Literatur und Kunst

Geht dir ein Spruch zu scharf ins Blut,

Ein granum salis macht's wohl gut.

Poeten tragen sorgenlos
Die heimlichsten Gefühle bloß;
Doch können sie's ohne Scham nicht sehn,
Wenn die Gedanken nackend gehn.
Was man nicht liebt, kann man nicht machen,
Und jeder mache, was er kann.
Bedächten das die Starken und Schwachen,
Die Künste wären besser dran.
Stets bereit zu tausend Sachen
Sind die flotten Halbtalente.
Muß man doch nicht alles machen,
Was man auch wohl machen könnte.
Vermische Kunst und Leben nicht,
Mach nicht dein Leben zum Gedicht,
Du möchtest sonst die Kraft verbrauchen,
Der Dichtung Leben einzuhauchen.
[572]
Gedankenarm ein traurig Los! –
Viel lieber doch gedankenlos.
Brauche nur immer deine Kraft,
Ob sie auch nichts vom Höchsten schafft.
Zum mindsten ist Wärme frei geworden,
Und das tut not in unserm Norden.
Weiter bringt dich's, auf falschen Wegen
Rüstigen Schritts voranzugehn,
Als auf dem rechten dich schlafen zu legen,
Oder im Kreise dich umzudrehn.
Alles verstehn und verzeihn wir Deutschen: das schwülstigste Pathos,
Sentimentales Geseufz, üppige Frivolität,
Nur unschuldige Grazie nicht. Die finden die Biedern
Bloß affektiert, und zudem spreche sie nicht zum Gemüt.
Was macht ihr nur so großes Wesen
Von euren hochbelobten Alten?
Sie konnten wohl herrlich sich entfalten,
Sind auch eben noch jung gewesen.

