[337] 11.

Soll ich nun ganz mich entwöhnen des schönen Gesichts, das freundlich,
Schwesterlich kam und ging, immer zu trösten bereit?
Ach, wenn widriger Wind in Napoli hemmte die Barke,
Die von der Liebsten ein Blatt heut mir zu bringen versprach,
Und ich stand und im Weiten mit ungeduldigen Augen
Folgte vom offenen Dach jeglichem Segel im Meer,
Dann wohl über die Mauer die liebliche Stimme vernahm ich:
Seid Ihr traurig? Warum? Seht, es betrübt mich sogleich,
Wenn Ihr finster und stille den Kopf hängt. Lasset uns plaudern!
Ist das Leben doch süß; seid Ihr doch jung und geliebt. –
Und was hilft mir der Liebe Gewißheit? Haben ist alles;
Haben allein ist süß; Haben ist Jugend allein. –
Und sie tröstete mich mit dem kindischen Troste: So seid nur
Klug und geduldig. Ihr kehrt wieder und habt sie aufs neu'. –
Kann ich's glauben? Und zweifle sogar am Gewissesten, daß ich
Einst sie besaß; mir scheint's nun wie ein Trug, wie ein Traum. –
Unzufriedner! Und kommt nicht fleißig ein Briefchen und sagt Euch,
Daß dies alles sich erst kürzlich und wirklich begab? –
Sonst wohl kam's, und da glaubt' ich es leicht. Nun aber entbehr' ich's
Schon seit Tagen, und gleich drängt sich der Zweifel ans Herz. –
Ihr habt recht. Schwer ist es, vergangene Dinge zu glauben.
Grade die liebsten, sie sehn heut wie die fremdesten aus;
Jeder erfuhr's, ich auch, und es braucht nicht Meilen dazwischen,
Daß unmöglich erscheint, was wir mit Augen gesehn.
Vor zwei Jahren einmal, im Sommer, ich war kaum sechzehn,
Faßt' ein Fieber mich an, eisig und bang wie der Tod,
Und sie dachten, es sei mein Letztes; ich selber, ich dachte
Wenig. So lieg' ich am Tag, schon für verloren, im Bett,
Gar einsam, denn die Mutter besorgte den Herd, und Pepina
War in Meta. Da kommt einer zur Kammer herein,
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Setzt sich neben das Bett und faßt mir die Hand und beschaut mich
Lang. So verworren ich war, dennoch erkannt' ich ihn gleich
Und schwieg still. Um die Welt nicht hätt' ich ein Wörtchen geredet.
Doch er sagte: Du bist krank, Mariuccia. Geduld!
Du wirst wieder genesen; ich fragte den Arzt; er versprach mir's.
Halte das Herz nur still! – Aber er küßte mich auch
Und sprach weiter: Du sollst bald lachen und singen wie früher,
Und viel besser sogar. – Sehet, das sagt' er und ging.
Von Stund an wie ein Wunder geschah mir's, daß mich das Fieber
Ließ. Schon Tages darauf saß ich auf offenem Dach.
Doch mein Lachen und Singen – wo blieb's? Jetzt, seh' ich denselben,
Ist mir's immer, es sei falsch und ich hätt' es geträumt.
Mag's denn sein, wie es will – was ist's auch? Aber da schaut nur
Über das Meer. Kommt dort nicht von Neapel das Boot?
Ja, ich erkenne das Wimpel Luigis. Seid Ihr auch jetzt noch
Nicht zufrieden? – Ich wär's, wäre der Brief mir gewiß,
Brächt' er Erwünschtes, und hätt' ich ihn schon. Noch trägt ihn die falsche
Welle. Verzeih! mich treibt's selbst an den Hafen hinab.
Und sie nickte, die Freundin. Und kam ich zurück und erklomm dann
Jubelnd das Dach, sie stand droben und wartete mein –
Aber nun lest mir ein wenig zum Dank! – Ich tat es, so gut ich
Konnte; das sinnige Deutsch setzt' ich in welsche Musik.
Und sie lauscht' und wandte sich dann, schwermütig – Das ist nun
Schon seit Tagen vorbei. Freuden und Schmerzenallein
Muß ich tragen, seitdem ihr liebes Auge zum letzten
Mal mich grüßte bei Nacht und mir so plötzlich entschwand.
Jetzt belagert das Dach hartnäckig die garstige Hexe
Angiolina. Sie tut freilich geschäftig genug.
Bald muß Fiffi heran, da badet und kämmt sie den Armen,
Oder sie nimmt ein Buch, das sie zum Scheine studiert.
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Ach, und leider verdunkelt Gewölk am Tage den Himmel,
Kein willkommener Strahl scheucht mir die Neidische fort.
Mir ist doppelt die Sonne versteckt. Ich frage Luisa,
Aber sie weiß nicht Rat, denn sie entzieht sich auch ihr.
Drüben wimmelt das Haus von groß' und kleinen Spionen;
Hier guckt einer und dort plötzlich ein anderer vor,
Schielt nach mir und verschwindet. Was ist's nur? Bin ich so sehr denn
Staatsgefährlich? Und was, denken sie, führt' ich im Schild?
Ich, als merkt' ich es nicht, gleichgültig in Händen den alten
Vater Homer, vom Altan halt' ich die Späher in Schach.
Immer das nämliche les' ich, und nicht nur, weil ich zerstreut bin:
Weil mit neuer Gewalt immer das eine mich rührt.
Wenige Zeilen – sie fassen ein Schicksal. Bei den Phäaken
Weilet Odysseus noch. Aber er sehnt sich nach Haus.
Und so steigt er hinab in den Saal zu den harrenden Fürsten
Aus dem behaglichen Bad. Und an der Schwelle der Tür
Tritt Nausikaa leise zu ihm, in göttlicher Anmut,
Grüßt und bittet: Du gehst, aber versprich mir, daheim
Mein nicht ganz zu vergessen, die gern den Gestrandeten aufnahm.
Und mit herzlichem Wort redet der Dulder zu ihr:
O Nausikaa, Tochter des edlen Alkinoos, gönne
Mir so sicher die Fahrt Zeus an den heimischen Strand,
Als ich deiner auch dort, wie der Himmlischen einer, gedenk bin
Jeglichen Tag, denn du, Liebliche, hast mich erquickt!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 11. [Soll ich nun ganz mich entwöhnen des schönen Gesichts, das freundlich]. 11. [Soll ich nun ganz mich entwöhnen des schönen Gesichts, das freundlich]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6669-6