An Theodor Fontane

Zum 30. Dezember 1889


Ein Sonntag war's – lang, lang ist's her,
Vierzig Jahr' und etliche mehr;
Mir sproßte noch kaum der erste Flaum –
Da trat ich in den geweihten Raum,
»Der Tunnel über der Spree« genannt,
Wo Sonntags sich zusammenfand
Ein Kranz Berlinischer Geisteslichter,
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Geheime und öffentliche Dichter,
Die fanden ein inniges Behagen,
Ihre neusten Verse sich vorzutragen,
Balladen, Oden, Lieder und Dramen
Im Schutz erlauchter Dichternamen.
(Lessing, Immermann traf man dort,
Bürger, Schenkendorf und so fort.)
Darauf so ernsthaft als gemütlich
Tat man an scharfer Kritik sich gütlich,
Und schließlich ward reihum gefragt,
Wie jedem die Leistung zugesagt,
Welche Zensur er verleihen möcht':
Gut – sehr gut – ziemlich – oder schlecht.
Das mußten sich hergebrachtermaßen
Die würdigsten Herrn gefallen lassen. –
Mir deuchte das ein kurioser Brauch,
Hatt' aber doch sein Gutes auch,
Denn alt und jung und arm und reich –
Vor der Kritik waren alle gleich,
Und selbst der ältste Geheimerat
Für schlechte Verse Buße tat.
(War freilich an Geheimeräten
Kein Mangel unter den Tunnelpoeten.)
Mir grünem jungem Studentenblut
Ward in dem Schwarm nicht wohl zumut,
Hatte mir doch die Dichterwelt
Ein wenig anders vorgestellt.
Da schwankte mit wiegendem Seemannstritt
An mir vorüber der dicke Smidt.
Ihm nickte zu sein treuer Gesell,
Der fette blonde Hesekiel,
Und neben ihm schwieg stundenlang
Der Mann, der Waterloo besang.
Mild lächelnd plauderte Schulrat Bormann,
Stets andrer Meinung als sein Vormann.
Franz Kugler führte den Eulenstab,
Trat oft dem kleinen Merckel ihn ab,
Der sehr harmlose Satire trieb,
Den »Frack des Herrn von Chergal« schrieb.
Auch Kriegern war die Muse geneigt,
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Die sonst wohl unter den Waffen schweigt;
Freund Lepel glänzt' hervor aus ihnen;
Und bildende Künstler waren erschienen,
Mein teurer Menzel, der immerdar
Heimlicher Lyrik verdächtig war.
Doch ich, der unter den letzten saß,
Fragte mich heimlich: Sind sie das?
Sind das die Tunnelgrößen alle?
Da ging die Tür, und in die Halle
Mit schwebendem Gang wie ein junger Gott
Trat ein Verspäteter, frei und flott,
Grüßt' in die Runde mit Feuerblick,
Warf in den Nacken das Haupt zurück,
Reichte diesem und dem die Hand
Und musterte mich jungen Fant
Ein bißchen gnädig von oben herab,
Daß es einen Stich ins Herz mir gab.
Doch: Der ist ein Dichter! wußt' ich sofort.
Silentium! Lafontaine hat 's Wort.
Und wahrlich zeigte sich's bald genug,
Daß »Phöbus' Wort in mir kein Lug«.
Denn als am Tischlein er niedersaß
Und hob nun an – weiß nicht mehr, was,
Ob's von den »Männern und Helden« war,
Oder Archibald Douglas gar,
Oder der Tag von Hemmingstedt –
Weiß nur, wie gerne gelauscht ich hätt'
Auf dieser beseelten Stimme Klang,
Da sie nun schwieg, noch stundenlang,
Und wacht' erst auf aus meinem Traum,
Als um mich her im dämmrigen Raum
Die »Sehr gut!« wurden eingesammelt.
»O sehr, sehr gut!« hab' ich gestammelt.
»Sehr gut!« Wie oft noch klang's im Chor
Zu deinem Liede, Freund Theodor!
Wie manchmal sagt' ich's vor mich hin,
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Seit ich im Süden heimisch bin,
Wenn mir von dir ein Büchlein kam,
Heimweh mich wieder gefangen nahm
Nach unsrer Mark, so lieb und schlicht,
Wie einer Mutter Angesicht,
Das, ob's auch unscheinbar vielleicht,
Den Kindern immer das schönste deucht.
