen Natur die Gestalten der verschiednen Gattungen gebildet haben. Man muß bei Zeugung und Untergang allezeit auf Elemente kommen, die unzerstörbar sind und aus welchen alles Zusammengesetzte wird.
Unser Erdboden hat ohne Zweifel, nach Vernunft und Naturgeschichte, einmal in einer weit glücklichern Lage zu Entstehung der Geschöpfe geschwebt als jetzt. Und wer weiß, ob nicht die edelsten nach Aufhörung derselben untergegangen sind? Die Geschöpfe sind ihrer Natur nach nicht in einem Lande und wahrscheinlich nicht auf einmal entstanden.
Aristoteles braucht gewöhnlich das Gleichnis: Der Mensch und die Sonne erzeugt den Menschen; doch erklärt er sich etwas deutlicher hierüber in seiner Lehre von Gott und der Zeugung. Und sehen wir nicht, daß die Sonne noch jetzt Ursache des Frühlings und der Begattung ist? Warum sollte sie nicht auch im Anfange bei den ersten Geschöpfen Hülfe gewesen sein? Jedes Geschöpf wächst aus seinen Elementen hervor, und die Sonne löst mit ihrer Wärme deren Kräfte, daß sie frei wirken können.
Jedoch haben immer über die Entstehung des Einzeln die [268] alten Weisen die sonderbarsten Meinungen behauptet. Einige nahmen für jedes Geschöpf ein verschieden Element an, und nicht allein für jedes Geschöpf, sondern für jedes Glied desselben. Da waren zum Beispiel verschiedne Elemente für den Menschen, die sich wieder für Kopf und Hand und Fuß abteilten und zerstreut in der Natur lagen. Die Weiber sammelten dieselben bei der Begattung in sich, wo sie sich alsdenn zu einem Ganzen vereinigten. Freilich die leichteste Art, das Rätsel aufzulösen! wenn noch andre Schwierigkeiten dadurch gehoben würden. Wie geht es zu, daß ein Weib immer so vollkommen alle Teile sammelt, und nicht bloß Kopfteile oder Herzteile oder Arm- und Beinteile? Und so genau alle von derselben Proportion? Und wie halten sich diese Teile in den Speisen auf, wovon sie sich nähren? Das Herz eines Alexander in Tauben und Hasen, und Prokoli und Blumenkohl, und anderm Fleisch und Gemüse, wovon Olympia ihre Mahlzeiten hielt? Der Kopf Homers in Hühnern und Gänsen und den Fischen des Ionischen Meers? Offenbare Albernheiten!
Andre glaubten, der Same jedes Individuums wäre von Ewigkeit im Weltall und folglich nur eine gewisse Anzahl von Menschenkernen, Löwen- und Adlerkernen, die kommen und wieder gehen und jedesmal sich in die vorhandne Materie kleiden. Zum Beispiel: Alkibiades war einmal da zu Athen und so ein andermal zu Rom und Konstantinopel und Lappland und Peru. Es gehörte nur Glück oder Unglück dazu, daß er von diesem oder jenem Winde da- oder dorthin geführt und von einer Königin oder Magd aufgefangen und geboren wurde; und seine Individualität änderte sich jedesmal nach den Umständen.
Diese Meinung hat weniger Schwierigkeiten. Aber aller Same ist zusammengesetzt: und wie erhält sich die Zusammensetzung in der unaufhörlichen Zermalmung desselben, die wir bei allem Einzelnen in der Natur sehen? Und noch finden wir überall, daß Same wird und nicht ist.
Im Gegenteil ist sehr wahrscheinlich, daß, wenn alles, was [269] auf unsrer Erdkugel Mensch werden könnte, auf einmal wirklich Menschen und unzählbare Scharen von Völkern wäre und man sie an einen neuen Ort, in andre Planeten versetzte: daß, sag ich, vielleicht wenig von derselben übrigbleiben und wir alsdenn erkennen würden, daß sie, samt allen Tieren, Pflanzen und Bäumen, nur ein runder Klumpen Kirchhof gewesen sei, wo die Lebendigen von den Toten aßen. Und ist's nicht augenscheinlich, daß immer ein neu gesundes Paar aus den Früchten von wenig Hufen Landes alle andre Zonen bevölkern könnte?
Kurz, jedes Einzelne ist nur durch die zusammengesetzte Form das, was es ist; jede Art von Wesen ist sich übrigens gleich. Und die Form entsteht durch die innre Proportion verschiednen Wesens mit Hülfe der äußern Dinge.
Ardinghello. Also könnte die Erdkugel möglicherweise zu ebenso ungeheuern Scharen Eseln, Maulwürfen, zu einem unendlichen Mückenschwarm werden als zu unzählbaren Völkern von Menschen; und Mann und Weib sind weiter nichts als Anlaß zu neuen Männern und Weibern, wozu sich die Elemente von selbst bilden? Der Mensch zum Beispiel ist also nur eine gewisse Proportion verschiedner Elemente? Ein Knabe von dreißig Pfund bestünd ohngefähr aus sechzehn Pfund Erden und Salzen, dreizehn Pfund Wassern und einem Pfunde Lüften und Feuern; und der einzige Unterschied zwischen ihm und einem Kälbchen wäre, daß dies etwa nur ein halbes Pfund Lüfte und Feuer zu seinen Bestandteilen habe! Dies allein veränderte die Form und machte Sokraten und Platone zu Kälbern und Kälber zu Platonen und Sokraten?
Der Schluß daraus, ist er nicht, daß alle Geschöpfe die Gegenstände nur nach ihrer Form empfinden und beurteilen und wir so vielerlei Wahrheit von demselben Dinge haben, als verschiedne Gattungen schon von Tieren sind? Jedes handelte und dächte nach seiner Form und hätte nach derselben seine Begierden; und es gäbe überhaupt keine allgemeine Wahrheit, und die ganze Welt sei ein Tollhaus? [270] Also wär es wohl keine Fabel mehr, daß Medea einen Greis in kleine Stücke zerhacken und wieder jung machen könnte, wenn sie nur den gehörigen Grad der Wärme träfe, wodurch sie sich wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammenzögen?
Demetri. Richtig, mein Freund, wenn sie den gehörigen Grad der Wärme träfe und wieder hinzubrächte alle Augenblicke, was vom gehörigen Wesentlichen abdünstete, wie im Mutterleibe geschieht, und die vorige Lebenszeit schon abgedünstet wäre.
Die zusammengesetzte Form ist nur das Mittel: das Wesen selbst erkennt, wie vom Urbeginn, die Wahrheit. Alle Sinnen fassen nur einseitig: Verstand das Ganze, und der reinste Verstand am vollständigsten. Die Tiere sind nur dadurch verschieden, wie der Mensch, daß sie mehr oder weniger, vollkommen geläutert oder minder vollkommen, davon besitzen. Und eben dieser ist die erste gegebne Proportion ihrer ganzen Zusammensetzung.
Ardinghello. Aber wieder alle Gattungen von Tieren und Pflanzen, Paar und Paar von dem Grashälmchen an bis zum Menschen? Männchen und Weibchen, wie wollt Ihr dies erklären?
Macht der Verstand in den Elementen allein Mann und Weib, so muß einmal, nach dem komischen Einfall des Aristophanes beim Plato, Mann und Weib bei allen Gattungen zusammengewachsen gewesen sein und ein Ganzes gebildet haben: sonst bleibt's unerklärlich, wie die Geschöpfe sich aus sich selbst so verschieden und doch paarweise sollten geformt haben.
