Den Deutschen

Eine Vision


Ich hatt' ein seltsam Traumgesicht:
Da saß Gott Vater zu Gericht
Und rief jedwede Nation
Herbei vor seinen Sternenthron.
Die Völker kamen in dichten Haufen,
Just wie sie waren, angelaufen:
Die Briten, Russen und Franzosen,
Die letzten, wie immer, ohne Hosen;
Selbst China und die Mongolei,
Auch ein Stück Polen war dabei.
Und als der Herr die Völker zählte –
Ei, sieh! das Deutsche Reich noch fehlte.
»Wo bleiben denn meine Deutschen wieder?
Recken sie noch die faulen Glieder?
Sie könnten, seit ich sie begraben,
Doch endlich ausgeschlafen haben!«
Drauf hieß er 'nen Engel zur Erde springen,
Die Siebenschläfer heraufzubringen.
Der Engel lief in Deutschland herum,
War alles still, war alles stumm.
»Ihr Deutschen, wollt ihr nicht aufstahn?
Die Ewigkeit geht eben an!«
Der Engel blies in lichtem Zorn,
Wie toll, in sein himmlisch Jägerhorn;
Doch eh' sich die Deutschen zusammengefunden,
War längst der Jüngste Tag verschwunden,
Hatt' alles seinen Lohn empfangen –
Den Deutschen ist Himmel und Höll' entgangen!

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TextGrid Repository (2012). Herwegh, Georg. Gedichte. Lieder eines Lebendigen. Zweiter Teil. Den Deutschen. Den Deutschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-60A7-4