10.

Heut da kommt mir ein fremdes Gesicht aufs Zimmer.»Ich bin ein
Deutscher, verzeihn's«. – Nun, dies scheint mir verzeihlich zu sein.
Nehmen Sie Platz, mein Teurer. In wieviel Tagen vernahm ich
Kein heimatliches Wort! – »Schauen's, so ging mir es halt
Auch; drum bin ich so frei, als Deutscher – wenn Sie erlauben.«
Nehmen Sie Platz! Wie süß tönst du, mein mütterlich Deutsch!
All das welsche Gemunkel, zumal das Napoletanisch,
Süß wie die Feige, doch auch weichlich entartet wie sie.
Endlich wieder ein kräftiges Wort!
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Aber, Sie stehn noch immer? – »Verzeihn's, ich komme direkte
Vom Vesuvio her, wo ich verwichene Nacht
Beim Einsiedler geschlafen. Der Sakrische! der Malefizkerl
Ließ sich zahlen. Zuletzt nahm ich noch Wanzen in Kauf.
Und nun mein' ich, es sitzt mir im Rock ein Rest des Geziefers,
Und die Racker auch hier nisten sich ein in den Stuhl.
Salva venia, aber es ist halt säuisch im Süden;
Ich vor allen, ich bin sehr an das Propre gewöhnt,
Erst seit kurzem. Ich komme von Gräfenberg, und die Reise
Sollte die Nachkur sein.« – Hm! ich begreife! ja ja!
Dann ist's freilich ein anderes Ding. – »Ja, schauen's, ich hatt' ein
Magenleiden, und zehn Ärzte, die ersten in Wien,
Setzten mir zu. Was half's? Da ging ich zuletzt zu dem Prießnitz,
Mitten im Winter; es war letzten Dezember ein Jahr.« –
So! – »Ja wissen's, ich fror wie ein richtiger Schneider. Es ist dort
Regel, man deckt in der Nacht nur mit dem Kotzen sich zu.
Solcher ist dünn nur und schmal. Ich kroch im Sommer und Winter,
Eh' ich zu Prießnitz kam, unter die Federn zu Nacht.
Seine Gewohnheit hat doch ein jeglicher.« – Wahr! zum Exempel
Ich, um die jetzige Zeit schöpf' ich ein weniges Luft
Auf dem Balkon, sonst schlaf' ich die Nacht nicht. (Freilich, die Stunde
War's, wo ihren Balkon auch Mariuccia betrat,
Nur ein Haus von dem meinen getrennt. Streng hielt sie die Mutter
Tags am Webstuhl fest. Aber sie kam in der Nacht.
War's auch immer zum Reden zu weit, zum Blicken zu dunkel,
Grüßte sie doch mit Gesang, winkte sie doch mit der Hand.)
»Gehn's nur,« bat mich der Wiener. »Die Tür ist offen so können's
Mich von draußen verstehn. Also wo blieb ich? Ich fror,
Und so geb' ich dem Hausknecht Geld, er soll mir ein Deckbett
Schaffen. Er schafft es, und ich schlafe die Nacht wie ein Dachs.
[336]
Aber was wird mein Prießnitz tun? Was denken's? Die Runde
Macht er und schaut, ob keins wider die Regel verstößt.
Nun, wie gesagt, ich schlief und ich ahnt's nicht. Morgens – wie wird mir? –
Lieg' ich – und klappre vor Frost – unter dem Kotzen allein.
Aber mein Hausknecht klärte mich auf! Der Schlingel! Er wußt' es
Alles voraus, und doch steckt' er das Geld in den Sack.
Nicht acht Tage, so war ich's gewohnt. Jetzt sei mir ein Bette
Kalt wie es will, nur sei's sauber, so ist mir es recht.
Sehr ein erfahrener Doktor, der Prießnitz!« – Wie es der Werte,
Ob er es weiter bewies, frage mich keiner darum.
Denn jetzt trat sie heraus, ein Lämpchen in Händen, und hängt' es
Über den Sims des Balkons. Schöner erschien sie als je.
Säße der lästige Mensch nur jetzt in der Tiefe des Kraters
Oder der Hölle, ein Wort rief' ich hinüber zu ihr!
Doch da sitzt er und schwatzt. Das abscheuliche Deutsch! Wie wohl tut
Ein landüblicher Fluch, hinter den Zähnen gebrummt.
Still! jetzt öffnet sie wahrlich den Mund. Was aber bestürzt sie,
Daß sie auf einmal stumm blickt in die Türe zurück?
Gib ein Zeichen – was ist's? Was siehst du? – Sie scheint sich zu fassen,
Nimmt das Lämpchen, und jetzt – ach, sie verschwindet im Haus.
Was ist plötzlich geschehn? – Da hör' ich den ehrlichen Wiener
Zu mir treten. »Und Sie,« sagt er, »was halten's davon?« –
Ich? – »Nun, stimmen's mir bei?«' – Ja freilich! – »Sie halten die Stirn so;
Ein Kopfschmerzl?« –Fürwahr, 's ist mir beklommen im Hirn. –
»Wissen's, da tut nix besser, als frisch vom Brunnen ein Sturzbad:
Folgen Sie mir. Ich hab's oft bei dem Prießnitz erprobt.« –
Danke! Es bessert sich schon. Allein wahrhaftig, ein Sturzbad,
Das mir das Hirn abkühlt, täte schon lange mir not.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 10. [Heut da kommt mir ein fremdes Gesicht aufs Zimmer.»Ich bin ein]. 10. [Heut da kommt mir ein fremdes Gesicht aufs Zimmer.»Ich bin ein]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64DA-7