Demetri. Man kann gewiß leichter über diese Dinge schreiben als ein Gespräch führen! Dort läßt man solche Fragen aus, und ich habe noch bei keinem Weisen hierüber eine Antwort aus bloßer Vernunft gefunden. Weil ich aber einmal, wie einst der Platonische Sokrates, die Löwenhaut umgeworfen habe, so will ich aushalten.
Alles, was ich darauf sagen kann (fuhr er lächelnd fort), [271] ist folgendes: Wenn ich keine Menschen- und Eselelemente, keine Nasen- und Lippen- und Lefzenelemente anzunehmen Ursach finde, so find ich es eher notwendig, männliche und weibliche Elemente in der Natur anzunehmen. Der Mann ist der vollkommenste, der ganz aus männlichen Elementen zusammengesetzt ist, und das Weib vielleicht das vollkommenste, welches nur gerade so viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu können; so wie der Mann der schlechteste ist, der gerade nur so viel männliche Elemente hat, um Mann zu heißen.
Männliche und weibliche Elemente machten außerdem am begreiflichsten die Natur lebendig und erklärten die ewige unaufhörliche Bewegung und den wütenden Trieb zur Begattung, welche Aristoteles für die Bestimmung jedes einzelnen Dinges hält, am besten. Liebe, Hochzeit, Ehe und Ehescheidung: daraus bestünde die Welt. Ferner wäre das Rätsel aufgelöst, welches noch niemand, soviel ich weiß, berührt hat, warum von jedem Geschlechte, fast durch alle Tiere, ohngefähr soviel von dem einen als andern geboren würden.
Wem dies nicht gefallen sollte, der könnte jedoch noch immer annehmen, daß zu einem Ganzen ein Paar gehört und daß der Verstand von Anfang an alles paarweise hervorgebracht hat, ohne daß eben das Zusammengewächs mehr als jetzt nötig war: in einer solchen bequemen Lage von Materialien zu Schaffung seines mächtigen Ganzen befand er sich.
Ardinghello. Ihr geht wie ein echter Kretenser, Zögling des Minos, mit dem schönen Geschlecht um! Ich glaube, daß ein Mädchen wie ein Mann immer ein unnatürliches Ding sei und daß die tapferste Amazone selbst unter einer Phryne stehe. Ich will Euch hierüber zu keiner neuen Hypothese treiben; wiederholen wir noch einmal Euer Hauptstück.
So von allem Wirklichen abgesondert mag es wohl endlich leicht sein, zu denken, Verstand des Menschen hat den Menschen hervorgebracht, und ebenso, Verstand jedes Dinges hat das Ding hervorgebracht, durch Hülfe einer Kraft, [272] die allem Raum schafft, sich nach Willkür oder Verlangen zu bewegen; allein sich die Sache auch nur einigermaßen sinnlich vorzustellen ist gewiß ohne Vergleich schwerer.
Nehmen wir einmal, wie der Verstand des ungebornen ersten Kindes sich das Auge gebildet hat, nur eins fürs erste.
Wozu braucht er das Auge?
Zum Sehen.
Kann er nicht sehen ohne dasselbe?
Allerdings; da er alles durchdringt, berührt er an und für sich auch gewiß die Sonnenstrahlen oder wird ihre Wirkung gewahr auf Oberflächen.
Was will er also damit?
In einen Körper eingeschlossen sich eine Öffnung für dieselben machen.
Gut. Warum schließt er sich aber in einen Körper ein, da er ohne Auge sehen kann? und demnach auch ohne Ohren hören, ohne Zunge schmecken, ohne Nase riechen und ohne Finger und andre Glieder fühlen?
Es scheint, er ist des Herumvagierens müde und will einmal einen steten Punkt haben; oder eine Portion Verstand haßt die andre, wie sich Spinnen, und verlangt abgesondert ihr eigen Nest; oder er will weder unendlich groß noch unendlich klein beisammenbleiben, sondern in bequemer Anzahl und ergötzlichem Maße, wie die feinen Wollüstlinge unter Griechen und Römern nur soundso viel Gäste an ihren Tafeln verlangten; oder überhaupt, er kann die Materie in allen Arten von Zusammensetzungen nicht besser genießen, als wenn er sich selbst in sie hineinsteckt; oder endlich das Schicksal zwingt ihn dazu, ob dies gleich für ein Wesen, das alles durchdringt und folglich nicht gebunden werden kann, ungereimt ist. Kurz, dem mag sein, wie ihm will: er macht alles auf einmal zusammen, sich in größerm Umfang, und wie Pygmalion, seine Geliebte. Nach Euern Begriffen ist freilich Verstand selbst so verschiedner Gattung, als Elemente sind; und nur einer ist der König. Also der menschliche Verstand selbst macht einen Bund aus von [273] verschiednen Elementen; und jedes präsidiert darin im Namen der übrigen seiner Gattung und dringt auf besondern und eignen Genuß dafür.
Warum aber ist der Verstand des Kindes, wenn es fertig oder völlig ausgebildet ist, nicht mehr so gescheit, als er im Anfang war?
Demetri. Das ist er und bleibt es, durch alle Stufen des menschlichen Alters derselbe; alle Teile, die abgehen, ersetzt er wieder und bedient sich überdies seiner neuen Sinne. In der Komposition selbst, deren Ursprung ich schon auf verschiedne Weise berührte, muß er freilich erst Erfahrung sich erwerben. Verstand kömmt von stehen 27; er muß alsdenn lange vor den Dingen einer Gattung gestanden haben, ehe er sie vollkommen mit seinen Sinnen durcherkennt und sich davon ein Ideal bildet.
Einige Alten behaupteten auch, daß er schon lange studiert habe, bevor er ein so herrliches Ganzes wie den Menschen ausklügelte; es ließe sich dieses aus der auffallenden Ähnlichkeit, größern und mindern Vollkommenheit der Teile von Tieren schließen. Die Pythagoräer nahmen nach dem Aristoteles als einen Grundsatz an: Speise und Raub ist eher gewesen, als was sich davon nährt; und wahrscheinlich! je ausgearbeiteter die Speise, desto leichter der Übergang zu höherm Leben. Kein vernünftiger Arzt wird daran zweifeln, daß der Mensch selbst die beste Kost für den Menschen wäre. Wer weiß, ob die Welt jetzt so vollkommen ist, als sie sein kann. Obgleich ewig, mag sie doch Kind, Jüngling und Mann, Jungfrau und Matrone zur Abwechslung werden; denn sie ist nicht ganz vollkommen solange noch Unvollkommenheit darinnen da ist.
Ardinghello. Von Menschenfressern also hätten wir die eigentliche Verklärung zu erwarten, das tausendjährige Reich? Ein starker Kontrast mit den Schulen der Weisen!
Demetri. Aus dem scheußlichsten Dünger, wenn ich ein [274] verkehrtes Gleichnis brauchen darf, wachsen die schönsten Blumen und Früchte. Wir schätzen unsern Körper viel zuwenig; und doch muß jeder fühlen, daß ihn ein Händedruck, Kuß und Umarmung von einer schönen Person ganz anders ergreift als der wohlstilisierteste ciceronianische Brief von bloßem Geist oder einer, die er nicht kennt.
Ardinghello. Wir schweifen aus; wieder zur Sache!
Warum wissen wir aber nicht, daß der Verstand die Teile ersetzt, die er im Körper nicht festhalten kann und die demselben durch die Zeit abgehen?
Demetri. Wir wissen nur durch unsre äußern gröbern Sinne; und dahin dringt keiner.