Die Klassiker

»Sie haben uns alles vorweggenommen,
Die besten Gedanken, das kühnste Wort.« –
Rächt euch an denen, die nach euch kommen,
Und spielt den Enkeln denselben Tort!
Ehstand ist Wehstand, auch in der Kunst,
Drum sind Dilettanten glückliche Leute.
Sie genießen der Musen Gunst.
Wie ein Stelldichein ewiger Bräute.
[573]
»Ich bin ein Anfänger, Sie verzeihn!
Ich hoffe, Sie werden mich belehren.« –
Anfänger möchtet Ihr immer sein,
Wenn Ihr nur lerntet aufzuhören.
»Wie aber zügl' ich mein Talent?
Es treibt mich ruhlos wie im Fieber.« –
So tut, was ihr nicht lassen könnt,
Doch läßt sich's lassen, laßt es lieber!
Dilettanten beneid' ich von Herzen,
Ihnen ist großes Heil verliehn:
Kinder gebären sie ohne Schmerzen
Und brauchen hernach sie nicht zu erziehn.
»Berat uns, was wir schreiben sollen,
Daß unser Tun ersprießlich sei.« –
Kocht, was die Leute essen wollen,
So werdet ihr beide fett dabei.
»Fruchtbarer wär' ich ganz gewiß,
Wenn mir's nur nicht an Stoffen fehlte!« –
Die Schatten nahn dir, wie Ulyß,
Nur fehlt's am Blut, das sie beseelte.
Zu malen, bildnern oder bauen,
Wer wird sich's ohne Lehre getrauen?
Zum Dichten braucht's nicht so viel Faxen:
Ist jedem nicht ein Schnabel gewachsen?
»Am Himmel der Dichtkunst allüberall
Erglänzt es von neuen Poeten.« –
Ist leider nur ein Sternschnuppenfall,
Doch keine neuen Planeten.
[574]
Ihr mögt die Hüll' und Fülle haben
An Kunstgeschick und technischen Gaben,
Doch seid ihr als Person nichts wert,
Ward euch das alles umsonst beschert.
Was schiltst du »müßiges Gelichter«
Die lieben, guten, schlechten Dichter?
Die Eichen ragten nicht so stolz,
Gäb es im Wald kein Unterholz.
Wir hören so lang von deinen Gaben,
Zeige sie uns doch endlich nun.
Willst du Kredit als Heiliger haben,
Mußt dich entschließen, Wunder zu tun.
Wie doch diesen gespreizten Affen
Unter den Händen ihr Werk zerrinnt!
Sie meinen, sie könnten ein Kunstwerk schaffen,
Wenn sie recht unnatürlich sind.
Auf so manche Lust der Welt
Lernt man früh verzichten.
Was uns bis zuletzt gefällt,
Sind Bilder und Geschichten.
Schaffst du ein Werk der Kunst, gib acht,
Daß nicht die letzte Hand der ersten schade.
Den letzten Schritt mach mit so straffer Wade,
Wie du den ersten einst gemacht.
Das Publikum ist ein gnädiger
Monarch; es sollen Poeten
Als Hofnarrn oder Hofprediger
Bei ihm in Dienste treten.
[575]
Erbaut will's sein oder amüsiert
So zwischen Schlafen und Wachen,
Und wer ihm nicht das Zwerchfell rührt,
Der soll es weinen machen.
Der Anmut lächelnde Gestalt,
Tiefsinn von echten Humoren
Und des Erhabnen stille Gewalt
Sind völlig an ihm verloren.
»Poetische milde Gaben,
Gedruckt zum Besten der Armen« –?
Habt mit dem armen Leser Erbarmen,
Anstatt ihn so zum besten zu haben.
»Wortwitzelei! Wie schweifst du nur
Bald rechts, bald links in krausen Zügen,
Statt schlicht zu wandeln nach der Schnur?'' –
Ist Schlittschuhlaufen kein Vergnügen?
Halt' dich so wacker du nur magst
In hundert kleinen Gefechten:
Erst wenn du eine Hauptschlacht wagst,
Wird man den Kranz dir flechten.
Naivetät als schönstes Siegel drückt
Natur auf einen Meisterbrief;
Doch wenn mit ihm ein leeres Blatt sich schmückt,
Das ist – naiv.
Wer nur durch Tugenden Gunst gewinnt,
Wird bald vergessen auf Erden;
Doch wessen Fehler liebenswürdig sind,
Der kann unsterblich werden.
[576]
Bist du von höherer Natur,
Verschmäh's, hinab dich zu begeben.
Versuch es mit den Niedern nur:
Sie lassen willig sich erheben.
Jede Zeit und jeder Ort
Wird dir zum Gedichte taugen,
Sagst du stets mit eignem Wort,
Was du sahst mit eignen Augen.
Goldschmiede kennen den guten Brauch,
Wie man Demanten soll leuchten lassen.
Die rechten Männer verstehen's auch,
Ihre Gedanken à jour zu fassen.
Immer noch die Welt durchschreiten
Menschen, deren mannigfache
Groß' und kleine Menschlichkeiten
Sich erhöhn zur Menschheitssache.
Wer handeln soll, erwäge klug,
Daß Dummheit, Bosheit, Lug und Trug
Ringsum in tausend Masken schleichen.
Doch wem Gesang den Busen schwellt,
Der denke sich die weite Welt
Bevölkert nur mit seinesgleichen.
Verfälschte Nahrungsmittel
Verfallen jetzt dem Büttel.
Den Kunstwein, den sie Lyrik taufen,
Läßt niemand in die Gosse laufen.

Rat an Lyriker

Der Mensch lebt nicht vom Süßen allein;
Müßt wie die Bienen leben:
Sie sammeln nicht bloß Honig ein,
Sie machen auch Wachs daneben.
[577]
Laß dich's nur nicht verdrießen,
Verschmäht man anfangs deine Gaben.
Der Fluß muß lange fließen,
Bevor er sich ein Bett gegraben.
Talent ist eben ein jüngrer Sohn,
Durch Fleiß der Nahrungssorgen spott' es.
Genie ist Erb' und ältster Sohn,
Stammhalter des lieben Gottes.
Wer groß ist, soll sich des Kleinen enthalten?
Als ob man Herr der Stunde wär'!
Bedenkt, daß auch im Musenverkehr
Kleine Geschenke die Freundschaft erhalten.
Will diese Welt, du arme Poesie,
Nichts von dir wissen,
Wie kann dich's wundern? Du beleidigst sie.
Bist du denn nicht das Weltgewissen?
Du bildest dir ein, du habest Genie
Und seist berufen zur Künstlerschaft?
Freund, du verwechselst Phantasie
Und Einbildungskraft.

N.N.

Hab' ich doch nie einen Mann gesehn,
Dem so, wie ihm, an allen Tagen
Die Worte zu Gebote stehn,
So oft er will was Dummes sagen.
Wie kannst du deine Zeit verachten
Und doch nach ihrem Lobe schmachten?
Soll man dir deinen Stolz verzeihn,
Mußt drauf verzichten, eitel zu sein.
[578]
Der welke Künstlertrieb
Schafft nicht mehr aus dem Vollen,
Und statt der Wollust blieb
Nur noch die Lust zu wollen.
Ein anerkanntes Talent zu haben,
Ist eine der besten Glückesgaben,
Doch besser noch ist's mit dem bestellt,
Der für ein verkanntes Genie sich hält.

