[59] Mein Ça ira

Volksführer? Nein! die Toga paßt mir nicht,
Um auf dem Markte Politik zu treiben.
Ich bilde mich und bilde mein Gedicht,
Was meinem Wesen fern liegt, lass' ich bleiben.
Aus Mitgefühl sing' ich mein Lied der Not,
Mein Menschheitslied aus Höhentrieb der Seele,
Doch dem Parteigetriebe bin ich tot –
Nun hängt mich auf – empfehle mich, empfehle!
Die heißen Geister der Gerechtigkeit
Verlockten mich, mit Knütteln dreinzuschlagen,
Doch tut es fast mir um das Pathos leid,
Wehmütig lernt' ich solchem Strauß entsagen.
Ich mag nicht mehr, aus innerster Natur,
Und eins mit mir darf ich getrost gestehen:
Ich werde fortan nur auf einer Spur,
Auf eigner Spur des reinern Daseins gehen.
Kein Ehrgeiz jagt mich auf das Podium,
Kein Agitator geht an mir verloren,
Der Eifersucht des Siegers bin ich stumm,
Und für das Bravo hab' ich schlechte Ohren;
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Das heute dem und morgen jenem schallt,
Ja augenblicklich treulos sich verwandelt,
Das eben noch Empörerfäuste ballt
Und gleich darauf mit Schwätzern schon verhandelt.
Hinweg, ihr Stelzen der Vergänglichkeit,
Der Überredung aufgeblasne Robe!
Man wird so klein, wenn man sich täglich weiht
Dem Massenkult der menschlichen Mikrobe.
Zu eitel dünkt mich dieses Priesterkleid,
Weshalb ich mir den Rock des Weltmanns lobe
Und dem Augurendienst der Menschheit fremd
Ein Lächeln spare, das mein Herz beklemmt.
Versteht mich wohl! Der Menschheit großen Zug
Werd' ich mit Sinnen nachzuziehen suchen,
Denn ihren sonnenkühnen Adlerflug
Verleugnen nur ästhetische Eunuchen.
Es steigt empor das menschliche Geschlecht
Bedächtigen Schritts die wunderbaren Stufen,
Und auch der rohe Bruch von Herr und Knecht
Wird einem feinern Formverhältnis rufen.
Wo sich des Denkers reiner Eifer müht,
Wo Forscherlust lebendige Schlüsse gattet,
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Wo der verborgne Baum der Weisheit blüht,
Dort birg dein Lied, von Einsamkeit beschattet!
Was du nur lebst, abseits dem grellen Licht
Der augenbeizenden Gewöhnlichkeiten,
Was ganz dein eigen, tränke dein Gedicht,
Du leite dich, laß sich die andern leiten!
Nur frei sein, frei, auch von der »Freiheit« frei,
Die vollen Mundes Herrscherlaunen pachtet
Und sich mit bettelarmem Marktgeschrei
Den größten Kundenkreis zu sichern trachtet.
Zeit meiner Ausrufkunst, du bist vorbei,
Nach Lauschereinsamkeit die Seele schmachtet ...
Zurückgezogen in den Kreis der Kraft
Genüg' ich tiefer Dichterleidenschaft.

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TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Lebens. Züricher Bilder. Mein Ça ira. Mein Ça ira. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4E27-9