Ardinghello. Erstaunliche Richtigkeit und ein Gefühl von Maß, das das der Goldwaage zentillionenmal übersteigt, gehört gewiß dazu, ein Bein nicht kürzer und länger gleich im Anfang zu machen als das andre, und so einen Arm wie den andern, und Auge wie Auge; und so die Zähne und die Rippen in höchst genauer Proportion; und dann zu vergrößern und zu erhalten! Und dies sind nur grobe Sachen gegen anders bei Insekten.
Demetri. Er ist auch nicht umsonst so fein! und es gelingt nicht immer; die Alkibiaden und Phrynen sind bei jeder Tierart selten.
Ardinghello. Auf einer andern Seite betrachtet, ist's nun wieder gar nichts Außerordentliches und Erhabnes; weil er wie ein Affe alles nur nachahmt, wie er's vor sich findet, und gar nichts ändert: so recht im alten Schlendrian der lieben Gewohnheit versunken und verloren. Er gibt sich gar nicht mehr die Mühe, etwas Neues zu erdenken.
Demetri. Woher wißt Ihr das? Und doch schon genug, wenn er sich so wohl befindet! Er kann nicht mehr als die Materie aufs beste verarbeiten, in die er kömmt. Die Natur geht äußerst langsam und bedächtig in ihren Fortschritten, sie hat unendliche Jahrtausende vor sich und wir nur einen Augenblick Lebensdauer in der Komposition, sie zu beobachten.
[275] Ardinghello. Mich deucht, Ihr hättet schon gesagt, im Anfange wär alles besser gewesen. Vielleicht sind wir doch von der Höhe des Bogens herunter!
Aber Freund, warum kann der Verstand den Körper nicht umändern, wenn er ungestaltet, häßlich oder krank ist? warum nicht verjüngen?
Wolken, lieber Demetri, nichts als Wolken und metaphysische Träume! Nehmen wir lieber doch noch die gewöhnliche Meinung an, die Ihr kurz vorhin verwarft. Ich glaube, daß, so wenig sich der Mensch jetzt selbst hervorbringt, er von Ewigkeit sich nicht selbst hervorgebracht hat. Er ist! aber es muß allezeit ein mächtiger Wesen ihm den ersten Stoß und die Bequemlichkeit zum vollen Dasein verschaffen.
Die vier Aristotelischen Elemente allein werden nie in allen möglichen Zusammensetzungen mehr als die vier Aristotelischen Elemente sein; es gehört gewiß noch etwas anders zu meinem Ich und deinem Du.
Wenn wir etwas ohne fernern Grund annehmen, warum sträuben wir uns, alles, was wir nicht anders erklären können, ohne fernern Grund anzunehmen? Jedes Individuum ist von Ewigkeit der Form nach da in der Natur und von allem andern unterschieden; und keine Urform läßt sich weder schaffen noch zerstören. Nur gehört ein höher Wesen dazu, sie in die Bequemlichkeit zu setzen, daß sie sich in ihre höchste Fülle verbreite. Wie unendlich vieles wird bloß Blüte oder Frucht, ohne zum Baume zu gedeihen!
Auch gibt Aristoteles selbst nicht undeutlich zu verstehen, daß er derselben Meinung anhange; die menschliche Seele oder überhaupt der Mensch, dessen Form sie enthält, ist ihm eine von Ewigkeit fertige Vollkommenheit. Und so war jedes lebendige Ding der Form nach oder in seinem ersten Keime unzerstörbar von Ewigkeit da, und die Sonnenwärme, oder sein Gott, löst es nur von den Banden und setzt es in freie Wirksamkeit, wo es so lange genießt und leidet, als es sich mit seinem neuen Umkreis halten kann [276] oder bis es die umgebenden Kräfte wieder in seinen unzerstörbaren Punkt zurückdrängen. Deswegen sagt der Weise auch, es gibt nur wenig Menschen, die göttlichen Verstand haben. Und gewiß, denen, in deren Urkraft er nicht liegt, kann denselben keine Bildung und Erziehung geben. Wer fühlt dies nicht durch all sein Wesen, wenn er einen ursprünglichen Laffen und Toren vor sich hat? Er war von Ewigkeit Tor, und weder Sparta noch Rom wird ihn je zu einem Brutus oder Leonidas umschaffen. Theophrast konnte sich in seinem neunundneunzigsten Jahre noch immer nicht genug verwundern, woher unter demselben Himmelsstriche und bei derselben Erziehung die Menge von verschiednen Charaktern herkäme. Sobald man dies annimmt, hört die Verwunderung auf oder verliert sich in die Unbegreiflichkeit alles Daseins, des größten aller Geheimnisse.
Wir sind, was wir sind und werden nie etwas anders werden. Wohl dem, der edel und herrlich ist! Er bleibt es ewig.
Demetri. Erhaben; wenn's nur wahr wäre und nicht dieselben Schwierigkeiten stattfänden! Anaxagoras hätte schon klüger deswegen in der Verzweiflung alles: Knochen, Haare, Nägel, Klauen, für von Ewigkeit fertige Vollkommenheiten gehalten, wenn dem Stagiriten bei der Seele so etwas in Sinn gekommen wäre, als Ihr von ihm meint. Schwerlich kann ein arabischer Hengst je in Dänemark wiedergeboren werden und ein Epaminondas in einem großmogulischen Serail! Inzwischen wird dieser bezaubernde stolze Glaube an persönliche Unsterblichkeit, die man freilich alsdenn auch jedem Wurm wie Alexandern und Cäsarn zuerkennen muß, noch lange herrschen.
Jedoch es ist Zeit, von diesen Dunkelheiten auf den Aristotelischen Gott zu kommen, den König der Elemente, der alles auflöst und aus seiner Trägheit in die Freiheit, zu handeln, setzt.
›Eine Bewegung‹, sagt der Weise, ›muß die erste oder muß ewig sein, die durch keine andre hat können hervorgebracht werden. Sie bedarf der Regung nicht von etwas anderm, [277] sondern ist selbstständig, immer in Wirklichkeit und nie bloß in Möglichkeit, sonst würde aller Grund von Leben und andrer Bewegung fehlen. Sie ist schlechterdings notwendig, und man muß sie an und für sich annehmen.
Wir können uns keine andre Bewegung in sich selbst ewig denken als die kreisförmige, und kreisförmig ist sie der Vernunft und der Tat nach.
Sie bewegt, von nichts bewegt, für sich das Begehrliche und Verständliche.
In ihr schwebt der Himmel und die Natur. Ihr Leben ist das beste, so wie wir es nur kurze Zeit haben; denn sie bleibt immer dieselbe, welches uns unmöglich ist. Ihre Wirksamkeit ist Wollust; durch sie ist das Wachen, die Empfindung, das Denken das erfreulichste. Hoffnungen und Erinnerungen stammen davon.
Das Denken an und für sich selbst gehört zum Besten an und für sich selbst und das abgezogenste zum Vortrefflichsten. Der Verstand denkt sich aber durch Annehmung von Verständlichem; und verständlich wird er berührend und denkend, so daß Verstand und Verständliches dasselbe; denn das Fassende des Verständlichen und des Wesens ist Verstand. Er wirkt im Haben, so daß jenes mehr als dieses, was der Verstand Göttliches zu haben scheint, und die Betrachtung ist das Erfreulichste und das Beste.
Wenn also Vollkommenheit ist, wie wir zuweilen beschaffen sind, so ist Gott immer verehrungswürdig; wenn Höheres, noch verehrungswürdiger. Und so verhält es sich.
