Auch dies gehört dem König

Ich wußt', ein König ist ein irrer Stern,
Und nur der Zufall regelt ihm die Bahnen –
Doch warnt' ich vor dem Schweif, nicht vor dem Kern,
Dem Schweif von Sklaven und von Scharlatanen.
Ich dachte mir: dein eigen Fürstenherz
Sei mehr als ein Register seiner Ahnen,
Und ich vergaß, daß stets ein dreifach Erz
Euch, selbst im Tod, von eurem Volk noch trenne –
Drum nahmt ihr meine Worte nur für Scherz!
Mir Toren war's, als ob ich dich schon kenne,
Als ob gesäugt uns einer Mutter Brüste,
Der Mutter, die ich mein Jahrhundert nenne:
Mir war's, als ob ich in der deutschen Wüste
Von einem fernen Quell das Rieseln höre,
Und träumend lag ich an Atlantis' Küste,
Und ich vernahm so feierlich: »Ich schwöre!« –
Herüber klangen von der Ostsee Borden
In meine Republik die Jubelchöre.
Begeistert rief ich: »Hoher Fürst im Norden!
Das Mädchen, drum die Väter einst gefreit,
Ist für die Söhne schier zu alt geworden:
Du führ' herauf die junge, große Zeit!
Laß unbesorgt den welken Reiz vermodern
Und um den Tod der Knechtschaft trag kein Leid,
Den Geistern gib die Sühne, die sie fodern.
Laß endlich das gelobte Land uns erben!
Der Freiheit Oriflamme, laß sie lodern!
Laß all den Spuk beim Hahnenruf ersterben,
Getrosten Muts: Gevögel nur der Nacht
Wird elend an dem neuen Licht verderben,
Dem Lichte, das den Völkern Heil gebracht!
O sprich ein Wort, das ihre Angst vermindert!
O sprich ein Wort, vor dem der Schlaf erwacht!
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Gib ein Gesetz, das heilet, nicht nur lindert:
Ja gib ein wahrhaft königlich Gesetz,
Das uns am Fallen, nicht am Gehn verhindert!
So sei ein Fürst! so wag' es und verletz'
Den alten heil'gen hergebrachten Plunder:
Zertritt das Pfaffen- und das Adelsnetz!
Wirf in die harrende Welt hinaus den Zunder,
Und spreng' den morschen Bau hoch in die Luft!
Bist du von Gott, wohlan so tue Wunder!
Die Toten nur laß in der Totengruft:
Es ist zu früh, wenn man am Jüngsten Tage
All diesem Volk zur Auferstehung ruft.«
Nicht ganz so lautet' es, wie jetzt ich sage,
Mein Stachel hat nicht ganz so scharf gestochen;
Doch war's der tiefe Sinn von unsrer Klage,
Wenn wir, wie Hamlet einst, zu dir gesprochen:
»Im Staate Dänemark ist etwas faul,
Und seine Kraft ist in sich selbst gebrochen.«
Du aber spielst den königlichen Saul;
(Nicht jenen andern, den du mich gescholten,
Wohl hoffend auf den Apostaten Paul -)
Du hast die freien Worte schlecht vergolten
Und warfst den Speer mit mörderischer Hand,
Wenn wir nicht jedem Knechte Beifall zollten.
Du hast den eitlen Buhlen Freund genannt,
Der solchen Schergenruhm mit vollen Backen
Posaunt; hast unsre reine Glut verkannt,
Die nur das Erz wollt' läutern von den Schlacken:
Denn kommen muß er jetzt, der Tag auf Erden,
Der freie Männer scheidet von Kosaken.
Da stehst du nun, mit zornigen Gebärden,
Ratloser Fürst, inmitten deiner Larven,
Der Larven, die sich nie entpuppen werden,
Erschaudernd vor der Wahrheit, vor der scharfen,
Und wirst der Gaukler eifriger Mäzen,
Die zwischen Licht und Finsternis dich warfen.
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Zu scheu, der neuen Zeit ins Aug' zu sehn,
Zu beifallslüstern, um sie zu verachten,
Zu Hochgeboren, um sie zu verstehn;
Willst du durch bunte Gläser sie betrachten,
Durch Gläser, die dir deine Puppen schleifen,
Den letzten hellen Blick dir zu umnachten.
Was half's dir, ein paar Blätter abzustreifen?
Du wirst den Drang der Schöpfung nimmer stillen,
Und schneller werden nur die Früchte reifen.
Du armer Spielball armer Kamarillen!
Du konntest deiner Zeit die Fahne tragen
Und trägst nun ihre Schleppe wider Willen.
O lern' dem Traum des Heldentums entsagen!
Vertrocknet ist für dich der Born der Tat,
Aus deinen Steinen wirst du nicht ihn schlagen.
Nur feile Zungen dreschen deine Saat,
Als wär' ein Wald von Ähren draus entsprossen:
Ich sehe nichts als Unkraut und Verrat!
Verrat, der dir die Herzen hat verschlossen,
Verrat an dir und deines Volkes Ehren,
Das töricht für dein Haus sein Blut vergossen;
Verrat in dem verpestenden Verkehre
Mit jenem Scheusal! Scheusal, mag's auch gleichen,
Wie Nero dem Apoll von Belvedere:
Es herrscht kein zweites in des Abgrunds Reichen.
Und Freund und Bruder nennst du den Despoten
Und lauschest seines Munds geheimsten Zeichen!
Du willst, wie er, nur schweigende Heloten,
Und Fürstenallmacht, die Ukasen schreibt
Dem Staube, dem Erniedrigung geboten.
Doch glaub' nicht, daß der Staub am Boden bleibt!
Es kommt ein Tag, da wird euch Fürsten grauen!
Es kommt ein Sturm, der ihn nach oben treibt!
Man wird den Staub auf eurer Krone schauen,
Auf eurem Purpurkissen wird er liegen –
Dann wagt's, auf eure Söldner zu vertrauen;
[151]
Feig, wie sie sind, sie werden flugs sich biegen
Und wedeln vor dem Volk, die Edelknaben,
Das Rohr, mit dem ihr wollt den Sturm bekriegen.
Du hast verschmäht, dem Strom sein Bett zu graben,
Und sinnest, ihn zurück zum Quell zu drängen:
Er aber schäumt und wird sein Bette haben.
Dein war das Amt, der Freiheit Ring, den engen,
Mit Meisterschlägen friedlich zu erweitern –
Du hast's verschmäht! nun gilt es, ihn zu sprengen.
Das Schiff mit seinen ungeschickten Leitern,
Mit dir und deinem unglücksel'gen Thron:
Ich seh's vor Abend an der Klippe scheitern.
Noch lebt die Sphinx der Revolution!
Dein war das Amt, die Opferzeit zu kürzen,
– O, tausend Kränze harrten deiner schon! –
Du konntest nur den Knoten fester schürzen,
Und in den Sternen – hatt' ich falsch gelesen.
Die Sphinx wird nicht sich in den Abgrund stürzen,
Und du – du bist kein Ödipus gewesen.

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TextGrid Repository (2012). Herwegh, Georg. Gedichte. Lieder eines Lebendigen. Zweiter Teil. Auch dies gehört dem König. Auch dies gehört dem König. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5EBF-1