2. Klage über die Tyrannen der Leibeignen
Esthnisch
Abgekürzt würde das Lied schöner seyn; aber es sollte nicht abgekürzt werden. Der wahre Seufzer aus der nicht dichterisch, sondern wirklich gefühlten Situation eines ächzenden Volks, sollte wie er da ist, tönen.
Tochter, ich flieh nicht die Arbeit,
Fliehe nicht die Beerensträucher,
Fliehe nicht von Jaans
50 Lande;
Vor dem bösen Deutschen flieh ich,
Vor dem schrecklich bösen Herren.
Arme Bauren an dem Pfosten
Werden blutig sie gestrichen.
Arme Bauren in den Eisen,
Männer rasselten in Ketten,
Weiber klopften vor den Thüren,
Brachten Eyer in den Händen,
[244]Hatten Eyerschrift
51 im Handschuh,
Unterm Arme schreit die Henne,
Unterm Ermel schreit die Graugans,
Auf dem Wagen bläckt das Schäfchen.
Unsre Hüner legen Eyer
Alle für des Deutschen Schüssel:
Schäfchen setzt sein fleckig Lämmchen,
Das auch für des Deutschen Bratspieß.
Unsrer Kuh ihr erstes Oechschen,
Das auch für des Deutschen Felder.
Pferdchen setzt ein muntres Füllen;
Das auch für des Deutschen Schlitten,
Mutter hat ein einzig Söhnchen,
Den auch an des Deutschen Pfosten.
Fegefeur ist unser Leben,
Fegefeuer oder Hölle.
Feurig Brod ißt man am Hofe,
Winselnd trinkt man seinen Becher,
Feuerbrod mit Feuerbrande,
Funken in des Brodes Krume,
Ruthen unter Brodes Rinde.
Wenn ich los von Hofe komme,
Komm' ich aus der Hölle wieder,
Komm zurück aus Wolfes Rachen,
Komm zurück aus Löwens Schlunde,
Aus des Hechtes Hinterzähnen,
Los vom Biß des bunten Hundes,
Los vom Biß des schwarzen Hundes.
Ei! du sollt mich nicht mehr beissen,
Buntes Hündchen, und du schwarzer!
Brod hab ich für euch, ihr Hunde,
In der Hand hier für den Schwarzen,
Unterm Arm hier für den Grauen,
In dem Busen für das Hündchen.
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