Auch herrscht wahrhaftig Leben in ihm; denn Wirksamkeit des Verstandes ist Leben, und er ist die Wirksamkeit. Die Wirksamkeit aber an und für sich ist sein bestes und immerwährend Leben. Und wir sagen, daß Gott ein immerwährend bestes lebendiges Wesen sei, so daß Gott Leben und beständige immerwährende Dauer hat. Denn das ist Gott. –
Das Gute und Beste ist aller Natur Zweck. Sie gleicht einer Armee mit ihrem Feldherrn, und das Wohl besteht in der [278] Ordnung. Vögel, Tiere und Pflanzen, und was schwimmt, hat seine gewisse; keins aber scheint füreinander, sondern es ist Eins, wofür alles geordnet ist. –
Alles in der Natur hat wieder etwas Böses in sich, insofern es nicht das Eins ist, auf welches sich alles bezieht. Wir alle nehmen Anteil an Gott, und er macht das Ganze.‹ –
Kurz, es ist eine allgemeine Bewegung, die alle Elemente zu ihrem Vergnügen in Ordnung erhält und macht, daß sie sich ihrer Natur nach zu einzelnen Ganzen formen, und jedem von sich mitteilt wie ein Hausvater seinen Kindern, Sklaven und Tieren. Jedes ist glückselig nach Art seiner Bestandteile und trägt so die Übel seiner Zusammensetzung. Gott allein ist ewig im Genuß seines reinen Wesens, wie jedes nur die wenigen Momente seiner höchsten Kraft und Einheit.
Darauf folgert er: ›Es sind so viel Götter als selbstständige kreisförmige Bewegungen, der Fixsternhimmel faßt sie, und alle insgesamt machen nur einen. –
Wenn Wesen verschieden ist, so muß wohl eine Art davon das beste und mächtigste sein.‹ –
Die Sonne hatte sich geneigt, und wir stiegen vom Gewölbe der Rotunda wieder hinab.
Ich beschloß auf der Treppe:
»Jeder versteht sich selbst am besten; und so mag auch Aristoteles am besten verstanden haben, was Wahres und Erträumtes in seiner gestirnten Nacht von Worten liegt. Über Wesen, dessen Begierde und Scheu, Ruhe und Bewegung und Entstehen des Einzelnen werden wir uns noch lange vergebens die Köpfe zerbrechen und die erhabensten Männer Schwachheiten vorbringen. Wenn alles in der Welt so begreiflich wäre, wie wir verlangen, so würden wir nicht halb so glücklich leben und vor Langerweile über aller der Klarheit und Deutlichkeit vergehen. Es müssen Wunderdinge für uns sein! Wir müssen Rätsel haben, wie die Kinder, um das, was in uns denkt, damit zu beschäftigen.« [279] Wir traten wieder in das Pantheon. Und um diese Zeit muß man es sehen, wenn die stille Dämmerung sich einsenkt! Da fühlt man unaussprechlich die Schönheit des Ganzen; die Masse wird noch einfacher für das Auge und erquickt es lieblich und heilig. Dann ist es so recht der weite hohe schönheitsvolle Zauberkreis, worin man von dem Erdgetümmel in die blauen heitern Lüfte oben wegverzückt wird, und schwebt, und in dem unermeßlichen Umfange des Himmels atmet, befreit von allen Banden.
Wir setzten uns in den süßesten Punkt und genossen.
Nach langer Stille umschlang mich Demetri zärtlich und sagte einige Worte über die ehemalige Minerva des Phidias (Tochter aus dem Haupte des Zeus, Verstand aus dem Wesen) und die griechische Venus hier (Lust der Sinnen, Wonne des Daseins) – und fuhr gerührt dann weiter fort:
»Gott ist entweder die ganze Natur oder ein Teil der Natur, oder die Natur besteht für sich aus ewiger notwendiger Bindung und Lösung verschiedner Wesen, und es ist kein Gott, sonder lauter Schicksal.
Daß Gott die ganze Natur selbst sei, ist der älteste Glaube.
Daß er ein Teil der Natur sei, der jüngere; das edelste beste Leben darin, wie Aristoteles sagt; ein Wesen, das sich von selbst in sich, seinen Einheiten, wenn ich mich so ausdrücken darf, immerfort bewegt, ganz aus Tätigkeit besteht. Dessen Charakter gerad es ist, nie gebunden zu werden, es sei von was es wolle; das lieber das Böse freiwillig täte als das Gute gezwungen, wenn es ein Böses für dasselbe geben könnte. Das vermöge dieses Charakters alles andre löst, was sich seiner minder regsamen Natur nach bindet; kurz, eine unendliche Unruhe in der unendlichen Uhr der Zeit.
Anaxagoras führte zuerst diesen Glauben ein, Plato verschönerte ihn mit Dichtungen, Aristoteles plagt sich, denselben in ein vernünftig System zu bringen, scheint aber mit sich selbst darüber noch nicht einig.
Verstand dünkt ihm das Göttlichste unter allem, was wir kennen; und dies zwar wegen des Denkens, welches keine [280] zufällige Eigenschaft, sondern immer rege Wirksamkeit, selbstständig Leben sei, indem es dem Verstande sonst beschwerlich werden müsse.
Wenn aber der Verstand das Göttlichste und selbstständige Wirksamkeit sein solle, so könn er, dünkt ihm ferner, nichts anders als sich selbst denken; denn er würde, wenn er etwas anders dächte, zu einer bloß zufälligen Eigenschaft, und könnte denken und nicht denken, außer dem, daß er sich erniedrigte.
Ich sehe nicht ein, was uns ein solcher Gott hilft, auf was für Art er alles bewegt, wie er sich den Geschöpfen mitteilt. Und was ist dann Materie, was sind Elemente? Wo kommen sie her, und wie sind sie mit ihm in Zusammenhang, Ordnung und Schönheit? Wenn die Natur selbst lebt und wirkt und ihre notwendige Art zu sein hat und alles Einzelne aus sich hervorgeht und sich selbst forthilft: wozu brauch ich einen Gott? und welch ein Greuel, im andern Fall, das höchste Lebendige, das sich mit dem Tode gattet? Lauter Lücken und Mängel, die nach seinem System nicht auszufüllen sind und wobei wir wieder von vorn anfangen müssen.
Hypothesen und Hypothesen! Aber es kömmt darauf an, welche die denkbarste und vernünftigste ist. Einer, der keine Lust hat, auch für sich zu glauben, was man will, oder blinde Fenster der bloßen Ordnung wegen an einem Gebäude verträgt, wo gerade das beste Licht hereinbrechen und die schönste Aussicht sein sollte, kann nicht eher Ruhe finden.«
Ardinghello (für sich). Die Müdigkeit wird's ihn schon endlich lehren.
Demetri. Daß alles ewig ist, in sich sein wird, was es war, müssen wir wohl ohne fernern Grund annehmen, denn es ist die Grenze des Nichts.
Wie es aber verschieden ist, sich bindet und scheidet, was alles will und nicht will, darüber hat mir das System noch keines Philosophen Genüge geleistet.
[281] Ruhe und Bewegung! Wer davon die eigentlichen Ursachen entdeckte, würde den Kapitalschlüssel zum Palaste der Wahrheit und ihrem innersten Kabinette finden.
Bewegung ist Streben nach Genuß oder Flucht vor Leiden. Genuß ist Berührung, Ruhe deren möglichste Fülle und Werden eines neuen Ganzen, das wieder nach Berührung trachtet. So fühlt sich das Wesen und taumelt von Zone zu Zone, durch alle Himmel des Weltalls.
Nehmen wir die einfachste Substanz von Leben, die Einheit von irgendeinem Element an und denken sie uns allein und abgesondert weit außer der Welt in den leeren Raum hin.
