[28] Im Schachte der Zeit

Rings tönt ein Hämmern durch die Nacht.
Wo bin ich? Tief im Erdenschacht.
Die Grubenlampen flimmern trüb,
Gib acht, so dir dein Leben lieb!
Links droht ein Abgrund, rechts ein Spalt,
Tritt sicher, wahre deinen Halt! –
He, Bergmann, kehr dein Licht mir zu!
Was klopfst du ohne Rast und Ruh?
»Ich hämmre früh und hämmre spät,
Daß dieser Fels in Stücke geht.«
Und welche Ader zu befrein,
Zerschmetterst du den morschen Stein?
»Ich suche keiner Ader Licht,
Ich will nur, daß Zerfressnes bricht.«
Und doch, um Gott, schau dort hinauf!
Auf deinem Block, welch wirrer Hauf?
Sie klammern sich mit Angst und Pein
An den von Grund zerhöhlten Stein.
Stürzt plötzlich er gelöst herab,
Sie finden all ein schaurig Grab.
Schon gleiten im Verzweiflungswahn
Hier Mann, dort Weib die Unglücksbahn.
[29]
Sieh jener Krone blinden Glanz
Und rings den unterwürfigen Kranz!
Sieh dort das Kreuz, das wankend steht,
Von einer kleinen Schar umfleht!
Und sieh den Greis, bepackt mit Gold,
Dem Stück um Stück zur Tiefe rollt!
Das Kreuz zerbirst, die Krone sinkt,
Wenn dein Zerstörungswerk gelingt,
Und deiner schrankenlosen Wut
Verfällt das alterworbne Gut.
»O, ich weiß alles, was Ihr sagt,
Und habe lang und schwer geklagt.
Was gehst du, rief ich, ins Gericht?
Laß sein, bis alles selbst zerbricht!
Der Hammer sank, die Zähre floß,
Daß ich die blinden Augen schloß.
Es muß geschehn, sprach dann ich dumpf
Und traf mit Macht den Felsenstumpf.
Was morsch, muß fallen, sei's mit Graun,
Dort hinten magst du Bessres schaun.
Wer hier das Ende nahen sieht,
Tut wohl, daß dorthin er entflieht.
Ich hämmre früh und hämmre spät,
Daß dieser Fels in Stücke geht.«
Gestalten huschen spärlich fort
Nach dem verheißungsvollen Ort.
[30]
Ah, hell und heller flammt der Schein,
Entstrahlt aus seltsam neuem Stein,
Den, wo er brüchig noch und rauh,
Viel Meißler glätten kunstgenau,
Bis, was vordem ein Teil der Nacht,
Glorreich erglänzt in Wunderpracht.
Was weicht der blöde Schwarm zurück,
Geblendet von dem Götterblick?
Warum verhüllt er tief sein Haupt?
O weh! sie haben nicht geglaubt.
Sie schrieen Hohn dem Ideal,
Nun schreckt sie sein lebendiger Strahl.
Scheu wie die Kinder stehen sie,
Bang wie die Sünder flehen sie
Und wissen nicht, wo aus noch ein,
Und rufen: »Nimm uns auf, o Stein!
Wir sind in Reu versunken ganz,
Gib Kraft, zu schauen deinen Glanz!«
Sieh! milder wird das helle Licht,
Und alle heben ihr Gesicht.
Sie sehen schauernd, was geschieht,
In zagen Worten tönt's mein Lied.
Der Schein fliegt auf, der Stein erblaßt,
Schwarz liegt, was vordem klarer Glast.
Doch auf der dunklen Fläche – ja!
Es täuscht mich nicht, schon steht es da –
[31]
Erscheint in Zeichen, die noch nie
Ein Mensch geschaut auf Erden hie,
Erlösender denn Christi Blut,
Ein Wort aus goldner Flammenglut.
Durch alle Leiber rinnt ein Strom,
Und ist kein Tempel, ist kein Dom,
Und ist kein Gott in Menschgestalt,
Der durch die selige Menge wallt,
Auf seines Vaters Reich verweist
Und seines Himmels Freuden preist.
Ein jeder blickt zum andern hin,
Durch alle zieht ein einziger Sinn,
Der jenem wirkt, was er ersehnt,
Weil er im andern nur sich wähnt,
In sich erkennt des Ganzen Glied,
In jedem eins und alles sieht.
Der Geizige spricht: »Nehmt hin mein Gut!
Weh der geschwollnen Mammonsflut,
In der ich tief versunken war,
Dem Eignen frönend Jahr für Jahr!
Des Goldes Glanz schuf mir die Nacht,
Nehmt hin, nehmt hin – ich bin erwacht!«
»Mein Weib, mein Weib!« der Gatte ruft,
»Was überbrückte diese Kluft?
Unselig Gift herztoter Wahl!
Heut lieb' ich dich zum erstenmal.
[32]
Geschwunden ist der falsche Schein,
Nun bist du mein, nun bin ich dein!«
Wer naht sich dort mit Sehersinn
Der ärmsten Tagelöhnerin?
Ein junger Meister hebt den Hort,
Des Menschentums Erlösungswort,
Es strömt der neuen Botschaft Licht
Auf ihr verklärtes Angesicht.
Da tönt ein Klirren ringsumher,
Wie wenn ein Glas zersplittert wär'.
Das Zepter warf der Kaiser ab:
»Fahr hin, du Gottesgnadenstab!
In Glas verkehrte sich das Gold,
Das scherbend jetzt zur Tiefe rollt.
Die Krone, echter Kraft beraubt,
Die Krone brennt auf meinem Haupt.«
Vom Geist der Wahrheit übermannt,
Reicht er dem Arbeitsmann die Hand.
»Was ist der goldne Apfel wert?
Sei mir gegrüßt! Nur Mensch sein ehrt!«
Und ein geheimnisvoller Sinn
Verschwistert Magd und Kaiserin. –
Gewaltig steht in Flammenglut
Das Wort, das solche Wunder tut.
Als sei des Blitzes Strahl gebannt,
Ausfließt es von der Felsenwand.
[33]
Der Bergmann winkt dem Bergmann weit,
Als suche Zeit nach Ewigkeit ...
Das Hämmern schweigt durch helle Nacht,
Heilig ruht der Erdenschacht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Kampfes. Im Schachte der Zeit. Im Schachte der Zeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5237-2