Reiz des Fragmentarischen

Ein Ganzes ist nicht leicht zu fassen.
Man mag es lieben oder hassen,
Ganz unbekümmert ruht's in sich.
Wie schmeichelt's, ein Fragment zu sehen!
In aller Demut scheint's zu flehen:
Du ganzer Mann, vollende mich!
Laß niemand durch dein Lied erfahren,
Wer dich gekränkt auf deinem Pfade.
Es wär' um deinen Bernstein schade,
Müßt' er die Mücken aufbewahren.
Was du mit hundert Schleiern gern umwändest,
Dem Blick der Muse hast du's bloßgestellt.
Was du dem liebsten Freunde nicht geständest,
In ihrer Sprache beichtest du's der Welt.
Wer sein Gedicht erklärt,
Verrät geheime Schwächen.
Ist es der Rede wert,
Wird's für sich selber sprechen.
Geht durch die Welt politischer Zank,
Soll man der Poesie entsagen?
Verbietet, wenn die Kartoffeln krank,
Den Pfirsichbäumen, Frucht zu tragen!

[579] An einen Erzähler

Was mußt du stets dein Ich dazwischenschieben
Und deines Helden Mentor sein?
Die Leserin will sich in ihn verlieben,
So laß sie doch mit ihm allein.

X

»Wie denkst du von diesem Autor nur?
Wohl gar verächtlich?« –
Nein; sein Verdienst durch die Literatur
Ist sehr beträchtlich.

N.N.

Wie mütterlich hat doch Natur
Ihm die Talente zugemessen!
Sie gab ihm alle. Schade nur,
Daß sie ein Naturell vergessen.

Aktualität

Wir sehn erlöschen unbewußt
So manche brennende Frage.
Das Fragezeichen in unsrer Brust
Brennt bis zum Jüngsten Tage.

Voltaire

Habt ihr ihn noch so schwer verdammt,
Mit eurem Bannfluch ihn beladen:
Er war, wenn auch der Höll' entstammt,
Ein Teufel doch von Gottes Gnaden.

Goethes zahme Xenien

Manch Sprüchlein hat er neu geprägt,
Das abgegriffen am Wege lag,
Nun, da es seinen Stempel trägt,
Im Kurs bleibt bis zum Jüngsten Tag.
[580]
Daß Faust dem Teufel sich verbunden
Und keine Dampfmaschin' erfunden,
Mögt ihr ihm ins Gewissen schieben;
Doch hätte Goethe dann den Faust geschrieben?
Versuch's und übertreib's einmal,
Gleich ist die Welt von dir entzückt.
Das Grenzenlose heißt genial,
Wär's auch nur grenzenlos verrückt.

Melchior Meyr

Zwei Seelen haben in dir regiert
Und jede der andern Werk verrichtet:
Der Novellist hat philosophiert,
Der Philosoph gedichtet.

An –

Ποιητής, Macher, – so ungefähr
Dacht' ich, daß das ein Dichter wär'.
Du hast's französich dir übersetzt:
So viel wie faiseur bedeutet's jetzt.

Einem Sonettisten

's ist keine Kunst, langatmig abgeschmackt
In dicken Bänden zu langweilen.
Du aber gibst Ennui-Extrakt,
Du Wundermann, in vierzehn Zeilen.
Von Sünden loszusprechen,
Die unser Herz vom Sittenzwang befreit,
Das ist – und nennt ihr's auch Verbrechen –
Poetische Gerechtigkeit.