Vorstellen kann sie sich nichts, weil sie nichts um sich hat. Innerliches Leben, Verstand in Ausübung, Gedächtnis, Einbildung findet nicht statt, weil sie ganz ohne Teile ist und sich nicht regen kann; ein Etwas wie das Nichts und der letzte Begriff von Tod; ein Punkt von Selbstbewußtsein mag in ihr stecken.
Nun gesellen wir dieser Substanz eine andre zu:
Erster Ursprung von Gefühl.
Nehmen wir nach dem Demokrit in beiden Urform an und denken sie uns zum Exempel vollkommen rund.
Und sie werden nicht satt werden, sich umeinander zu bewegen und sich zu berühren.
Platt oder eckicht:
Und sie werden aneinander festhangen, weil sie nicht herum können.
Eckicht und rund beisammen:
Vermischte Empfindung, Freude und Leid.
Denken wir nun das Weltall als himmelunendliche Menge solcher Substanzen mit ewigem Streben nach neuem Genuß, an Stoff und Feinheit und Form zentillionenfach verschieden und ähnlich und gleich, und daraus notwendigerweise von selbst die beste Ordnung zur allervollkommensten und mannigfaltigsten Berührung, und wir werden, glaub ich, uns der Erklärung des Rätsels nähern und einigermaßen [282] obenhin begreifen lernen, warum die Gestirne in Flammen sich wälzen, die Winde rasen, die Meere toben, die Erden fest halten und daß der Strahl in einen Pulverturm glücklicher sein kann als Herkules bei allen seinen Liebeshändeln.
Man könnte auf diese Weise aber wohl doch noch die sonderbare Meinung des Xenophanes und seiner Schüler Parmenides und Melissos erklären, daß Eins Alles und Alles Eins sei. Nämlich, aller Grundstoff ist sich gleich, nur die Form seines unendlichen Wesens verschieden.
Des Exempels wegen; denn was wissen wir Bestimmtes hierüber mit unsern groben Sinnen? In den Sonnen rund, in der Luft rund und halbrund, im Meere platt und eckicht, in der Erde platt. Und Platt käme unserm Gefühle kalt und trocken vor, und Rund in heftiger Bewegung heiß und trocken, und so weiter. Das Platte werde wieder platt und eckicht, Erde Meer. Wasser durch Ausdünstung zu Wolken und Regen. Und das Runde und Halbrunde endlich ganz rund, wie auf unsrer Erde im großen sich Berg und Tal und Ebne umändert. Das Runde übrigens herrsche wegen seiner leichten Bewegung. Und so mache sich das Wesen in möglichster Lust die Ewigkeit zu kurzer Zeit.
Gewiß bleibt's allemal, daß Verschiedenheit und Änderung, die unsre Sinnen am Wirklichen empfinden und wir Qualität, Organismus nennen, bloß in innrer Form besteht und daß man ohne Form alles nur einerlei, ein Wesen denken muß.
Alle Form ist ferner Wirkung und kann sein und nicht sein; das Wesen allein ist notwendig und ewig.
Wie dies Eins aus seiner Formlosigkeit zu Form gekommen wäre und sich in unendliche Gestalten verwandelt? Wie gesagt, durch Streben nach Genuß, um lebendig zu sein, aus Ekel vor Tod, an sonst unendlicher Langerweile; durch Bewegung, Ausdehnung und Anziehung, bis ins Innerste uns freilich unbegreiflich, die wir jedoch durch die ganze Natur wahrnehmen und Forscher bis auf den Embryon verfolgen, [283] wo sie Sinn und Erfahrung verläßt. Wenn wir Anfang von Zeit annehmen wollen, so ginge sie hier aus der Ewigkeit hervor, und es hätte seine Richtigkeit: Gott schuf die Welt aus Nichts.
Das Problem wäre aufgelöst, wie die Welt Eins sei und doch verschieden, und Ruhe und Bewegung in ihren ersten Lagerstätten gefunden.
Also sinnlich und jedermann faßlich gesprochen!
Im Anfange war Alles Eins, das Wesen so zart zerflossen, fein und dünn wie der Raum schier.
Und es regte sich; da ward Form.
Aus der unvollkommnen ging die vollkommnere hervor; und so entstanden die Elemente: Wasser, Luft, Erde, Feuer; Pflanzen, Tiere und Mineralien.
Alles wechselt miteinander ab und geht wieder in das Eins zurück. Vater Äther, aller Lebengeber!
Und so wird und vergeht ewig alles, was ist.
Das Holz zum Exempel brennt und wird Feuer, Rauch und Erde. Feuer und Rauch wird Luft, und Luft wird Wasser; und jedes kehrt wieder zurück, wo es herkam. Erde, Wasser, Luft und Feuer wird Pflanze, Pflanze Tier, Tier und Pflanze das Herz einer Victoria Colonna, der Kopf eines Machiavell. Form und Wesen, und Wesen und Form, das sind die zwei Pole des Weltalls, um welche sich alles herumdreht.
Die bildende Kraft liegt in dem Wesen und ist ein Streben nach Genuß.
Es bleibt wahr, was den Alten ohne Sinn so oft ist nachgesagt worden: Gott der größte Geometer.
Wenn Wesen an Wesen sich fühlt, entsteht das reinste Bewußtsein.
Wenn es sich zu den ersten Formen bildet, entsteht das abgezogenste Denken. Das Wesen berührt sich und wird verständig, indem es Verständliches zu sich nimmt; und kann nichts anders als sich selbst denken, wie Aristoteles tiefsinnig sagt. Denken überhaupt ist Verwandlung des Wesens [284] in Formen; und Wesen muß alles selbst werden, was es denkt.
Wenn Wesen sich zu Idealen formt, entsteht Phantasie.
Wenn es die Ideale in sich und die Formen außer sich befestigt, Gedächtnis. Sonnen und Planeten und Kometen sind nichts anders in der großen Welt: Formen in Bewegung, Denkmale von Leben.
Alle Gefühle, alle Arten von Leidenschaften, Schmerzen und Vergnügen sind nur verschiedne Formen in dem Wesen.
Ohne diesen fruchtbarsten aller Grundsätze von reinem Wesen und Form, ohne Kontinuum, das alle mögliche Formen wird, scheint die ganze Welt, aller Zusammenhang, Erhalten, Wachsen, Zeugen, Vergehen, der Mensch, sein Denken und Empfinden, sein Dichten und Trachten, kurz, alle Art Verwandlung völlig unerklärlich.
Die Vollkommenheit des Weltalls besteht in allen möglichen Arten von Formen.
Alle Geschöpfe sind bloß Gedanken Gottes und des höchsten Vergnügens in ihrem Maße fähig.
Gott dachte: ›Es werde Licht!‹ und es ward Licht.
Daß Gott demnach als Griechen gegen sich, die Trojaner, streitet; als Paris sich, die schöne Helena, verführt; Stier, und Hund und Zwiefel, und das Verächtlichste, nach unsern Begriffen, wird, sich selbst ißt und verdaut, darf uns wenig kümmern; denn dieses folgt wohl aus den meisten eingeführten Systemen. Die alten Ägyptier verehrten vielleicht Gott erhabner, als der heutigen Menschen Verstand reicht; und wir sind gegen sie, was unsre Häuslein gegen ihre Obelisken und Pyramiden. Gott ist unendlich Eins, und in jedem Punkt Eins, und Eins in jedem angenommnen Maße, das dann Verhältnis in Bewegung und Verbindung nach seiner Realität und Form zueinander hat.