Wie fühlte mein Herz sich wieder jung,
Nahmst du mich mit auf die Wanderung
Durch Oderbruch oder Osthavelland –
Der Wagen ächzt im mahlenden Sand,
Nichts Hochromantisches rings zu sehn,
Pappeln, umschwirrt von Spatzen und Krähn,
Ein roter Kirchturm hin und wieder,
Ein Schloßdach dunkelt schwarz hernieder,
»Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer, –
Dann und wann eine Krüppelkiefer,
Am trägen Flusse Schilf und Rohr,
Und am Abhang schimmern Kreuze hervor –«
Ein Land, mit dem verwöhnte Touristen
Wohl nicht viel anzufangen wüßten.
Doch haftet des Dichters Auge dran,
Fängt alles zu leben, zu leuchten an.
Aus alten Familiengrüften zuhauf
Steigen verschollne Geschlechter auf
Und haben ernste und heitre Geschichten
Dem horchenden Wandrer zu berichten.
Und der dicke Krüger, die stämmige Magd,
Der Flachskopf, der am Daumen nagt,
Das leibt und lebt so frisch und echt,
Spricht seine Sprache schlecht und recht;
Ist nichts so groß und nichts so klein,
Der Dichter schließt's in sein Herz hinein,
Und wie er geliebt, was er beschrieben,
So müssen wir's nun wieder lieben.
Denn also war's von Anbeginn:
All eure Kunst bringt nicht Gewinn,
Blickt zwischen den bunten Zeilen nicht
Hervor ein Menschenangesicht,
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Das seine eigenen Züge trägt;
Ob's nun zur Ehrfurcht uns bewegt,
Oder treuherzig lächeln mag:
Ich bin von bürgerlichem Schlag.
Doch lieb' ich alles, was diese Welt
An schlichter Menschlichkeit enthält,
An Geistesadel und Seelenglut,
Scheinlosem Verdienst und Heldenmut
Und Anmut, die in dürft'ger Hülle
Sich labt an Liebes- und Lebensfülle.
Das freilich zu erkennen taugen
Nur liebevolle Poetenaugen.
Doch wer aus solchen Augen schaut,
Der, wenn des Alters Zwielicht graut,
Blickt noch so klar ins Leben hinein,
Wie einst im Jugendsonnenschein.
So grüßest auch du den Freund noch immer,
Tritt er zu dir ins traute Zimmer,
So prunklos bürgerlich noch heut,
Fast wie zur achtundvierziger Zeit.
(Sind unsre Dichter doch nicht gewohnt,
Daß man sie königlich belohnt,
Und hätten sie mit Feuerzungen
Des Vaterlandes Ruhm gesungen.)
Und staunend hab' ich bei mir gedacht:
Was fabelt man von der Jahre Macht?
Trat er viel anders dazumal
In den rauchgeschwärzten Tunnelsaal?
Sitzt er als Murmelgreis gebückt,
Seit bei den Siebz'gern er eingerückt?
Ein leiser Reif hat angestaubt
Sein appollinisches Lockenhaupt,
Doch pflegt er's immer noch hoch zu tragen,
Und wollt' ich ihn aufs Gewissen fragen:
Spürst nun auch du, mein alter Freund,
Daß nicht so hell mehr die Sonne scheint?
Er würd' einen Scherz vom Zaune brechen
Und sein Berlinisch »Is nich!« sprechen. –
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So recht! So laß, wie die Jahre schwinden,
Dich immer tapfer den Alten finden.
Zeige den Jungen, den Naturalisten,
Wie sie's eigentlich machen müßten,
Wollten sie Wirkliches nur verehren
Und doch als Dichter sich bewähren,
Und sieh dem tollen Lauf der Zeiten
In heiterm Gleichmut zu vom weiten.
Du lässest ja zwischen Ernst und Lachen
Das alles längst von andern machen.
Dem, der getreu sich bleibt wie du,
Fällt auch die Treue der andern zu.
Und nimmt dir einst den Wanderstab
Der Wirt »zur stillen Einkehr« ab,
Gib acht, nicht bleibt's bei müßigem Trauern:
Nicht viele Jahre fürwahr wird's dauern,
Da werden die Enkel in Neuruppin –
Nicht doch! gleich mitten im alten Berlin
Ein schmuckes Standbild dir errichten,
Reliefs am Sockel aus deinen Gedichten,
Treffliche Reden werden erschallen
Und dichtumschart die Hülle fallen
Unter Musik und Vivatgeschrei.
Unsichtbar bist du auch dabei
Und blickst hernieder aus Sternenhöh'n.
Ich höre dich sprechen: »Wunderschön!
Ein herrliches Kunstwerk! Doch verzeiht –
Mir fehlt der Sinn für Feierlichkeit!«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. An Personen. An Theodor Fontane. An Theodor Fontane. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64A6-C