Naturalismus

1.
Im Leben pflegt es uns zu frommen,
Wenn wir in gute Gesellschaft kommen,
Und sollen uns in der Kunst bequemen,
Mit der Crapüle vorlieb zu nehmen?
[581] 2.
In jedem Hause, noch so rein,
Gibt's ein geheimes Kämmerlein.
Doch gilt es Fremde durchs Haus zu führen,
Hält man verschlossen gewisse Türen.
3.
Auch Kot gehört ja zur Natur,
Wer kann davor sich schützen?
Und meinethalb auch zur Literatur;
Doch soll er uns an die Stiefel nur,
Nicht an die Nase spritzen.
4.
Sie konnten im Unsittlichen
Nicht kecker sich erdreisten;
Nur im Unappetitlichen
Blieb Großes noch zu leisten.
Die Muse wandelt in stolzer Ruh
Vorbei und hält sich die Nase zu.
5.
Wollt ihr in Gold den Kiesel fassen,
Muß ich euch eure Freude lassen.
Ich armer idealistischer Tor
Ziehe die Edelgesteine vor.
6.
Ein groß Geschrei geht durch die Welt:
Mit unsrer Kost sei's schlecht bestellt.
Wir sollten, was Gott uns will bescheren,
In Zukunft lieber roh verzehren.
Die Kochkunst sei ein Mißbrauch nur,
Verhunze die Einfalt der Natur;
Drum, was den Schmaus versüßt, verschönt,
Als fader Mischmasch sei verpönt. –
Ha, dacht' ich, wenn mir ein Apfel lacht,
[582]
Ess' ich ihn frisch, uneingemacht,
Und Austern schlürf' ich aus der Schale.
So laßt mich kosten von eurem Mahle! –
Da präsentierten sie einen Fladen,
Wie man sie findet auf Wiesenpfaden.
Mir ward steinübel vom Gestank.
Ist's so gemeint, dann großen Dank!
Ich denke, trotz dieser modernsten Schlaraffen
Meine Köchin doch nicht abzuschaffen.

7.

(Roman expérimental)

Alles Lebendige
Beruht auf Zeugung.
Das Unanständige
Ist unsre Neigung.
Das Unbeschreibliche
Hier wird's getan;
Das Ewigweibliche
Ist nur ein Wahn.

Die Moralisten

1.
Nicht an die Elite denken sie,
Nur an die Kleinen, Vielen.
Verstaatlichung der Poesie,
Das ist's, worauf sie zielen.
2.
Im Paradies gab Weib und Mann
Stoff zu idyllischem Gedichte.
Erst mit dem Sündenfall begann
Der Sensationsroman der Weltgeschichte.
3.
»Die Unschuld, noch vom Morgentraum umschwebt,
Wird durch dein kühnes Werk vernichtet.« –
Für solche, die noch nichts erlebt,
Hab' ich auch nicht gedichtet.
[583] 4.
Kastriert nur ängstlich Lieb' und Haß
In usum der Unmünd'gen, Schwachen!
Ihr sollt uns doch nicht den Parnaß
Zur Kinderstube machen.
5.
Ich schätze den Kodex der Moral
Als eine Grammatik zum Schulgebrauch.
Wer schreibt und lebt mit schöpferischem Hauch,
Heißt inkorrekt erst allemal
Und zwingt den usus endlich auch.

An –

Wohl ward des Dichters Flügelpferd,
Der heil'ge Wahnsinn, dir beschert.
Doch der es lenkt mit fester Hand,
Fehlt: der gesunde Menschenverstand.

Einem Kraftgenie

Du pflegst, wo eine Hand genügt,
Sofort die Faust zu ballen.
So wirst du denen nur gefallen,
Die stets am Faustrecht sich vergnügt.

In viridi prato consedit Phoebus Apollo

(zu einem Bilde mit dieser Devise)


Auf grüner Aue sitzt Apoll
Und musiziert ganz wundervoll;
Doch wird ihm all seine Kunst nicht frommen,
Auf einen grünen Zweig zu kommen.
Bettler am Küchenfenster stehn,
Bei trocknem Brot den Braten zu riechen.
Nicht besser pflegt es denen zu gehn,
Die heut bewundern die Kunst der Griechen.
[584]

In Rom

Viel hier lehren die Trümmer, doch eins, was nirgend gelehrt wird,
Selten im Leben und nie spricht man in Schulen davon:
Ganz sein. Wenn du es einmal warst, so mögen Barbaren
Trümmern und bröckeln an dir: deine Gestalt – sie besteht.

An die Nazarener

Die Künste preist ihr salbungsvoll
Und warnt vor Sinnenreizen?
Wenn euch der Ofen wärmen soll,
So, denk' ich, müßt ihr ihn heizen.

An einen Künstler

Viel zu geschickt, zu flott, zu schnell!
Vor lauter Künsten geht die Kunst verloren.
Du wärst vielleicht ein Raffael,
Wärst du nur ohne Hände geboren.