Wie er unendlich wirkt und ist, allgegenwärtig, erhaltend und über seine Schöpfung erhaben, was weiß der Mensch! das geht nicht in uns, wie er ein Ganzes sei nichts außer [285] ihm; solche Gewalt und Schönheit ist der verschwindenden Kleinheit allzu unermeßlich. Wir erliegen und können nur anbeten, bewundern und erstaunen.
Aber den Grund und die Wahrheit von allem andern Lebendigen haben wir in uns, wovon die Sinnen nur die Oberflächen oder einzelne Äußerungen empfinden; oder das Wesen hat die Regeln von allem in sich, wie es Verschiednes wird und ist.
Wesen, als das erste, ohne Form, und Form in Bewegung, gedacht, ist weder Verstand noch Körper; beide können nicht ohne Form bestehen, handeln nicht, sondern sind Handlung, Wesen in Form, und Wesen an und für sich in beiden gleich. Jedes kann die Folge von dem andern in dem Wesen sein, wie ein Gedanke von dem andern; denn beides, Gedanke und Körper, samt dessen Bewegung ist von demselben Wesen Tat. Wesen vollendet ein zusammengesetztes Ganzes in Folgen von Handlungen, eine Salaminische Schlacht, einen Olympischen Jupiter, wie Geschöpfe. Sein Bewußtsein, das auf einmal alle Folgen faßt, gibt die Einheit.
Daß Gott unendlichen Verstand habe und unendliche Welten ausmache, scheint ein Widerspruch; denn alle Form ist Schranke. Gewiß dünkt mir schon, daß ich, und so jeder andre Mensch, und jedes andre lebendige Geschöpf nicht immer lauter Wesen in Form sei. Die Freiheit, etwas anzufangen, Ursache von einer Wirkung zu sein und nicht zu sein, sich von der Stelle zu bewegen oder nicht zu bewegen, Form anzunehmen und nicht anzunehmen, welche nicht kann geleugnet werden, wenn nicht alles von einem grundlosen Schicksale gepeitscht handeln soll, erfordert ein reines Wesen ohne Form, einen Mittelpunkt der Sammlung.
Und dies ist das Heilige (welches einige Alten für Feuer, Ursprung der Lebenswärme hielten, weil Feuer wäre: Wesen in seine größte Freiheit verbreitet), wovon alles in jedem lebendigen Eins ausgeht, sinnlich wird und erscheint und in dessen Liebesschoß sich alles wieder einsenkt; vor [286] dessen Sein und wunderbarer Allmacht, Despotismus und allertiefstem Gehorsam jede Philosophie verstummt, nur erkennt: es ist, und ihm seine Art zu handeln ablauert.
Manches in der erhabnen Beschreibung des Aristoteles von Gott scheint hierauf zu passen.
Dies ist das unbegreiflich Göttliche, was in allem lebendigen Einzeln verdaut und Körper wieder zu reinem Wesen auflöst, sich selbst und dieses wieder nach Form seines gegenwärtigen Eins verwandelt, neue derselben Art erzeugt und auf deren immer größere Vollkommenheit und mehrere Freuden denkt.
Wenn Eins Alles ist, so ist jede Form desselben ursprünglich freie Handlung; denn es läßt sich kein Grund denken als seine Lust, warum es aus sich so mancherlei wird. Und Allgenuß seiner Kraft ist die höchste Freiheit.
Das Wesen hat also die Welt nach seiner Lust aus sich erschaffen und in mannigfaltige, für uns unendliche Formen geordnet. Wie, und ob auf einmal oder nacheinander, können wir nicht ergründen. Soviel wissen wir, daß sich die Schöpfung durch immerwährende Erneuerung immerfort erhält. Genug; die erste Form muß einen Anfang gehabt haben, weil keine notwendig und ewig ist. Unendliches läßt sich nur von einem Wesen denken, und der Verstand kann nur in einem seine Ruhe finden. 28
Durch Wirken und Gegenwirken ist das All in schönem Leben. Das Wesen äußert immer seine Kraft, so wie immer die Sterne leuchten und umeinander durch die Himmel [287] schweben. Auch wenn wir schlafen, bewegen wir unsern Erdball um seine Sonne. Wie vieles andre mag das Wesen in uns tun, ohne daß wir uns dessen bewußt sind und wofür die Sinne keine Sprache haben! Unsre innige Vereinigung mit dem Ganzen herrscht immerfort, und wir sind nur zum Schein ein Teil davon und jedes besondre Ding ein Spiel, ein Mutwille des Wesens, und kann keinen Augenblick ohne das Ganze bestehen.
Das ist eine ganz andre Hoffnung, Sicherheit von Unsterblichkeit, wenn ich Stürme durch die Atmosphäre brausen höre und in mir fühle: bald wirst auch du die Wogen wälzen und mit dem Meer im Kampf sein! Wenn ich den Adler in den Lüften schweben sehe und denke: bald wirst auch du in mächtigem Fluge so über dem Rund der Erde hangen, als Komet durch die Himmel schweifen, Sonne Welten beglücken! und, stolzer Gedanke! wieder in das Meer des Wesens der Wesen einströmen!
Aber auch das Verächtlichste werden?
Wer weiß alles, woran das Wesen seine Freude hat? Offenbar erscheint es uns in unendlichen Gestalten. Und dann könnten wir noch für so viel Genuß ein wenig leiden, für so lange Herrschaft kurze Zeit dienen.
Eins zu sein und Alles zu werden, was uns in der Natur entzückt, ist doch etwas ganz anders als das Schlaraffenleben, welches, vernünftigerweise und aller Erfahrung nach undenkbar, bezauberte Phantasien sich vorstellen.
Und warum sollten wir nicht in der ewigen Natur noch verehren, was wir immer wirksam, schön und gewaltig darin empfinden? Die ersten Ausgesandten – Diener Gottes? – uns sinnlich vereinigen mit den höhern Schwestern und Brüdern? Nur Verstand von wenigen dringt durch all das prächtige Getümmel durch bis zum Throne des Herrn! Warum wollen wir die Welt nicht nehmen, wie sie ist?
Aber wir alle sind über kurz oder lang mit der Gegenwart nicht zufrieden, und das Wesen trachtet immer nach Neuem. – [288] So viel mögen wir wohl auch bei dem hartnäckigsten Zweifler herausgebracht haben, daß etwas außer uns ist, unermeßlich unsern Sinnen; und da Anfang aus Nichts der Realität nach unmöglich ist, notwendig und ewig; und daß dies Wesen, bis auf das alleräußerste aufgelöst, entweder durchaus einerlei sein muß oder verschieden.
Wenn verschieden, so muß eine Art davon, wo nicht das Höchste, Beste und Mächtigste, doch wenigstens so gut sein als die Art Wesen, die in uns (und allem Lebendigen) denkt und Verstand hat. Und wo nicht verschieden, so muß es wenigstens wieder ebenso gut sein, da es alles ist. Und da wir augenscheinlich nur geringe Kleinigkeiten sind gegen dasUniversalwesen entweder unsrer Art oder das Wesen überhaupt, so wär es arg, wenn wir es nicht als etwas Höheres verehren wollten.
Das letztere wäre denn die allerreinste Weltmonarchie.
Und darauf beruhte vielleicht (denn wer kann die farbenwechselnden Einbildungen der Hohenpriester und Schriftgelehrten darüber bestimmt ansagen?) das jüdische System und das geheime ägyptische und noch das christliche. Jesus, der Stifter des letztern, wäre mit seiner göttlichen Natur Symbol des unendlichen Wesens in Formen, 29da das unendliche Wesen ganz und vollkommen, ohne Widerspruch kein Mensch in Person sein kann. Die alten Ägyptier mochten bei Verehrung verschiedner Geschöpfe und Gewächse ähnliches denken. Und noch andre alte morgenländische Religionen scheinen davon auszugehn.
Das erstere wäre entweder reine Weltaristokratie, jedes Element nämlich so göttlich als das andre; wo nach dem Homer Juno, Neptun und Apollo den Zeus binden könnten. Oder aristokratische Weltmonarchie; ein Element unter den andern der König. Oderdemokratisch-aristokratische [289] Weltmonarchie; Tiere und Pflanzen schon der Form nach von Ewigkeit da, wie Ihr oben selbst meintet.
Aus diesem haben die Griechen ihre reizenden Dichtungen und schönen Göttergestalten geschöpft; und die erhabensten Philosophen dieser gefühlvollen Nation, wie selbst Aristoteles und Plato, konnten sich davon nicht losmachen. Wenn ein großer Haufe zusammen glaubt, kann er leicht einen guten Mann überwältigen! Durch Lesung ihrer Meisterstücke von Poesie und Beredtsamkeit und bezaubernden sinnlichen Vorstellungen wissen wir aus unserm eignen Glauben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren Nektar rein und unverfälscht von der athletisch schönen Ursprache gekostet hat, kann sich schwerlich in anderm Getränke berauschen. Die Namen ihrer Gottheiten ertönen noch immer von den Lippen der Edlern des aufgeklärten Europa und erheitern die Gesichter der Zuhörenden, auch verhunzt und entstellt.
Gesetzt noch das Allerausschweifendste und Letzte, es gäbe gar kein Universalwesen, die Welt bestünde aus lauter unteilbaren Stäubchen, größer oder kleiner und verschieden in ihrer Form, ohngefähr wie die Buchstaben, die sich gatten und scheiden und von selbst Sinn oder Unsinn hervorbringen: so müßten wir doch billig Hochachtung vor der wiewohl komischen und bunten ungeheuern Menge haben, obgleich diese Meinung bei keinem, der den Abgrund des Äthers anschaut, und fühlt und denkt, Ernst sein kann, sondern ein grillenhaftes Nadelspitzensystem ist.
Und dies wäre denn Weltdemokratie oder das eigentliche atheistische System, welchem nun wohl einige unentschieden anhangen, in der Verzweiflung, sich Gott als ein frei wirkendes Ganzes vorzustellen, da sie alles in der Natur verschieden und in notwendiger Verbindung sehen. Sie selbst aber müssen sich folglich als ein erstaunliches Rätsel vorkommen und, auch noch so bescheiden, mehr einbilden als Sonne, Mond und Sterne. –
Sich des Daseins freuen unter allen Formen und Gestalten, [290] diese dazu vervollkommnen, und sie zernichten, sobald sie nicht mehr dazu taugen oder in Sklaverei taugen können, und alle Traurigkeit fliehen, predigt die Natur. Und dann, nichts Unnützes heischen und beginnen.
Alles Wesen ist frei, sobald es frei sein will; das ist, es kann für sich allein handeln und reißt sich los, sobald es kein Vergnügen mehr in der Verbindung hat. Tyrannei dauert höchstens überall nur bis auf den Grad, wo die letzte Lust wegfällt. Unser kleines Ganzes verliert sich bald mit allen seinen Folgen im Unendlichen; aber Wesen kann von keinem Gott vernichtet werden. Dies ist der Grundpfeiler des Adels und der Stärke bei tiefen Gefühlen. Zertrümmre mich tausendmal mit deinen Wetterstrahlen, ich stehe immer jung wieder auf! Aber du verlangst nichts von mir, was ich dir versagen könnte; und ich kann dir nichts zuwider tun. Was ich tue, tu ich durch dich.
Ardinghello. Ihr seid auf eine andre Weise zu der göttlichen Sicherheit und Furchtlosigkeit gekommen, weswegen die Lehre des Epikur so geschwind um sich griff, dessen Atomen nach Zufall und abwechselnder Lust und Unlust alles hervorbringen und wieder zerstören, Menschen, Mücken und Elefanten, Fische und Sterne, und womit er den beschwerlichen Herrn und Aufseher, der alles beobachtet und von allem Rechenschaft verlangt, aus der Natur verbannte, den alberne Philosophen und Physiker, nach seinem Bedünken, zu Auflösung ihrer Knoten herbeirufen, damit er niederschlage, wenn's anziehen, und aufhebe, wenn's in die Höhe steigen soll.
Das beste für den, der Zweifel hat, bleibt immer, sich zur Partei der edelsten Menschen von allen Nationen zu halten.
Ob diese aber den ältern oder jüngern Glauben gehabt habe und habe oder zu welchem von den drei Systemen sich die Vernunft neige, werden wohl allezeit die mehrsten gegenwärtigen Stimmen entscheiden. Denn notwendige verschiedne Natur, die das Zusammengesetzte bildet, ist nicht [291] schwerer zu begreifen als Anfang desselben von einem Wesen.
Wie hat sich Euer Eins geregt? Vermutlich verschieden! Vorher war es etwa in der Aristotelessischen Bewegung, da sich Leben nicht wohl ohne Bewegung denken läßt. Und irgendwo! Denn ganz konnt es nicht Form werden. Und welcher Teil Form und Körper geworden wäre, den müßte wahrscheinlich das Los getroffen haben; denn Verstand war noch nicht da; der kann nur werden, wenn schon mehr Formen da sind, welche das Wesen in seinem Bewußtsein vereinigt.
An Grenzenloses will ich gar nicht denken; denn unendliche – Realität – sind ein paar Wörter, die man wohl zusammen sprechen und schreiben, aber nicht denken kann. Und Euer formloses Wesen, fein wie Äther und Raum schier, müßte schon eine Lücke im Unendlichen machen, wenn es sich nur in einen Zentner Gold zusammenzöge, geschweig in eine reiche Mine, in ganz Peru, da ging gewiß ein Sonnensystem Größe von Formlosigkeit zugrunde. Und ich seh Euern Beweis noch nicht ein, daß keine Form notwendig und ewig wäre, worauf lediglich Euer Eins beruht. Die Frage woher? bleibt so gut bei einem Wesen als bei mehrern; und wie ich Eins notwendig und ewig annehme, kann ich ihrer Zentillionen annehmen. Und denn müßt es sich verzweifelt plagen, eh es die mancherlei Qualitäten nur für unsre Sinne herausbrächte; wer weiß, ob es nicht noch Geschöpfe mit andern Sinnen gibt! mit einem rednerischen Exempel: von Holz in Feuer, Rauch und Asche; und, es läßt sich nicht anders erklären, mit täuschender, selbst wahrhafter Schilderung von dem Regenten in uns ist's nicht genug getan. Was den Verstand oder das Wesen betrifft, das in uns denkt, so könnte Anaxagoras gar wohl recht haben und das feinste Wesen sich nach den andern richten müssen (die, wie Ihr selbst bewiesen habt, nichts weniger als tot sind), wenn es dieselben brauchen will, ohne daß wir eben wissen, wie es zugeht. Man kann [292] freilich das Liebesgeheimnis nicht bis ins Innerste aufdecken, wie Verschiednes ein lebendiges Eins wird, und so fortdauert, und zusammen handelt; aber ebenso schwer läßt sich das Wesen, welches Gedanke und Verstand, und das, welches Körper wird, als Eins erklären. Qualität ist so etwas Sonderbares, daß es bloße verschiedne Art von Ausdehnung und Anziehung nicht überall hervorbringen kann. Der Verstand bleibt dabei ein Blindgeborner, trotz aller möglichen Anwendung von Figur und Dauer; und sie ist allein Gegenstand der Empfindung. Jede voll Majestät in ursprünglicher Reinheit eigne Substanz und Vollkommenheit der Natur, welche Völker von lebhaftem Sinn und scharfem Gefühl, deren Vernunft Ursachen für Augen und Ohren mit Einbildungen nie ganz umtauscht, immer als göttlich verehrten; denn Glaube ohne Empfindung ist Grille. Ihr habt oben, um Eure Gesinnung auch mir so wie andern zu verbergen, aus Scherz gesagt: Wer beweisen will, daß aus Einem Alles sei, muß erst dartun, daß aus Allem Eins werde. Widerlegt Euch nun im Ernste.