Kunstausstellung

Viel Leinwand, Hausgespinst und fremd,
Nur arg entstellt durch bunte Flecken,
Und reicht doch nicht zu einem Hemd,
Der Kunst die Blöße zu bedecken.
»Der Mann ist eine Zelebrität.
Willst seine Werke du ignorieren?« –
Muß ich denn ein Gericht probieren,
Wenn sein Geruch mir widersteht?
Zürnst du, wenn mit schalen Späßen
Sie ihr Publikum bewirten?
Was die Schaf' am liebsten fressen,
Wissen diese klugen Hirten.
Heißen dich nur einen Toren,
Der umsonst sich mag erhitzen,
Da ihr Schäflein sie geschoren
Und nun in der Wolle sitzen.
[585]
Dein Urteil fordern sie, »frank und frei«,
Das heißt, dein Lob,
Und sagst du einem, was not ihm sei,
So wird er grob.
Hoffnungslose Dilettanten
Abzuschrecken hoffe nimmer.
Denn kaum sind sie aus dem Zimmer,
Schelten dich die schwer Verkannten
Einen ledernen Pedanten.
Sprich von dir selbst nicht zu bescheiden,
Man spricht's nur gar zu gern dir nach.
Was mußte nicht Lessing darunter leiden,
Daß er von »Röhren und Druckwerk« sprach,
Als ob nicht Minna und Nathan klar
Bezeugten, wie frisch die Quelle war.

Nordischer Nebel

Nur recht mystisch-unverständlich,
Sibyllinisch müßt ihr schreiben.
Dafür ist die Welt erkenntlich,
Dürft es kecklich übertreiben.
Bleibt dem Leser auch am Ende
Ihr des Rätsels Lösung schuldig,
Daß nur er den Sinn nicht fände,
Glaubt der gute Narr geduldig.
Denn um Gottes willen lasse
Kein Naiver je sich merken,
Daß er nicht den Tiefsinn fasse
In gepriesnen Dichterwerken.
Was, erhellt vom eignen Lichte,
Leuchtet ein gesunden Augen,
Scheint gering nur an Gewichte,
Kann ja nicht zum Deuten taugen.
[586]
Jedes Pfuschwerk stellt's in Schatten,
Das, verworren und verlogen,
Regt unendliche Debatten
Neunmalweiser Mystagogen.
Lernt darum den Kunstgriff üben,
Der euch den Erfolg verbriefe:
Müßt das seichte Wasser trüben,
Daß man glaub', es habe Tiefe.
Sonder Mühen und Beschwerden
Könnt ihr so die Ruhmsucht stillen.
Will die Welt betrogen werden,
Nun so tut ihr doch den Willen!

Den Dilettanten

Natur trägt mannigfach Gewand,
Leicht bildet's nach auch schwache Hand.
Doch was verhüllen die weichen Falten,
Ist Meisterhänden vorbehalten.

Auf einen Epigrammendichter

Du suchtest allerorten
Umsonst nach einem Mann,
Der in so wenig Worten
Noch weniger sagen kann.
Archimedes verlangte für seinen Hebel nur einen
Standort außer der Welt, und er bewege sie leicht.
Dichter und Weiser, den Punkt, die Welt zu bewegen, ihr findet
Ihn in der eigenen Brust, brauchet den Hebel nur recht.
Aller Mechanik scheint dies Wort zu spotten; doch freilich,
Ihren Gesetzen gehorcht nimmer die geistige Welt.
Alles Gescheite und Richtige,
Alles Edle und Tüchtige,
Längst ward's gesprochen und getan,
[587]
Drum hört es selten wie neu sich an.
Nur die Verkehrtheit ist ohne Grenzen,
Daher der Pfuscher und Nichtige
So leicht als Originale glänzen.

Bei eines gewissen Dichters Begräbnis

Wußt' auch der Pfarrer, was er sprach,
Als diesen Mann das Grab empfangen:
»Ihm folgen seine Werke nach« –?
Sie sind ihm längst vorangegangen.
Das alte Lied vom Welt- und Menschenwesen
Will jede Zeit in ihrer Sprache lesen.
»Die Kunst für alle«? Mit Vergunst,
Habt ihr des Wortes Sinn erwogen?
Nur wen'ge wissen was von Kunst,
Für alle sind's nur – Bilderbogen.
Gern will ich kämpfen, Streich um Streich,
Doch seien auch die Waffen gleich.
Wenn ich die blanke Klinge fasse,
Rafft ihr den Schmutz auf von der Gasse.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Sprüche. Literatur und Kunst. Literatur und Kunst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64B7-6