Und denn behaupten die Spötter, Vorsehung, Plan von einer allmächtigen Regierung in der Welt wäre nicht so auffallend sichtbar, und Propheten, Apostel und Geschichte hätten uns mehr dawider als dafür hinterlassen. Es stünde mit uns nicht besser, weil sie dagewesen wären, und sie selbst möchten lieber in Athen zu den Zeiten des Perikles leben und in dem alten Rom als in dem neuern, wo es auch am frömmsten da zuging.
Ihr sagt, der Verstand könne nur in einem einzigen notwendigen unendlichen Wesen, das Alles ist, seine Ruhe finden; und ich weiß nicht, wie es zugeht: mir klopft das Herz vor Angst und sausen die Ohren, je länger ich darüber nachdenke. Es bleibt immer einerlei, es mag werden, was es will (ein Herr ohne Untertanen, Widerspruch! oder der selbst sich in seinen Geschöpfen lobpreist oder selbst bestraft), und kann sei nem Schicksal der gräßlichen Einöde nicht entrinnen; ist schlimmer daran, als die alten Feen in [293] den Ritterbüchern, die sich bei widrigen Begebenheiten die Augen zerweinen, daß sie sich nicht ermorden können. Alle Lust und Pracht und Herrlichkeit der Welt wird zum Gaukelspiel und schwindet zurück, für uns in ein Unding.
Aristoteles ertrug nie ein solches Wesen und sträubt sich dagegen aus allen Kräften; und mich dünkt, der Hohe, Edle hatte recht. 30
Es fällt uns schwer, bei Betrachtung des Weltalls Sinn und Verstand in reiner und keuscher Verbindung zu bewahren. Die einen lassen lediglich und allein nur Verstand gelten und ziehen, wo möglich, alle Natur aus: und die andern halten sich zu sehr an die sinnlichen Vorstellungen und taumeln mit ihrer Einbildungskraft herum in Paradiesen und Höllen. Hohe Schönheit ist ein Gewächs auf seltnem Boden und wird nur Glücklichen zur Beute.
Und glücklich die Gesellschaft, die einen solchen freudenreichen Glauben nach Klima und Verfassung für ihr Dasein auf diesem Erdenrund bekommen hat oder selbst erwählt! Sei er auch, um alle zu befriedigen, eine mystische Komposition von Weltmonarchie, Aristokratie und Demokratie. Ihr werden Männer, die mit der Natur und dem Volke gelind umgehn, und sie den Philosophen hold sein. Warum sollten wir, wenn das vorige Zeitalter barbarische Begriffe hatte, uns auch damit schleppen? Der Mensch kann nichts Göttlichers als Verstand ergründen, muß man wohl der Schule des Anaxagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sinnen samt Vernunft die höchste Regel der Wahrheit, und gegen ihre vereinigten Aussprüche gilt weder Verjährung, Wunder noch Zeugnis.
Je mehr man das Weltall und seine Verbindung damit kennt, desto vortrefflicher die Religion.
Und wer den reizbarsten, innigsten Sinn für die Schönheiten [294] der Natur hat, ihre geheimsten Regungen fühlt, deren Mängel nicht vertragen kann und denselben abhilft nach seinen Kräften, der übt aller Religionen Wahrstes und Heiligstes aus. Sein Tempel ist das unendliche Gewölbe des Himmels; sein Fest jede schöne Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und er bringt seine Opfer dar an Menschen, an Tiere, die ihrer bedürfen, an alles Lebendige.
Metaphysik hat Gott allein, sie ist sein Ehrenamt! sagte derselbe Dichter Simonides, welcher sich so klug über die Frage Was ist Gott? beim weisen Hieron aufführte. Aristoteles will dies zwar nicht zugeben und meint: Gott wäre nicht so neidisch; sie sei die Glorie des Menschen und es einem freien Mann unanständig, sie nicht zu erforschen. Plato aber, sonst so stolz gegen die leichten geflügelten heiligen Wesen, wie er die Dichter nennt, gestand, obgleich bei einer andern Gelegenheit, demütig: Simonides habe selten unrecht; er sei ein verständiger und göttlicher Mann.
In den Sonnensystemen des Orion, der Milchstraße steigen wir vielleicht zu einer höhern Religion auf.
Demetri. Solch ein Angriff gefällt mir! Das ist eine Gymnastik des Verstandes und auf beiden Seiten Gewinn; entweder geübte nacktere gelenkere Wahrheit oder Befreiung von dem schädlichen Übel der Falschheit. Wer weiß, was Menschen sind und was er selbst ist, der verwundert sich weder über Ost noch West, sondern untersucht ferner fort getrost, woraus sie beide bestehen.
Ardinghello. Aber die Säulen hüllen ihre jungfräuliche Schönheit schon ins Dunkel, und oben ist kaum noch Dämmerung. Der Pförtner wartet, die Tür zu schließen. Wer unrecht hat (drückt ich ihn zärtlich und traulich bei der Hand), will immer das letzte Wort behalten.
Demetri. Nur die Hauptpunkte! Das übrige ein andermal, welches überdies hauptsächlich auf eines jeden Gefühl beruht und womit hinüber und herüber Mutwille kann getrieben werden.
Wie ich merke, habt Ihr von Belvedere noch nicht ganz [295] Abschied genommen! Inzwischen spielt Ihr trefflich die Rolle, die ich bei der Pyramide; nur daß ich schon da zu Hause war, wo Ihr vielleicht erst einkehrt.
Ohne Eins, das sich in verschiedne Formen verwandelt, bleibt alles völlig unerklärlich; ich mag darüber nicht wiederholen, was ich schon gesagt habe. Und denn:
Gott ist nicht Mensch, Anthropomorphit! und Ihr selbst müßt Eure Menschheit ablegen, wenn Ihr ihn denken wollt, und Eure stolzen republikanischen und spartanischen Gesinnungen.
Und doch können wir schon in unserm Pünktchen, Plätzchen von Formen nach dem Aristoteles, Ideen groß und klein, also irgendwo darin, erdenken, umbilden, aufbewahren und wieder neu beleben. Reines Wesen kann in bloßem Bewußtsein harren, das ist sein Leben, aber auch Formen in sich schaffen und sammeln, das ist sein Geschäft und seine Lust.
Woher es ist, unendlich? Wie es war, wüst und leer? wie der erste Gedanke in ihm entstand? und Körper? hier ist's noch immer finster auf der Tiefe; Abgrund, wir versinken, und Abgrund! Ewigkeiten! Ewigkeiten! Kein Untertaucher, nicht die berühmtesten der Schulen von Syme, 31vermochten zu entdecken.
Aristoteles hat nicht zuviel gesagt, wohl Simonides. Aber Freunde werden wir sein, solange wir leben, und selige Stunden miteinander haben.
[296]